Levin Goes Lightly vereint prägnante elektronische Klänge aus der Vergangenheit und beamt sie mit dem neuen Album in das Jahr 2017. Riecht das nicht nach nostalgischem Abklatsch? Werfen wir doch mal einen Blick zwischen die Zeilen.
„Du, Ich und die Anderen. Überall klaffen Lücken auf. Lücken in der Gesellschaft. Die Lücke zwischen meinen Vorderzähnen. Lücken zwischen digital und analog. Lücken zwischen Dir und mir und den anderen.“, sagt Levin Goes Lightly zu seinem morgen erscheinenden Album GA PS (Staatsakt). Was zuerst nach einer beiläufigen Beobachtung klingt, entpuppt sich nach einer gewissen Einwirkzeit zu einer ungeklärten Leerstelle im Zeitalter der digitalen Vernetzung.
Während Kraftwerk ihrer Zeit die Lobpreisung der Technik verkörperten, liefert Levin Goes Lightly einen psychedelisch dream-poppigen, doch ernüchterten Gegenentwurf: Bluescreen statt blauer Himmel – das Schicksal der „digital natives“, die von einer diffusen Depression eingeholt werden?
Die Grundstimmung des Albums lässt sich ohne weiteres in das melancholische Spektrum einordnen; so bereits der Vorgänger Neo Romantic (2015), der sich zugleich als schillernde, tanzbare Hommage melange an Wave-Bands erweist. Hier können die musikalischen Einflüsse noch konkreter lokalisiert werden (Joy Division, Fad Gadget, The XX) als auf dem weniger barocken GA PS, in dem sich die Lo-Fi Sounds behäbiger und linearer verquicken.
In O’Neill reihen sich Glamrock Riffs zu den elektronischen Elementen wie Perlen auf einer Schnur und gehen Hand in Hand mit den Lyrics, die Kraftwerk für die Vogue hätten schreiben können.
Quelle: YouTube
Wenn man LGL hört, hört man neben Fad Gadget und Kraftwerk auch ein bisschen Tycho, David Bowie und The Sisters Of Mercy. Subtile Bezüge, die eher entdeckt werden als sich aufdrängen wollen – und genau das macht GA PS zu einem Geheimtipp.
Einerseits: Wenn jemand oder etwas fehlt, entsteht nicht nur eine Lücke, sondern auch Schmerz. Diese aufgefächerte Thematik zieht sich als inhaltlicher roter Faden durch das Album. Andererseits: „Riss, Bruch und Lücke machen das Erotische aus“, schreibt Byung-Chul Han in seiner Monografie Die Errettung des Schönen. Das wäre vielleicht eine gute Lektüre zum Album!
Inzwischen glaubt man sich an DIE ANTWOORD gewöhnt zu haben und dennoch schaffen es die südafrikanischen Künstler immer wieder, sämtliches Augen- und Ohrenmerk jener auf sich zu lenken, die sich über den Rand des Mainstreams hinauslehnen und für provokanten Pop-Trash zu haben sind. Nachdem bereits DJ Muggs auf ihrem letzten Album mitwirkte, ist auf Mount Ninji And Da Nice Time Kid ein zweites Mitglied von Cypress Hill dabei. Ob die Liebe zum Weed die Kooperation gefestigt hat? Möglich wär’s.
Candy, Coffie, Satan. Das niedlich-böse Image von DIE ANTWOORD lässt an überdrehte Comics und die Prolls von New Kids denken. Ihre Musikvideos beginnen oft mit einem grotesken Plot. In Baby’s On Fire zum Beispiel sitzt Yolandi mit den Eltern und „Bruder“ Ninja am Tisch und dankt dem lieben Gott für Muttis Essen, ausverkaufe Konzerte in den USA und Satan – das ist übrigens der Familienhund.
Im Video zu Banana Brain bestickt die ahnungslose Mama ein Tuch mit „Jesus is die Antwoord“, während Töchterchen Yolandi Tee mit einer ausreichenden Portion Schlafpillen serviert und danach mit Bad Boy Ninja auf eine abgefuckte Rave-Party geht.
Ein Mash Up der Superlative
Sie raven und rappen auf Afrikaans sowie auf Englisch und haben darüber hinaus weitere südafrikanische Sprachen und Akzente im Repertoire. Sie drehen die Bad Boy Attitüde des Gangsta Raps gerne mal bis zum Anschlag auf und lassen zuweilen wie im Rock, Metal oder Gothic die Dämonen tanzen. Hinzu kommt das schrille Kindfrau-Image, das sich ¥o-Landi Vi$$er (im Gegensatz zu Björk) beherzt zu eigen macht. Der irritierende Bruch: Sixteen Jones, die reale, gemeinsame Tochter von ¥o-Landi und Ninja, ist ein semi-aktives Member der Crew.
