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Glaube Liebe Hoffnung. Horváths kleine Denkanregung

Dem Maxim Gorki Theater ist ein beeindruckend unaufgeregter Totentanz gelungen. Oder sollte man sagen bedrückend?

„Ich lebe, ich weiss nicht wie lang,
Ich sterbe, ich weiss nicht wann,
Ich fahre, ich weiss nicht wohin,
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.“

 

Am 13. Januar feierte „Glaube Liebe Hoffnung“ Premiere im Maxim Gorki Theater. Das zugrunde liegende Drama Ödön von Horváths erschien 1932 und im Grunde nimmt dessen Untertitel „Ein Totentanz in fünf Bildern“ bereits einiges der Handlung vorweg, die um Elisabeth, eine junge Frau, kreist. Dabei hat Elisabeth streng genommen bloß ein bürokratisches Problem. Sie ist lebensfroh, und um sich über Wasser halten zu können, möchte sie arbeiten. Um dies zu dürfen, benötigt sie einen Wandergewerbeschein. Der kostet eine Gebühr, die sie aktuell, vor allem bedingt durch den Tod ihres Vaters, nicht aufbringen kann. Es gibt für sie vier Optionen. Sie könnte einen Mann finden, der sie aus Liebe finanziert. Sie könnte einen Arbeitgeber finden, der ihr den Wandergewerbeschein vorfinanziert, bei dem sie diesen abarbeiten kann. Sie könnte ihren Körper nach ihrem Tod zu Forschungszwecken dem Anatomischen Institut vermachen und dafür zu Lebzeiten auszahlen lassen. Sie könnte illegal ohne Wandergewerbeschein arbeiten.

Die Optionen sind unterschiedlich gut und weil sie diese in der falschen Reihenfolge durchgeht, ist sie gezwungen, gleich alle zu verwirklichen – mit mittelmäßigem Erfolg: Da sie zunächst illegal tätig ist, wird sie zu einer Geldstrafe verurteilt. Um diese abzuzahlen, muss sie ehrliche Arbeit aufnehmen, in der sie sich wiederum für einen Wandergewerbeschein verschulden muss. Da ihre Gesamtschulden nun so hoch sind, dass ihr Gehalt nicht zum Überleben ausreicht, sucht sie das Anatomische Institut auf. Hier beginnt das Stück.

Mehmet Ateşçi & Sesede Terziyan in „Glaube Liebe Hoffnung“, Regie: Hakan Savaş Micans, © Ute Langkafel

Anstatt Elisabeths wechselhaftes Leben facettenreich zu erzählen, konzentriert sich die Handlung auf Momente, in denen sie langsam aber sicher aus diesem herausgezogen wird. Sie selbst hält sich zwar tapfer mit Glaube, Liebe und Hoffnung über Wasser, doch einmal in den Schlingen der Bürokratie verfangen, kann einem auch die wohlgesonnene Gesellschaft um einen herum nicht mehr helfen. Immerhin fehlt ihr ja ein Dokument. Und schließlich haben alle dabei etwas zu verlieren – und sei es nur die Karriere. So trifft sie auf Personen, die ihr zwar Mitleid und Wohlwollen entgegenbringen, und ihr wäre ja durchaus zu helfen, doch am Ende verspricht sich eben niemand einen persönlichen Vorteil davon. Was das Drama zu einem Stück über Verantwortung und die Bedingungen von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft macht.

„Ohne Glaube Liebe Hoffnung gibt es logischerweise kein Leben. Das resultiert alles voneinander.“

 

Der Originaltext ist bereits so prägnant, dass die Inszenierung noch nicht einmal in guter Gorki-Manier auf progressive Überspitzungen zurückgreifen muss. Dass das Fehlen des Wandergewerbescheins in diesem persönlichen Drama völlig austauschbar gegen heute begehrtere Dokumente wie eine Arbeitserlaubnis oder Aufenhaltsgenehmigung ist, wird auch so deutlich. Das entzeitlichte Bühnenbild hilft dennoch. Die entfremdeten, zum Publikum gewandten Dialoge erhöhen ebenfalls die Offenheit des Stoffs, musikalische Unterbrechungen dessen Ertragbarkeit. Manchmal fehlt zum Glück bloß ein bestimmter Papierfetzen. Im Gorki und unter der Regie Hakan Savaş Micans wird weder groß moralisiert noch dramatisch aufgeblasen, sondern bloß dahingestellt – was die Inszenierung auf subtilste Weise ins epische Theater verlagert. Irgendwie wird deutlich, dass die Charaktere auf der Bühne sich zwischenmenschlich nicht mit Ruhm bekleckern, und das ungute Gefühl macht sich breit, man müsste sich eigentlich dazustellen. So verbleibt die Inszenierung im Kopf ihres Publikums als kleine Denkanregung. Horváth wird sie damit mehr als gerecht.

