Lange war es still um den schottischen Künstler Paolo Nutini. Ganze acht Jahre sind vergangen seit seiner letzten Veröffentlichung. Im Juli meldete sich Nutini mit einem Album und Sound zurück, mit dem wohl niemand gerechnet hat. Über einen Künstler, der sich ständig weiterentwickeln will und dies auch kann.
Paolo Nutini ist zurück. Nach „These Streets“ (2006), „Sunny Side Up“ (2009) und „Caustic Love“ (2014) veröffentlicht Nutini sein viertes Studioalbum „Last Night in the Bittersweet“ (2022). Und man darf sagen: endlich! Acht Jahre musste man sich in Geduld üben. Nicht zum ersten Mal, denn Paolo Nutini ergibt sich nicht dem gewohnten Release-Rhythmus von zwei bis drei Jahren. Er nimmt sich Zeit. Nutini möchte sich weiterentwickeln und nicht wiederholen. Das, so viel sei schon vorab verraten, ist ihm mehr als nur gelungen. „Last Night in the Bittersweet“ ist eine 72-minütige in 16 Songs verpackte Masterclass, die sich so leicht nicht in Worte fassen lässt. Aber einen Versuch ist es wert.
Das Album eröffnet mit unerwarteten Klängen: In „Afterneath“ baut sich die Musik bedrohlich schleichend auf, durchsetzt von Klagerufen Nutinis, gefolgt von einem Sample von Patricia Arquette aus Tarantinos „True Romance“ (1993) sowie Beatnik-Poesie. Das ist erst einmal eine Ansage! Mit „Radio“ folgt eine melancholische Ballade, die ganz unaufgeregt daherkommt und gleichzeitig entwaffnend ehrlich ist.
Radio (Live In The Bittersweet)
Gemeinsam mit „Through the Echoes“ spannt „Radio“ eine verbindende Brücke zum 2014 erschienen Album „Caustic Love“. Sie bieten sicheres Geleit für die Hörer*innen ins neue Album, um dann sofort Platz zu machen für basslastigen Post-Punk-Sound („Acid Eyes“) und mit „Lose It“ Krautrock wieder aufleben zu lassen.
„Lose It“ bei Later with Jools Holland vom 11.6.2022
In der zweiten Hälfte lässt sich Nutini weiter treiben durch die weite Welt der Musik-Genres: Von Fleetwood-Mac-/Stevie-Nicks-Hippie-Rock („Children of the Stars“) über New-Wave-Pop („Petrified in Love“) bis hin zur Piano-Ballade „Julianne“, die ganz im Stile Paul McCartneys ist. Dieser Sound-Mix dürfte eigentlich nicht funktionieren und wenn dann nur in Form eines Compilation-Albums. Doch „Last Night in the Bittersweet“ funktioniert. Gut sogar. Sehr gut. Denn alles wird von zwei Dingen zusammengehalten: viel Emotion und Paolo Nutinis Stimme.
„Through the Echoes” bei Later with Jools Holland vom 11.6.2022
Und das Album funktioniert auch live. Auf der Bühne ist die Transformation des Künstlers sogar noch deutlicher zu sehen. 2007 stellte Rod Stewart in einer BBC-Dokumentation, die Nutini auf US-Promo-Reise seines ersten Albums „These Streets“ begleitete, fest: „He’s a bit awkward on the microphone at the moment. (…) He’s got to look at the audience more.“ Nutini hat damals noch fast ausschließlich vorneübergebeugt (man kann es nicht anders sagen) und mit geschlossenen Augen gesungen. Im Laufe der Jahre hat er sich aufgerichtet und angefangen, auf der Bühne zu tänzeln, das erinnerte aber eher an den etwas hüftsteifen Onkel auf einer Hochzeitsfeier. Und 15 Jahre später?
Als Paolo Nutini am Montagabend, den 26.9.2022, die Bühne des ausverkauften Leipziger Täubchenthals betritt, ist von Unbeholfenheit am Mikrofon nichts mehr zu sehen. Völlig gelöst, grinsend von einem Ohr zum anderen, steht und tanzt Nutini über die Bühne, hält lange und intensiven Blickkontakt mit dem Publikum. Als hätte dieses Album auch für die Liveshows eine Befreiung gebracht. Nutini und seine grandiose Band haben sichtlich Spaß an dem, was sie tun. Und das Publikum dankt es ihnen lautstark.
Am Ende des Konzertabends sitzt Paolo Nutini allein auf der Bühne: ohne Backdrop, ohne Video im Hintergrund, ohne Lichteffekte, ohne Band. Nichts lenkt ab, nichts, womit er konkurrieren müsste aber auch nichts, hinter dem er sich verstecken könnte. Er beendet den Abend wie auch das Album mit „Writer“, dem wohl persönlichsten Lied des Albums. „This is as honest as I can possibly be”, erklärt Nutini. Und das geht am besten mit der Akustikgitarre und dieser einzigartigen Stimme.
„Last Night in the Bittersweet“ erschien am 1. Juli 2022 bei Warner.
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Aussteigen aus dem Weltenlauf, sich in eine andere Umlaufbahn begeben. Ehrlich gesagt: Kaum ein Wunsch ist in diesem verrückten Jahr drängender als der Wunsch nach einer Flucht aus dem Alltag. Eine der besten Gelegenheiten für so ein Unterfangen ist „Mondenkind“, das neue Album des Jazz-Pianisten Michael Wollny. Es führt nicht nur weg von der Erde, sondern zeigt auch, wie schön Einsamkeit sein kann.
Genau 46:38 Minuten Spielzeit. Man könnte meinen: naja, die ganz normale Dauer einer üblichen Schallplatte. Doch ist das eine ikonische Zeitspanne. Am 20. Juli 1969 verließen die Astronauten Neil Armstrong und Edwin Aldrin das Schiff „Columbia“, um wenige Stunden später als erste Menschen auf dem Mond zu landen. Der dritte Astronaut der Crew, Michael Collins, blieb an Bord zurück und umkreiste den Mond. 46:38 Minuten war er dabei jeweils vom Blick- und Funkkontakt zur Erde abgerissen. Allein auf der dunklen Seite des Mondes. Manche Medien sprachen vom einsamsten Menschen der Welt …
Überall Leere und Einsamkeit
An diesen Eindruck knüpft die Situation beim Entstehen des neuen Albums von Michael Wollny an: „Zwei Tage verbrachte ich, zum ersten Mal seit langem allein und ohne Mitmusiker, im großen Aufnahmeraum des Berliner Teldex Studios. Auf dem Weg zu den Aufnahmen saß ich allein im Auto, fuhr durch eine leere Stadt, am Abend lief ich zurück in mein menschenleeres Hotel, es gab nicht nur keine weiteren Gäste, sondern auch kein Personal. Ich war absolut allein mit mir und der Musik, und die Ideen, die sich aus dieser Situation ergaben, gingen weit über den ursprünglich gesetzten Rahmen des Albums hinaus. Das Alleinsein brachte mich dazu, über radikale Solisten nachzudenken, und so kam mir die Geschichte des Astronauten Michael Collins in den Sinn, der während der Apollo-11-Mission allein den Mond umkreiste, und dabei immer wieder jeden Kontakt zur Erde verlor.“
Gib der Welt einen Namen
Aus diesem Alleinsein ist ein Solo-Album im wahrsten Sinne des Wortes entstanden: Michael Wollny allein am Flügel. An sich ist das nichts Besonderes für einen Jazz-Pianisten; doch das Album ist – nach zwölf Aufnahmen, bei denen Michael Wollny federführend war – tatsächlich das erste Piano-Solo-Album des Künstlers.
„Mondenkind“ – der Titel des Albums stammt aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“. „Das Wort ist kein Selbstportrait, sondern kennzeichnet einen Schlüsselmoment im Buch, in dem der Protagonist – allein auf sich gestellt – seiner Welt einen neuen Namen gibt und damit erneut belebt. Eine Aufgabe, die sich einem Musiker eigentlich mit jedem neuen Album stellt – und ganz besonders mit einem Solo-Album.“
Eine ganze Reihe von Künstlern zog die Vorstellung von Einsamkeit und Schwerelosigkeit des Weltalls in den Bann: David Bowies „Space Oddity“ feiert die Hypnose der Einsamkeit in den Weiten des Raums. Pink Floyd lassen sich auf „Dark Side Of The Moon“ komplett auf die Unfassbarkeit des Unbekannten ein. Und „Mondenkind“?
Loops, digitale Klanggebilde, Echoeffekte … bei Titeln wie „Lunar Landcape, „Spacecake“ oder „The Rain Never Stops On Venus“ wäre das ein naheliegendes Instrumentarium. „Mir war relativ schnell klar, dass ich einen ‚klassischen‘ Ansatz wählen wollte, bei dem der volle, dynamische, lebendige Raumklang eines großen Konzertflügels im Mittelpunkt steht. Keine Studiotüftelei, keine Effekte.“ Die Entscheidung spürt man an der Klarheit der Musik. Und ganz ehrlich: Man vermisst nichts.