Das neuste Album Mount Ninji And Da Nice Time Kid erfüllt alles, was das Herz eines DIE ANTWOORD Fans begehrt: Es wird geflucht, gequietscht, gerappt und ausgeteilt. Mit ihrer penetranten Kinderstimme spielt Yolandi wie eh und je mit Klischees und Gegensätzen. Besonders grotesk wirkt das im Track Daddy.
Der Mini-Track Wings On My Penis wurde geschrieben und gerappt von Lil Tommy Terror, der zum Aufnahmezeitpunkt 6 Jahre alt war. Im darauffolgenden Skit U Like Boobies? preist ¥o-Landi ihm die (natürlich nicht jugendfreien) Angebote des ominösen „rat hole“ an, um darauf im Tim-Burton-Kirmes-Style mit Jack Black und Ninja Rats Rule zu rappen. Hier erkennen wir, dass DIE ANTWOORD auch junge Talente zu fördern weiß.
Die Schönen und die Biester
Einerseits sehen sich DIE ANTWOORD als rats, womit sie eine Stufe tiefer wären als die underdogs, andererseits ziehen sie sich mit amerikanischen Stars wie Dita Von Teese dicke Fische an Land. Sie war bereits im Musikvideo zu Ugly Boy neben weiteren Größen aus der US-Popwelt zu sehen und ist nun auch auf dem neuen Album zu hören. Gucci Coochie erscheint wie das weibliche Gegenstück zum 2012 releasten Single-Track XP€N$IV $H1T.
Vor ein paar Jahren dissten DIE ANTWOORD Lady Gaga im Clip zu Fatty Boom Boom. Daraufhin war sie beleidigt, da sie ursprünglich DIE ANTWOORD als Tour-Support dabei haben wollte. In diesem Diss wurde wohl eher mit ihrem kolonialen Großmut als Pop-Queen und nicht mit ihrer Genialität als Popkünstlerin abgerechnet.
Dass DIE ANTWOORD einen Hang zur (Selbst-)Ironie haben, zeigt sich vor allem in ihren Skits. Im Opener des kürzlich releasten Mixtapes Suck On This rufen Yolandi und Ninja die Amerikaner zur richtigen Aussprache ihres Bandnamen auf; im Track Jonah Hill unterbrechen sie sich bei der Aufnahme, um eine sinnfreie Diskussion mit God vom Zaun zu brechen. Da fehlt nur noch Ninja, der trocken einen Pimmelwitz auf Afrikaans vorträgt.
X, Y, Zef
Seit dem Musikvideo zu I Fink U Freeky sind sie wohl zum international bekanntesten Act der südafrikanischen Zef-Culture geworden. Erfunden hat DIE ANTWOORD Zef aber nicht, sondern lediglich populär gemacht.
Ebenso wenig tauchten sie aus dem Nichts auf. Es war einmal die Kombo Max Normal, im Endstadium auch als MaxNormal.TV bekannt, in der Watkin Tudor Jones Jr. aka Max Normal aka Ninja bereits mit Yolandi Visser und Justin de Nobrega aka DJ Hi-Tek aka God agierten. Auf dem letzten Album dieser Formation sind bereits DIE ANTWOORD-typische Klänge und Flows zu vernehmen. Hier zum Beispiel ist Yolandi mit einer etwas moderateren Stimme zu hören; außerdem zitiert sie eines ihrer musikalischen Vorbilder (Marilyn Manson).
Ninja und ¥o-Landi können aber auch anders: Ihre nachdenkliche und verletzliche Seite zeigen sie in Tracks wie Donker Mag oder Darkling, der wohl der traurigste Song auf dem neuen Album ist. Romantische Rave-Songs wie I Don’t Care sind eher rar, erweitern jedoch den Blick auf das Spektrum ihres Schaffens.
Weirdo Cinema
Da DIE ANTWOORD ebenso viel Wert auf ihre visuelle Performance legen, sei zum Abschluss ihre bisherige cineastische Laufbahn umrissen.
Nachdem sie in Harmony Korines Kurzfilm Umshini Wam (2011) in creepy Pokémon-Overalls und Rollstühlen durch die Gegend trollten, erschien Neill Blomkamps Chappie (2015) in den Kinos. Hier spielten ¥o-Landi und Ninja zentrale Rollen und natürlich wieder sich selbst.
Besonders schräg (und liebenswert) wird der Film durch die Storyline, in der Ninja und Yolandi einen ausrangierten Polizeiroboter adoptieren und großziehen. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass er letztendlich nicht seine ursprünglich zugedachte Funktion erfüllt und ganz nach Mommies und Daddys Vorbild handelt.
