Schlagwort: Novelle

Das Halbdunkle im Alltäglichen

Schon lange gilt Hartmut Lange als ein Meister der Novelle – einer Gattung, die ansonsten eher selten Beachtung in den Feuilletons findet. Lange ist bekannt für seine kurzen, konzentrierten Texte mit nihilistischem Einschlag, in denen den Protagonisten irgendetwas Unbewusstes – anhand des, für die Novelle unverzichtbaren Dingsymbols – sich ein Stück weit offenbart und zum Verhängnis wird. Nun hat Lange einen neuen Band mit sehr kurzen Novellen vorgelegt, in denen es genau um das Verborgene, Tiefe, Traurige und Erschreckende im Banalen und Alltäglichen gilt. „Der Lichthof“ heißt das dünne Bändchen.


Das Buch ist eine Sammlung mit vier Novellen und dem autobiographischen Text. Die Protagonisten der vier Geschichten erleben im Grunde nur Alltägliches. Selbst die seltsamen Dinge, die ihnen widerfahren, sind im Grunde keine „unerhörten Neuigkeiten“, von denen Goethe meinte, die sie seien essenziell für diese Gattung. So lebt etwa eine Frau in einer sanierten 160-Quadratmeter-Altbauwohnung nahezu allein, da ihr Ehemann ständig auf Geschäftsreisen ist und sie, ihm zuliebe, ihre Lohnarbeit an den Nagel gehängt hat. Ihr Alltag ist äußerst langweilig und eintönig. Jedoch legt das Badezimmer einen Blick auf einen unverputzten und eigenartig scheinenden Lichthof frei, den die Frau als hässlichen Schandfleck, aber gleichzeitig als gruselig empfindet, bis schließlich ihr Mann ihr per Post eröffnet, sich unwillentlich in eine andere Frau verliebt zu haben.

Die drei kürzeren Novellen dagegen beschäftigen sich etwa mit einem in die Jahre gekommenen Theaterschauspieler, der sich nicht mehr in seine Rollen hineinfühlen kann und am Meer vergebens auf Besserung hofft. Oder aber mit einer Frau, die eine seltsame Beziehung zu ihrem Navigationsgerät aufbaut und ganz den, auch oft fehlerhaften, Anweisungen folgt – zum Ärger ihres Mannes und Mitreisenden.

Abgeschlossen wird der Band durch die autobiographische Erzählung In eigener Sache. Hier erzählt der Autor von seinem Weihnachten 1944 in Nazideutschland, von den Bombardements und wie er all dies, was um ihm herum passiert und den weihnachtlichen Zauber zerstört, als Kleinkind (noch) nicht versteht. Von da aus folgt überblickhaft seine biographische Entwicklung und ein Einblick, wie dieses Weihnachten ihn geprägt hat.

Eine geheimnisvolle Reduziertheit

Alle versammelten Texte haben also gemein, dass die Protagonisten vor irgendetwas stehen, dass ihnen unerhört scheinen mag – auch wenn es mehr oder weniger banal ist. Und genau das können sie nicht zu verstehen. Dabei sind sie stets von einem gewissen Zwang oder Fetisch erfasst, der im Halbdunkeln bleibt und dessen Ursprung sowie Bedeutung auch nicht aufgeklärt wird; sei es nun der Ehemann, der sich verliebt und dies nicht steuern kann, sondern sein Gefühl einen Zwang auf ihn ausübt (sprich, Liebe gerade das Gegenteil von Freiheit und Unabhängigkeit ist), was wiederum seine Ehefrau genauso wenig begreift, wie den scheinbaren Makel des Lichthofs (der wiederum das Einzige in ihrer Umgebung ist, das nicht gestellt wirkt, sondern authentisch in seiner Heruntergekommenheit), oder sei es der unerklärliche Fetisch für eine defektes Navigationsgerät.

Und genau das ist es, was eine gute Novelle ausmacht: das konzentrierte Erzählen eines Zwangs, eines Determinismus, der tiefenpsychologisch, mystisch, technisch oder naturwissenschaftlich sein kann, oder auch eine Mischung aus all dem, vermittelt durch einen starken Symbolismus, der das zentrale Motiv zeigt, ohne es gänzlich aufzuklären. Insofern sind Langes Texte überaus gelungen und durch das Halbverborgene auch noch spannend – so alltäglich die erzählten Erlebnisse auch sein mögen. Dieses Kriterium erfüllt Lange auch stilistisch gekonnt. Schon seine Sprache drückt eine geheimnisvolle und verdichtete Reduziertheit aus, die ahnen lässt, dass da noch mehr ist, das unaussprechlich ist für den Verstand der Protagonisten. Auch das Psychologisieren an mancher Stelle und die häufige, melancholische Nachinnengewandtheit der Charaktere erklärt nur wenig.

Das Halbdunkel im Alltag wird im Lichthof in verschiedensten Facetten fast kurzweilig und meisterhaft erzählt. Gleichzeitig ist der dahinterstehende Determinismus wohl eines der größten Probleme der Gattung Novelle selbst. Der Mensch ist stets beherrscht und kann sich, trotz aller Versuche, nicht von diesem, wie auch immer gearteten Determinismus befreien. Das macht solche Novellen allzu vorhersehbar und manchmal auch sehr konstruiert. Darüber hinaus vermittelt sich hier oft ein unfreiheitliches, resignatives (oder bei Lange: nihilistisches) Weltbild, das doch hinterfragt werden müsste. Vielleicht braucht es auch eine neue Form der Novelle.