Das Album ist aufgebaut wie ein Soundtrack und erzählt von einer Reise zum Mond. Ganz unterschiedliche Songs und Herkunftslinien nimmt es dabei mit ins Boot. Zusammen ergeben sie einen großen Bogen, voller Spannung und Entspannung, filmisch, erzählend.
Gut die Hälfte der Stücke stammen aus Wollnys Feder. Die andere Hälfte von Musikern, die für ihn eine besondere Bedeutung haben: Sängerin und Songschreiberin Tori Amos, die Band Timber Timbre, die Neutöner Alban Berg und Rudolf Hindemith oder auch auf aktuelle Pop-Welten wie Sufjan Stevens, Bryce Dessner und Nico Muhly.
Keine Angst vor Einsamkeit!
Ich mag das, wenn Alben von einem Konzept oder einem Thema umklammert sind und doch so ganz unberechenbare Momente haben. Genau das ist der Reiz an der Reise, auf die „Mondenkind“ mitnimmt: Das kurze Stück „Enter Three Witches“ macht einen angenehm ratlos – dann kommt das herrlich pathetische Alban-Berg-Stück „Schließe mir die Augen“, das einen fast die Tränen in die Augen treibt.
46:38 Minuten Alleinsein. Das muss man aushalten können. Aber vielleicht ist dieses Album der beste Beweis dafür, dass Alleinsein eines der schönsten Dinge ist, die es gerade gibt. Wer sich darauf einlässt, bekommt vielleicht im Huckepack auch noch eine Portion Schwerelosigkeit dazu. Besser kann es nicht kommen, oder?
Das Album „Mondenkind“ von Michael Wollny ist als Vinyl, CD und Download Ende September 2020 bei ACT erschienen.
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Das neue Turbostaat-Album Uthlande wirft Fragen auf: nach einem zermürbenden Sample, haufenweise Selbstreferenzen, miteinander verbundenen Songs und immer wieder diesen Songnamen.
Eine Woche vor Release der Platte fanden Jan Windmeier, Sänger der Band, Tobert Knopp, der Bassist, und Marten Ebsen, Gitarrist, zum Glück Zeit, das Nötigste zu klären. Gemeinsam mit Roland Santos, auch Gitarrist, und Schlagzeuger Peter Carstens haben sie die Band vor 21 Jahren in Husum, Schleswig-Holstein, gegründet. Das Album ist bereits ihr siebtes.
Hat sich irgendwann eine Routine eingestellt oder seid ihr nervös, so kurz vorm Release?
Jan: Beides so ein bisschen. Es gibt eine Routine, denn man weiß, wie es ist, eine Platte rauszubringen. Aber wie vor jeder Platte ist man auch nervös, besonders wenn man an die Live-Konzerte denkt, auf denen man das neue Zeug präsentiert.
Tobert: Mir geht das vollkommen am Arsch vorbei. Ich hab einen ganz anderen Umgang damit. Seit Abalonia ist es so, dass die Platte einfach so herauskommt. Also klar, wir müssen natürlich viel regeln. Wenn wir losfahren, wird mir erst wirklich bewusst, dass wir ja neue Lieder haben, und dann bin ich von uns selbst überrascht. Da ich nicht so der Vorfreude-Typ bin, hab ich immer das Gefühl, als sei ich vorher gar nicht dabei gewesen. Es ist dann eine direkte Belohnung, Songs live zu spielen. Das ist eh am wichtigsten.
Die neuen Songs habt ihr bisher noch nicht live gespielt?
Jan: Ne.
Aufregend.
Jan: Siehste.
Wie würdet ihr euer neues Album beschreiben?
Tobert: Elegant wie ein Puma.
Marten: Ein bisschen hat man versucht, Turbostaat auszupressen und in einen kleinen Flakon zu füllen. Beim Album davor haben wir dagegen eher probiert, Türen aufzustoßen und ein paar Sachen anders zu denken. Diesmal wollten wir alles nehmen, um es auf den Punkt zu bringen – würde ich jetzt mal so sagen.
Tobert: Ich finde, in der Selbstreferenz liegt eine große Aufgabe. Mich hat es früher immer wahnsinnig gemacht, wenn wir ein paar Lieder hatten, aber nicht wussten, wo wir mit der Platte stehen. Wenn dann jemand sowas sagte wie „Wir machen das einfach so wie früher“, war das für mich ein inhaltliches Problem. Denn es ist eigentlich schwer, wie früher zu klingen, ohne sich zu wiederholen. Aber obwohl es, wie Marten sagte, diese zusammengequetschte Essenz gibt, ist es diesmal total leicht. Deswegen gefällt mir das Album so gut. Für mich persönlich ist es das erste Mal ein Album, bei dem ich von vorne bis hinten vergesse, was passiert. Ich bin immer wieder überrascht. Bei den letzten Alben war es nicht so. Es gab viele Lieder wie Eisenmann, bei denen wir entscheiden mussten, ob wir sie überhaupt live spielen. Bei diesem kann ich mich jetzt gar nicht entscheiden, welches ich als erstes spielen will.
„Das Licht am Ende des Tunnels ist eine brennende Fabrik.“
Tobert Knopp
Der Titel „Uthlande“ ist ein alter Name für die damalige nordfriesische Inselwelt. Ist das Album auch eine Auseinandersetzung mit eurer Heimat?
Marten: Nein, nicht mit der Heimat, sondern mit unserem Werden oder Sein. Es beschäftigt sich von der Pose her damit, wie wir gewesen sind, als wir Turbostaat gegründet haben. Zum Namen „Uthlande“ kam es, weil wir einen Plattentitel brauchten. Wir waren auf der Suche nach einem Begriff, der alles vereint.
Tobert: Ich fand schön, als jemand zu mir sagte, das ist ja alles nicht mehr da. Und ich ihm geantwortet hab: Ja, das, was mal war, ist ab und zu nicht mehr da oder zu etwas anderem geworden.
Marten: Aber diese poetische inhaltliche Aufladung kommt erst als zweites.
Tobert: Ich wollte auch nur sagen: Was immer du auch darin siehst oder wo du uns siehst, ob wir Skelette mit Äxten im Watt sind oder sonst was, es ist okay. Ich hab schon viele Sachen darüber gehört und fand viele davon schön – und schön, wenn Leute damit etwas anfangen können.
Aber ihr selbst würdet es nicht überinterpretieren?
Marten: Natürlich schwingt immer irgendetwas mit. Irgendwelche Assoziationen, die man in einen Pott wirft. Aber in erster Linie muss man sich einfach irgendwann entscheiden: In diesem Falle ist es wirklich ganz banal, wir brauchten einen Plattentitel.
Tobert: Als du ihn vorgestellt und erklärt hast, konnten wir mit diesem plattdeutschen Wort alle direkt etwas anfangen. Die Köpfe fangen ja danach erst an. Was auch immer man sich dazu denkt, ist okay. Die Gedanken sind frei.
Auch dieses Album wurde, wie all eure Platten seit 2007, von Moses Schneider produziert. Wie würdet ihr ohne ihn klingen?
Marten: Das ist eine sehr schreckliche Frage.
Tobert: Das ist total interessant. Wir werden es nie herausfinden.
Jan: Zum Glück.
Tobert: Da hast du hundertprozentig recht. Ich muss echt sagen, dass wir in den Prozess, eine Platte zu machen, einfach so reingewachsen sind. Durch ihn und mit ihm haben wir eine Form gefunden, zu arbeiten und zu einem Ergebnis zu kommen. Du musst das so sehen: Wir fünf Eierköppe spielen ungefähr seit zehn Jahren mit dem gleichen Equipment, legen vielleicht mal ein Tretergerät drauf oder überlegen ab und zu, wo man Mikros hinstellt. Aber die Band, die da im Studio steht und spielt, macht eigentlich immer genau dasselbe, was sie live auch macht. Das haben wir anscheinend gelernt, gemeinsam gut hinzukriegen. Dass wir damit aber zu einem Ergebnis kommen, verdanken wir Moses. Wie wir ohne ihn klingen würden – keine Ahnung.
Jan: Wir hätten einige Lieder ohne Moses einfach gar nicht gemacht, weil im Vorfeld Sachen zerredet werden, zum Beispiel, dass das eine Lied so gar nicht geht und wir das so nicht machen können. Bis Moses es sich anhört und fragt: „Wo ist euer scheiß Problem?“ – weil er das, was er hört, total geil findet und etwas darin sieht, was wir vorher nicht gesehen haben. Moses ist bei uns eine Instanz geworden, die so viel Vertrauen genießt, dass wir uns auf Dinge einlassen, auf die wir uns vielleicht nicht einlassen würden, wenn es einer aus der Band gesagt hätte.
„Es ging mir total super, das Wetter war schön, ich hatte eine tolle Zeit. Und dann hörte ich mir das morgens nach dem Aufstehen an und dachte: Alter, ist das ätzend.“
Jan Windmeier
Das Album erscheint auch auf Kassette. Gibt es inzwischen wieder ein breites Interesse an dem Tonträger oder ist das Liebhaberei?
