Kann man einen Menschen aus Mitleid lieben? Was ist Mitleid? Diese Fragen bringt Simon McBurney in seiner Inszenierung von Stefan Zweigs Roman „Ungeduld des Herzens“ auf die Bühne. Das Stück
Alles beginnt mit einem Fauxpas. Als der junge Soldat Hofmiller (Christoph Gawenda / Laurenz Laufenberg) – durch einen wirren Zufall – zum Essen am Hofe der vornehmen Kekesfalva eingeladen ist, fordert er Tochter Edith (Alina Stiegler) zum Tanz. Doch Hofmiller scheint der Einzige zu sein, der nicht weiß, dass die junge Frau eine Gehbehinderung hat. Als ihm dies klar wird, verlässt er die Gesellschaft fluchtartig. Von Selbstvorwürfen geplagt kehrt her am nächsten Tag an den Hof Kekesfalvas zurück, um sich bei Edith zu entschuldigen.
Diese nimmt seine Entschuldigung nicht nur an, sondern zeigt sich auch äußerst erfreut über seine Gesellschaft und fordert ihn auf, sie erneut zu besuchen. Auch der Schlossherr (Robert Beyer) scheint die Gegenwart Hofmillers und die mit ihr einhergehende Verbesserung von Ediths Laune sichtlich zu genießen. Von nun an ist Hofmiller regelmäßiger Gast auf Schloss Kekesfalva und wird zum Vertrauten der Familie. Es ist die Verzweiflung und die Sorge im Blick Kekesfalvas, wenn dieser über seine Tochter spricht, die in Hofmiller ein noch nie dagewesenes Gefühl erweckt: Mitleid.

Schaubühne am Lehniner Platz. ‘UNGEDULD DES HERZENS’, von Stefan Zweig. Regie: Simon McBurney, Buehne: Anna Fleischle, Kostueme: Holly Waddington, Musik: Pete Malkin, Benjamin Grant, Video: Will Duke. Mit: Robert Beyer, Marie Burchard, Johannes Flaschberger, Christoph Gawenda, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg, Eva Meckbach.
Ungeduld des Herzens handelt nicht nur von einer Freundschaft, die auf einem Fauxpas basiert und in einer verhängnisvollen Verliebtheit endet. Es handelt davon, dass ein junger Mann bemerkt, wie er Menschen, die sich in emotionaler Not befinden, durch Mitgefühl und Anteilnahme an ihrem Schicksal helfen kann und hierbei in einen Strudel aus Hilfegesuchen und geschönten Antworten gerät. Im Laufe der Zeit wird er Herr über ein ganzes Lügengebäude, das er im Kampf zwischen Ehrgefühl und Mitleid errichtet hat.
Wie ausweglos seine Lage ist, wird spätestens klar, als Edith ihm ihre Liebe gesteht und ihm ihr Vater und ihr Arzt (Johannes Flaschberger) klarmachen, dass eine Ablehnung Edith gesundheitlich an den Abgrund bringen würde. Doch kann er diese kranke, junge Frau wirklich lieben, oder empfindet er nur Mitgefühl? Von nun an leidet er selbst, er leidet unter seinem Mitleid, er leidet unter der Verantwortung, die er sich selbst auferlegt hat, indem er versucht hat, das Leid Anderer zu lindern.
Kann man mit einem anderen Menschen leiden, oder leidet man unter dessen Leid? Dies ist die zentrale Frage, die „Ungeduld des Herzens“ stellt. Dem Zuschauer stellt sich aber mindestens noch eine zweite Frage: Wie kann man einen so dichten Text auf die Bühne bringen? Wie kann man ihn inszenieren, ohne ihn zu simplifizieren und wie kann man alle seine Ebenen in das Gefüge auf der Bühne einweben. Simon McBurney lässt seine Bühnenfassung von jeweils einem – im Laufe des Stücks die Rollen wechselnden – Schauspieler vorgetragen, während die Anderen das Vorgetragene – zumeist stumm, aber von Soundeffekten begleitet – spielen. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass dem Publikum zwei Betrachtungsweisen zur Verfügung stehen. Die eine ermöglicht es, dem Text in seiner sprachlichen Präzision zu folgen und zu beobachten, wie sich Hofmiller immer weiter in sein Netz von Lügen verstrickt. Die andere ermöglicht es dem Publikum sich völlig mit dem Leid der Protagonisten zu befassen und es so nicht nur zu beobachten, sondern daran Anteil zu nehmen.
Neben der Wahl der Perspektive, die man auf dieses Theaterstück einnehmen möchte, bleibt am Ende doch noch eine weitere Frage offen: Hat der Text Schauspieler und ausdrucksstarke Bilder auf der Bühne unterstützt oder hat er sie erdrückt. Hätten die SchauspierInnen die Szenen wohlmöglich freier und noch energetischer Ausspielen können, oder hätte das zu einem Zusammenschmelzen der fein ineinander gewobenen Ebenen des Textes geführt? Doch auch wenn der Eindruck entsteht, dass das Kräfteverhältnis zwischen Text und Schauspiel bisweilen Richtung Text zu kippen scheint, werden die Charaktere auf der Bühne begreifbar und es wird deutlich, wie schutzlos der körperlich überlegene Hofmiler gegenüber Ediths emotionaler Stärke ist.
Ungeduld des Herzens an der Schaubühne in Berlin
Bilder: © Gianmarco Bresadola