Peer Gynt an der Schaubühne in Berlin ist eine Inszenierung Lars Eidingers – in mehrfachem Sinn. Mit diesem Satz ist schon vieles gesagt, ja, vielleicht alles.
Oder man geht hin und beschreibt das Bühnenbild des Aktionskünstlers John Bock, thematisiert das große Stoffgebilde mitten auf der Bühne – verziert mit unzähligen Stoffwürsten, vielleicht Zitzen, vielleicht Penisse, schwer zu sagen. Das Gebilde, das von einigen Rezensent٭innen als ruhender Elefant erkannt wurde, von anderen als undefinierbares Plüschtier, sich am Schluss aber doch eindeutig als übergroßer Kuheuter herausgestellt.
Penis & Porno
Oder man entscheidet sich für eine Rezension, in der man alle Wortwitze einflicht: Peer-fect, Peer-peroni, peer pedes, Peer-rücke. Ja, Perücken gab es einige, und Kostüme auch, aber selten mit richtiger Hose. Immer nur mit Unterhose. Überall Unterhosen. Oder halt nur Penis. Nicht Peers Penis, sondern eher Lars’ Penis. Kennt man. Und dann wären da noch die ganzen Intertextualität: Songfetzen von a-ha, Zitate von Kanye West oder Brecht.
Das zuvor bei der Buchung angekündigte pornografische Material ist dabei kaum provozierend im Gegensatz zum ekelhaften Rumgeschmier: Bier, Tiefkühlpizza, saure Gurken, Cola, Eier in einen Standmixer püriert und dann getrunken, bis einem beim Zugucken die Galle hochkommt. Aber auch nichts Neues an der Schaubühne: Hat sich nicht in Thomas Bernhards „Das Kalkwerk“ Schauspieler Felix Römer in kiloweise Eiern und Mehl selbst paniert?
Profilneurose & Publikum
Und was bleibt? Henrik Ibsens „Peer Gynt“? Ja, wahrscheinlich. Ist die Inszenierung doch ebenso weit weg wie nah dran am dramatischen Gedicht über den lügenden Bauernsohn und seine realitätsfernen Fantasiewelten. Aber ganz zum Schluss steht immer nur eines im Scheinwerferlicht: die Suche nach der eigenen Bedeutung, nach Geltung. Und eben Lars Eidinger, Lars Eidinger, Lars Eidinger und Lars Eidinger.

Lars Eidinger, © Benjakon
Hier soll aber kurz der Blick weg von ihm – sorry! – und das Licht auf jene Menschen geworfen werden, die ihm eine Bühne bauen: sein Publikum. Denn kaum erscheint er (Mist, da ist er ja wieder!) am Anfang auf der übergroßen Leinwand, sorgen einzelne Zuschauer٭innen für Irritationen. Sie zücken die Handys. Bei Konzerten bekannt, aber im Theater? Als er seine ersten Takte zum Besten gibt, filmen einige. Auch nach der Vorstellung machen ein paar Zuschauer٭innen weiter Bilder – ein Foto mit Lars Eidinger an der Bar. Eidinger, der Popstar der Theaterwelt. Und ja, es ist unmöglich, einen Absatz in einem Review eines Lars-Eidinger-Stücks zu schreiben, ohne ihn zu erwähnen. Aber ein Versuch war es wert.
Peer & Presse
In der Presse gibt es keinen Konsens. Einige loben, andere zerreißen. Viele können sich nicht entscheiden: Ist das „Taten-Drang-Drama“ nun gut oder schlecht? Oder mehr so mittel? Oder hat man selbst sie nur einfach nicht verstanden, die Inszenierung, Nebenverweise und Andeutungen übersehen? Oder war es nicht doch eher eine Performance, eine Peer-formance? Und kann man dem Ganzen mit bloßer Beschreibung des Bühnenbilds oder einzelnen Aktionen gerecht werden?
Vielleicht ist es der Reizüberflutung geschuldet, dass es gar nicht einfach ist, hier zu urteilen. Gut gespielt war es, keine Frage. Fast zurückhaltend für Eidinger-Verhältnisse. Und teilweise wirklich gute Ideen. Aber auch diese Rezension kann sich nicht entscheiden. Und so bleibt am Schluss dieser eine Satz: „Peer Gynt an der Schaubühne in Berlin ist eine Inszenierung Lars Eidingers – in mehrfachem Sinn.“
PS: Eidinger – oder war es Gynt? – hat sich übrigens den Finger abgeschnitten. Aber kein Grund zur Sorge, es ist alles wieder dran. Weiteres ist einschlägigen Medien zu entnehmen.
Titelbild: Peer Gynt, ein Taten-Drang-Drama von John Bock und Lars Eidinger, © Benjakon
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