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„Dark Harbor“ – Retrospektive eines Nicht-Klassikers

Das postmondäne Augenmerk liegt diesmal nicht auf einer cineastischen Neuheit oder zeitgemäßen Analyse eines großen Kultfilms, sondern fischt in den trüben Gewässern von Dark Harbor (1998). Abgesehen davon, dass Alan Rickman (†) und Norman Reedus mitwirkten, haben wir es mit einem kleinen Independent Thriller zu tun, der den Anschein einer verfilmten Novelle macht, jedoch nie als Buch funktionieren würde…


Die deutsche Titelergänzung Der Fremde am Weg erinnert schon etwas an das osteoporöse Frühabendprogramm hierzulande, während der originale Untertitel A drifter. An affair. A murder an Klassiker seines Genres Tribut zu zollen scheint. Tatsächlich wird Dark Harbor eine Ähnlichkeit zu Hitchcock-Filmen nachgesagt; in wenigen auf IMDb gelisteten Kritiken werden recht einstimmig Parallelen zu Roman Polanskis Das Messer im Wasser (1962) gezogen. Tatsächlich ist der Plot ein sehr ähnlicher: Ausgangspunkt bildet ein Ehepaar, das auf bzw. am Wasser das gemeinsame Wochenende verbringen will. Wie Polanskis Paar haben Adam Coleman Howards David Weinberg (Alan Rickman) und seine Frau Alexis (Polly Walker) die besten Ehejahre hinter sich gelassen. Gleich zu Anfang kommt ein junger, attraktiver Mann (Norman Reedus) ins Spiel, dessen Name und Herkunft unerwähnt bleiben. Während dieser junge Mann in Das Messer im Wasser als grünschnabeliger Tramper in Erscheinung tritt, wird er in Dark Harbor verletzt am Straßenrand aufgefunden und schließlich von den Weinbergs mit zum Hafen genommen.

„(…) Zunächst unbemerkt beginnt der geheimnisvolle Fremde ihr Leben zu untergraben: David und Alexis befinden sich plötzlich in einem gefährlichen Spiel aus Sex und Verrat – nichts ist mehr so, wie es war! Was geschieht mit Ihnen…?“ (Quelle: MCP Sound & Media)

Die deutschsprachige Filmzusammenfassung auf dem DVD-Cover lässt irgendwie zu wünschen übrig, fügt sich aber wunderbar in die einfältige Pathetik, die wir schon in der Phrase Der Fremde am Weg vorgefunden haben. Was hier zu einer billigen Sensation verkommt, wird im offiziellen Trailer hingegen zu einem regelrechten Horrorevent aufgeblasen:

(Quelle: YouTube)

Que(e)rverweise

Spannend ist er allemal, doch Dark Harbor kommt und geht auf leisen Sohlen und hebt sich im Verlauf der Story von seinem polnischen Vorbild aus den Sechzigern deutlich ab. Er spielt mit den Erwartungen des Zuschauers und lässt sich mit der Herausstellung des Motivs bis zum Schluss Zeit. Coleman Howards Dreiecksdrama entpuppt sich als Schauspiel im Schauspiel, wobei es ein wenig an Sidneys Lumets Verfilmung des amerikanischen Theaterstücks Deathtrap erinnert. Das play-within-a-play ist jedoch nichts Neues – Agatha Christies Mousetrap wäre ein älteres Beispiel, das wiederum von Shakespeares Hamlet inspiriert wurde.

„Alan Rickman and Polly Walker are perfect as the cou-ple [sic] whose lives are empty of everything except material things and Norman Reedus continues to prove he is so much more than a pretty face“, schrieb Deena Juras anlässlich des damaligen Hamptons International Film Festivals. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der theatererfahrene Alan Rickman als David Weinberg gecastet wurde. Norman Reedus hingegen hatte bis dato vordergründig als Model Karriere gemacht und sollte erst ein paar Jahre später zu einem Exportschlager der US-amerikanischen Popkultur heranwachsen; seine aktuelle Dachmarke ist die Rolle des Daryl Dixon in der beliebten TV-Serie The Walking Dead. Ob Reedus für die Rolle des Fremden gezielt ausgesucht worden war? Eine spezielle Szene erweckt den Verdacht. In dieser verschmelzen Catwalk mit Bühne und ein amerikanischer Pop-Mythos wird in queer konnotierten Trash transformiert: Ein relevantes männliches Idealbild – hier verkörpert durch Inzwischen-Mythos Norman Reedus – vermischt sich mit einem relevanten weiblichen. Die Performance einer transvestierenden Marilyn Monroe mit Veilchen ist sowohl absurd als auch anziehend, denn sie bedient sich klischeehafter Elemente, ohne aber das gängige Transvestiten-Klischee zu reproduzieren.