Marten: Wir haben jetzt schon so viele Kassetten verkauft, wie wir nie gedacht hätten. Es ist das erste Mal, dass wir eine Kassette machen. Also nach den Demotapes am Anfang. Aber das war ja mehr der Zeit und Notdürftigkeit geschuldet.
Tobert: Ich finde es witzig, dass die jetzt gekauft wird, und wir uns fragen: „Wer kauft denn eine Kassette?“ Weil ich mich persönlich dafür interessiere, weiß ich, dass es grad so ein Ding ist. Aber gleichzeitig ja auch das, was wir früher gemacht haben: Anfangs haben wir die Demokassetten von Bands, die im Speicher Husum auftreten wollten, mit unseren eigenen Demos überspielt. Das ist so lange her.
Jan: Generell gesehen, ist immer noch das ein Ding, was Nerds gut finden. Das sehen wir deutlich in unserem Shop. Und das spricht ja auch für die Leute, die in unserem Shop kaufen. Aber im Großen und Ganzen ist eine Kassette immer noch etwas, was nicht so richtig stattfindet.
Marten: Es ist kein finanzielles Standbein einer Albumproduktion. Dann doch schon eher Liebhaberei.
Ihr wohnt in verschiedenen Städten: Flensburg, Berlin, Hamburg. Wo ist Uthlande entstanden?
Jan: In Loit.
Tobert: Wir proben dort bei einem Bekannten, Knut, alter Punk, in dessen Dorfkneipe in Scheggerott wir auch unsere Release-Party machen. Er hat uns das damals angeboten. Wir waren vorher in Schleswig, Auf der Freiheit, hatten da einen ganz tollen Proberaum in einer alten Kaserne. Das haben die alles weggeknallt für teure Butzen. Und auf der Suche haben wir Knut getroffen. Seitdem sind wir bei Knut und haben da auch unser neues Album gemacht. Ist immer traurig, einen Ort zurückzulassen und Schleswig aufzugeben. Auf der Freiheit war es im Nachhinein wirklich toll, aber es ist auch gut, sich zu bewegen und überall kleine Fähnchen hinzusetzen: Hier hab ich auch schonmal ein Album gemacht.
Schreibt ihr Songs also komplett gemeinsam im Proberaum?
Tobert: Diesmal haben wir viel mit Demos gearbeitet. Marten hat Demos angeschleppt, ich hab Demos angeschleppt, und wir sind mit den Sachen in den Proberaum gegangen, haben sie genauso gespielt oder ein bisschen verändert.
Jan: Zu anderen Platten hat man mehr gejammt, jetzt ist es viel Demoarbeit gewesen.
Ein paar Fragen in die Platte rein: Worum geht es in der ersten Single „Rattenlinie Nord“?
Tobert: Das weißt du doch schon.
Stimmt.
Marten: Um die Rattenlinie Nord …
Jan: Ich würde das jetzt nicht so platt sagen.
Marten: … und um Pflichterfüllung.
Jan: Um die Ausrede der Pflichterfüllung. Und um den geschichtlichen Ansatz. Um Leuten zu sagen, dass es eine Rattenlinie Nord gab.
Tobert: Marten hat recherchiert, den Film gefunden, aus dem das Sample Stammt, uns das gezeigt, dieses Lied geschrieben. Und für alle, die wissen wollen, was das ist, die können sich ans Internet setzen und lesen und schauen, und sich hoffentlich eine Meinung dazu bilden, die gut ist.
Das sollte man dann auch tun, oder?
Tobert: Wenn man das so sagen kann, würd ich drum bitten, ja.
Jan: Mir haben zum Beispiel ganz viele Flensburger geschrieben und sich für den Song bedankt.
Flensburg spielt für die Rattenlinie Nord ja auch eine zentrale Rolle.
Jan: Und wir, die ja nun alle lange in Flensburg gewohnt haben, haben ganz lange nicht gewusst, dass es diese Rattenlinie Nord gab. Genau wie es die Leute, die sich bedankt haben.
Im Song taucht ein Sample von Karl Dönitz auf, dem letzten Reichspräsidenten des Dritten Reichs. Die Aufnahme ist ganz schön zermürbend.
Marten: Ja, das ist tief schockierend.
Ein drastisches Stilmittel. Aber für das Thema notwendig?
Marten: Ich weiß es nicht. Früher war es so üblich, dass man Punk oder Emo-Punk spielt, und dann kommt in einem Original-Ton-Sample irgendein Arschloch und sagt irgendwas Gemeines. Gerne hat man da Nazis genommen. Für uns ist das ein ganz gebräuliches Stilmittel, was sich sehr natürlich anfühlt. Aber als ich das reinmontiert habe, war ich mir auch nicht ganz sicher, ob man das bringen kann.
Jan: Zu dieser Zeit, als Marten mir das geschickt hat, war ich in einem guten Zustand. Es ging mir total super, das Wetter war schön, ich hatte eine tolle Zeit. Und dann hörte ich mir das morgens nach dem Aufstehen an und dachte: Alter, ist das ätzend. Je häufiger ich es mir aber danach anhörte, desto wichtiger fand ich es. Mittlerweile ist es der Kern des Liedes geworden, sodass ich hoffe, dass wir das auch live umsetzen können. Denn die Leute ja sollen sich auch nicht wohlfühlen.
Sample ab 1′ 50”:
Quelle: YouTube
Anderer Song: Worum geht’s bei Hemmingstedt?
Marten: Um die Raffinerie in Hemmingstedt. Wenn wir auf einem Konzert waren oder selbst gespielt haben und zurück nach Husum gefahren sind, sind wir immer, meistens um 4 Uhr morgens, an dieser Raffinerie vorbeigefahren, die da dort mitten in der Nacht gebrannt hat. Meistens war man besoffen, irgendwas lief im Tapedeck, man hat viel geraucht und halb gepennt.
Hat euch die Raffinerie gestört oder wolltet ihr ihr ein Denkmal setzen?
Marten: Beides nicht. Es geht mehr um den Zustand des eigenen Lebens, wenn man war grad in Hamburg auf einem Konzert war und Montag wieder rausmuss. Und um die chemischen Prozesse, die sich in der Raffinerie abspielen. Ich fand interessant, diese im eigenen Alltag zu reflektieren. Das brodelnde Gefühl, kurz vor der Explosion zu stehen. Damit konnte ich sofort etwas anfangen.
Jan: Wenn man daran vorbeifährt und es ist dunkel und überall sind diese Lichter und es brennt – das war für mich immer sehr unwirklich, ganz egal, wie oft wir dran vorbeigefahren sind. Man hat halt immer hingeguckt. Wie bei einem Unfall, bei dem man sich zwingen muss, wegzugucken: Es hat keine schönen Gefühle in mir ausgelöst. Für mich waren es eher Kälte und Stahl.
Tobert: Das Licht am Ende des Tunnels ist eine brennende Fabrik.
Zwei Songs des Albums, Luzi und Stormi, haben denselben Refrain. Konntet ihr euch nicht entscheiden, welcher Song ihn bekommt?
Marten: Nein, das ist beides der gleiche Song. Wir hatten damals das Lied geschrieben und überlegt, dass man ihn entweder schnell oder langsam spielen kann. Und wir haben gesagt, wir können ja beides machen, und in den Text einen Perspektivwechsel einzubauen: eine Perspektive von außen und eine von innen. Das fanden wir irgendwie lustig. Bei Stormi singen übrigens all unsere Kinder mit.
Tobert: Auf diese Frage habe ich gewartet und gedacht: Deswegen bin ich hier, das will ich heute gefragt werden. Es muss nicht jedem auffallen, der nicht Musik macht, aber die Töne sind sogar gleich. Ich finde es so spannend, zu sehen, wie viele Leuten beim Anhören drüber stolpern. Vielleicht nimmt ja jemand beide Texte und guckt sie sich an. Mich interessiert, ob Leute was damit anfangen können: Ob sie denken, denen ist einfach kein besserer Refrain eingefallen oder sie sich tatsächlich damit auseinandersetzen, was aus welcher Perspektive erzählt wird. Dass uns kein besserer Refrain einfällt, kommt oft vor, aber in dem Fall war es nicht so. Es kann also sein, dass wir ihn aus der Not irgendwann noch mal aufgreifen. Revisited als Trilogie.
„Es sind nur Schwäne für sie und tote Freunde für dich.“
Turbostaat – Ein schönes Blau
Zwei eurer Alben heißen Schwan und Flamingo, ein Song Haubentaucher-Welpen, eurer Videos zu Wolter begleitet einen Vogelkundler im Wattenmeer, im Moment habt ihr Pinguin-T-Shirts im Shop, auf dem neuen Album tauchen erneut Schwäne auf. Würdet ihr sagen, dass ihr ornithologisch interessiert seid?
Jan: Ja, ein bisschen.
