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„Den Raum des Bösen lote ich gerne aus“

Ute Cohen ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Berlin. In ihrem neuen Roman „Poor Dogs“ nimmt sie die Welt der Unternehmensberatung und wie Menschen beginnen, alle Beziehungen nach einem ökonomischen Nutzenkalkül zu beurteilen, in den Blick. Philip hat mit ihr über das Buch, über Liebe, Grausamkeit und Kapitalismus geredet.


Ute, dein Roman Poor Dogs spielt in der Welt der transnationalen Unternehmensberatung. Er handelt davon, wie die beiden Protagonisten André und Eva in ihrer Liebesbeziehung immer mehr den Boden unter den Füßen verlieren und die Grenzen zwischen Wirtschaftlichem und Intimen verschwimmen. Was ist in diesem Kontext ein „Poor Dog“?

Das ist ein Begriff, der aus der Portfolio-Theorie von Boston Consulting stammt. Das ist eine Matrix, in der es um Marktwachstum und die Entwicklungsmöglichkeiten von Unternehmen geht, also wie man diese einzuordnen hat. Und die „Poor Dogs“ sind die, die in diesem Portfolio am Schlechtesten dastehen, den geringsten Marktanteil und die geringste Aussicht auf Marktwachstum haben. Wenn aber auch Menschen so beurteilt werden, ist das äußerst bedenklich, etwa, wenn du diese Matrix deinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis überstülpst. Und ich hielt es für eine gute Idee, danach einen Roman zu konzipieren, weil ich tatsächlich in meiner beruflichen Laufbahn Menschen erlebt habe, die so in ihrem ganzen Leben vorgehen und alles nur nach dem Nützlichkeitsaspekt machen und eigentlich in dieser Matrix gefangen sind, dass sie nur noch ihr entsprechend handeln.

Ein solcher Mensch wird also ein reiner Homo Oeconomicus, der alle sozialen Beziehungen nur als Humanressource sieht?

Ja, genauso ist das.

Wer im Roman auf jeden Fall so vorgeht, ist André. Denn in deinem Roman mischen sich immer wieder die Motive wie Liebe, Erotik, Sexismus mit kalter wirtschaftlicher Kalkulation – aber alle werden nach denselben Kriterien von den Protagonisten behandelt: ökonomisch. Besonders André fällt mir da auf. Er sieht Frauen als austauschbare Sexobjekte, die er sich zum Spaß, Dekor, zur Lust oder Rentabilität hält. Das ist ein verlängerter, libidinöser Arm seines skrupellosen ökonomischen Handelns. Aber wirken dabei er und Eva, die zwischen ihren Hormonen, ihrer Selbstständigkeit und ihrer Arbeit bei McCrowley hin- und hergerissen ist, nicht oft allzu stereotyp?

Es entsteht einfach eine Konformität mit den Anforderungen einer Unternehmensberatung. Man ist einem System mit bestimmten Firmenwerten und Kommunikationsarten. Wenn sich alle daranhalten, gibt es nur noch ganz wenige Variablen. Denn anfangs wird man danach beurteilt, wie man sich in dieses System einfügt. Das Beharren auf Individualität und Besonderheit wird höchstens später wertvoll. Und das färbt auf die Persönlichkeit ab. Daher ist dieses Stereotype natürlich gewollt, denn diese Menschen – und meine Protagonisten – werden zum Abziehbild; sie sind lebendige Klischees.

Sie verlieren ihre Individualität und werden oberflächlich in jeder Hinsicht?

Ja, und die Konsequenz ist, dass man nach der Matrix seine Mitmenschen beurteilt. Man betrachtet sie nur noch als Spielfiguren. Für die Beziehung zwischen den beiden oder die Beziehungen, die André überhaupt zu Frauen hat, gehe ich also einen Schritt weiter als die Sozialtheoretikerin Eva Illouz, die sagt, die Romantik werde vereinnahmt vom Kapitalismus. Aber in Poor Dogs ist von Romantik gar nicht mehr die Rede. Denn die kapitalistische Matrix funktioniert nur nach dem Prinzip der Unterwerfung und Macht. Die Romantik ist dann nur noch ein Instrument, das man einsetzt, um etwas zu erreichen.

