Schlagwort: Neue Musik

Voodoo trifft Post-Punk. Willkommen im YUM YUM CLUB

Wo sich Lo-Fi, Psychedelic, Krautrock, Noise, Bläser und wilde Percussions gute Nacht sagen: YUM YUM CLUB präsentieren ihr Debütalbum FULL HD.


Julian Knoth, bekannt durch DIE NERVEN, und sein Bruder Philipp Knoth, vor allem bekannt durch Karies, haben sich die zwei Multi-Instrumentalisten Paul Albrecht aka Sloe Paul und Mari Schwingel geschnappt und ein neues Projekt gegründet: den YUM YUM CLUB. Selbst produziert, gemischt von Max Rieger (auch DIE NERVEN) erschien diese Woche FULL HD: ein genauso irritierendes wie berauschendes Debütalbum von YUM YUM CLUB.

Irritierend ist die Platte schon von außen. Wie kann etwas so sehr vor Lo-Fi und Noise triefen, das FULL HD heißt? Und sind für ein musikalisch so breit aufgestelltes Projekt wirklich ausgerechnet die kulinarisch eintönigen Yum Yum Noodles namensgegebend? Und wer führt auf dem verpixelten Cover eigentlich wen spazieren? Der Hund die Drohne oder die Drohne den Hund?

Nach Lektüre des Albums erscheint der öffentliche Auftritt jedoch stimmig zum Hörerlebnis. Dargeboten wird ein entgrenzter, verspielter Post-Punk. Beklommen und selbstbewusst. Weltabgewandt und tanzbar. Während die Geschwisterprojekte, vor allem DIE NERVEN, zuletzt immer sortierter klangen, geht YUM YUM CLUB zurück zu den rohen Wurzeln. FULL HD klingt, als hätten die CLUB-Mitglieder ihr Streben bis zu diesen Wurzeln zurückgeschnitten und als wären ihre musikalischen Triebe nochmal völlig neu ausgeschlagen. Nicht wirklich zur Sonne, sondern eher in die Breite, zu anderen Genres.

Hier trifft Lo-Fi auf Percussions, Synthie- treffen auf Bläser-Spuren und Voodoo-Chöre. Manche Songs wie der nichtmal einminütige DER HUND SIEHT AUS WIE EIN SCHAL brechen wütend aus. Andere versinken in ständig wiederholten, ängstlichen Parolen (HEUTE NICHT RAUS). Dann wieder gibt es experimentelle Songs wie ALLES TOT, der fast nach Mariachi klingt. Das Krautrock-Outro SAUBERMANN rundet den Eindruck ab, viel erlebt und wenig verstanden zu haben. So als hätte FULL HD den Soundtrack zu einem Film präsentiert, den man nicht kennt – der aber fantastisch sein muss.

Apropros Film, auch visuell ist die Band durchaus überfordernd – YUM YUM CLUB mit ihrem Musikvideo zu SECURITY MANN:

Quelle: YouTube

Das Album FULL HD der Band YUM YUM Club erschien am 28.7.23 bei tomatenplatten und hat 12 Tracks.

Coverbild: © YUM YUM CLUB / Tomatenplatten

 

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Last Night in the Bittersweet von Paolo Nutini

Lange war es still um den schottischen Künstler Paolo Nutini. Ganze acht Jahre sind vergangen seit seiner letzten Veröffentlichung. Im Juli meldete sich Nutini mit einem Album und Sound zurück, mit dem wohl niemand gerechnet hat. Über einen Künstler, der sich ständig weiterentwickeln will und dies auch kann.


Paolo Nutini ist zurück. Nach „These Streets“ (2006), „Sunny Side Up“ (2009) und „Caustic Love“ (2014) veröffentlicht Nutini sein viertes Studioalbum „Last Night in the Bittersweet“ (2022). Und man darf sagen: endlich! Acht Jahre musste man sich in Geduld üben. Nicht zum ersten Mal, denn Paolo Nutini ergibt sich nicht dem gewohnten Release-Rhythmus von zwei bis drei Jahren. Er nimmt sich Zeit. Nutini möchte sich weiterentwickeln und nicht wiederholen. Das, so viel sei schon vorab verraten, ist ihm mehr als nur gelungen. „Last Night in the Bittersweet“ ist eine 72-minütige in 16 Songs verpackte Masterclass, die sich so leicht nicht in Worte fassen lässt. Aber einen Versuch ist es wert.