Tobert: Ich auf jeden Fall. Das hat nichts mit der Band zu tun, aber ich will das jetzt trotzdem erzählen: Auf meinem Balkon kommen viele Eichhörnchen und Meisen vorbei. Und seit kurzem auch ein Eichelhäher-Geschwader. Die sind sehr schlau und machen verrückte Sachen. Tatsächlich ist es das, worüber ich mich an so ‘nem Tag am meisten freue. Hat nichts mit Turbostaat zu tun. Ich wollte aber die Jungs mal grüßen, das Eichelhäher-Geschwader aus Bergedorf. Ich hab euch richtig lieb. Aber spielen Vögel für uns eine Rolle? Nein. Die sind halt da, schwirren herum, machen Sachen.
Also nur ein interessantes Motiv?
Jan: Genau, ein Motiv und damals dann ja auch Titel für zwei Platten.
Tobert: Ab und zu sind unsere Titel aber halt einfach nur Sachen, die wir lustig finden oder die wir alle gut fanden. Bei Schwan zum Beispiel ist irgendwann dieses Bild mit der Rose aufgetaucht, und irgendwer meinte, dass es doch witzig wäre, die Rose aufs Album zu nehmen und es dann Schwan zu nennen.
Marten: Bei Flamingo damals dachte ich: Was soll dieses scheiß Kitschbild? Wenn man das macht, muss man das Album ganz trocken „Flamingo“ nennen. Sonst geht das nicht. Bei der nächsten Platte hatten wir erst ein anderes Bild, zu dem wir uns den Namen „Schwan“ überlegt hatten. Dann haben Tobert und Roland einfach dieses Bild mit der Rose genommen. Das hatte Roland irgendwie beim Pizzaaustragen gefunden.
Tobert: Roland und ich fanden das Bild unfassbar witzig. Auch die Vorstellung, dass uns nachher alle fragen, was denn jetzt der nächste Vogel wird. Wir waren damals mit unserem Punklabel Schiffen unterwegs, haben in AJZs gespielt. Irgendwann später sind wir dann bei Warner gelandet, und plötzlich sitzt man in Interviews und denkt sich: Oh nein, die fragen wirklich alle danach. Das haben wir uns selbst gebacken. Wie heißt denn jetzt das nächste Album? Drossel? Nein, Eichelhäher!
„Alle Punkbands kennen Glufke.“
Marten Ebsen
Und wie entscheidet ihr, wie eure Songs heißen?
Jan: Am Anfang heißen sie „Lied 1“, „Lied 2“, „Lied 3“, „Lied 4“. Irgendwann müssen wir ins Studio und merken, dass das echt doof ist, „Lied 1“, „Lied 2“, „Lied 3“, „Lied 4“ mit ins Studio zu nehmen, und dass wir unbedingt mal Titel finden müssen. Und der eine oder andere hatte sich im Laufe der Plattenprozesse Sachen aufgeschrieben, die er gut fand. Die werden dann bei den Proben besprochen und es wird mehr oder weniger abgestimmt.
Heißt das, für euch selbst haben die Songtitel keinen hohen Stellenwert?
Marten: Es hat einen hohen Stellenwert. Wenn du ein Lied hast, und nennst es zum Beispiel „Ich fühle nichts”, ärgerst du dich ja nachher, weil du dir die Mühe gemacht hast, ein schönes Lied zu schreiben und es da dann aufhört.
Tobert: Das ist ein Kampf geworden. Wir tragen, wenn wir Songs proben, bandintern immer die grundsätzliche Ansicht mit uns herum, dass wir ihnen irgendwann witzige Titel geben und los geht’s. Das ist aber schon lange nicht mehr so. Wir müssen schon immer etwas graben und zum Glück gibt’s Notizen oder Diskussionen und Momente, in denen man feststellt, dass man den Titel gefunden hat.
Marten: Es ist immer ein bisschen wie jetzt mit „Uthlande“. Man schaut sich um, hat einen Titel und denkt darüber nach, wozu er passen könnte. Und im nächsten Schritt fallen einem ein paar Dinge dazu ein.
Jan: Es wurde aber zum Beispiel nie darüber diskutiert, dass Rattenlinie Nord „Rattenlinie Nord“ heißen wird.
Marten: Nein, das war einfach immer klar.
Jan: „Nachtschreck“ ist ein Beispiel. Geiles Wort, das aber nicht unbedingt was mit dem Lied zu tun haben musste. Genauso wie auf früheren Alben „Ja, Roducheln“ oder „Nach fest kommt ab“. Die kamen nachträglich, da haben wir irgendwas genommen, viel drüber gelacht.
Marten: Aber „Luzi“, „Stormi“ und „Hemmingstedt“ zum Beispiel: Bei Hemmingstedt stand der Titel schon vorher fest. Und bei Luzi und Stormi war schon irgendwie klar, in welche Richtung es gehen wird.
Tobert: Für mich ist das dieses Mal auch wesentlich konkreter: „Brockengeist“ taucht im Text auf, „Le Hague“ taucht im Text auf, „Stine“ taucht im Text auf. Deswegen meinte ich grad, die Disziplin, die oft vermutet wird, dass wir unserem Kram irgendwelche verrückten Titel geben, gab es diesmal nicht. Am Ende passen die Titel ganz gut, aber keiner davon ist „Das Island Manöver“, bei dem der Titel von Peter, unserem Schlagzeuger, ausging.
Marten: Oder „Schalenka Hase“.
Tobert: Genau, mit „Schalenka Hase“ hat er sich den Schlagzeug-Beat gemerkt. Und beim Island Manöver musste er etwas spielen, was ihm absolut nicht reinging. Er hat gemeckert, warum er nicht einfach seinen normal Punkbeat spielen kann. Für ihn war es, als würde Turbostaat mit ihrem Kunstscheiß jetzt so ein Sigur-Rós-Lied spielen. Und irgendwann ist der Titel dann einfach mit dem Song verbunden. So rangeln wir uns da durch. Für mich ist es diesmal aber ein bisschen klarer.
Marten: Man möchte ja auch einfach immer vermeiden, einen Schlager zu schreiben, weshalb man das Lied am Ende nicht „Polonaise“ nennt, sondern „Ja, Roducheln“.
Anschlussfragen: Wer ist Harm Rochel?
Tobert: Das ist ein Arbeitskollege meines Opas in Husum gewesen, ein Polizist. Er hatte diesen Namen und seit jeher fand ich die viele Konsonanten ganz schön geil.
Wo liegt Fuhferden?
Tobert: Wo immer du willst.
Marten: Irgendwo, wo Dave Grohl wohnt.
Tobert: Genau, in „Fooferden“.
Und Abalonia?
Jan: Das weiß man nicht so richtig.
Marten: Man weiß nur, wo das Wort herkommt.
Tobert: Das kannst du doch mal erzählen.
Marten: Wir haben uns die Doolittle-Demos der Pixies angehört. Bei Debaser gab es noch keinen Songtext und Frank Black singt die ganze Zeit „Ooh, A–ba–lo–ni–a“. Ich fand das phonetisch sehr gut.
Wann habt ihr zuletzt bei Glufke gepennt?
Tobert: Bei ihm zu Hause? Das ist richtig lange her.
Marten: Kurz bevor wir den Song gemacht haben.
Tobert: Das letzte Mal mit einem Nightliner. Obwohl der ja vorher weggefahren ist, das gilt nicht. Und außerdem, das kannst du ja mal reinschreiben, falls er das liest, werden wir das auch nie wieder tun.
Jan: Doch, bei Glufke penn ich auf jeden Fall wieder. Der hat nämlich jetzt Whisky-Kirschen.
Tobert: Eben nicht. Er hat uns das letzte Mal nämlich Whisky-Kirschen versprochen, und Apfelstrudel und Vanilleeis, und hat sie dann einfach nicht vorbeigebracht. Er denkt, wir fahren nach Regensburg, weil man da eine geile Show spielen kann und viele Leute kommen – stimmt ja beides nicht. Wir fahren da nur seinetwegen und wegen der Whisky-Kirschen hin. Und er verkackt das.
Jan: Das stimmt wirklich, wir fahren nur hin, um ihn wiederzusehen.
Tobert: Glufke ist also wirklich ein Typ in Regensburg in der alten Mälzerei.
Marten: Alle Punkbands kennen Glufke.
Tobert: Super Kerl.
Was ist Schwinholt?
Marten: Die Straße, in der wir proben.
Was ist der Brockengeist?
Jan: Es ist eigentlich das Brockengespenst, aber „Gespenst“ ist so scheiße zu singen. Das Brockengespenst taucht bei Nebel und Nacht auf.
Marten: Es ist eine optische Täuschung. Wenn du durch den Nebel läufst und der Schatten gebrochen wird, siehst du ihn halt. Du siehst hinter dir einen riesigen Schatten, der dich verfolgt.
Jan: Wenn man „Brockengeist“ nachguckt, ist das auch mal ein Schnaps.
