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„Schwesterlein“ – nicht ohne ihr Brüderlein

Nina Hoss und Lars Eidinger arbeiten sich im Schweizer Wettbewerbsbeitrag „Schwesterlein“ von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond der 70. Berlinale an existenziellen Themen wie Kreativität als Lebenskraft, dem besonderen Band zwischen Geschwistern und der Angst, Abschied zu nehmen, ab und glänzen im einfühlsamen Spiel miteinander.


Lisa (Nina Hoss) ist Dramaturgin, kann jedoch seit der Leukämiediagnose ihres Zwillingsbruders Sven (Lars Eidinger) nicht mehr schreiben. Sie lebt mit ihrem Mann Martin (Jens Albinus) und ihren zwei Kindern in der Schweiz. Dort leitet Martin ein Eliteinternat. Lisa lenkt sich mit den Pflichten, die sich daraus für sie ergeben, mehr oder weniger erfolgreich von ihrer Kreativitäts- und Schreibblockade ab. Ihr Bruder Sven ist der Star der Schaubühne, Publikumsliebling und nicht zuletzt in seiner Paraderolle als dänischer Prinz Hamlet ein Garant für ein volles Haus. Der Wille, als Hamlet auf die Bühne zurückzukehren, treibt Sven an, gegen seine Krankheit zu kämpfen. David (Thomas Ostermeier) – seines Zeichens Regisseur der Schaubühne – probt derweil das Stück mit der Zweitbesetzung. Lisa glaubt wie ihr Bruder an seine Rückkehr auf die Theaterbühne und versucht ihn gesund zu pflegen. Nach einem erneuten Zusammenbruch und der Verschlechterung von Svens gesundheitlicher Verfassung, müssen beide jedoch die Realität akzeptieren. Lisa findet dadurch zurück zum Schreiben und Sven die Kraft mit dem Kämpfen aufzuhören.

David (Thomas Ostermeier) und Lisa (Nina Hoss), © Vega Film 

Schwester und Bruder gegen den Rest

„Schwesterlein“ beleuchtet eine ganz besondere Geschwisterbeziehung. Zwillinge, die ohne einander nicht können – die beiden gegen den Rest. Ihre Mutter (Marthe Keller): eine ich-bezogene, verhuschte und wenig bodenständige Frau, die einst selbst Schauspielerin war und nun dem politischen Theater Brechts nachtrauert. Lisa und Sven waren also schon immer auf sich gestellt und mussten sich gegenseitig Halt geben, um nicht unterzugehen. Auch dem Regisseur der Schaubühne treten die beiden entgegen. Dieser zweifelt an der Genesung Svens und lehnt seine Rückkehr auf die Bühne ab. Später streicht er sogar die geplante Wiederaufnahme Hamlets und setzt das Stück ab. Niemand scheint die beiden so zu verstehen, wie sie einander verstehen. So versteht auch niemand, dass Sven nicht gesund werden muss, um auf die Bühne zurückzukehren, sondern eben auf die Bühne zurückkehren muss, um gesund zu werden. Die zwei Minuten jüngere Schwester Lisa kümmert sich aufopferungsvoll um ihren „großen“ Bruder. Tut alles für ihn, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für ihr eigenes Leben.  Schlussendlich kann sie nur tun, was sie seit der Diagnose ihres Bruders nicht mehr tun konnte: Sie schreibt. Für ihn.

Sven (Lars Eidinger) als Prinz Hamlet, © Vega Film

Déjà-vu in einer parallelen Realität

Zu Beginn des Films wirken das Ensemble sowie der Schauplatz, die Schaubühne am Lehniner Platz, befremdlich real. Zu bekannt ist alles. Lars Eidinger spielt Sven, der Hamlet unter der Regie von David, also Thomas Ostermeier, an der Schaubühne spielt. Oder ist Sven doch einfach Lars Eidinger, der im realen Leben Hamlet an der Schaubühne spielt? Man könnte sich hier lange aufhalten und schwadronieren, wie viel Lars Eidinger in Sven, wie viel Thomas Ostermeier in David oder Nina Hoss in Lisa steckt, doch zielt dieses Spiel zwischen den Ebenen auf mehr ab, als Verwirrung beim Publikum zu stiften und Online-Publikationen Futter für Schlagzeilen à la „Selbstdarsteller Eidinger spielt sich selbst“ zu bieten. Es zeigt, wie sehr sich Fiktion und Realität in der Kunst verschränken. Wie sehr Kunst – und in Svens Fall das Schauspiel – kräftezehrend ist, aber gleichzeitig absolute Lebenskraft und -mut bedeutet. Dass die Realität ohne die Fiktion, also der Schauspieler und die Dramaturgin nicht ohne die Kunst sein können und zugrunde gehen. Wäre Sven als Hamlet genesen? Auf der Bühne kann ein٭e Künstler٭in unsterblich werden, doch was ist, wenn ein٭e Künstler٭in auf der Bühne stirbt?

