Schlagwort: Post-Rock

Tides from Nebula – Sternennebel im Urban Spree

Polens Nummer 1 in Sachen Post-Rock lockte die Berliner ins Urban Spree und zeigte was sie kann. Aber auch, woran es fehlt.


Tides from Nebula, Urban Spree, 17. Mai 2017

Obgleich die Sonne sich endlich auch auf den Sommer eingelassen zu haben schien, war eine ganze Menge Menschen in der letzten Woche gern bereit, den lauen Berliner Abend noch etwas warten zu lassen und sich ins dunkle Urban Spree zu verkriechen, um dort den melodischen, teils melancholischen Klängen der polnischen Post-Rock-Helden Tides from Nebula zu lauschen.

So ziemlich genau vor einem Jahr präsentierte das Quartett aus Warschau – damals leider als Trio – auf dem RAW-Gelände sein viertes Album, Safehaven, welches in kompletter Eigenregie aufgenommen werden konnte, weil im band-eigenen Studio. Thisquietarmy hatte das Publikum letztes Jahr auf eher experimentelle Weise eingestimmt, dieses Mal hatten Tides from Nebula den ganzen Abend für sich allein; so gab es am Ende sogar zwei Zugaben! Und das Konzert war dann auch wie das „neue“ Album: Solide, ohne viel Klimbim, keine lange Stimmen-Samples oder atmosphärische Pausen. Das Publikum hörte gespannt zu und wurde weder von großen Licht-Effekten (wobei es schon ein bisschen Blinken und Glitzern gab), noch von langen Ansagen abgelenkt. Stand überhaupt ein Micro auf der Bühne?

Dafür gab es viele eingängige und schöne Melodien, denen Keyboard und Gitarre ihre prominenten Rollen zu verdanken hatten und die manchmal fast an maybeshewill erinnerten. Was nicht heißen soll, dass es den Songs an Druck oder sich steigernden „Gitarren-Ausbrüchen“ fehlte, doch macht die Band ihrem Namen alle Ehre. Bei Songs wie „Home“ hat man zwischenzeitlich eher den Eindruck verträumt durch einen nebligen Wald zu gehen und schließlich in den schwarzen Nachthimmel zu blicken – düster-ish, aber voller funkelnder Sterne –, als in ein schönes Gewitter. „We are the mirror“ hingegen vereint dann, nach guter alter Post-Rock-Manier atmosphärische Ruhe-Phasen, mit Chaos und Gitarren-Loops. Simple Melodien steigern sich in den Songs zu einem musikalischen Höhepunkt, zu aggressiven Klanglandschaften, in denen der Zuhörer einfach nur noch dabei ist und nirgends anders, so wie Fans des Genres es gewöhnt sein mögen.

Quelle: YouTube

Und da liegt dann auch der Knackpunkt, sofern es denn einen gibt. Tides from Nebula machen die Musik, die von einer europäischen Post-Rock-Band heute erwartet wird. Dies machen sie auch wirklich gut, sowohl live als auch bei Aufnahmen legen sie höchsten Wert auf die Soundqualität. Das Einzige, was man bei ihnen aber wohl nicht finden wird, sind schwierige, unzugängliche oder auch andersartige, innovative Parts. Nicht umsonst wurde „Safehaven“ 2016 auf Platz 10 der besten Post-Rock-Veröffentlichungen des Jahres gewählt und eine Tour reiht sich an die nächste, wobei die Reichweite sich von Polen auf Europa und die Welt ausgeweitet hat. Läuft bei denen.

Tides from Nebula sind aber auch im wahrsten Sinne des Wortes eine Live-Band. Nicht nur, dass sie es irgendwie schaffen über die Musik (oder auch das Spielen im Zuschauer-Raum) aus Publikum und Band eine vereinte Menschenmenge zu machen, die Zuhörer also zu berühren, sie scheinen in den letzten Jahren auch nonstop auf der Bühne gestanden zu haben. Trotz der paar hundert Gigs, die sie mittlerweile auf dem Buckel haben, geht ihnen die Puste nicht aus. Sicherlich ist ihnen eine gewisse Routine anzumerken, dennoch bringen sie live eine Fülle von Emotionen und eine sehr positive Atmosphäre rüber. Der Song „Only with presence“ vom Vorgänger-Album „Eternal Movement“ ist sodann live mindestens so energiegeladen und unbeschwert-mitreißend wie man es vermuten würde, wenn man ihn mal „von Band“ gehört hat. Auch wenn die vier Polen onstage wie ernste Rocker scheinen, sind sie in Wirklichkeit äußerst freundliche, junge Menschen ohne jegliche Star-Allüren, die ihr Gepäck auch mal endlos durch die Nacht tragen und einem Bierchen mit Fans meist eher zugeneigt sind.

