Was macht Albrecht Schrader eigentlich, wenn er nicht das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld im Neo Magazin Royale leitet? Sein exzentrisches Debütalbum gibt Aufschluss.
Wie locker aus der Hüfte geschossen kommt Albrecht Schraders erstes eigenes Album Nichtsdestotrotzdem daher, das am 5. Mai erscheinen soll. Das ist fetzige Pop-Musik, die mal schräg, mal selbstironisch, aber stets schlicht, subtil und wirksam den Widersprüchen und Brüchen unseres Zeitgeistes auf der Spur ist, ohne in abstrakte Höhen zu steigen oder mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger die besungenen Missstände zu kritisieren.
Zehn Songs befinden sich auf dem Album. Dazu gehören je ein instrumentelles Intro und Outro, das den Protagonisten Peter zum Inhalt hat, dessen desolater Zustand auch Teil der Songs ist, wodurch jener Peter als pars pro toto für sozial verzweifelte Charakter fungiert. Das Duett Zufrieden ahnungslos, das Schrader mit Tiana Wagner in der Mitte des Albums singt, ist dabei eine klare Zäsur im Aufbau, in dem vor Ironie nur so triefender Pathos mit metalartigen Gitarrensoli kombiniert wird, was dem Song eine bewusste Peinlichkeit verleiht.
Scheinbar emphatisch schildern die Songtexte in einer hyperbolischen und teilweise assoziativen Art die vermeintliche Nutz- und Formlosigkeit des menschlichen Daseins. Besonders im titelgebenden Song werden locker, unverkrampft und wie nebenbei der islamistische Terrorismus und Eurovision Song Contest in einer Aufzählung willkürlich nebeneinander gesetzt. Das postmoderne Ich verliert damit nicht nur jegliche soziale Struktur und Verortung, es fließt auch isoliert parallel zu diesen Phänomenen, ohne die Möglichkeit Einfluss die „Katastrophen“ zu nehmen. Garniert wird dies in mehreren Texten mit scheinbar unsinnigen, neologistischen Dopplungen.
Zwischen Metal und 80er-Pop
Zugegeben, die Texte könnten einfach nur zynisch, resigniert oder boshaft wirken, ja, soziale Missstände scheinen gar affirmativ. Im Text selbst findet sich keine Form der Kritik oder Unterscheidung. Durch den einzigartigen Stil von Schraders Gesang und instrumenteller Musik wird dies jedoch untergraben. Eine übertrieben lustig wirkende Sopranstimme, elektronische Soundmittel aus dem 80er-Pop, wie dem altmodischen DX7-Sound, die jeden Schlagersong noch überspitzen, und eine rhythmisch angelegte Gitarrenschraffur wirken aufeinander und setzen klare Stör-Akzente. So wird eine musikalische Entfremdung zum Text erzeugt.
Eigentlich Unvereinbares wird also nicht nur sprachlich kommuniziert, sondern vom Sound und dem einfachen Klangspektrum stilistisch noch übertroffen. Auch wenn die Lieder in ihrer Machart sehr authentisch wirken, so beinhalten sie doch beabsichtigte und sehr eigenwillige Brüche. Die Ambivalenzen und Widersprüche unseres sozialen Lebens werden damit dezent und subtil in Szene gesetzt, Inhalt und Form widersprechen sich in krasser und faszinierender Form. Das ist emphatischer und exzentrischer Pop, eine Musik der puren, improvisierten und unnatürlichen Unstimmigkeit.
Zugegeben, das mag für den Hörer zunächst gewöhnungsbedürftig sein, aber Schraders schräg klingende Musik ist kein seichtes Plätschern des Pop-Mainstreams, sondern die textuell-musikalische Verwirklichung der Konfrontation, Neukombination und Verfremdung, mit den Mitteln des Alternative Pop. Wer sich nach einigen Songs erst einmal damit angefreundet hat, wird noch mehr Alben wollen.
Kennt ihr diese stilisierten, verträumten Softpunk-Alben, die momentan aus dem Boden sprießen? Postfords Debütplatte ist keines davon.
