Schlagwort: Trip Hop

Trip Pop mal konzentriert. Warhaus im Musik & Frieden

Belgien macht sich derzeit immer beliebter. Während der wallonische Süden uns tatsächlich vor CETA bewahrt haben könnte, weiß Flandern mit seiner Musik-Szene zu glänzen. Mal wieder.


Ein paar Größen der Szene haben unlängst den Weg von Gent nach Berlin angetreten und standen am 19. Oktober als Warhaus im Musik & Frieden auf der Bühne. Aus mysteriösen technischen Gründen hatte es im PBHFCLUB, wo das Konzert eigentlich angesetzt war, nicht geklappt. Aber es beruhigt ja ungemein, mitzuerleben, dass eine Location spontan aushilft, wenn eine andere es dann doch nicht einrichten kann. Der souveränen Warhaus-Performance war von den Wirren ebenfalls nichts anzumerken. Dass die Band ganz nebenbei derzeit auf ihrer ersten Europa-Tour ist, sah man den scheinbar über Jahre gereiften Show-Routiniers auch nicht an. Stimmt ja auch nicht ganz. Denn wer steckt hinter Warhaus?

Auch wenn es als Soloprojekt des Balthazar-Sängers Maarten Devoldere promotet wird, verbirgt sich hinter dem Projekt bei genauerem Hinsehen ein kleines Kollektiv. Nicht nur auf der Bühne steht dabei Jasper Maekelberg, seines Zeichens Kopf der Indie-Band Faces On TV neben Devoldere. Er war auch Co-Produzent des Anfang September erschienenen Warhaus-Debüts We Fucked A Flame Into Being. Während Devoldere live die Show übernimmt, das Publikum animiert, den Songs mit seiner Aura und Pose eine Mitte gibt, rastet dieser neben ihm fast durchgehend aus. Maekelberg, der ständig zwischen E-Gitarre und Keyboards wechselt, in die stapfenden Grooves unruhige Rhythmen und Harmonien einwirft und in Loops stapelt, führt hier unbeirrt fort, was er mit Faces on TV aufgebaut hat.

Devoldere selbst, irgendwie ja schon Zentrum des Ganzen, bedient sich live einer unorthodoxen Eigenkonstruktion und spielt einen Fender-E-Bass, der mit nur einer Bass-Saite auskommt, dafür außerdem mit drei E-Gitarren-Saiten bespannt ist. Um die Frequenzen zu trennen, sind darauf in Handarbeit verschiedene Tonabnehmer montiert, die ebenfalls mehrere Lautsprecherausgänge erfordern. So gelingt es ihm, gleichzeitig Bass und Rhythmusgitarre abzudecken. Dritter im Bunde ist live dann Michiel Balcaen, der seit 2014 ebenfalls Schlagzeuger Balthazars ist. Am halb akustischen, halb elektronischen Drumset gibt er sich hier experimentierfreudiger als im Hauptprojekt, dabei stets fokussiert und versiert. Eine unsichtbare Vierte ist im Musik & Frieden zwar im Raum, betritt jedoch nicht die Bühne. Denn komplettiert wird Warhaus auf der Platte und einigen Konzerten in Gesangsfeatures von Devolderes Freundin Sylvie Keusch, hauptberuflich Sängerin von Soldier’s Heart, die nicht zufällig auch das Plattencover ziert oder im Film-Noir-Musikvideo zu A Good Lie eine Rolle spielt.

Quelle: Vimeo

Im Musik & Frieden gaben sich Warhaus als Trio nicht bloß reduziert, sondern hochkonzentriert, und lieferten eine Mischung aus monumentalem und verspieltem Groove-Rock ab, dessen verruchte Grooves nebulös aufbegehren und im ständigen Ausbruch begriffen sind. Damit werden sie auch live jener mittlerweile als “Trip Pop” geführten Nische zwischen Stoner Rock und Trip Hop gerecht, die sich die Genter Szene um Balthazar und Faces On TV selbst erschlossen hat. Nicht nur ihre Musik, auch ihre Performance erscheint fast tänzerisch, und doch nie tanzend. Damit ähneln die drei in ihrer Erscheinung ein wenig bestimmten Statuen wie Berninis David oder Rodins Ikarus, also Standbildern, die in ihrer Haltung keine Ruhe, keinen Schwerpunkt finden und darin Bewegungen einfangen, ohne diese auszuführen.

Berninis David (© Galleria Borghese/Commons Wikimedia) und Rodins Ikarus (© Eugene Druet/Commons Wikimedia)

Berninis David (© Galleria Borghese) und Rodins Ikarus (© Eugene Druet), Quelle: Commons Wikimedia

Nicht nur umfasst dies die rhythmischen Zuckungen Devolderes, die einem Tanz entnommen scheinen, doch ständig im Ausfallschritt ersticken, sondern die gesamte Show. So komplex die Songs sich auch aufbäumen mögen, werden sie dennoch auf beeindruckend unaufgeregte Weise präsentiert. Dadurch gelingt es insgesamt trotz der Explosivität einzelner Elemente, über die gesamte Show hinweg eine gewisse Spannung zu halten. Ähnlich wie im Albumtitel We Fucked A Flame Into Being geht es auch live bloß um die Auslösung von etwas, nicht um das Ausgelöste selbst. Und zur Auslösung eines tanzenden Publikums reicht es allemal. So stellt sich ihre Musik als eine geschickte Form von Andeutungs-Rock heraus.

Ohne Frage ist es die besondere Wirkung Maarten Devolderes, die den Wiedererkennungswert des Projekts gestaltet. Dringt diese bei Balthazar – er ist dort ja nicht der einzige Sänger – nicht immer vollends durch, so ist bei Warhaus alles auf ihn zugeschnitten. Er füllt seine Nick-Cave- oder Tom-Waits-ähnliche Pose hier erstmals vollends aus. Aus dieser heraus ein reines Singer-Songwriter-Soloprogramm aufzubauen, wäre tatsächlich gewagt. Bei Balthazar ist sie nur ein Element unter vielen, das zwar strukturgebend ist, doch nicht maßgeblich zur Vielseitigkeit ihres Sounds beiträgt. Außerdem scheint es einer gewissen Reife zu bedürfen, Teil der angestrebten Riege zu sein. Denn was in Songs wie I Looked For You noch nach jugendlicher Naivität sympathisch klingt, entpuppt sich spätestens bei Warhaus doch auch als Männlichkeitsgehabe, als welches sein Auftreten durchaus anzuecken weiß.

Daher tut Maarten Devoldere gut daran, weitere Musiker in die künstlerischen Prozesse von Warhaus zu integrieren. Besonders ohne Maekelberg, der sich um die Virtuosität der Songs verdient macht, würde dem Projekt ein künstlerisches Standbein fehlen. Das Resultat dieser Zusammenarbeit kann sich hören lassen und besticht ohne Frage auch live. Und nicht umsonst wird We Fucked A Flame Into Being in Belgien bereits als Platte des Jahres gehandelt. Denn sie hat vor allem eines: Potenzial. Ein Nachfolger, von dem live bereits diverse Songs präsentiert wurden, ist schon in Vorbereitung, wird aber erst nach dem neuen Balthazar-Album erscheinen. So sperrig die Namen Balcaen, Devoldere, Kreusch oder Maekelberg auch klingen mögen. Wir werden von ihnen hören.

Quelle: YouTube

Titelbild: © Gregor van Dülmen (via instagram)