Zitate: Ödön von Horváth – „Glaube Liebe Hoffnung“
Titelbild: © Esra Rotthoff

Schiller lesen oder ich schieße! Verrücktes Blut

„Verrücktes Blut“, ein Theaterstück, das Schiller, freche Prolls und eine Lehrerin mit kriminellen Energien zusammenbringt, um vorzuführen wie Bildung funktionieren kann.


Am Mittwoch dem 3.2. hatte ich die Möglichkeit die wohl letzte Aufführung von Verrücktes Blut von Nurkan Erpulat und Jens Hillje zu sehen – nicht irgendwo, sondern im Gorki Theater. Was ich sehen würde, wusste ich so ungefähr: Es sollte um Schiller gehen und um eine Lehrerin, die am Ende ihrer Nerven kurzerhand zu der von einem ihrer Schüler mitgebrachten Pistole greift und unter ständiger Androhung von Schüssen ihren Zöglingen richtiges Deutsch beibringt – Schiller muss korrekt zitiert werden und auch die vielfach verwendeten Schimpfwörter werden akkurat ins Hochdeutsche übersetzt.

Das Stück startet also, vielleicht wenig überraschend, mit plattem Rumgerotze und den obligatorischen Griffen in den Schritt. So wird man schnell mit den Schauspielern vertraut, die die nächsten Minuten nutzen, um unter Beweis zu stellen, um was für fürchterliche Schüler es sich bei ihnen handelt. Sie drangsalieren sich gegenseitig, rufen sexistische Schimpfwörter durch den Klassenraum und beleidigen ihre geschändete Lehrerin Frau Kehlich. Diese legt eine solipsistisch anmutende Performance hin, indem sie dem Lärm zum Trotz in ihrer stets wegbrechenden Stimme konsequent Schiller vorliest. Eine Szene, die sich zumindest jeder angehende Lehrer bereits einmal ausgemalt haben dürfte. Die humorbefreiten Theaterprofis in der ersten Reihe scheinen unbeeindruckt, mithin leicht verstört von Lautstärke und der Menge von Speichel, die auf der Bühne abgesondert wird.

Doch auch sie wurden abgeholt: Denn es folgt ein kontrastreicher Bruch, als das prollige Gesindel plötzlich mit Engelszungen „Kam ein Vöglein geflogen“ performt. So schön, dass ich sofort in alten Erinnerungen schwelge, Erinnerungen an ein fernes Heimatland, Dörfer, Kühe und Weiden – Erinnerungen, von denen man nicht recht sagen kann, ob sie aus der Kindheit oder doch von Rosamunde Pilcher stammten. Wo sich die wilde Horde prolliger Schüler gerade noch an die Gurgel ging, stehen sie nun kerzengerade und singen manierlich, geradezu fromm, so als hätten sie nie etwas anderes getan. Nach diesem und weiteren Chor-Einlagen, wird man stets unsanft in die harte Realität des Schulalltags zurückgeworfen, in dem eine ambitionierte Lehrerin nicht gegen die schändlichen Schüler ankommt, deren größtes Vergnügen es ist, sich zu beschimpfen und in der Gegend herumzurempeln, immer am Rande der Eskalation. Als es zu dieser kommt, tritt eine Pistole ins Spiel, die sich Frau Kehlich kurzer Hand schnappt und völlig in Rage, versucht ihre Schüler in Zaum zu halten. Dabei passiert es, dass sie einen der Schüler versehentlich und unter wildem Gefuchtel unsanft anschießt. Da wir den selbsternannten Obermacho aber mittlerweile ohnehin am wenigsten mögen, sympathisieren wir mit Frau Kehlich, nicht mit dem sich am Boden krepelnden Schüler, der sich auch jetzt das „du alte Schlampe“ nicht verkneifen kann.