Tobert: Den findest du bei uns ab Plattenrelease im Shop – topmäßig im Angebot. Am besten eisgekühlt genießen mit Gurkensaft.
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Ein weiterer Schub für den Mythos. Mit Zahn und Sound verkörpert Rami Malek in Bohemian Rhapsody den zur Legende gewordenen Queen-Frontmann Freddy Mercury. Mit maximal aufgedrehter Lautstärke und raketenartiger Geschwindigkeit geht es vom Beginn der Schöpfung bis zum allgemein anerkannten Höhepunkt der vielseitigen Band: dem Live-Aid-Auftritt von 1985.
Von Maria Engler
Musik-Biopics sind das kleine Schwarze der Kinolandschaft – passen zu jedem Anlass, sind nie aus der Mode und für jeden gibt es das passende Lieblingsteil. Filme wie Amadeus, Walk the Line, Control, Love & Mercy oder der aktuelle deutsche Hit Gundermann zeigen: kein Kinojahr ohne passendes Musik-Biopic. Erfolg verspricht nicht nur die gewinnbringende Verschmelzung zwischen Musik und Film inklusive dazugehörigen Publika, sondern auch die oftmals nach Verfilmung schreienden Lebenswege der musikalischen Genies.
Bohemian Rhapsody wagt sich selbstbewusst an das mystische Leben und Schaffen des bereits zur Legende stilisierten Queen-Sängers Freddy Mercury. Auf dem Weg zum phänomenalen Höhepunkt der Band passiert der Film wichtige Stationen des Lebens des bisexuellen Frontmanns und gibt Einblick in die technischen und sozialen Prozesse innerhalb und außerhalb der Band, die letztendlich zur Schöpfung der ebenso großartigen wie weltbekannten Songs der britischen Gruppe führte.
Wie der dazugehörige Musiktitel und gleichzeitig wohl größte Hit von Queen, arbeitet Bohemian Rhapsody mit verschiedensten Rhythmen, Modi und Geschwindigkeiten innerhalb der unterschiedlichen Phasen. Nachdem das Live-Aid-Konzert als narrative und ästhetische Klammer mit geradezu zeitlupenartigem Tempo in den Film einführt, überraschen die ersten 20 Minuten mit ungeahnt hoher Erzählgeschwindigkeit. Die in anderen Musik-Biopics oftmals ausgedehnten, erfolglosen Anfänge werden hier erfrischend kurz gehalten. Eben noch im elterlichen Heim, im nächsten Moment schon bei Top of the Pops und ein Zwinkern später entwickelt die Band bereits in ländlicher Abgeschiedenheit ihre größten Hits – der Mut zur Lücke geht zugunsten der Spannung.
Sehr viel mehr Zeit investiert der Film in seine Hauptfigur auf dem Zenit des Erfolges. Schwankend zwischen Genius und Größenwahn rücken der Charakter Freddys und die Beziehungen zur Wahl-Familie Queen in den Fokus und zeichnen ein vielschichtiges Portrait des Sängers. Abgelenkt lediglich durch die leider niemals ihren Charakter als Fremdkörper verlierende, scheinbar jeden Moment heraushüpfende Zahnprothese, kann Rami Maleks intensive, körperliche Performance nur als großartig bezeichnet werden. An ihn reicht sowohl in Sachen Ähnlichkeit als auch in facettenreichem Spiel lediglich Gwilym Lee als Brian May als gute Seele der Band heran.
Abseits persönlicher Eskapaden Freddys und seiner schwierigen Suche nach der eigenen Identität sind es vor allem die Momente innerhalb der Band, die Bohemian Rhapsody sehenswert machen. Seien es die genialen Ideen und sagenumwobenen Entstehungsgeschichten der Songs, die intensiven und oftmals schmerzhaften Auseinandersetzungen innerhalb der Band oder die schrillen Auftritte – der Film ist immer dann am besten, wenn es um die Musik geht.
Einen glorreichen und in Länge und Ausführlichkeit in der Geschichte der Musik-Biopics bisher nicht dagewesenen Höhepunkt bildet schließlich das Ende des Films. In einer nahezu deckungsgleichen Inszenierung des Live-Aid-Auftritts, fokussiert sich Bohemian Rhapsody auf das Wesentliche und stellt die unvergleichliche Energie der Performance und die Musik von Queen in den Mittelpunkt. In einem Moment cineastischer Perfektion überträgt sich die ton- und bildgewaltige Wucht durch die Leinwand hindurch in den Kinosaal und führt zu einem selten dagewesenen Hochgefühl. Wer sich von den sichtbaren (Schall-)Wellen der Begeisterung und der großartigen Musik nicht anstecken lässt, wurde vermutlich ohne ein Quäntchen Herz und Leidenschaft geboren.
Maria Engler ist eine der wenigen gebürtigen Berlinerinnen in Berlin und studiert Filmwissenschaft im Master. Wenn sie nicht gerade im Kino ist, schreibt sie Texte über Filme und Serien für ihren Blog diefilmguckerin.de oder andere schnieke Medien.
Sóley’s third album “Endless Summer” raises questions. After her dreamy debut “We Sink” and the almost depressive “Ask the Deep” we began thinking she can’t surprise us anymore – but then she suddenly does the unthinkable: creating cheerful music. At least that’s what she claims. Scenic lyrics are still combined with the piano and a remarkable voice. Apart from that she did not only paint her studio in new colours but also definitely stopped killing clowns. Nevertheless she accidentally ended up in an Icelandic thriller. Weird stuff. We have questions. So many questions.
An interview by Moritz Bouws and Gregor van Dülmen
Congratulations for your new album which is called “Endless Summer”. Is that a desire you have during these long Icelandic winters – to have an endless summer?
Yeah, in a way. Because I started writing it in January and it can be quite dark in Iceland then. So there is always this time when you’re craving for summer. Actually the title came up before I started writing the album. Consequently, I decided to make an album that is going to be called “Endless Summer” although I didn’t know how it would sound.
It’s also linked to the Icelandic summer because the sun never goes down, so it feels kind of endless. You just wake up, there’s a new day and you never go to sleep – there’s so much energy. It’s kind of a mixture of both craving for summer and the endless character of the Icelandic summer. Everything fades into each other, like day and night.
In comparison to your previous record “Ask the deep”, which was released in 2015, “Endless Summer” apparently has a far more optimistic approach. You dedicated the opening song (Úa) to your two year old daughter. Would you say that this optimism is due to the impact your daughter has on your work recently?
Probably in a way, yes. It’s funny how children change your life. I don’t know if you have got children, but life will never be the same. First, I’m more tired and I’d never been that tired in my life before. But when you see a child born, there’s just a weird thing going on. Life is just amazing. Having a child is amazing. I never wanted to write ‚mommy songs‘ or something like that. But it definitely has an effect on how I want to be. Obviously I want to be a good role model for her. I don’t want to be in this depressing shit all my life. I guess this is my attempt to get out, like crawling back seeing the lights of the happy end of the tunnel thinking, “I wanted to go there. This is where I want to be.” Maybe she inspired me in a good way. Well, I’m pretty sure she does.
And apart from your daughter: what influences you when you make music? For instance, you painted the walls of your studio purple and yellow. Does it matter which colours are surrounding you?
I think so. I think it’s the mood I’m in, the emotional state I’m in when I make albums. I had a plan for this album: I wanted to write a song in a major key. That was one of my goals, because I never had written songs in a major key. So now I achieved that. Besides I wanted to make more music just with piano and voice, going back to my roots. I love sitting by the piano playing a theme. Apart from that I wanted to challenge myself a bit. Regarding the compositions I tried to make it more complex. I just wanted to sit by the piano and make a new album. So I sat down and those songs just came out. That’s what I did.
Which colours are you going to choose for your next album?
Well, that’s a good question. Which are the remaining options? My daughter’s favourite colour is pink. First I replied, “Don’t you like black?”, but she said, “No, I like pink and purple and glitter and gold.” However, I think about a lot of colours when I’m writing albums. For this one I preferred brighter colours. With regard to that my friend Inga (Ingibjörg Birgisdóttir), who does the artwork, and me have a close collaboration. I told her about the colours I was thinking about and she made it kind of bluish. There’s also a little bit of pink in there. But in the end she decides. I have these ideas of colours, but it’s her work to make it visually look like how it sounds. To answer you question, obviously pink will be the colour for the next album.
Album cover by Birgisdóttir Ingibjörg
Last year you played a small tour in order to try if people like your new songs and the new major key sound. Did you really fear losing the interest of your audience while working on your new album?
Hmmm, good question! I don’t know. It was like this: I showed the album to people saying, “Guys, I made a happy album.” And everyone who listened to it replied, “It’s not really happy.” I assume I have a lower standard of happiness than other people. I couldn’t really act like “la la la la”, so we are meeting in the middle. I think it’s not a happy album. It’s more an album where you crave for what you love. Would I love an endless summer? I don’t think so. But I like craving for it. I kind of like it, when you have this desire for summer.