Wenn wir also Illouz’ Theorie weiterdenken, wäre Romantik nur noch eine instrumentelle Ideologie, um wirtschaftliche Ziele zu verwirklichen?

Ja, und zwar auf einer unternehmerischen und privaten Ebene.

Wenn solche Protagonisten zu kapitalistischen Klischees werden, siehst du dann noch einen Ausweg aus solchen Mechanismen, die indoktriniert werden, sodass sogar am Anfang des Buches Eva, als die in flagranti mit André von dessen Ehefrau erwischt wird, das Problem wie ein Businessgespräch managt?

Wenn man sich so diverse Unternehmensgeschichten ansieht und wie sich da immer wieder Geschichte wiederholt, habe ich da Schwierigkeiten mir einen Ausweg vorzustellen. Denn es wird einfach immer wieder die Verlockung des Geldes geben. Man kann versuchen, sie zu überzeugen, dass sie eines Tages auf der Verliererseite stehen, wenn sie weiter nach solchen Prinzipien handeln oder nicht das Zeug haben, um später an der Spitze anzukommen. Aber, was wir hier moralisch bewerten, sehe ich nicht als wandlungsfähig an, weil die Gier im Menschen (nicht nur in der Unternehmensberatung) extrem stark ist. Das kann keiner leugnen! Die meisten Menschen sind nur nicht dieser Versuchung ausgesetzt.

Individuell abzuwägen, ob es etwas wert ist. Oder Menschen zu überzeugen, von einem solchen System abzulassen, wäre aber auch nur instrumentell. Man braucht dann einen anderen Mehrwert, um etwa Karriere zu machen oder Macht zu bekommen. Alles andere wäre nur romantische Nostalgie, die Gier an sich verurteilt.

Ja, und das sehe ich als unrealistisch an. Wandel entsteht in solchen Bereichen nur, wenn man an einem Tiefpunkt angelangt ist. Dann findet man vielleicht einen anderen Zugang zu Menschen. Aber das aus einem eigenen Impuls zu machen, ist kaum vorstellbar.

Wie Eva hast auch du ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert und danach in amerikanischen Unternehmensberatungen gearbeitet. Wie viel Autobiographisches steckt in Poor Dogs?

Ich sage nur: Die Realität übertrifft meistens noch die Vorstellungswelt. Das Buch ist schon an Leben gesättigt. Ich habe diese wirtschaftlichen Bereiche selbst durchwandert. Ich würde mich sowieso als Wanderin betrachten, und ich sauge aus verschiedenen Welten immer alles auf. Mein Vergnügen besteht darin, etwas genau zu beobachten, zu pointieren und dabei die Komik der Tragik zu sehen, das scheinbar Unvereinbare zusammenzubringen, und mir damit auch eine Erleichterung zu verschaffen. Ich schreibe aber vorweg keine Plots. Wenn ich Romane lese wie so manchen Krimi, die Reißbrettgeschichten sind, dann langweilt mich das. Ich verarbeite einfach Dinge, die mich ergreifen, die lebensentscheidend waren, so wie ich in meinem Roman Satans Spielfeld meine sexuellen Gewalterfahrungen und die Vergewaltigung als Kind transformiert und fiktionalisiert habe, so war auch die Zeit in der Unternehmensberatung für mich in all meinen Vorstellungswelten sehr erschütternd.