Berührende Vertrautheit der Protagonist٭innen

Bleibt noch die überragende Schauspielleistung der Protagonist٭innen zu betonen. Unheimlich ehrlich und ernsthaft, stark und gleichzeitig verletzlich. In einem Moment erlebt man, wie Sven eine angsteinflößend reale Panikattacke beim Gleitschirmfliegen erleidet, dass sich selbst bei höhenerprobten Menschen kalter Angstschweiß auf der Stirn bildet, und im anderen Moment durchlebt man den kompletten Nervenzusammenbruch Lisas vor einem Krankenhaus-Kaffeeautomaten. Besonders beeindruckend ist, dass die beiden nicht nebeneinander, sondern eben miteinander spielen. Kleine, subtile Gesten und kurze Blicke, die sich die beiden zuwerfen, vermitteln eine Vertrautheit, eine Art Seelenverwandtschaft, die man selten so ernsthaft und frei von Kitsch gesehen hat. Eine der wohl rührendsten Szenen des Films zeigt genau das: Lisa umsorgt ihren Bruder, während dieser sich völlig erschöpft und betrunken übergibt. Sven wiederum sorgt sich um seine kleine Schwester Lisa. Sagt, weinend, kindlich hilflos, doch absolut ehrlich: „Du bist doch mein Schwesterlein, oder? (…) Ich muss auf dich aufpassen.“

Die Premiere fand 24.02.2020 im Rahmen der 70. Berlinale als Teil des offiziellen Wettbewerbs statt. Seinen Kinostart hat „Schwesterlein“ am 29.10. Bis dahin gibt’s schonmal den Trailer:

Quelle: YouTube
Titelbild: © Vega Film

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Liebe, Drama, Wahnsinn – lite.

Yasmina Rezas „Bella Figura“ bietet pausenlose Trostlosigkeit in atemberaubender Langeweile. Hundertfünf Minuten lang. Was in „Gott des Gemetzels“ begeistert, fehlt hier: Spannung. Da hilft auch kein Thomas Ostermeier.


In ihrem Stück „Bella Figura“ bringt Yasmina Reza den faden Alltag in die Schaubühne. Dabei bekommt sie Unterstützung von: Thomas Ostermeier .

Mit der Erfindung des Autos entstand der Autounfall und mit dem Aufkommen der Ehe der Ehebruch. Soweit nichts Neues. Dass ein kleiner Autounfall dann dazu genutzt wird, den Ehebruch ans Licht kommen zu lassen, wirkt hingegen an den Haaren herbeigezogen.

Zu Beginn des Stückes blicken die Theaterbesucher٭innen auf einen Kleinwagen. In ihm sitzen Boris (Mark Waschke) und seine Affäre Andrea (Nina Hoss) auf dem Weg zu einem Restaurant. Als Boris erwähnt, dass seine Ehefrau ihm die Adresse einst für ein Geschäftsessen empfohlen hatte, kommt es zum Streit zwischen den beiden. In den nächsten Minuten erhalten die Zuschauer٭innen Einblick in das trostlose Leben eines fast bankrotten Kleinunternehmers und die Zerrissenheit einer tablettenabhängigen, alleinerziehenden Mutter. Eigentlich eine Spannung versprechende Ausgangssituation.

Doch als die beiden wieder ins Auto steigen und Boris wutentbrannt aufs Gas tritt, passiert es: Die Langeweile bricht aus. Das Ausparkmanöver auf dem Restaurantparkplatz und eine alte Dame, die von Boris angefahren wird, müssen dazu herhalten, der Geschichte drei weitere Protagonist٭innen hinzuzufügen.

Nach einer Schrecksekunde stellen sich alle einander vor. Die Angefahrene, aber unverletzte heißt Yvonne (Lore Stefanek), die in Begleitung ihres Sohnes Erik (Renato Schuck) und dessen Frau, Francoise (Stephanie Eidt) ihren Geburtstag feiert. Kaum erblicken sich Francoise und Boris, wird klar, dass sie die beste Freundin seiner Frau ist, die er ja nun gerade hintergeht. Wem dies noch nicht konstruiert genug erscheint, der bekommt nun noch eine Extraportion. Nach einem kurzen Wortgemenge entscheiden die fünf sich nämlich nun, gemeinsam in das Restaurant zu gehen, auf dessen Parkplatz sie sich grade kennengelernt haben.

Im Laufe der folgenden Szenen, die mal auf der Toilette (Toilette auf Bühne) des Restaurants und mal am gedeckten Tisch (Tisch auf Bühne) spielen, treten alle anwesenden Personen gedanklich auf der Stelle und machen einander reihum für die verworrene Situation verantwortlich. Boris lamentiert über seinen bevorstehenden Bankrott, Andrea über Boris, Francois darüber, ob sie ihrer besten Freundin erzählen muss, was sie grade erlebt, und Erik darüber, dass er es niemandem recht machen kann. Einzig der Mutter Yvonne ist es zu verdanken, dass die Szene nicht gänzlich den Charakter einer Vorabendserie bekommt. Fast in letzter Minute wird ihre Demenz dazu genutzt, um etwas Schwung in die schon tausendfach gehörten Gespräche zu bringen. Indem sie Andrea schonungslos vor den Schrecken des Alterns warnt und Francoise unverblümt ihre Abneigung offenbart, irritiert sie gelegentlich die öde Situation.

Alles in Allem erlebt das Publikum eine 105 Minuten lang dahinmäandernde Geschichte voll Tristesse. Die Figuren erleben keinerlei gedankliche Entwicklung und es wird auch keine Gewissensfrage herausgearbeitet, die das Publikum mit nach Hause nehmen könnte. Einzig Andrea bemerkt in der Schlussszene, dass sie ihr Leben lang auf der Stelle getreten hat.

Der wesentliche Unterschied zur Soap scheint darin zu bestehen, dass es keine Pause gibt. Es drängt sich die Frage auf, ob es einem nicht selbst ergehen wird, wie Andrea, wenn man sich nicht gedanklich fordern lässt.

Daran kann weder der engagierte Einsatz von Nina Hoss, Mark Waschke, Stephanie Eidt, Renato Schuch und Lore Stefanek, noch die Videoinstallation, die den Bühnenhintergrund bespielt, etwas ändern.

Titelbild: © Arno Declair