Der Pistole sei Dank tut er dies einige Sequenzen später schon mit einer sehr viel besseren Aussprache.  Mariam, die kopftuchtragende Musterschülerin, muss dann erklären, was eine Schlampe überhaupt ist. Die Schüler werden gezwungen Kabale und Liebe und die Räuber nachzuspielen: Hämpfling Hassan muss den Macho mimen und Mariam soll rebellieren. Latifa muss ihren Erzfeind umarmen und dem ein oder anderen wird die Hose runtergezogen. Frau Kehlich freut sich über die eintretenden Fortschritte ihrer Rasselbande. Doppelzüngig zitiert sie „der Mensch ist nur dort ganz Mensch wo er spielt“ und erklärt voll Inbrunst, dass man Gewalt nicht mit Gewalt bekämpfen kann. Während sie alle drei bis vier Minuten in die Luft schießt. Schüler und Zuschauer scheinen verstört, nichtsdestoweniger: Wir hören zu. Immer wieder zwingen einem die endlosen Mühen der Schüler ein Lachen ab, wenn sie versuchen die zungenbrecherische deutsche Aussprache zu imitieren. Und dann wieder ein Lied für die Damen und Herren in der ersten Reihe.

Einen besonderen Theatermoment hat man auch, als Mariam von Frau Kehlich zur Emanzipation von ihrem Kopftuch gezwungen werden soll: Während die Lehrerin auf der Bühne sich über den Islam auslässt und die Multikulti-Kuschel Haltung verurteilt, ruft uns plötzlich auch aus dem Off ein Stimmchen zu, warum Kopftücher sinnvoll sind: „Es geht um Respekt.“ Das haben die Schüler von Frau Kehlich ja auch schon gepredigt. Wir fragen uns, ob diese kurze Einlage aus dem Publikum zum Stück gehört – wahrscheinlich nicht. Die restliche Zeit frage ich mich auch, wie das Stück bei Leuten ankommt, die es nicht (auch) als Parodie auf die deutsche Kultur verstehen.

Frau Kehlich fällt dann doch noch in letzter Sekunde auf, dass sie niemanden – auch Mariam nicht –  zur Emanzipation zwingen kann – ein echtes Dilemma – und wenige Momente später gibt sie nach einer weiteren Eskalation auf. Mariam hingegen hat jetzt erst richtig Lust zu eskalieren und ersetzt kurzerhand ihr Kopftuch durch die neu entdeckte Pistole, die nach einem wilden Gefuchtel in ihre Hände fällt. Mariam befreit sich also und legt einen wilden Tanz hin, als wären ihre Gliedmaßen elektrifizierter Pudding – natürlich hat sie auch ein besonderes Erlebnis mit ihrem Haupthaar, welches sie, zum ersten Mal frei an sich herunterbaumelnd, erblickt und lustvoll mit beiden Händen soweit es geht von der Kopfhaut aus in die Länge zieht, um es besser sehen zu können. Das nächste deutsche Heimatlied wird eingestimmt.

Letztlich dann die Wende, als Frau Kehlich erkennt: „Kanacken Selbsthass“ bringt auch nichts, die deutsche Lehrerin ist trotz Rock und biederem Dutt nämlich gar nicht so deutsch und bekennt sich zu ihrem Türkischsein. Daraufhin beschließt man Döner essen zu gehen und alles zu vergessen: Frau Kehlich und ihre wilde Bande in feinster Harmonie. Nur Hassan, das Hemdchen, rebelliert noch einmal in Räuber-Manier und möchte unbedingt Franz bleiben. Die Pistole und der schalldichte Raum begünstigen sein Vorhaben und es scheint, als ginge man in die nächste Runde von Machtmissbrauch durch Gewalt – das Stück endet und alle applaudieren als gäb es kein Morgen – vielleicht wegen der schönen Heimatlieder oder wegen des prolligen Gegrabsches oder weil beides so wunderbar harmoniert in einem Stück über Schillers Werk und seine Vorstellung von ästhetischer Erziehung.

Quelle: YouTube

© Titelbild: Thomas Aurin/www.gorki.de