On this tour you also introduced your new live band, including a small orchestra and a second vocalist. What are the main differences playing with such a huge ensemble in comparison to the minimalistic sets you used to play before?
It’s much more fun. I won’t say anything against my friends who were working in my band, they’re unquestionably great. But what I love about it is that I actually could play these songs acoustically without any amplification. I don’t like my voice quietly. Composing and arranging a band is what I always want to do. I definitely would like to make an album with a symphonic orchestra. Maybe the next one, we’ll see. At the moment we’re rehearsing for the upcoming tour but having a big band on tour is quite expensive. In fact there’s a willingness on both sides, but financially we have to wait what happens. It definitely will be a bigger band.
Sóleys aktuelle Single “Grow”:
Quelle: YouTube
Your Berlin concert on that tour was at a church (Passionskirche Kreuzberg). This year in May you come back to Berlin and play a show at a church again (Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg). In Cologne you play at “Kulturkirche”, which also was a church once. Why do you choose churches? Is it just the sound?
Yes, on the one hand it’s the acoustics. Even though it sometimes can evoke a crazy reverb. But that’s the problem of my sound technician. On the other hand I also think when you enter a church the vibe is totally different to when you go to a club. I’m not a big fan of me playing in a club because I don’t think it fits me or my project. So I’m always trying to be at sitting shows where people are not really drunk but listen for an hour and then go for a drink. Because I love just sitting down and listening, enjoying.
And your show in Leipzig is at Felsenkeller which is quite a special venue, too. As you possibly know all these cities are well-known for having many music clubs. Is this characteristic important to you when you are on tour?
I love Germany. I’d like to live in Germany. I like both playing in bigger cities and small towns in Germany, Italy, and so on. It’s also nice to visit towns you’ve never heard about before and to see so many people showing up. It’s a nice mixture of both. It’s also hard when you play only big cities. It’s a longer drive. But it makes sense to do it in a way. I like both. And I love Leipzig.
What’s really interesting for us is the close collaboration that within the Icelandic artistic scene you’re a part of. You support each other on records, go on tour together, and apart from that established artists don’t forget to promote young talents. Do networks like Icelandic Music Export Office play a role for these collaborations or are all of you just friends who support each other in creating their own music?
I think both. Export Office has a really important part in the Icelandic scene. They have contacts and they are willing to help artists – like even me when I’m lost in the music industry. We have a coffee and we talk about it. And it’s important for new bands, too. I’m thirty, I don’t know people who are twenty and starting making music now. So I’m just growing up with my generation of the music scene. I think these networks are really important to get to know each other. There are just tons of bands and musicians, and there a young kids who do cool stuff. So people just talk about new stuff and then go taking it out.
But can you still say that generally you all know each other?
Yes. If we don’t know each other we know the same friends. It’s really small. So it’s really hard not to know each other. The music scene is really close, we’re all buddies. And it’s fun.
The Icelandic music export obviously works very well. Your last album “Ask the Deep” even was used for a German TV crime television series. Do you know about this?
Ehm, what is it called?
“Der Island-Krimi”. Like “The Icelandic Crime Show”.
Really? I don’t know everything that happens with my music. But I might have gotten an email about that. Okay, that’s funny.
It was a big production, starring Franka Potente. So everybody knows you now in Germany.
Is it a crime show about Iceland?
The other kind of music video:
Yes, it’s set in Iceland and has German actors who pretend to be Icelandic.
Oh my god, I have to see it. I’d like to see German people acting like Icelanders.
Since the sound of the record was dark and heavy it actually fit very well with the mood of the series. What kind of TV series do you think would be a good fit for your new album?
I love this one song, the last song “Endless Summer”. I thought it might fit to a teenage movie or maybe to “Skam”. It’s a series from Norway and it’s about kids in college. I watched all episodes. I’m going to talk to my manager to put the song in this season, it’s really popular. There’s a lot of cool music in it. They even have a Spotify playlist featuring many popular songs from Scandinavia.
You used to tell this poetic horror fairytales on your earlier albums. And still your lyrics are very scenic and theatrical. Did you ever think about publishing a book with the stories you make up? Or will music always be more important to you?
No, I thought about it. Actually I started writing a book two times. I’m always to busy and I don’t have time for it.
Maybe when you’re old?
Yeah, maybe when I’m old and have a whisky voice and don’t like to sing anymore. Well, I’m thinking about writing Icelandic poems. I’m going to release a poem book one day, either in Icelandic or English. I mean, Icelandic is my mother tongue, so for me it’s easier to express myself. Let’s see.
Talking to you or watching you playing a show it seems that humour plays a big role in your life. But your songs, especially the older ones, on the other hand have titles like “I’ll drown”, “Smashed Birds”, “Follow me down” or “Kill the clown”. Is that something you do when you write music: Kill the clown inside of you to make some serious art?
(laughter) I don’t know who I am when I write this stuff. I hope this child will make me a better person. I’m afraid of myself sometimes. Why would someone write this down and even release it? I mean, I can’t watch horror movies because I’m so afraid, I can’t go to the bathroom for months after I watch “The Shining” or something comparable. So this is my approach: to write a horror song, and just imagining it – and I know I wrote it so it’s not real. This is my thing to satisfy the horror desire. Because you need something scary in your life, it keeps your heartbeat going.
Sóley – Kill the Clown (live):
Quelle: YouTube
So you write horror stories because you can control them?
Exactly. That’s a good thing. Because I can choose the end. Or can I? I don’t know. I like it, but on my new album I was writing less about horror stuff, I guess. I was just trying something else. And I think it’s always good to not to get stuck anywhere and challenge yourself, do something. Because usually I would say that I would never write a song about my daughter or I’d never write songs in a major key, because it’s not me.
But then I question that and ask myself: Why don’t I do that? Why would I put myself in a box? Why don’t I try out something else and see what happens ? And that was just what I was trying to do on my new album. I just tried out a lot of stuff I thought I wasn’t supposed to do because I had put myself in some sort of box.
And we think it really worked out.
I’m really happy with the album. I did it in a year, I just shut down and all these songs came out and I was pushing songs out and I didn’t force anything. So all these songs just came within four months and then I just finished them. Why should I spend more time with it? So I’ll just release it and start to do something else. I don’t know about working on an album for ten years and I think life is too short to do it. You just start doing something new. I enjoyed the process of making the album, it’s all really natural. I’m really happy.
So best wishes for the release and thank you for the interview.
Danke. See you around.
Sóleys third album “Endless Summer” will be released on may the 5th at Morr Music. Afterwards she’ll play a tour with a small or big band in small and big towns:
May 10 Kulturkirche Cologne, Germany
May 11 Felsenkeller Leipzig, Germany
May 12 Apostel-Paulus-Kirche Berlin, Germany,
May 14 Mousonturm Frankfurt Am Main, Germany
May 16 Hybernia Theater Prague, Czech Republic
May 18 Aula Artis Poznan, Poland
May 19 NIEBO Warszawa, Poland
May 20 Kino-Teatr RIALTO Katowice, Poland
May 21 Brno, Czech Republic
May 23 A38 Budapest, Hungary
May 24 Culture Factory Zagreb, Croatia
May 25 Kino Šiška Ljubljana, Slovenia
May 27 Posthof Linz, Austria
May 28 A4 Bratislava, Slovakia
May 29 WUK Vienna, Austria
Jul 04 Covo Summer Bologna, Italy
Jul 05 Circolo Magnolia Segrate Milano, Italy
This week Markus Acher released his new solo album “A Beat of Silence” on Morr Music, it’s his second full length album under the synonym “Rayon”. He is known best for his various other projects which deserve articles of their own – however, there is one thing they all have in common: musical sensitiveness, diversity and devotion. In this interview he talks about his motivation and what is yet to come in his musical life.
An interview by Moritz Bouws and Gregor van Dülmen, translated into English by Martin Kulik and Moritz Bouws
Let’s get this straight: “Notwist” or “The Notwist”? Does it matter?
It really doesn’t – we’re not overly uptight about that. We called us “The Notwist” back when we thought: This sounds like “underground”.
Just for keeping track – could you please list all names of the bands and synonyms under which you performed or released records with?
Certainly. Here it goes: Notwist, Lali Puna, Rayon, Tied + Tickled Trio, You + Your D. Metal Friend, 13&God, Village of Savoonga, Hochzeitskapelle, 3 Shades.
That’s quite a few. How much time do you spend in studios and rehearsal rooms?
Oh, a lot actually. However, much of the stuff we did in the studio can also be worked from our computers at home now. But of course it’s always invaluable to record together.
What’s the process creating a (The) Notwist album like?
Primarily: really slow. Apart from that, there are different ways in which we make an album. Everyone composes by themselves, then we share ideas, go to the studio together and record, edit the different parts etc. But that’s really an individual process that is very specific to particular songs. Somewhere along this line an idea for the whole record is born that unites all the different parts. That’s really important because otherwise you have nothing to aim for.
“With the labels, concerts, records and fanzines we created an alternative for ourselves – against our reactionary, conservative and catholic surroundings.”