Also, solltet Ihr die Chance haben Tides from Nebula live zu sehen, tut es! Ihre Musik ist zum Tag- (und Nacht-)Träumen bestens geeignet und lohnt sich immer.

Klez.e – Zeitgeist mit Cure-Schnitt

Klez.e melden sich mit einem außergewöhnlichen Konzeptalbum zurück. Es heißt nicht zufällig Desintegration und zeigt auf, wie Mauern Brücken schlagen können.


Eigentlich waren sie so lange weg, dass man sie fast vergessen haben könnte. Denn die Berliner Band mit dem seltsamen Namen meldet sich am 13.1. zum ersten Mal seit fast acht Jahren aus dem Studio. Doch ihr neues Album hat, obwohl sie musikalisch eigentlich sogar ruhiger geworden sind, auf Anhieb eine solche Präsenz, dass sofort alles hochgespült wird. Und so ganz waren sie ja auch nie wirklich weg. Klez.es Sänger Tobias Siebert etwa machte sich zwischenzeitlich als And The Golden Choir auch solistisch einen Namen – und nicht zuletzt natürlich als Produzent diverser Platten von Kettcars Sylt bis Sluts Alienation.

Dass Siebert sich zum Comeback der 2002 gegründeten Stammband nun plötzlich mit der eigentlich von Robert Smith patentierten Wischmop-Frisur präsentiert, ist derweil kein Zufall. Denn Desintegration weist gleich auf vielen Ebenen Querverbindungen zu The Cure auf. Schon der Albumtitel spielt deren 1989er Platte Disintegration an, den Soundtrack einer Jugendbewegung, die es übrigens auch in Ostdeutschland gab. Und da Sound, Stimmung und Themenwahl ohnehin stark an die Meister des Genres erinnern, gehen Klez.e lieber in die Offensive und machen das Zitat deutlich, anstatt sich des Kopierens bezichtigen zu lassen. Was sich auszahlt: Auf Desintegration transportieren sie Cure-Motive wie Schwermut, Sehnsucht und Lebensmut in die Gegenwart hinein. Denn was bleibt noch von New Wave und dem, was Klez.e selbst einst damit verbanden? Texte geben Aufschluss.

Inhaltlich erweist sich das Album als eine Art Bestandsaufnahme äußerer Einflüsse der letzten Jahre auf ein modernes Seelenleben, das einst mit Bands wie The Cure sozialisiert wurde. Schon der Opener-Track Mauern schlägt eine Brücke zwischen der letzten Episode deutscher Teilung („Früher da im Osten wollte ich im Wedding sein“) und neuerlichen nationalistischen Makrobewegungen: „Ich bin der Feind euer Nationen“. Es werden Sehnsüchte einer ostdeutschen Jugend, wie Klez.e sie selbst erlebten, zu heutigen Frustrationen übertragen. Eine Stärke des Albums ist, dass sie sich dabei nicht melancholischem Gejammer hingeben, sondern Haltung wahren und in der veränderten Lebenswelt neu positionieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit Abgehängtheit umzugehen. Und sie gehen noch weiter.

„Wenn es regnet, gehen die Kinder spielen
in den Trümmern vor dem Haus
Wenn es regnet, gehen die Kinder spielen
die Drohnen bleiben aus“

Klez.e – Drohnen

Die 1989 vielleicht erhoffte Integration hat zwar nie stattgefunden, auch das mit dem Ende des Kalten Kriegs angenommene Ende der Geschichte blieb aus, was aber anhält, sind Kunst und Subkultur. Und plötzlich geschieht es, dass New Wave auch 2017 noch funktioniert. Auch wenn es Klez.e viel Kontextarbeit gekostet hat. Auf Desintegration wird die Rückkehr zu musikalischen Wurzeln zu einem wertvollen Stilelement unter vielen, denn das Album ist nicht bloß eine Paraphrase auf die Musik der Achtziger, sondern eine Neuerfindung. Am Ende ist vielleicht das einzig Nicht-Überraschende an Desintegration, dass die Platte bestens ausproduziert ist. Der Album-Sound spielt geschickt mit Präsenzebenen, und sucht das Besondere zwischen altbekannten Elementen und neuer Studiotechnik. Vielleicht könnte Tobias Siebert ja in Zukunft auch mal was von The Cure produzieren. 2017 ist noch jung und bis auf Weiteres nicht ganz hoffnungslos.

Quelle: Youtube

Titelbild: Andreas Hornoff

Russian Circles – wider die Eingängigkeit

Brachial und ohrenzerschmetternd, harmonisch und melancholisch. Russian Circles, Post-Rock-Trio aus Chicago, erfüllen die Kriterien ihres Genres und trotzen dennoch dessen Stereotypen. Im Leipziger Conne Island präsentierten sie nun ihr neuestes Werk Guidance. Mit dabei: Helen Money und das Cello.