Schon gar nicht soft. Und das ist auch gut so. Denn Postford greifen Punk für sich als uneingeschränkte Möglichkeit auf, ihrer Angefressenheit Luft zu machen. Und da sie kluge, kritische Geister sind, die bekannterweise viel zu sagen haben, teilt sich ihre Wut gut sortiert unter verschiedenen Themenfeldern auf. Einerseits sind da die Banalität von Kapitalismus, Medienapparat und Leistungsgesellschaft, andererseits sinnlose Kriege und Radikalisierungen. Mit kryptisch zersplitterten Texten und vielschichtigen, wuchtigen Arrangements greifen sie diese Komplexe breit an. Denn „zwischen Schampus und Ignoranz passt noch ein Hummerschwanz“. Und aus Kopf-Hoch/Weitermachen wird die Negation, wird „Hinfallen/Liegenbleiben“. Aus den Phrasen entsteht ein Narrativ, das keine abstrakten Parolen produziert, sondern Politik auf die direkte Ebene zurückholt, auf der sie stattfinden sollte.
„in der Glotze Krieg und Audi // auf der Straße Gold und Dreck“
Postford – La Déluge
Mal ernsthaft aufgebracht, mal zynisch erzeugen die Texte auch abseits der Lautstärke stete Unruhe. Damit stellen die Bremer٭innen sich konzeptuell in eine Reihe mit nordischen Diskurspunk-Bands wie Turbostaat, die sicher auch musikalisch als Inspiration durchklingen. Das Aufgreifen präganter Fetzentexte und ineinder herumwühlenden Spuren ist hier ein klares Plus der Platte, erstens weil es ohnehin ziemlich brillante Stilmittel sind, zweitens, weil es Postford gelingt, es zu etwas Eigenem zu formen und mit frischen Inputs zurückzuschießen. Eine weitere Stärke ist ohne Frage der Gesangsvortrag selbst, der ziemlich souverän sowohl zwischen verschiedenen Stimmen als auch Sprachen als auch Techniken der Trias Schreien, Singen, Sprechen kreist. Gerade die Vielseitigkeit ist hier prägnant.
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Postford selbst holen übrigens auch ein altes Schätzchen aus dem großen Genre-Schubladenschrank, wenn sie sich beschreiben, und bemühen neben „Punk“ auch das Wörtchen „Emo“, auf welches man aufgrund von Genre-Verwirrungen und -Fehlzuschreibungen vielleicht gar nicht unbedingt gekommen wäre. Aber zunächst einmal gibt es ja nur Aufschluss über die persönliche Dimension der Texte. Und das ist etwas, worauf schon der Bandname „Postford“ angelegt ist: auf die Durchdringung von Individuum und der Gesellschaft. Von Persönlichkeitsentfaltung und Arbeitswelt. Von Nichtstun und Politik. Von H&M-Shopping und Welthungerbericht. Von der Band Postford und dem Album „Postford“. Die beiden letzten sind (die anderen genauso) nämlich in der Tat nicht zu trennen. Denn herausgekommen ist eben kein stilisiertes Kunstprodukt, sondern ein glaubhafter Versuch, sich selbst musikalisch als engagierte Individuen innerhalb von Zwängen abzubilden.
Nicht zuletzt sind es aber Spielfreude und Neugier, die das Album antreiben. Da geht es um Neuerfindung, Spaß an der Musik, an Riffs, an Pogo – ein paar Tugenden, die Postford sich hoffentlich erhalten. Ein konsequentes, waches Album haben sie nun schon hervorgebracht.
Sóleys drittes Album „Endless Summer“ wirft Fragen auf. Nach dem verträumten Debüt „We sink“ und dem fast depressiven „Ask the Deep“ – und gerade als man dachte, sie könnte uns nicht mehr erschüttern, macht die Isländerin plötzlich das Undenkbare: fröhliche Musik. Zumindest behauptet sie das. Immer noch treffen szenische Songtexte auf Klavier und präsenten Gesang. Aber nicht nur ihrem Studio hat sie einen neuen Anstrich verpasst. Und Sóley hat definitiv aufgehört, Clowns zu töten. War aber trotzdem aus Versehen im Island-Krimi. Fragen über Fragen:
Das Interview führten Moritz Bouws und Gregor van Dülmen
Herzlichen Glückwunsch zu „Endless Summer“, deinem neuen Album. Wie kamst du auf den Titel? Ist ein endloser Sommer so eine Sehnsucht, die man während des langen isländischen Winters entwickelt?