Das Album eröffnet mit unerwarteten Klängen: In „Afterneath“ baut sich die Musik bedrohlich schleichend auf, durchsetzt von Klagerufen Nutinis, gefolgt von einem Sample von Patricia Arquette aus Tarantinos „True Romance“ (1993) sowie Beatnik-Poesie. Das ist erst einmal eine Ansage! Mit „Radio“ folgt eine melancholische Ballade, die ganz unaufgeregt daherkommt und gleichzeitig entwaffnend ehrlich ist.

Radio (Live In The Bittersweet)

Gemeinsam mit „Through the Echoes“ spannt „Radio“ eine verbindende Brücke zum 2014 erschienen Album „Caustic Love“. Sie bieten sicheres Geleit für die Hörer*innen ins neue Album, um dann sofort Platz zu machen für basslastigen Post-Punk-Sound („Acid Eyes“) und mit „Lose It“ Krautrock wieder aufleben zu lassen.

„Lose It“ bei Later with Jools Holland vom 11.6.2022

In der zweiten Hälfte lässt sich Nutini weiter treiben durch die weite Welt der Musik-Genres: Von Fleetwood-Mac-/Stevie-Nicks-Hippie-Rock („Children of the Stars“) über New-Wave-Pop („Petrified in Love“) bis hin zur Piano-Ballade „Julianne“, die ganz im Stile Paul McCartneys ist. Dieser Sound-Mix dürfte eigentlich nicht funktionieren und wenn dann nur in Form eines Compilation-Albums. Doch „Last Night in the Bittersweet“ funktioniert. Gut sogar. Sehr gut. Denn alles wird von zwei Dingen zusammengehalten: viel Emotion und Paolo Nutinis Stimme.

„Through the Echoes” bei Later with Jools Holland vom 11.6.2022

Und das Album funktioniert auch live. Auf der Bühne ist die Transformation des Künstlers sogar noch deutlicher zu sehen. 2007 stellte Rod Stewart in einer BBC-Dokumentation, die Nutini auf US-Promo-Reise seines ersten Albums „These Streets“ begleitete, fest: „He’s a bit awkward on the microphone at the moment. (…) He’s got to look at the audience more.“ Nutini hat damals noch fast ausschließlich vorneübergebeugt (man kann es nicht anders sagen) und mit geschlossenen Augen gesungen. Im Laufe der Jahre hat er sich aufgerichtet und angefangen, auf der Bühne zu tänzeln, das erinnerte aber eher an den etwas hüftsteifen Onkel auf einer Hochzeitsfeier. Und 15 Jahre später?

Als Paolo Nutini am Montagabend, den 26.9.2022, die Bühne des ausverkauften Leipziger Täubchenthals betritt, ist von Unbeholfenheit am Mikrofon nichts mehr zu sehen. Völlig gelöst, grinsend von einem Ohr zum anderen, steht und tanzt Nutini über die Bühne, hält lange und intensiven Blickkontakt mit dem Publikum. Als hätte dieses Album auch für die Liveshows eine Befreiung gebracht. Nutini und seine grandiose Band haben sichtlich Spaß an dem, was sie tun. Und das Publikum dankt es ihnen lautstark.

© Shamil Tanna / Atlantic Records UK

Am Ende des Konzertabends sitzt Paolo Nutini allein auf der Bühne: ohne Backdrop, ohne Video im Hintergrund, ohne Lichteffekte, ohne Band. Nichts lenkt ab, nichts, womit er konkurrieren müsste aber auch nichts, hinter dem er sich verstecken könnte. Er beendet den Abend wie auch das Album mit „Writer“, dem wohl persönlichsten Lied des Albums. „This is as honest as I can possibly be”, erklärt Nutini. Und das geht am besten mit der Akustikgitarre und dieser einzigartigen Stimme.


„Last Night in the Bittersweet“ erschien am 1. Juli 2022 bei Warner.

Titelbild: © Last Night in the Bittersweet, Shamil Tanna / Atlantic Records UK 

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