07.11.2016, Conne Island, Leipzig

Vor wenigen Wochen noch fand sich das Conne Island als nicht wegzudenkende Institution der Leipziger Kultur- und Politlandschaft mehr oder weniger freiwillig in den Schlagzeilen der großen Verlagshäuser des Landes wieder. An diesem Novemberabend sollte der politische Diskurs jedoch einmal in den Hintergrund rücken, um stattdessen instrumentellen und sinfonieartigen Klangwerken im Post-Rock-Format eine Bühne zu bieten.

Als Support betrat zunächst Helen Money die Bühne im nahezu ausverkauften Kulturzentrum in Connewitz. Die Instrumentalistin, die eigentlich Alison Chenley heißt und im kalifornischen Los Angeles beheimatet ist, kehrte zurück zur ursprünglichen Bedeutung des Terminus der Solokünstlerin. Lediglich mit ihrem Cello ausgestattet komplettierte sie ihre Bühnenpräsenz, dies jedoch mit einer solchen Wirkung, dass man eher dazu neigte, mindestens ein Quintett vor sich zu haben. Die klassisch studierte Cellistin nutzte die ganze Bandbreite ihres Instruments und ging sogar darüber hinaus. Angeschlossen an einen Verstärker machte sie die hervorgerufenen Rückkopplungen zu ihrer Kunst, indem sie das Cello in sämtliche Richtungen manövrierte. Mit einem kleinen Dankeschön überließ sie schließlich dem Hauptakt das Podest.

Der nannte sich an diesem Abend Russian Circles. Das Trio aus Chicago offenbarte sich klanglich als noch einnehmender und kommunikativ als noch weniger redselig – wie bei ihnen üblich, verloren sie während ihres Auftritts nicht ein einziges Wort. Damit taten sie niemandem im Publikum unrecht, knüpften sie doch auf diese Weise argumentativ an ihr instrumentelles Werk an. So hielten sie sich selbst im Hintergrund und waren aufgrund der Lichttechnik nur schemenhaft zu erkennen. Nur die Silhouetten zeigten Regungen, die sich gewissermaßen an diejenigen des Publikums anschlossen.

Quelle: YouTube

So spielten sie ihr Set herunter, das nicht unwesentliche Teile ihres im August veröffentlichten Longplayers Guidance beinhaltete. Dieser Spielplan hatte es jedoch in sich. Neben den harmonisch und teils melancholisch angeschlagenen Tönen waren es vor allem die brachialen Riffs sowie der dominante Einsatz der Drums von Dave Turncrantz (für den ein Ventilator essentiell zu sein scheint), die den Raum mit einer wahnsinnigen Lautstärke und überbordender Vibration auf links drehten. Ein nicht allzu schwerwiegend anzumerkender Kritikpunkt ist somit, dass das Conne Island für das Volumen der Russian Circles eventuell etwas zu klein geriet.

Kompositorisch bewegt sich die Band ohnehin in eigenen Gefilden. Angesichts der Tatsache, dass die Chicagoer ihre Herkunft in einem der Epizentren des Post-Rocks sehen dürfen, bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig, um aus der Menge hervorzustechen. Zwar definieren sie sich vor allem durch experimentelle Songs, die meistens die Sechs-Minuten-Grenze überschreiten. Ebenso verzichten sie auf einfache Stilmittel wie das Crescendo, das letztlich kathartisch in einer Explosion mündet, sodass die Strukturen unvorhersehbar bleiben. Dennoch müssen Russian Circles Alleinstellungsmerkmale zugutegehalten werden. Diese sind wohl am ehesten darin zu sehen, dass die Band sich nicht davor scheut, sich gleich mehrerer Stilrichtungen wie allen voran dem Metal und Post-Hardcore zu bedienen und mit ihren eigenen Interpretationen in Verbindung zu setzen. Diesen charakteristischen Weg, mit dem sie düstere und emotionale Erzählungen vertonen, verfolgen sie auch in ihrem nun sechsten Studioalbum. Und damit ließen sie die an diesem Abend anwesenden Zuhörer٭innen unisono mit gedämpften Trommelfellen und imponiertem Wohlwollen zurück.

Titelbild: © Chris Strong

„Wir sind Explosionen im Himmel!“

Eine eigentümliche Geste, den eigenen Bandnamen bei der Begrüßung des Publikums gleich mit zu übersetzen. Und eine besonders liebenswürdige, sollte es doch das Einzige bleiben, was Explosions in the Sky an diesem Abend auf der Bühne sagen. Der Rest ist Musik.


