Darf eine Zeitung eine gefälschte Fotostory veröffentlichen? Wie lässt sich mit einer Zeitung Geld verdienen, wenn langjährige Werbekunden abspringen? Und wann ist der richtige Zeitpunkt, seiner Ehefrau zu gestehen, dass man fremdgegangen ist?
… beruht auf einer wahren Begebenheit
Diesen und anderen Fragen muss sich Wolfram Labaule (gespielt von Uwe Ochsenknecht) in sechs Episoden der Miniserie „Labaule & Erben“ stellen und wir können ihm dabei zusehen, wie er sich mehr oder weniger geschickt aus der Affäre zieht. Wolfram ist der Sohn des Verlegers Christian Labaule und hat in seinem Leben nichts zu tun, außer im Swimming Pool auf einer Luftmatratze zu liegen, Belletristik zu konsumieren und reich zu sein. Als sein Vater und sein Bruder gleichzeitig tödlich verunglücken, wird er unerwartet zum Interims-Verlagsleiter und muss die Redaktion der Zeitung „Morgenschau“ koordinieren. Ohne Kompetenzen und Motivation übernimmt Wolfram die Stelle – gegen den Willen seiner Mutter, die den Verlag verkaufen möchte, solange er noch Geld einbringt. Beim Versuch, den Verlag zu retten, muss sich Wolfram gegen Intrigen der Mutter wehren, seinen eigenen untalentierten Sohn in Schach halten und Interessenskonflikte seiner Mitarbeiter*innen lösen. Alles das gelingt ihm nicht.
Obwohl es sich bei der Serie ausdrücklich nicht um ein Biopic handelt, sind Analogien zu realen Verleger-Dynastien wie Dumont nicht zu übersehen. Die Konflikte zwischen den Erben und innerhalb der Zeitungsredaktion dürften sich so oder sehr ähnlich an vielen Orten zugetragen haben. Auch andere Topoi und Typen werden aufs Korn genommen: Ein Bio-Lebensmittelkonzern, der Fische aus Fukushima verarbeitet, ein größenwahnsinniger Theaterregisseur (Bernd Stegemann muss hier lobend erwähnt werden) und eine Stiftung für Flüchtlingswaisenkinder, dessen Aufgabe es ist, der Gründerin zum Bundesverdienstkreuz verhelfen.
Zwei Hauptfragen ziehe sich als roter Faden durch die Serie: Was ist Integrität heute noch wert? Und wie kann Journalismus im digitalen Zeitalter funktionieren? Die Ideen zur Handlung und vielen der Figuren der SWR-Serie gehen auf Harald Schmidt zurück.
… kann Spuren von Herzkino enthalten
Nachdem die ersten beiden Episoden etwas schleppend beginnen, wird die Serie ab der dritten Folge unterhaltsamer und man kann sie gut an einem Tag wegbingen. Die Dialoge wirken teilweise leider seltsam steril und werden von manchen der Schauspieler٭innen so hölzern vorgetragen, als würden sie zum ersten Mal die Spracheingabe an ihrem neuen iPhone testen. Da die Serie eine Satire ist, könnte man denken, diese Sprechweise wäre gewollt eingesetzt. Es liegt aber wohl eher an der Art wie die Dialoge verfasst wurden und wie deutsche Schauspieler٭innen lernen, jedes Wort einzeln und deutlich aus zu sprechen wie Nachrichtensprecher٭innen im Fernsehen.
Viele Figuren sind absichtlich überzeichnet und bei manchen geht das bis ins Karikaturhafte. Andere sind wiederum eher nüchtern und etwas farblos dargestellt, so dass sie teilweise gar nicht zusammenpassen und nicht im selben Universum zu leben scheinen. Mutter Marianne (Irm Hermann) und Sohn Tristan (Lukas Rüppel) sind z.B. beide auf ihre Weise vollkommen übertriebene und einseitige Charaktere, aber während Marianne stets glaubhaft bleibt, ist Tristan nicht mal als Parodie auf die Generation-Y ernst zu nehmen. Hier prallen verschiedene Stile aufeinander, die insgesamt kein rundes Bild ergeben und die Interaktion holprig wirken lässt.
Ähnliches gilt auch auf der erzählerischen Ebene: Wenn es eine satirische Serie sein soll, hätte sie gerne noch böser und der Humor noch schwärzer sein können. Wenn es ein Drama sein soll, bei dem man mit den Figuren mitfiebert, hätten diese vielschichtiger sein können, um das Interesse an ihnen zu wecken. Ganz fehl am Platz wirkt z.B. die Liebesgeschichte der Tochter Constanze (Lena Dörrie), die zur Entwicklung der Handlung nicht viel beiträgt und einfach parallel stattfindet. Es gibt Szenen, die an ZDF-Herzkino erinnern. Hier wollten die Autor*innen zu viele verschiedene Genres in den vier Stunden Nettospielzeit der Miniserie bedienen.