Der Lichthof von Hartmut Lange erschien am 26. Februar bei Diogenes und hat 96 Seiten.

Beitragsbild: © Diogenes Verlag

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Kunst und kosmisches Grauen – HINAUS DURCH DIE ZWEITE TÜR

Eine Vernissage im Wald. Ein heruntergekommener Wohnwagen. Zwei Freunde, zwei Künstler: einer, dessen echtes Talent verkümmert ist, und einer, dessen Teufelspakt mit den Musen sein verkümmertes Talent echt werden lässt. In einer nur hundertseitigen Novelle erweckt Erik R. Andara die alten Meister des kosmischen Grauens zu neuem Leben und geht gleichzeitig über sie hinaus, um mit seiner Geschichte über Kunst und deren Preis auf eigenen Füßen zu stehen.


Am 29. September 2018 erschien im Nighttrain (einem Imprint des Whitetrain) die auf 100 Exemplare und 100 Seiten limitierte Novelle „Hinaus durch die zweite Tür“ von Erik R. Andara. Wer bislang noch nie von Andara gehört hat, sollte sich den Namen nun merken: sein Roman-Debüt „Im Garten Numen“ wird in Kürze erscheinen und könnte eine Renaissance der deutschsprachigen Weird Fiction befördern.

„Hinaus durch die zweite Tür“ ist rasch zu lesen und auf der Erzählebene nicht allzu kompliziert. Alles beginnt auf einer Lichtung im Wald. Alfred hat sein unbestreitbares Talent und seine gleißende Zukunft als Maler für ein geregeltes Einkommen und eine ereignislose Ehe begraben. Sein weit weniger talentierter Ex-Kommilitone Claus Patera hat zu einer Freiluft-Vernissage in der Wildnis geladen: und alles, was in der Kunstwelt Rang und Namen hat, ist gekommen.

Doch die Dinge sind nicht so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen: Claus Patera hat sich verändert, und die Lichtung ist nun Teil seiner fremdartigen und verstörenden Welt. Die Novelle lässt sich im Wesentlichen in drei Teile gliedern: Sie beginnt mit Alfreds Ankunft auf der Lichtung, geht dann in die von Claus (der nicht nur wortwörtlich sein Gesicht verloren hat) erzählte Hintergrundgeschichte über, und kulminiert in einem letzten Akt, über den ich hier nicht zu viel verraten möchte.

Erik R. Andaras Sprache ist ganz leicht schwerfällig, manchmal etwas umständlich und altmodisch, aber sie hat einen Rhythmus, einen Sog, eine geradezu magnetische Anziehungskraft. Andara versteht es meisterhaft, eine Stimmung zu erzeugen und seine LeserInnen in die Bilder (man könnte sagen: Gemälde) seiner Geschichte hineinzuversetzen. Es ist hart, das Buch zur Seite zu legen, und es verfolgt seine LeserInnen auch nach dem letzten Wort noch weiter.

Wie in Alfred Kubins „Die andere Seite“, von dem die Novelle mehr als nur einige Namen übernommen hat, geht es hier um Inspiration und um die Opfer, die Künstler für ihre Kunst zu bringen bereit sind. Sowohl der Protagonist Alfred als auch sein ehemaliger Freund Claus durchleben eine Schaffenskrise, und beide sind am Ende bereit, einen erschreckenden Preis für deren Überwindung zu zahlen. Es geht um Ambition und um Scheitern, um Talent und um den Rausch, den nur der Schaffensakt gewähren kann.

Thematisch mag die Novelle in der Tradition von „Faust“ oder „Das Bildnis von Dorian Gray“ stehen: verwandt ist sie jedoch enger mit Lovecraft und dessen besten Nachfolgern. Der zentrale Teufelspakt ist „klassischer“ kosmischer Horror, und die dichte Stimmung erinnert an die weitgehend totgesagte österreichische Phantastik.

Das Grauen der Geschichte bleibt in weiten Teilen mehrdeutig, und oft ist nicht klar zu sagen, was der Protagonist wirklich erlebt und was ein Traum ist. Die Musen und ihre Surrealität sind nur aus dem Augenwinkel zu erahnen, sie leben in der Welt zwischen zwei Lidschlägen und sind nicht wirklich fassbar: im Nebel, in den Wolken, hinter der zweiten Tür.

Die Grundidee um den Künstler und seinen Teufelspakt mit der Kreativität mag nicht komplett neu sein, aber sie wird kraftvoll und leidenschaftlich vorgetragen. Andara bleibt in manchem vage und lässt vieles offen, aber er findet gekonnt den logischen Schlusspunkt seiner Geschichte und das Ende einer Reise, die mit dem ersten Satz (in dem Alfreds größte Sorge noch der Lack seines Autos ist) beginnt.

„Hinaus durch die zweite Tür“ erschien bei Nighttrain und hat 100 Seiten.

Coverbild: © Nighttrain/Whitetrain