20.06.2016, Huxleys Neue Welt, Berlin

Den Anfang an diesem Abend im Huxleys machen Immanu El. Die 2004 gegründete schwedische Band um die beiden Zwillingsbrüder Claes und Per Strängberg geben mit ihrer angenehmen Mischung aus Post-Rock und Dream-Pop die perfekte Einstimmung auf die Hauptband. Nicht umsonst wurden die sympathischen Schweden bereits des Öfteren mit bekannten Größen aus der Szene verglichen, darunter die Bands Logh, Ef, Sigur Rós und eben auch Explosions in the Sky. Im Unterschied zur Hauptband jedoch, liegt ein besonderer Fokus von Immanun El auf dem Zusammenspiel der Musik mit dem Gesang. Deswegen kann zwischen den Liedern auch gerne mal mit dem Publikum gesprochen werden. Fast jedem Lied folgt ein freundliches Dankeschön. Doch während die Vorband singt und spricht, bleiben Explosions in the Sky – mit Ausnahme von ihrer Begrüßung – den Abend über stumm.

Explosions in the Sky, das sind Munaf Rayani, Mark Smith, Chris Hrasky und Michael James aus Austin, Texas. Die instrumentale Post-Rock Band gibt es bereits seit 1999. Ihr Debüt-Album How Strange, Innocence (2000) hatte mit nicht mehr als 300 CD-Rs nur eine kleine Auflage und erreichte damals nur wenige Menschen. Mittlerweile gehört die Band längst zu den bekannten der Szene und spätestens nach ihrem Auftritt in der Late Show with Stephen Colbert müsste man sie auch außerhalb der Szene kennen.

Quelle: YouTube

Wenn die Remastered-Version ihres Debüt-Albums, die 2005 veröffentlicht wurde, als eine Versöhnung mit ihren ersten musikalischen Experimenten angesehen werden kann, dann haben sich Explosions in the Sky auf ihrem gerade erschienenen neuen Album The Wilderness wohl ein stückweit neu erfunden. Die wohlbekannten und für die Band typischen Crescendos und Klimaxe wird man auch hier nicht vermissen. Doch da ist auch etwas Neues. Es hört sich an wie ein kontemplatives Horchen. Als würde Stille klingen. Dabei erinnern die elektronischen Parts ein wenig an Mark Smiths Nebenprojekt Eluvium. Die Musik auf diesem Album bewegt sich nicht mehr nur in eine Richtung, sie nimmt den Raum ein, breitet sich aus und verändert ihn.

Raumdeutung durch Musik – das bekommt man heute Abend im Huxleys in Berlin zu spüren. Die Halle ist gefüllt, um die eintausend Menschen stehen verteilt, auf den Tribünen an den Seiten, dem hinteren Balkon. Als die Band anfängt zu spielen, setzt sich die Masse in Bewegung. Erst zaghaft, einige nicken mit dem Kopf, während andere zu „The Wilderness“ den Fuß auf und ab bewegen. Die Band spielt einen Song nach dem anderen, ohne zwischen ihnen eine Pause einzulegen. Ein einziges Lied ensteht, eine Musik, die langsam in den Raum eindringt, die Menschen mitnimmt und sie dazu einlädt, sich selbst im Raum zu bewegen. Auf „The Ecstatics“ folgt „The Birth and Death of the Day“, folgt „With Tired Eyes, Tired Minds, Tired Souls, We Slept“. Je länger die Band spielt, desto mehr scheint das Publikum Teil der Musik zu werden. Selbst die Lichtshow der Scheinwerfer wird nicht auf die Bühne, sondern in den Zuschauerraum geworfen. Wer nicht gedankenversunken die Augen schließt, der bekommt Lichter zu sehen, die wie Aurora Borealis in immer neuen Farben den Raum verschwimmen lassen. Es wirkt ein bisschen so, als hätten Musik und Licht sich verbündet, um Löcher in Zeit und Raum zu reißen. Colors in Space.

Hinter der Welle aus Musik und Licht verschwindet die Band. Da sind keine Rockstarallüren, da ist keine Trennung von Musikern und Publikum. Da ist nur die Musik und da sind wir. Fast erscheint es schon symbolisch, als zu „Disintegration Anxiety“ Regenbogenfarben den gesamten Raum erleuchten. Mittlerweile spielt nicht mehr nur der Geigenbogen auf der Gitarre das Crescendo. Würde man die Szenerie auf stumm schalten, könnte man an den Körpern der Menschen die Musik ablesen. Es wundert nicht, dass Explosions in the Sky von Filmkomponisten so geschätzt werden. Am Ende spielt die Band „The Only Moment We Were Alone“. Der Titel dieses Liedes scheint ambivalent. Einerseits war dieser Abend ein sehr persönlicher, das Publikum in sich selbst versunken. Aber irgendwie war er auch ein Zusammen. Und deswegen gibt es am Ende doch noch etwas von den Menschen hinter den Instrumenten zu hören: ein Dankeschön.

Titelbild: © Julia-Luise Hüske