(Quelle: YouTube)

Bevor ich fortfahre und des unangekündigten Vorwegnehmens bezichtigt werde: Wer Dark Harbor spoilerfrei erleben will, sollte diesen Abschnitt lieber überspringen!
Der Plot ist klassisch: Es ist das verflixte siebte Jahr, die Ehe der Weinbergs ist merklich zum Scheitern verurteilt und das Hinzukommen des Fremden wirkt dem nicht sonderlich entgegen (anders als in Tom Tykwers 3, in dem ein Paar seine Beziehung öffnet). Während Alexis‘ Interesse für den jungen Mann stetig aber vorsichtig wächst, scheint ihr Ehemann seine Anwesenheit höchstens zu billigen. Der Fremde weckt Erinnerungen und Sehnsüchte in ihr, denen sie nach einem verheerenden Streit mit David schließlich nachgibt – was sich als fatal herausstellt.

Dem Zuschauer wird bis zum letzten Viertel vorgegaukelt, das Spiel einigermaßen zu durchschauen; der Twist allerdings bringt das vertraulich erscheinende Konstrukt zum Einsturz: Der geschickt als Suizid getarnte Mord an der Ehefrau stellt sich als von langer Hand geplanter Coup heraus, den David Weinberg und der junge Mann offenbar unternommen haben, um an das Erbe der Frau – das Haus auf der Insel – zu kommen. Den Verdacht, dass die beiden Männer bereits vor Beginn der Erzählung ein heimliches Paar gewesen sein mussten, erweckt die unmissverständliche Schlussszene. Eine solche Auflösung war 1982 in Deathtrap noch mutig (siehe Aids und Homophobie) und wäre in Das Messer im Wasser undenkbar gewesen – wohingegen sie in Dark Harbor keinen diskursiven Gegenstand mehr darstellt. Darüber hinaus entlarvt die letzte Sequenz die beiden Figuren gewissermaßen als Schauspieler, die aber in diesem Augenblick ihre Rollen bereits abgelegt haben. Polly Walkers Alexis dürfte diejenige gewesen sein, die sich gegenüber dem Zuschauer am durchgängigsten offenbart hat.

Gut gelöst: das narrative Dilemma des Unscheinbaren

Er mag beim ersten Sehen etwas zäh und irgendwie absurd wirken. Vielleicht liegt es daran, dass wir es eher mit einem Kammerspiel als mit einem gewöhnlichen TV-Thriller zu tun haben, vielleicht liegt die Ursache aber auch woanders. Dark Harbor – Der Fremde am Weg birgt eine Qualität, die in einer erzählerischen Cleverness liegt und sich zunehmend, also beim wiederholten Schauen, erschließt. Vereinzelte irritierende Momente, die zuerst den Anschein von inkonsequenter, unbeholfener Erzählung gemacht haben könnten, fügen sich plötzlich wie passende Puzzleteile zwischen die Zeilen ein. Die Distanz zwischen dem Zuschauer und den Figuren wird dabei nur bedingt kleiner, doch die Machenschaften an sich werden entschlüsselbar: Jedes Wort und jede Geste wird zu einem potenziellen Träger verborgener Botschaften. In Form eines Buches wäre diese Art des Erzählens nicht möglich, da der Leser auf die Momente, auf die es ankommt, irgendwie verwiesen werden müsste.

Die szenische Umsetzung Dark Harbors vermeidet es bis zur Auflösung, den Zuschauer mit der Nase auf die entscheidenden Augenblicke zu stoßen (darauf muss er schon selbst kommen!); die Zurückhaltung liegt nicht in der Narration selbst, sondern bei den Figuren. Die Rezeption dieses Films ist meiner Meinung nach eher mit der Rezeption eines Kunstwerks vergleichbar, dessen eigentlicher Gegenstand der Kommunikation sich erst bei intensiverer Auseinandersetzung offenbart: Der Zuschauer muss sich erst die Geschichte, dann den eventuellen Hergang erarbeiten. Alternativ kann man Dark Harbor – dreht es sich doch im Grunde um Liebe, Versuchung, Tod und Auferstehung – wie einen gewöhnlichen arte-Film anschauen und sich dabei einfach zurücklehnen.

Titelbild: Screenshot aus „Dark Harbor – Der Fremde am Weg“, MCP Sound & Media