Now that you released “Superheroes, Ghostvillains + Stuff” you are on tour with Notwist again. Your last live album was released 20 years ago, why did you decide to produce a new one now?
The songs for a new published record are really fresh by the time they are released and have not been played live yet most of the time. They are snapshots and evolve with time. We wanted to document these changes in this record. I think some of the songs found their true form only after a long period of time.
Source: Bandcamp
What made you choose UT Connewitz in Leipzig as the location for the album? Do you have a special connection to this place?
The audiences in Leipzig and Berlin are always really enthusiastic – we get a kick from that. UT Connewitz is a beautiful location with great organizing staff.
But in the end it was a practical thing as well: We had three days in a row in Leipzig to get everything right. The second day was the best one and that’s the material that you can hear on the record now.
Another really exciting project of yours is 13&God where Notwist collaborates with Themselves, a hip hop combo from Oakland. How did you get together with them?
I was a big Anticon fan. And when Themselves played in Munich we met and discovered our mutual appreciation. We immediately planned a tour together and recorded an album shortly after that.
We hope to come together again this year and do another record. We have become good friends.
Source: YouTube
Alongside the international tours with Notwist all of the bandmembers are involved in the regional music scene of Bavaria. Is there a big difference for you personally when you play a show in Landsberg or in cities like Seattle or Mexico City?
Of course there is a difference because the audience reacts differently. We want to play internationally and travel the world with our music. But at the same time we appreciate the shows in our hometowns.
You often get categorized as part of the “New Weird Bavaria” movement because of your involvement in the regional music scene. Do you agree with this classification or is it just a label that doesn’t have any significance for your art?
Actually it doesn’t have any significance.
The term also has a political dimension: There is a connotation that the scene tries to show a more diverse picture of Bavaria through forms of art, which isn’t distorted by the populism of conservative politicians like Horst Seehofer. Would agree with that? Does this dimension have any influence on your art?
We always tried to direct our endeavours to the edges of society and we are mostly interested what is considered weird or strange. Our music embodies this view and shows a world that we wished to live in. With the labels, concerts, records and fanzines we created an alternative for ourselves – against our reactionary, conservative and catholic surroundings.
But we didn’t really think about the image of Bavaria. We never saw our roots in that particular place. Our musical role models were other bands in Germany like Mouse on Mars or Can as well as other scenes like those in New Zealand or Glasgow.
“What Notwist is going to be – we don’t really know yet.”
What made you start your solo project Rayon?
Rayon exists since I released a double 7” on Kollaps under that name. I always rekindle the name when I record something by myself.
The new album was produced after Daniel and Karin from the experimental festival Frameless in Munich asked me to record something new. With their programme in mind I composed some songs and finally got around recording it.
The style of “A Beat of Silence” is really spheric but also minimalistic. We are curious in which places the ideas and concepts for the album developed and how this is reflected in the record. Could you give any insight to that?
The actual composing was done at home in front of the computer. But before that I spent a lot of time contemplating on the different ideas. Each song has an abstract idea – rhythm, patterns, overlapping structures – that I expressed in music afterwards. I hoped to achieve an unique structure for each song that differs from the usual musical pattern.
I got a lot of inspiration from visual artists. Agnes Martin, japanese photographers, or the great canadian Michael Dumontier who also made the cover for the album which made me really happy.
An essential part of “A Beat of Silence” consists in the use of indonesian Gamelan Ensembles. Where did you get in contact with those instruments and why were they fitting for this album?
We didn’t use real Gamelan instruments. But the sound and the characteristics of this unique music was a reference point throughout the whole record. You can’t really reproduce those sounds, it’s far too complex.We rather tried to find a certain type of shimmering and hypnotic atmosphere that we really liked about the Gamelan sounds.
When do you decide if a song should be part of a Notwist or a Rayon album?
Most of the time I compose for a specific record or band project. It happens very rarely (like on “Messier Objects”) that two recordings or settings mix up.
On “A Beat of Silence” there is a song that already was released in a different version on the soundtrack album “Messier Objects”. It was titled “Object 16” back then, now “On the Quiet”. Will there be additional versions of this particular song?
I composed this song for the first Rayon concert on the Frameless Festival. That was with a different band cast. After that we created the music to Jette Steckels’ stage play “Das Spiel ist aus” and the song was a good fit there as well. I wanted to record the song again in its raw acoustic form. That’s why it made it to the new album again. I don’t think we will ever record that one again :).
Source: Bandcamp
“A Beat of Silence” seems to trace the use of digital music via analogous means. Would you consider this a tendency that is also apparent in Notwist after Martin Gretschmann left the band?
On the Rayon record I only wanted electronic sounds that were generated from acoustic sounds – that was the idea. Distorted and blurred. Take details and magnify them. Like the piles of sand on the cover photo by Michael Dumontier which lose their form and become indistinct. In the end I wanted an unified sound. What Notwist is going to be – we don’t know yet.
“A Beat of Silence” – Cover by Michael Dumontier
So now you will go on tour. But what will be your next project in the studio? Will there be a new studio album after your live album with Notwist? Or will you prioritize other projects?
We definitely plan to make a new Notwist record next. In the very near future there will be the Alien Disko Festival, which we can realize here in Munich at the Kammerspiele on December 2nd and 3rd. We invited some of our favourite ands that burst through genre boundaries.
We can’t wait! We are extremely excited to be joined by: Sun Ra Arkestra, Dawn of Midi, Ras G + Afrikan Space Program, Carla dal Forno, Sacred Paws, Melt Banana, tenniscoats, Jam Money, Mark Ernestus Ndagga Rhythm Force, the comet is coming, mimiCof and others.
Of course The Notwist will also be playing.
If you wanna see Markus Acher live before the Alien Disko Festival and somewhere that’s not Munich you can check him out at November 20th at the Berlin Radialsystem V where he plays a release show for “A Beat of Silence”. Just saying.
Diese Woche erschien bei Morr Music sein neues Solo-Album “A Beat of Silence”, bereits das zweite, das er als Rayon veröffentlicht. Bekannt geworden ist Markus Acher aber vor allem durch diverse andere Projekte, über die man viel schreiben könnte und die sich allesamt durch musikalisches Feingefühl, Vielfalt und Hingabe zur Musik auszeichnen. Im Interview verrät er uns, was ihn antreibt und was als Nächstes kommt.
Ein Interview von Moritz Bouws und Gregor van Dülmen
Zunächst eine Frage, die uns sehr beschäftigt: “Notwist” oder “The Notwist”? Oder egal?
Das ist tatsächlich egal, da sind wir nicht sehr streng. Das “the” kommt noch aus einer Zeit, als wir dachten, das klingt nach “Underground”.
Und könntest du bitte einmal alle Bandnamen und Pseudonyme auflisten, unter denen du schon auf Tour warst oder Alben veröffentlicht hast?
Na klar. Und zwar: Notwist, Lali Puna, Rayon, Tied + Tickled Trio, You + Your D. Metal Friend, 13&God, Village of Savoonga, Hochzeitskapelle, 3 Shades.
Das sind ja ganz schön viele. Wieviel Zeit verbringst du denn so in Proberäumen und Studios?
Oh, sehr viel Zeit. Vieles, was früher im Studio passierte, machen wir inzwischen auch dank Computer zu Hause. Aber zusammen in einem Raum zu sein und aufzunehmen, ist nicht zu ersetzen.
Wie entsteht ein (The-)Notwist-Album?
In erster Linie sehr langsam. Ansonsten sind es viele verschiedene Wege. Jeder komponiert für sich, dann tauschen wir Ideen, gehen irgendwann zusammen ins Studio und nehmen auf, bearbeiten die Sachen usw. Es kommt immer auf das einzelne Stück an. Irgendwann entsteht eine Idee für die ganze Platte. Das ist auch sehr wichtig, sonst kann es sehr ziellos werden.
“Mit den Labels, Konzerten, Platten und Fanzines haben wir uns eine Alternative geschaffen – gegen das Reaktionäre, Konservative, Katholische um uns.”
Ihr seid ja auch mit Notwist nach dem Release “Superheroes, Ghostvillains + Stuff” wieder fleißig unterwegs. Was hat euch dazu bewegt, zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder ein Live-Album aufzunehmen?
Die Stücke sind ja zum Zeitpunkt einer Studio-Platte meist noch sehr neu, und nicht live gespielt. Und auch nur eine Momentaufnahme. Viele entwickeln ein Eigenleben und verändern sich sehr im Laufe der Jahre. Das wollten wir noch einmal dokumentieren. Ich denke, manche Stücke haben erst nach einer langen Zeit ihre eigentliche Form gefunden.
Quelle: Bandcamp
Warum habt ihr euch entschieden, das Livealbum im Leipziger UT Connewitz aufzunehmen? Habt ihr einen besonderen Bezug zu diesem Ort?
In Leipzig und Berlin sind die Leute immer sehr enthusiastisch, das feuert uns an. Das UT Connewitz ist auch ein außergewöhnlich schöner Ort mit sehr netten Veranstaltern.
