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Die große Freiheit des Matt Berninger

EL VY, Astra Kulturhaus Berlin, 6.12.2015

Matt Berninger hat eine Neue. Das ist mit Mitte 40 natürlich eine Stilfrage. Aber sie wirken glücklich zusammen.


Es ist Sonntagabend in Friedrichshain, das Astra ist voll, die Stimmung ausgelassen. Erstaunlich eigentlich, dass so viele gekommen sind, um EL VY zu begutachten. Immerhin hat das Duo erst einen Monat zuvor sein Debütalbum veröffentlicht. Aber klar, die beiden sind ja keine Unbekannten, weder Brent Knopf, Gründungsmitglied von Menomena, seit 2009 Kopf des Kollektivs Ramona Falls, noch Matt Berninger. Letzterer hat mit The National ja im Grunde schon seit Jahren alles erreicht, wofür er angetreten ist. Erst haben sie diesen weichen, warmen amerikanischen Indierocksound ausgeprägt, dann etabliert. Ihre Alben der 2000er sind bereits Kult, Songs wie Bloodbuzz Ohio in gewissen Kreisen ja schon sowas wie Hymnen. Sie müssen, wie ich irgendwo gelesen hab, wohl sogar schon einmal irgendwo als Kunstinstallation ausgestellt worden sein.

Viele waren da, um gemeinsam mit EL VY deren Album Return to the Moon live zu feiern, das ja direkt eingeschlagen ist. Ich dachte mir, ich probiere es mal andersherum und hör mir die Lieder, außer den unausweichlichen beiden Vorabsingles nicht vorher an. Also Sonntag, Astra, 20 Uhr und eine Frage: Was bewegt einen gestandenen Musik wie Matt Berninger dazu, seine Comfort Zone zu verlassen und sich in ein neues Projekt zu stürzen?

Quelle: YouTube

Doch der Abend beginnt mit einer Lektion darüber, wie groß das Erbe von The National eigentlich ist. Dies zeigt sich an der clever ausgewählten Supportband The Penny Serfs, einem vielversprechenden Indieprojekt, deren Musik sich im Grunde nur darin von Folk unterscheidet, dass die Westerngitarre durch eine verzerrte E-Gitarre ersetzt wurde. Distorted Folk also. Wäre vor dem Erfolg von The National eine Band auf solche Musik gekommen? Vielleicht. Aber dieser weiche, warme Gitarrensound kommt mir irgendwie bekannt vor. Fehlt eigentlich nur die Brummstimme Berningers.

Die wird dann nach kurzer Umbaupause nachgereicht. EL VYs Auftritt beginnt unaufgeregt, und wird von einer schnieken, aber schlichten Lichtshow untermalt. Matt Berninger ist die zentrale Figur der Show. Wenn er nicht singt, zieht er unbeteiligt seine Kreise über die Bühne, scheint eine gewisse physische Unruhe produzieren zu müssen, um, wenn er doch singt, die gewohnte stabilisierende Ruhe in die Songs legen zu können. Aber er fühlt sich wohl, spielt mit seinem Publikum, manchmal sieht man ihn sogar lachen. Etwa als er merkt, wie gut Paul is Alive ankommt, der Song, den er, so die Legende, mal als Weihnachtsgeschenk für seinen Vater geschrieben hat.

Quelle: YouTube

Bis auf den Gesang sind EL VYs Songs jedoch stilistisch sehr gemischt. Von Post-Pop über Disco-Elemente bis Groove-Rock-Passagen ist vieles zu hören. Einen späten Höhepunkt der Show bildet ein Punk-Cover des Fine-Young-Cannibals-Klassikers She Drives Me Crazy, in dem die Band ausbricht und Berninger nach einem Ausflug ins Publikum kurzzeitig Brille und Mikrofon vermisst.

Musikalisches Zentrum der Band ist aber ein anderer, Brent Knopf nämlich, der die Songs produziert und für die Tour arrangiert hat. Er leitet die vierköpfige Liveband, die eingespielt wirkt wie ein langjähriges Projekt. Auf ihn laufen die Songs zu, in denen selbst der markante Gesang nur ein Element unter vielen ist. Er hätte die Band locker ohne Berninger gründen können. Aber ohne ihn wäre es vielleicht nur ein wenngleich vielseitiges, so doch unentschlossenes Projekt, das vermutlich nicht das Astra gefüllt hätte. Denn auch wenn Knopf schon seit Jahren ein anerkannter und von Kritikern gefeierter Musiker ist, bleiben seine bisherigen Projekte doch Geheimtipps. Was er in Berninger sieht, scheint klar zu sein: Er schafft seiner Virtuosität einen Ausgleich, einen Ruhepol, und dem Projekt die Plattform, die es verdient.

EL VY Astra Matt Berninger Brent Knopf 3

Fotos: Katharina Grosse

Worin besteht nun andersherum die große Freiheit, die EL VY für Matt Berninger darstellt? Vielleicht ja einfach darin, dass es nach all den Jahren auch mal wieder okay sein kann, mit einem Set komplett neuer Songs auf der Bühne zu stehen und nach einer Dreiviertelstunde in völliger Versöhnung mit seinem Publikum wieder heruntergehen zu können, ohne eine Zugabe und ohne Bloodbuzz Ohio gespielt zu haben. Er wird ihn früher oder später schon noch wieder singen, aber als Musiker, der im Independent-Bereich alles erreicht hat, sagen zu können, “Nach dem nächsten Lied müssen wir aufhören, denn wir haben keine Songs mehr”, muss ein ziemlich cooles Gefühl sein, und das hat man ihm zu jedem Zeitpunkt des Auftritts angemerkt.