Ja, in gewisser Weise. Als ich anfing, das Album zu schreiben, war Januar. Und Januare sind oft sehr dunkel in Island. Da ist immer dieses Verlangen nach Sommer. Der Titel stand schon fest, bevor ich angefangen hab, das Album zu schreiben. Es stand fest, dass es „Endless Summer“ heißen soll, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es klingen könnte.
Der Titel bezieht sich aber auch auf die isländischen Sommer. Die Sonne geht hier nie wirklich unter und es fühlt sich irgendwie endlos an. Du wachst auf, es ist immer ein neuer Tag da, du gehst nie schlafen und es gibt so viel Energie. Der Titel ist also eine Mischung aus beidem: der Sehnsucht nach Sommer und dem endlosen Charakter isländischer Sommer. Alles strömt ineinander, wie Tag und Nacht.
Und im direkten Vergleich zu deinem letzten Album „Ask The Deep“ (2015) hat „Endless Summer“ ja einen einen deutlich optimistischeren Ansatz. Den Eröffnungssong „Úa“ hast du deiner zweijährigen gleichnamigen Tochter gewidmet. Würdest du sagen, dieser Optimismus ist der Einfluss, den deine Tochter auf deine Arbeit nimmt?
Bestimmt. Es ist witzig, wie Kinder dein Leben verändern. Ich weiß nicht, ob ihr Kinder habt, aber das Leben wird nie dasselbe wie zuvor sein. Zum einen bin ich viel müder seitdem – ich war in meinem Leben noch nie so müde. Aber wenn man sieht, wie ein Kind geboren wird, passiert etwas Merkwürdiges. Das Leben ist einfach großartig. Ein Kind zu haben ist großartig. Ich wollte niemals Mami-Songs oder Ähnliches schreiben. Aber es wirkt sich definitiv darauf aus, wie ich sein möchte. Denn ich möchte meiner Tochter ein gutes Vorbild sein. Ich will nicht mein ganzes Leben lang in diesem depressiven Scheiß feststecken. Was ich jetzt mache, ist mein Versuch, herauszukommen, auf das Licht am glücklichen Ende des Tunnels zuzukriechen und mir zu sagen: „Ich will hier raus. Das ist, was ich sein will.“ Ich glaube, sie inspiriert mich auf eine gute Weise.
Was beeinflusst dich denn außer deiner Tochter noch, wenn du Musik machst? Spielt die Farbe deiner Studio-Wände eine Rolle? Denn du hast sie vor den Aufnahmen lila und gelb gestrichen, oder?
Ich glaube schon. Aber es ist vor allem die Stimmung, in der ich bin, die Gefühlslage, in der ich bin, wenn ich ein Album mache. Denn ich hatte für das Album einen Plan. Eines der Ziele war, endlich einmal einen Song in Dur zu schreiben. Das hab ich noch nie gemacht. Jetzt habe ich es geschafft. Außerdem wollte ich wieder stärker zu Klavier und Stimme zurück, zurück zu meinen Wurzeln. Ich liebe es, am Klavier zu sitzen und ein Thema zu spielen. Das ist eigentlich meine Lieblingsbeschäftigung. Und ich wollte mich in den Kompositionen ein wenig herausfordern und versuchen, sie komplexer zu gestalten. Ich wollte am Klavier sitzen und ein neues Album machen. Das hab ich getan. Ich saß also da und die Songs kamen dabei heraus.
Welche Wandfarben wirst du für dein nächstes Album wählen?
Gute Frage. Was ist noch übrig? Die Lieblingsfarbe meiner Tochter ist pink. Ich hab sie gefragt, ob sie nicht vielleicht schwarz mag, aber sie präferiert derzeit eher pink, lila, Glitzer und Gold. Ich denke tatsächlich viel über Farben nach, wenn ich Alben schreibe. Ich wollte bei dieser Platte auf jeden Fall hellere Farben haben. Ich arbeite auch sehr eng mit meiner Freundin Inga (Ingibjörg Birgisdóttir) zusammen, die die Artworks zu meinen Alben macht. Ich hab ihr von den Farben erzählt, an die ich dachte, und sie machte daraus etwas Bläuliches – vielleicht sogar mit ein paar Pink-Anteilen. Aber ich überlasse ihr die Wahl. Ich hab nur eine Vorstellungen von Farben, sie schafft es, das Album so aussehen zu lassen, wie es klingt. Aber die Wandfarbe fürs nächste Album wird auf jeden Fall pink.