Aber am Ende war es auch die praktische Seite: Wir hatten dort drei Tage hintereinander, und um alles richtig einzustellen und aufzunehmen, brauchte es die Möglichkeit, die Auswahl aus mehreren Tagen am selben Ort. Der zweite Tag war dann der beste und ist jetzt auf der Platte.
Ein mehr als spannendes Projekt von dir ist auch 13&God, in dem Notwist und die Hip-Hop-Combo Themselves aus Oakland für zwei Alben zusammenarbeiteten. Wie kam es eigentlich zu dieser Kollaboration?
Ich war schon großer Anticon-Fan. Und als die Themselves in München waren, haben wir uns kennengelernt, und sie haben mir erzählt, dass sie Notwist kennen und mögen. Da haben wir gleich eine Tour zusammen geplant, und danach dann eine Platte gemacht.
Wir wollen auch, hoffentlich nächstes Jahr, wieder etwas mit ihnen aufnehmen. Wir sind sehr gute Freunde geworden.
Quelle: Youtube
Neben euren internationalen Touren als Notwist engagieren du und die anderen Bandmitglieder sich auch stark in der regionalen Musikszene Bayerns. Macht es für dich persönlich einen großen Unterschied, vor einem Publikum in Landsberg oder Städten wie Mexico City und Seattle zu spielen?
Das macht natürlich einen Unterschied, weil die Menschen auch anders reagieren. Wir wollen gerne international spielen, und mit unserer Musik weit reisen. Aber wir spielen natürlich auch gerne und viel in unserer Umgebung.
Ihr werdet aufgrund eures Engagements in der regionalen Kulturlandschaft bisweilen ja auch als Teil der “New Weird Bavaria”-Bewegung oder zumindest als Grundsteinleger der jungen Szene betrachtet. Kannst du dich mit dieser Klassifizierung anfreunden oder ist es nur ein Label, das für deine Kunst keine Rolle spielt?
Das spielt eigentlich keine Rolle.
Der Begriff hat ja auch eine politische Dimension: Es schwingt mit, dass die Szene mit Mitteln der Kunst, nicht zuletzt durch den Aufbau neuer Strukturen, eben auch daran arbeitet, ein vielseitiges Bild Bayerns zu erzeugen, das durch den Populismus Horst Seehofers bzw. die Volkstümlichkeit wesentlicher Teile der CSU verzerrt wird. Würdest du zustimmen? Und hat (zumindest) diese Dimension auch einen Einfluss auf euer Schaffen?
Unser Bestreben ging ja immer nach draußen, und unser Interesse eher für das Abseitige, Seltsame, Andere. Insofern ist unsere Musik auch ein Ausdruck dessen, und zeigt hoffentlich eine Welt, wie wir sie gerne hätten. Mit den Labels, Konzerten, Platten und Fanzines haben wir uns eine Alternative geschaffen – gegen das Reaktionäre, Konservative, Katholische um uns.
Aber an das Bild Bayerns haben wir eh nicht gedacht. So haben wir uns eigentlich nie verortet. Unser Koordinatensystem und unsere Vorbilder waren andere Bands in Deutschland wie Mouse on Mars oder Can, oder Szenen in Neuseeland oder Glasgow.
“Wie Notwist wird, wissen wir tatsächlich noch gar nicht.”
Wie kamst du auf die Idee zum Soloprojekt Rayon?
Rayon gibt es, seitdem ich eine Doppel-7″ auf Kollaps unter diesem Namen veröffentlicht habe. Ich nehme den Namen immer wieder, wenn ich etwas alleine mache.
Die neue Platte entstand, als ich von Daniel und Karin von dem tollen Münchener Experimental-Festival Frameless gefragt wurde, ob ich etwas machen will. Daraufhin habe mit ihrem Programm im Hinterkopf Sachen komponiert und irgendwann aufgenommen.
Gerade hinsichtlich des sphärischen, aber minimalistischen Stils von “A Beat of Silence” erscheint uns die Frage spannend, an welchen Orten die gedanklichen und konzeptuellen Vorstellungen zum Album entstanden sind und inwiefern sich diese in den Aufnahmen widerspiegeln. Könntest du dazu etwas sagen?
Das konkrete Komponieren entstand alles zu Hause vor dem Computer. Davor habe ich sehr lange nach den einzelnen Ideen gesucht. Jedes Stück hat eine eher abstrakte Grundidee – Rhythmen, Muster, sich überlagernde Strukturen – die ich danach mit Noten gefüllt habe. So habe ich gehofft, weg von der üblichen Songstruktur zu kommen.
Die Inspiration kam deswegen viel von visuellen Künstlern. Agnes Martin, japanische Fotografen, oder der tolle Kanadier Michael Dumontier, der dann auch das Cover gemacht hat, was mich sehr glücklich macht. Ein wichtiger Einfluss ganz am Schluss war dann der Film “Midnight Special”, ein Science-Fiction-Roadmovie, der mir nochmals andere Bilder zu der Musik gegeben hat. Außerdem hat er mir geholfen, mich mit den düsteren Teilen der Platte anzufreunden.
Ein wesentlicher Bestandteil in “A Beat of Silence” ist der Einsatz der indonesischen Gamelan-Ensembles. Wie seid ihr auf die diese Form von Instrumenten gestoßen und inwiefern schienen diese euch für die Aufnahme des Albums geeignet?
Wir haben ja keine echten Gamelan-Instrumente benutzt. Vielmehr war der Klang und die Charakteristik dieser unglaublich eigenen Musik immer wieder eine Referenz für die Platte. Das kann man auch gar nicht nachmachen, dazu ist die Musik viel zu komplex. Eher haben wir eine bestimmte flirrende und hypnotische Atmosphäre gesucht und nachempfunden, die wir auch an Gamelan-Platten so mögen.
Wann entscheidet sich für dich bzw. euch, ob ein Song auf einem Notwist– oder Rayon-Album erscheint?
Ich komponiere eigentlich immer gezielt für eine Platte bzw. Band. Sehr selten (wie bei “Messier Objekts”) mischen sich verschiedene Aufnahmen und Besetzungen.
Auf “A Beat Of Silence” taucht ja auch ein Song auf, der in einer anderen Version bereits auf dem Soundtrack-Album “Messier Objects” zu hören war. Dort hieß er “Object 16”, nun “On The Quiet”. Wird es weitere Versionen des Songs geben?
Dieses Stück hatte ich für das erste Rayon-Konzert beim Frameless-Festival komponiert. Das war noch in einer anderen Besetzung. Wir haben danach die Musik zu Jette Steckels Theaterinszenierung “Das Spiel ist aus” gemacht, und da hat das Stück gut gepasst. Ich wollte das Stück aber noch einmal in seiner ursprünglichen akustischen Form aufnehmen. Deswegen ist es auf dieser Platte ein weiteres Mal gelandet. Ich denke nicht, dass wir es nochmals aufnehmen 🙂
Quelle: Bandcamp
Das Konzept von “A Beat of Silence” scheint auch darin zu bestehen, digitale Musik wieder zurückzuführen und diese mit analogen Mitteln nachzuvollziehen. Würdest du sagen, dass dies auch eine Richtung ist, in die auch Notwist sich (zumindest live) nach dem Ausstieg Martin Gretschmanns bewegt?
Bei der Rayon-Platte wollte ich nur elektronische Klänge, die aus den akustischen Klängen generiert wurden, das war die Idee. Verzerrt, verwaschen, Details nehmen und vergrößern. So wie die Sandhäufchen auf dem Cover-Foto von Michael Dumontier ihre Form verlieren und verschwimmen. Auch, dass es am Ende einen einheitlichen Klang ergibt. Wie Notwist wird, wissen wir tatsächlich noch gar nicht.
“A Beat of Silence” – Coverbild von Michael Dumontier
Erstmal geht es ja auf Tour. Aber was steht bei euch studiotechnisch als Nächstes an? Wird dem Live-Album in naher Zukunft ein Studioalbum von Notwist folgen? Oder stehen andere Projekte im Vordergrund?
Als Nächstes steht auf jeden Fall eine Notwist-Platte auf dem Plan. Ganz nah und konkret ist das Alien Disko Festival, das wir hier in München in den Kammerspielen am 2. und 3. Dezember realisieren können. Wir haben Lieblingsbands eingeladen, die allesamt Genres sprengen und zwischen den Stühlen sitzen.
Wir freuen uns schon extrem! Mit dabei: Sun Ra Arkestra, Dawn of Midi, Ras G + Afrikan Space Program, Carla dal Forno, Sacred Paws, Melt Banana, tenniscoats, Jam Money, Mark Ernestus Ndagga Rhythm Force, the comet is coming, mimiCof u. a.
Und The Notwist wird auch spielen.
Wer Markus Acher noch vor dem Alien Disko Festival und woanders als in München live sehen möchte: Am 20. November spielt er mit Rayon im Berliner Radialsystem V eine Release-Show zu “A Beat of Silence”. Just saying.