Nachdem der Rapper jahrelang immer wieder Hinweise in Form von einzelnen Tracks oder Ausschnitten streute, aber sonst wenig von sich hören lies, stellte sich langsam die Frage, ob es überhaupt ein Come-Back geben würde. Die treuen Fans blieben allerdings geduldig und wurden mit einer weiteren Reise durch Jottas Seelenleben belohnt: Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins.
Ein Gastbeitrag von Annabell Lamberth
Während TOA von JAWs Kampf gegen seine eigenen Dämonen in Form von Selbstzerstörung, Mordfantasien, dem Widerspruch zwischen Täter und Opfer, Schuld und Sühne handelte, so betrachtet sein neues Album nach sieben Jahren Pause das Geschehen um ihn herum auf eine gereifte, auf eine bodenständige Art. Den besonderen Blick auf die Abgründe des menschlichen Seins hat er aber nicht verloren. Im Gegenteil, in den Tracks Fremdkörper und Lost in Space gibt er nach wie vor auf eine Weise wie kein anderer es vermag wieder, wie es sich anfühlt, gesellschaftlich außen vor zu sein und sich nicht in einen Kreis, wie den der deutschen Rapszene integrieren zu können. Wie ein Außerirdischer der die menschlichen Konventionen zwar imitieren kann, aber keinen Mehrwert darin sieht ein Teil von ihnen zu werden. „Menschenwesen fragen oft ‚Wie geht’s?‘/ – doch eine Antwort würde Erdenjahre dauern, darum sag‘ ich: Okay.“
Der Rapper Maeckes, dem es ähnlich geht, ist auch auf dem Album mit einem Gasttrack vertreten und liefert einen gelungenen Beitrag zu JAWs Beschreibungen sozialer Ordnung. JAW ist bekannt für seine intimen Einblicke in den menschlichen Wahnsinn und auch deren medikamentiöser Behandlung, welche er schon in seinen vorherigen Alben auf sarkastische Weise kritisierte. Sein Track Entzugsoptimismus lässt seine Versuche der Heilung ohne pharmazeutische Mittel Revue passieren und den Wunsch nach einem normalen Leben deutlich werden „Ich bin so nah an den Dingen wie schon lange nicht mehr“. Doch neben seinem Optimismus kommt auch die Erkenntnis: „Mir wird letztendlich klar, ich kann nicht ohne sie sein,/ kipp die 150mg wie gewohnt in mich rein./ Es bleibt wohl immer noch ein langer Weg, bis ich am Ende meine Seelenverwandlung steh“.
Experimenteller Sound
Darüber hinaus bietet das Album, wie von Jotta gewohnt, bissige, eloquente Stücke wie Nichts, aber auch ganz untypisch eine Ballade, in der er die Höhen und Tiefen der eigenen Beziehungen auf emotionale und gar nicht mal kitschige Weise beschreibt. Der emotionale Höhepunkt findet sich in Bye Mama. Hier verabschiedet er seine verstorbene Mutter auf ergreifende Art. Besonders passend ist hierbei der reduzierte Piano Beat, welcher den Worten noch mehr Raum gibt.
Quelle: Youtube / JAW Official
Auch musikalisch schlägt JAW mit dem neuen Album einen neuen Weg ein. Gemeinsam mit seinem jahrelangen Begleiter Peter Maffya wagt er eine experimentelle, ungewöhnliche Produktion. Bisher war man von JAW eher düstere Synthie- und Samplebeats gewohnt, welche durch ihre unsystematisch, sympathisch schrille Art den Wahnsinn wiedergeben. Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins dagegen liefert einen sich stringent durch das Album ziehenden Duktus aus experimentellen Arrangements, welche aus echten, teils verzerrten Instrumenten bestehen. Ebenfalls ungewohnt sind JAWs Gesangseinlagen, unterstützt durch Autotune. Diese fanden eher weniger Anklang bei den Fans, deren Ansprüche nach der langen Wartezeit natürlich enorm hoch waren.
Sich mit den Vorgängern, voller unvergesslicher Höhepunkte zu messen, ist außerdem auch eine nahezu unmögliche Aufgabe. Vielleicht ist JAW auch mit seiner aufwendigen Produktion über das Ziel hinaus geschossen. Denn oft sind es doch die einfacheren, textlastigen Tracks, die mitten ins Mark treffen. Trotzdem sticht Jotta nach wie vor in der Rapszene durch seine wortgewaltigen, emotionalen Tracks hervor. Insgesamt hat JAW mit seinem neuem Album weitgehend positiv überrascht, man merkt aber, dass auch er sich in den sieben Jahren weiterentwickelt hat und die Dinge in einem nicht weniger düsteren, aber doch anderen Blinkwinkel betrachtet. Damit geht sicher nicht jeder d’accord, aber das macht gesellschaftskritische Musik ja auch aus.
Titel: Die unerträgliche Dreistigkeit des Seins
Interpret: JAW
Label: JAW (Groove Attack)
Datum der Veröffentlichung: 25. Mai 2018
Erschienen als: Audio CD, Vinyl, Mp3 download
Annabell Lamberth, geboren 1995, stammt aus Frankfurt am Main und ist Studentin der Soziologie und Psychologie an der TU Darmstadt. Sie schreibt zu Musik und Film. In ihrer Freizeit macht sie gerne Musik, geht auf Konzerte und Ausstellungen oder genießt einen guten drink. Sie bleibt aber auch gerne mal zuhause um ihre Film- und Seriensucht auszuleben.