Tod, Sex, Opium und ein Esel im Flur. Als junger Künstler führte Pablo Picasso ein bewegtes Leben. Julie Birmant und Clément Oubrerie widmen sich in ihrer Graphic Novel „Pablo“ dessen Pariser Anfangsjahren. Kontrastreich und aus feministischer Perspektive.
Sein gewaltiges Gesamtwerk hat deutliche Spuren in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Nicht zu Unrecht gilt Pablo Picasso als Symbol der Klassischen Moderne. Zu Beginn seiner internationalen Karriere war das kaum zu erwarten. „Sicher, Picasso ist ein Genie, aber auch wenn ich so viel Opium rauche wie er, ich verstehe seine Malerei einfach nicht.“ Diese Bemerkung, die die Autor٭innen dem jungen deutschen Maler Karl-Heinz Wiegels im Jahr 1908 zuschreiben, lässt Picassos steinigen Weg zu Anerkennung und Ruhm erahnen.
Wiegels, der sich im Umfeld Picassos bewegte und heute nahezu vergessen ist, nahm sich nach erheblichem Drogenkonsum noch im selben Jahr das Leben. Dieses Schicksal blieb dem jungen Spanier, vermutlich auch durch diese Tragödie bedingt, glücklicherweise erspart. Seine Vorliebe für geisteserweiternde Mittel schränkte er in der Folge ein. Begreifbar war seine Kunst dennoch vielen Menschen zunächst nicht.
Konglomerat der Superstars
Im Jahr 1900 kam Pablo Picasso – talentiert, aber relativ erfolglos – anlässlich der Weltausstellung in die Stadt, die ihm das Tor zur Weltkarriere öffnete und ihm zugleich viel Schmerz zufügte. Mit ihm nach Paris kam sein enger Freund Carlos Casagemas, der sich nicht viel später aus Impotenz und Liebeskummer eine Kugel in den Kopf schoss. Ein großer Schock für den damals 19-Jährigen, den Picasso in seinen Gemälden verarbeitete und der die Blaue Periode initiierte.
In ärmlichen Verhältnissen lebend und sich in Liebesaffären stürzend machte er die Bekanntschaft zahlreicher Vertreter der damaligen Pariser Bohème, die sich aus Schriftstellern, Malern, Galeristen und Mäzenen zusammensetzte. Persönlichkeiten wie Max Jacob und Guillaume Apollinaire wurden zu seinen Bewunderern und Freunden und der Verleger Ambroise Vollard setzte sich mit seinen Kontakten für Picasso ein. Sehr bald wurden Gertrude und Leo Stein auf ihn aufmerksam und sorgten letztendlich für ein rapides Ansteigen seines Bekanntheitsgrades. Auf diese Weise näherte er sich der etablierten Avantgarde, zu der auch die Fauvisten André Derain und Henri Matisse gehören und zu der er anfangs ein ambivalentes Verhältnis aus Bewunderung und Verachtung hegte.
Bis zu seinem Durchbruch, der ihm schließlich 1907 mit dem damals skandalträchtigen Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon“ gelang und mit dem Kubismus (gemeinsam mit Georges Braque) nicht weniger als eine neue Stilepoche begründete, waren Picassos Lebensverhältnisse stets spärlich und von Selbstzweifeln geprägt. Das verfallene Haus Bateau-Lavoir auf dem Montmartre, in dem Picasso etwa fünf Jahre lebte und arbeitete, wurde später – auch durch das Bankett für Henri Rousseau – zum Inbegriff der Pariser Kunstszene.
Bunte Gestalten
Dieser fundamental prägenden Lebensphase Picassos wenden sich die Comicautor٭innen Birmant und Oubrerie mit ihren Zeichnungen und Texten zu. Handwerklich greifen sie dabei auf die klassischen Werkzeuge der Graphic Novel zurück. Ein im Ansatz naiver Zeichenstil verbindet sich mit variantenreicher Farbgebung und Motivwahl, die sich an die jeweilige Schaffensphase Picassos anpassen. Die Protagonist٭innen und Nebendarsteller٭innen präsentieren sich zu einem erheblichen Teil als äußerst eigenwillige, aber auch humorvolle Gestalten, deren Charakterzüge überzeichnet und somit herausgestellt werden.
Bizarre Szenen, wie der im Hausflur stehende (übrigens historische) Esel des Kabarettbetreibers Frédéric Gérard, fügen sich nahtlos ein. Das sich wiederholende Rufen von Parolen à la „Nieder mit den Fauvisten! Es lebe der Kubismus!“ kommt zwar pathetisch daher, da sie erst aus der Retrospektive und kaum zeitgenössisch Sinn ergeben. Andererseits gesellen sie sich zu den selbstbewussten Formulierungen der damaligen Avantgarde. Die Darstellung von Überhöhungen und Lächerlichkeiten sind nun einmal ein legitimes und weithin verbreitetes Mittel dieser literarischen Gattung.
Muse der Emanzipation
Die eigentliche Leistung von „Pablo“ liegt jedoch in der erzählerischen Perspektive. Die Jahre 1900 bis 1908 in Pablo Picassos Leben werden nicht etwa aus dessen Sicht beschrieben, sondern aus dem Blickwinkel Fernande Oliviers, gemeinhin als Muse des Künstlers bezeichnet und über mehrere Jahre mit diesem liiert. Ihr Leben bildet den Rahmen der Erzählung und legt somit Zeugnis von Emanzipation und Selbstbehauptung ab.
Olivier, zunächst zwangsverheiratet und unter den Misshandlungen ihres Ehemanns leidend, floh nach Paris, um ein lebenswerteres Umfeld zu suchen. Dieses fand sie, trotz der widrigen und teils prekären Umstände, im Umfeld der künstlerischen Avantgarde. Jene wiederum entlarvt sich ungeachtet ihres vermeintlich weltoffenen und progressiven Charakters als chauvinistisches Terrain, in dem Frauen zwar oberflächlich mehr Respekt entgegengebracht wird, in den Augen ihrer männlichen Zeitgenossen meist aber nicht über eine dekorative und luststillende Funktion hinauskommen. Olivier gelingt es gelegentlich, aus diesen Strukturen auszubrechen und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, auch wenn es sie am Ende zum selbstbezogenen Picasso zurücktreibt.
Durch diese narrative Methode öffnen Birmant und Oubrerie einen dezent feministischen Blick auf die Szene. Wenn bedacht wird, dass das Bild der Kunstgeschichte bis in das 21. Jahrhundert hinein allen voran von männlichen Akteuren bestimmt wird und Vertreterinnen der Bildenden Künste im allerbesten Fall nebenläufig Beachtung finden, ist dies erwähnenswert. Nicht zuletzt dieser Ansatz macht die Lektüre von „Pablo“ zu einer unterhaltsamen, aber eben auch instruktiven Erfahrung.