Ausgefallene Kleidung ist hierzulande nichts Außergewöhnliches, bunt gemusterte Burkas hingegen schon. Maria Wende lässt die selbstentworfenen Stücke zu gewissen Anlässen von freiwilligen Teilnehmern tragen und schlüpft auch selbst hinein. Wer hier das Werk einer innovativen Modemacherin vermutet, liegt falsch. Maria Wende ist Künstlerin. Als fotografische Assistenz durfte ich ihre Performance IDEA.fabric im Rahmen eines Wettbewerbs begleiten.
Zum Anlass seines 40-jährigen Bestehens dachte sich der Kunstverein Oerlinghausen etwas Besonderes aus. Unter dem Motto 7 Künstler, 7 Tage und mithilfe einer bundesweiten Ausschreibung lockte er sieben junge Künstler in das beschauliche Städtchen im Teutoburger Wald. In der letzten Maiwoche sollten die Künstler den Ort erkunden und abschließend ihre Ergebnisse in der ehemaligen Synagoge präsentieren. Das Sahnehäubchen des Ganzen: ein mit 1000 Euro dotierter Preis. Maria Wende war eine der teilnehmenden Künstlerinnen. Mit Burkas und zwei Assistenten im Gepäck besuchte sie Oerlinghausener, die sich über einen Aufruf in der örtlichen Presse gemeldet hatten.
Ja, Burkas. „Afghanisch geschnitten, aber verwestlicht“, wie die Künstlerin sagt. Die Muster der Stoffe reichen von schwarzweißem Leoprint bis zu einem Apfelmuster, das ziemlich nahe an das Logo eines großen US-amerikanischen Konzerns heranreicht. Vor einem Jahr hatten Maria Wendes Burkas Premiere auf der Hamburger altonale17. Mit vier weiteren Burkaträgern, darunter zwei Männer, bewegte sie sich im öffentlichen Raum Hamburgs. Damit erregte sie ohne Zweifel Aufsehen, wobei die Reaktionen sehr unterschiedlich ausfielen. Hamburg 1 befragte die Aktion exklusiv in einem Interview.
Für Oerlinghausen packte Maria Wende die Burkas wieder aus. Gemeinsam mit Künstler und Projekt-Assistent Florian Münchow und mir unternahm sie insgesamt fünf Hausbesuche im Ort. Während die beiden eine Burka trugen und von den Hausherren bzw. –damen eine Hausführung bekamen, dokumentierte ich den Besuch mit der Kamera. Von jedem Besuch wurde ein Foto ausgewählt, das im Anschluss im öffentlichen Raum Oerlinghausens mehrfach plakatiert werden sollte.
Burka 2.0
Was aber sollen die bunten Burkas? Maria Wende hat sich vor der Variation des im hiesigen Kulturkreis unüblichen Kleidungsstücks mit dem Originalen intensiv auseinandergesetzt. „Die originalen Burkas sind einfarbig. Schwarz, blau oder auch weiß. Im Gegensatz zu meinen bunten reichen sie nicht bis zum Boden, sondern höchstens bis zu den Knien.“
Burkas sind ein kulturelles Kleidungsstück, kein religiöses. Getragen werden sie vor allem im öffentlichen Raum Afghanistans. In der westlich geprägten Kultur ist die Vollverschleierung unüblich bis rechtswidrig. Nachdem das Burka-Verbot in Frankreich durchgesetzt wurde, fragte sich Maria Wende konkret, ob die Verschleierung der Frau tatsächlich den Gipfel ihrer Diskriminierung darstellt.
„In Deutschland zum Beispiel tragen Polizisten und Polizistinnen dieselbe Uniform. Polizistinnen müssen jedoch immer noch stärker um Anerkennung kämpfen als ihre männlichen Kollegen. Die Mechanismen der Diskriminierung greifen auch dort, wo eine Gleichstellung von Männern und Frauen eigentlich gegeben sein sollte“, sagt sie.