Ist das nur Pop oder ist das auch Literatur, fragt man sich, wenn man Benjamin von Stuckrad-Barres neues Buch „Panikherz“ liest, eine romanhafte Autobiographie. Vielen gilt er als zu schnell, poppig, schrill und groupiehaft. Und überhaupt erregt es so manchen bürgerlichen Leser, dass Stuckrad-Barre mit Lesungen Hallen füllen kann, irgendwie hyperaktiv und zappelig, aber dabei auch ziemlich cool wirkt und alles wie eine riesige Show aufgebaut ist. Denn dies mag nicht so recht passen, zu diesem sonstigen deutschen Literaturbetrieb, der auch bei großartigen Werken oft etwas bieder daher kommt.
Fraglich bleibt auch zunächst, ob diese Autobiographie geschrieben werden musste. Gewiss, viele Kritiker behaupten, dies sei das Buch, das Stuckrad-Barre hat schreiben müssen, doch ob die Welt es hätte es lesen müssen, bleibt dahingestellt.
In „Panikherz“ schildert er – zwischen humorvoller Selbstironie und bitterem Zynismus – mit vielen Zeitsprüngen über Jahre hinweg seine Flucht in die Sucht nach Kokain, Alkohol und Bulimie, seinen Absturz als Mensch und Autor, der bei Veranstaltungen völlig zugedröhnt war. Es geht aber auch um Reisen, seinen Drogenentzug, die vielen Versuchungen zurückzufallen, die damit verbundenen Minderwertigkeitskomplexe gegenüber der Familie (vor allem gegenüber dem großen Bruder), aber auch um Reisen, seine enge Freundschaft mit dem Sänger Udo Lindenberg und Stuckrad-Barres Faible für Popmusik und -kultur, dem wohl insgesamt sein ungezwungener, cooler, aber auch banaler Habitus entspringt.
Damit steht er in der jungen Tradition einiger Popkultur-Schriftsteller, die seit den 1980ern vor allem die radikale und schonungslose Schilderung eines abgefuckten Ich-Erzählers predigen und praktizieren. Der meiner Meinung nach wenig kompetente Autor und Literaturkritiker Maxim Biller nannte dies vor circa einer halben Dekade fälschlich „Ichzeit“ und konstatierte, dass allein so Literatur beschaffen sein müsste; Schreiberlinge wie Biller oder Autoren, die dieser Schreibrichtung – der Begriff Schule würde diese Strömung einerseits überbewerten, aber andererseits auch unrechtmäßig homogenisieren und über einen Kamm scheren – angehören, so wie nun auch Stuckrad-Barre, sind damit zwar offen und schonungslos und erzählen manchmal auch heftige Geschichten, aber die klassischen Themen der Literatur (Intrigen, Hass, Liebe, Gesellschaftskritik etc.) gehen dabei oft unter oder werden auf ein alltäglich-banales Niveau gedrückt; vereinfacht gesagt, die omnipräsente Drogensucht versperrt in „Panikherz“ den Blick auf manch andere hintergründige soziale Schieflage – als positives Gegenbeispiel, in dem sich Drogensucht und Sozialkritik ergänzen, kann die Autobiographie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Christiane F. fungieren, obgleich diese in Relation zu Stuckrad-Barres Buch einfacher und literarisch nicht so gut geschrieben ist.
Humor und Charme kann man dem Autor und seinem neuen Werk nicht absprechen. Witzig und amüsant ist das Buch alle Male, hin und wieder sogar ein wenig tiefgründig und selbstreflexiv. Psychologisch gesehen, ist es für Stuckrad-Barre selbst ein Meisterwerk der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Für den Leser ist es eine lange Ausarbeitung von Exzessen und Entzügen auf über 550 Seiten.
Dennoch ist das Buch nicht langatmig, was primär an der unorthodoxen, manchmal auch krassen und groben Beobachtungsgabe sowie dem jovialen Schreibstil von Stuckrad-Barre, aber auch am Abwechslungsreichtum der Handlung liegt. Passagen der Drogensucht und des Versuchs der Rehabilitierung wechseln sich etwa ab mit Abschnitten, in denen vor allem die exzentrische und einzigartige Art von Udo Lindenberg oder die Schilderung eines zugekoksten und betrunkenen homosexuellen Hollywoodschnösels, der in ein paar Minuten ein paar tausend Dollar verbraucht und trotzdem gut gelaunt bleibt, für so manchen Lacher sorgt.
Somit ist „Panikherz“ ein unterhaltsamer autobiographischer Roman, hip und cool geschrieben, dessen Hype im Zuge der popkulturellen Reminiszenzen erklärbar, aber weitgehend unbegründet ist; denn qualitativ hochgradige Literatur sieht anders aus, auch wenn Stuckrad-Barres Duktus dazu beitragen kann, den Literaturbetrieb partiell zu entkrampfen.
Beitragsbild: Cover der Lesetour von Benjamin von Stuckrad-Barre. Rechte verbleiben bei Kiepenheuer & Witsch Verlag.