Ich habe erst an der Uni gearbeitet, und dann komme ich in eine Welt, in der nur noch ums Billing geht, wie im Rausch. Der Businessjargon hatte schon eine Faszination. Ich habe in der Kommunikationsabteilung gearbeitet – und immer mit dem Willen, tatsächlich was zu ändern. Und das Unternehmen hat dir auch das verkauft, indem man bei einem entsprechenden Gewinn etwa einen Literaturfond aufmachen kann. Und das habe ich geglaubt. Aber wenn es nicht so laufen konnte, wie ich es mir erhofft habe, habe ich einen Cut gemacht, den meine Protagonisten so nicht machen. Ich ziehe dann weiter und suche mir ein neues Feld. Vielleicht ist das Gerechtigkeitsstreben oder Idealismus, das ich in jedem Gebiet suche.

Naja, für die Suche nach Gerechtigkeit scheint mir die Unternehmensberatung nicht das beste Feld zu sein.

Das ist einfach meine wahnsinnige Neugierde, die mich dazu bringt. Aber Neugier ist von Gier gar nicht so weit entfernt, und man gerät schnell in so ein Business hinein durch seine Anziehungskraft, Geschwindigkeit, Spannung und Energie. Ich wollte einfach die große weite Welt entdecken. Und geprägt hat mich da so der Punk, die raw power. Es war eine Gipfelstürmersache: umhauen, Zusammenhauen und Neumachen, nach vorne preschen! Das hat eine große Energie, die natürlich schnell mit dem Bösen zusammenhängen kann. Den Raum des Bösen lote ich gerne aus. Und dazu muss ich es kennenlernen – auch, um es zu ändern. Viele aus dem Punk sind dann zu Businesspunks, etwa im Investmentbanking geworden und haben dort die raw power ohne Regeln praktiziert. Das Verbindungsstück aus beidem ist die Energie, die ich meine. Ich meine das aber nicht bewundernswert. Es fasziniert mich. So ist es auch mit der Gewalt. Sie schreckt uns alle ab, aber sie ist auch ein Faszinosum. Wir sind gebannt von ihr, jenseits des Bösen.

Poor Dogs ist ja selbst voyeuristisch. Das Buch hat auch viele innere Monologe. Wir erfahren sehr genau, was André und Eva denken, wünschen und planen. Gleichzeitig zu Gefühlen, wie Liebe, Hass und Anziehung wird eine Handlung der kalten Kalkulation und der Überlebenskämpfe geschildert – also wieder Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Und so wie sich diese Elemente abwechseln, so wechselt auch der Sprachstil. Mal ist dieser anheizend und spannend, mal ist er kalt und sehr zynisch. Würdest du das als grotesk bezeichnen? Und wie schaffst du es, bei so vielen verschiedenen Themen und Stilarten die Waage zu halten?

Die Waage oder das richtige Maß klingt camoufliert bei mir (lacht). Ich bin wirklich kein maßvoller Mensch. Ob es dann grotesk ist, wenn es kein Maß mehr gibt, ist egal. Maß und Mitte reizen mich nicht! Ich will das Maß überschreiten und die verschiedenen Facetten ausloten, wie auch meine eigene Beteiligung am Geschehen, etwa wenn es meinen Idealen widerspricht. Den eigenen Anteil erkennen kann ich nur, wenn ich alles durchleuchte. Das würde ich aber nicht unbedingt als grotesk bezeichnen. Aber aus dem menschlichen Handeln selbst ergeben sich oft bizarre Situationen, und die zeige ich auch im Stil. Das Leben ist nicht monokausal und nicht eingängig. Und mein Stil versucht die Lebendigkeit daran zu zeigen. Dass etwas verstörend wirkt, ist gewollt, denn die Handlung oder die Protagonisten sind verstörend. Vielleicht ertragen das Viele nicht, wenn sie von Angst geprägt sind. Man darf sich aber von seinen Ängsten nicht steuern lassen, sondern muss auf seine Ratio vertrauen und mal ein Risiko eingehen. Wir sind doch handlungsfähig, können transformieren und gestalten. Vielleicht hat mich auch das in die Welt der Unternehmensberatung gerade hineingezogen.


Poor Dogs von Ute Cohen erschein 2020 im Wiener Septime Verlag und hat 240 Seiten.

Beitragsbild: © Sonja Shenouda

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