Dörfliche Idylle feat. Urbanismus
Die Kleider hatte die Künstlerin bei einer Schneiderin maßanfertigen lassen. Da nicht alle Altona-Teilnehmer in Oerlinghausen mitwirken konnten, hatte Maria Wende überlegt, Vertreter zu suchen.
„Diese Idee stieß auf wenig Begeisterung“, erinnert sie sich, „Interessanterweise identifizieren sich die Träger mit ihrer Burka.“ Florian Münchow bestätigt: „Bevor jemand anderes meine Burka trägt, habe ich mir lieber eine Woche Urlaub genommen.“
Ihre Absicht ist es nicht, tatsächlich Burka tragende Frauen anzugreifen. Im Rahmen ihrer Performance interessierte die Künstlerin das direkte Miteinander. Maria Wende kehrte den üblichen Burka-Dresscode – das Tragen im öffentlichen Raum – um. Sie und Florian Münchow unterhielten sich vollverschleiert mit den Gastgebern meistens über die kommunikativen Barrieren oder Schwierigkeiten beim Essen (ja, Kaffee und Kuchen wurden achtsam unter der Burka verzehrt). Dabei vertiefte sich häufig der gesellschaftspolitische Diskurs um und über die Verschleierung von Muslima und kulturell geprägte Frauenbilder im Allgemeinen. Manche Gastgeber waren neugierig und schlüpften selbst in eine Burka.
Teil Zwei des Projektes fand im öffentlichen Raum Oerlinghausens statt. Momente der Situationen im privaten Raum wurden somit nach außen getragen. Nach der Sichtung des Fotomaterials wurde jeweils ein Motiv für ein Plakat pro Tag ausgewählt. Mit dem Titel IDEA.fabric, der auf jedem Plakat wie eine Seriennummer steht, verweist Maria Wende auf die mustergültigen Wohnraumkonzepte einer allseits bekannten Möbelhauskette.
In Anbetracht der sieben Plakate wirkt das immer wiederkehrende Motiv der bunten Burkas wie ein vereinheitlichendes Möbelstück, das den verschiedenen Innenräumen Fremde gibt und Isolation nimmt.
„Klingt lustig, lass ma‘ machen!“
Welcher Aufwand in einer Woche Kunstprojekt steckt, die allgemeine und spezielle Organisation, Umsetzung, einen Feiertag, einen Brückentag und den Aufbau der Ausstellung beinhaltet, wurde schnell spürbar. Bereits vor Projektantritt wurde Maria Wende klar, dass sie ihre für Oerlinghausen konzipierte Arbeit abändern muss. „Wenn ich eine Idee für ein Projekt habe, denk ich immer: Klingt lustig, lass ma‘ machen! In der Praxis sieht das dann meistens anders aus.“
Missverständnisse mit der Druckerei, an die sie sich bereits im Voraus für die Produktion ihrer A1-Plakate gewandt hatte, führten dazu, dass der zeitliche Plan – pro Tag ein Hausbesuch und die Produktion eines Plakatmotivs – radikal gestaucht und umstrukturiert werden musste. Es fanden letzten Endes fünf statt sechs Hausbesuche statt und es mussten räumliche Alternativen gesucht werden. So waren einige Gastgeber tief enttäuscht, dass das „Team Burka“ kurzfristig absagen musste. Trotz allem wurde wie geplant produziert und plakatiert.
Die anonymen Reaktionen auf die Plakate spiegelten den Umgang urbaner Objekte im Dorf wider: Viele wurden scheinbar ignoriert bzw. toleriert, einige wurden abgerissen und bekritzelt, eines wurde offensichtlich sorgsam abgenommen, bevor der Kleister überhaupt trocknen konnte. Facetten von Spießigkeit und Vandalismus wurden auf diese Weise sichtbar und betonten auch ortsspezifische Klischees.
Den Preis holte sich letzten Endes der (wundersame Zentaur) Daniel Chluba aus Berlin. Insgesamt reichte die einwöchige Erfahrung von bizarr bis scheintot. Mal sehen, wann und wo Maria Wende zunächst ihre Burkas aufschlagen wird.
Titelbild und Beitragsbilder: © Le Colmer/Maria Wende