Seine Filmmusik war so prägnant, dass sie berühmter wurde als die Filme, für die sie bestimmt war. Und auch darüber hinaus ist der Einfluss Morricones kaum zu unterschätzen. Am 6. Juli 2020 ist der zweifache Oscar-Preisträger im Alter von 91 Jahren verstorben.
1966 sollte ein bedeutendes Jahr für den italienischen Western werden. Glaubt man den im Internet kursierenden Gerüchten, dann enthält das Screenplay zu Sergio Leones Filmklassiker „Zwei glorreiche Halunken“ zur berühmtesten Szene des Filmes nur einen Eintrag: „Tuco enters the graveyard.“ Was der Regisseur und der Komponist Morricone dann daraus machten, ist Filmgeschichte: Der Gangster Tuco erreicht in besagter Szene als erster der konkurrierenden Halunken einen Friedhof, auf dem 200.000 US-Dollar in Gold vergraben sein sollen. Er betritt zögernd das riesige Areal, die Vogelperspektive wird eingenommen und zart entfaltet sich das musikalische Thema von „The Ecstasy of Gold“. Immer hektischer und manischer beginnt Tuco zu suchen, die Musik nimmt Fahrt auf, die Kameraführung wird hektischer, die Musik steigert sich in ein nahezu kakaphonisches Finale – und stoppt: Tuco hat das Grab gefunden.
Stimmt die Geschichte nun? Oder entspricht sie dem Bedürfnis einiger YouTuber, den Mythos des genialen Duos Leone/Morricone weiter zu befeuern? Eigentlich ist das nebensächlich, denn sie illustriert nur allzu gut, wie Morricone Filmmusik verstanden hat und was ihn so besonders ausgezeichnet hat: „Der Film muss der Musik Zeit geben“ hat Morricone 2003 in einem Interview gesagt. Und so bildete sie auch im Fall von „Drei glorreiche Halunken“ den Ausgangspunkt für die Entfaltung der Handlung. Der Regisseur ließ sogar große Lautsprecher am Set aufbauen, um die Musik während der Dreharbeiten gewissermaßen live abzuspielen. Auch schrieb Morricone vorab Leitmotive für die drei Hauptfiguren des Filmes und wir finden im Film alle der ihm so eigenen Trademarks: Die kojotenhaften Menschenstimmen, die „sägende Gitarre“ und selbstverständlich die schräge Mundharmonika.
So charakteristisch die Eigenheiten der Musik Morricones sind, sind sie doch nie zum Klischee geronnen, weit ragen sie über den Kontext des Films hinaus. Vom Klassikbereich bis in die Independentszene hinein hat Morricone künstlerische Arbeit inspiriert. 2004 interpretierte der Cellist Yo-Yo Ma Kompositionen Morricones, Mark Knopfler und Radiohead berufen sich explizit auf ihn und auch ohne das berühmte Mundharmonikaintro bei jedem Muse-Konzert wäre der Einfluss auf das immer im Set folgende „Knights of Cydonia“ unverkennbar. Spätestens durch die Zusammenarbeit mit Quentin Tarantino findet Morricones Musik wieder den Weg auf Hollywoods Filmbühne, 2016 erhält er den längst überfälligen regulären Oscar für „The hateful Eight“. „Wenn’s nach mir ginge, müsste ich alle zwei Jahre den Oscar kriegen“, hatte er einmal gesagt.
Quelle: YouTube
Am Dienstag ist der gebürtige Römer, der wortwörtlich an hunderten von Filmen mit Größen wie Petersen, Polanski und De Palma gearbeitet hat im Alter von 91 Jahren gestorben.
Gespielt wird er inzwischen nicht nur vor Konzerten von Metallica, sondern längst auch in den großen Konzertsälen. Vielleicht bringt es ein Tributalbum aus dem Jahr 2007 am besten auf den Punkt: We all love Ennio Morricone.
Titelbild: Ennio Morricone im Jahr 2013, © Gabriel Molina
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