Eine wahre Fiktion
Wolfram Labaule muss gleich zu Begin ein Dilemma lösen: Ein Fotoreporter hat Bilder, die er angeblich in Syrien gemacht hat, nachweislich gefälscht. Er hat die Szenen an einem ganz anderen Ort nachgestellt. In einer solchen Situation wäre eine Entschuldigung an die Leser٭innen und ein Widerruf der moralisch richtige Schritt. Allerdings wurde gleichzeitig bekannt, dass die Zeitung ausgerechnet für diese Reportage mit dem wichtigsten deutschen Journalismus-Preis ausgezeichnet werden soll. Was ist der Preis, den eine Redaktion bereit ist, für diese Auszeichnung zu zahlen? Kann sie ihre Integrität dafür aufgeben?
Ohne es ahnen zu können, sind das Thema Fake-News und Enthüllung derselben in den letzten Wochen wieder sehr aktuell geworden, sodass die SWR-Serie zu einem passenden Zeitpunkt erscheint. Die Zeitschrift „Der Spiegel“ musste am 19. Dezember 2018 bekannt geben, dass ihr Redakteur Claas Relotius seit Jahren systematisch eigene Geschichten manipuliert oder sogar komplett erfunden hat. Er hat über Personen geschrieben, die es nicht gibt oder die er nie getroffen hat, über Orte, an denen er nie war, und er hat echten Personen, die er interviewt hat, Worte in den Mund gelegt, die sie so nicht gesagt haben.
Das ganze Ausmaß der fantastischen Erzählungen von Claas Relotius ist noch nicht bekannt. Er hat nicht nur für den „Spiegel“ geschrieben, sondern auch für „Die Welt“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche steht auf dem Spiel – ausgerechnet in einer Zeit, in der Menschen mit Mistgabeln und brennenden Fackeln durch die Straße ziehen und „Lügenpresse!“ brüllen.
Der Preis des Qualitätsjournalismus
Der Spiegel hat eine eigene Abteilung namens „Dokumentation“, die jeden Artikel gegenliest und darin behaupteten Fakten überprüft. Es ist aber leicht nachvollziehbar, dass manche Behauptungen eines Reporters nicht überprüft werden können, wenn sich dieser auf seine subjektiven Erlebnisse und Erfahrungen beruft. Relotius hat seine Geschichten gerne dramaturgisch inszeniert und mit stimmungsvollen Details ausgeschmückt. Dort ein einsames Mädchen, das auf der Straße ein Lied singt, da ein CD-Player, der im Gefängnis „Born in the USA“ in Endlosschleife abspielt. Er trifft Leute, die sich nicht fotografieren lassen wollen, und folgt Personen zu geheimen Verstecken. Wie soll die Dokumentationsabteilung in Hamburg so etwas überprüfen? Hier muss sie dem Reporter vor Ort ein Grundvertrauen entgegenbringen – oder man entscheidet sich dazu, auf subjektive Eindrücke und Quellen zu verzichten, wenn diese nicht objektiv überprüft werden können. Aber gibt es für so eine trockene und nüchterne Art der Berichterstattung überhaupt einen Markt? Und lassen sich damit Preise gewinnen? Relotius hat viermal den Deutschen Reporterpreis und zahlreiche andere Auszeichnungen gewonnen. Er war ein Star-Journalist mit Anfang 30.
Überall, wo es Preise gibt, gibt es anscheinend auch Korruption, Doping und Lügen. Vielleicht wäre es besser, gar keine Preise an Journalist٭innen zu verleihen, um die Versuchung zum Betrug gar nicht erst entstehen zu lassen. Vielleicht sollten Journalist٭innen keine Stars sein, sondern einfach nur gute Handwerker٭innen. Gute Handwerker٭innen arbeiten sauber, so leise wie möglich und sind bescheiden, wenn sie fair bezahlt werden.
Jedenfalls kann man im Fall Relotius nicht mit dem Argument kommen, dass die Grenze zwischen Fakt und Fiktion fließend sei, da es die absolute Wahrheit nicht gebe und Realität nur eine Konstruktion sei, usw. Relotius hat ganz genau gewusst, wann er die Grenze zwischen bloßer Berichterstattung und spektakulärer Traumreise überschreitet. Er war nicht geistig verwirrt oder unzurechnungsfähig. Er weiß, wen er wo wann getroffen hat und wer was gesagt hat. Weil er befürchtete, dass eine gute Story mit seinem Rohmaterial nicht zu schreiben ist, hat er Dinge erfunden. Er hat ganz einfach gelogen.