Album-Cover von Birgisdóttir Ingibjörg
Letztes Jahr hast du eine kleine Europa-Tour gespielt, um herauszufinden, ob dein neues Album und dein neuer Sound deinem Publikum gefällt. War das wirklich eine Angst die du hattest – dein Publikum zu verlieren?
Ich weiß nicht. Es lief dann eher so: Ich hab das Album allen gezeigt und gesagt “Guckt mal, ich hab eine fröhliches Album gemacht.” Und alle haben es sich angehört haben und meinten: “Das ist eigentlich gar nicht richtig fröhlich.” Ich glaube, ich hab niedrige Ansprüche an das Glück als andere Menschen. Ich konnte nie so richtige “la la la la”-Musik machen, also treffen wir uns in der Mitte. Ich glaube, es ist kein fröhliches Album, sondern eher ein Album, das sich nach Liebe sehnt. Würde ich einen endlosen Sommer haben wollen? Ich glaube nicht. Aber ich mag es, mich danach zu sehnen. Ich mag es, diese Sehnsucht nach Sommer zu haben.
Auf dieser Tour hast du auch deine neue Live-Band vorgestellt, die auch eine kleines Orchester und eine zweite Sängerin beinhaltet. Was sind die Hauptunterschiede dazwischen, mit einem so großen Ensemble zu spielen statt mit der minimalistischen Band, mit der du vorher unterwegs warst?
Es macht einfach viel mehr Spaß. Nichts gegen meine Freunde, die vorher schon in meiner Band waren – die sind super. Aber was ich daran so liebe, ist, dass ich die Songs tatsächlich akustisch ohne Verstärker spielen könnte. Das ist, wohin ich wollte. Leise mag ich meine Stimme gar nicht so gern. Ich wollte immer schon Songs für eine Band arrangieren und würde echt gern auch mal ein Album mit einem Sinfonieorchester machen. Vielleicht ja das Nächste. Ich komponiere und arrangiere das dann auch gern alles. Aber wir werden sehen. Momentan proben wir zusammen für die anstehende Tour, aber es ist echt teuer, mit einer großen Band unterwegs zu sein. Ich wollte es mal ausprobieren und zusammen diese kleine Tour zu spielen. Alle würden gern mitkommen auf der Tour, aber wir müssen finanziell schauen, was passiert. Eine größere Band wird es aber definitiv sein.
Sóleys aktuelle Single „Grow“:
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Das Berlin-Konzert auf dieser Tour letztes Jahr fand ja in einer Kirche (Passionskirche Kreuzberg) statt. Auch im Mai spielst du wieder in einer Berliner Kirche (Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg). Und in Köln spielst du in der Kulturkirche, einer ehemaligen Kirche. Warum immer Kirchen? Ist die Akustik der vorrangige Grund?
Ja, auf der einen Seite ist es die Akustik. Obwohl man manchmal echt mit einem Wahnsinns-Hall zu kämpfen hat. Aber das ist ja das Problem meines Tontechnikers. Auf der anderen Seite ist die Stimmung in einer Kirche aber auch eine völlig andere als in einem Klub. Ich bin keine große Freundin davon, in einem Klub zu spielen, denn ich finde nicht, dass es zu meinem Projekt passt. Deswegen versuche ich immer bestuhlte Shows zu spielen, bei denen die Leute nicht einfach nur betrunken sind, sondern sich für eine Stunde hinsetzen und Musik hören – und danach was trinken gehen. Es gefällt mir, sich einfach hinzusetzen, zuzuhören und zu genießen.
Und dein Konzert in Leipzig findet ja ebenfalls an einem besonderen Ort statt, im Felsenkeller. Die ganzen Städte, in denen du spielst, sind sehr berühmt für ihre Klub- und Musikszenen. Ist das ein Auswahlkriterium für dich, wenn du deine Tour planst?
Mir gefällt Deutschland. Ich würde hier leben. Ich spiele gern in den großen Städten, aber genauso gern mag ich es in kleinen Städten, sei es in Deutschland, Italien oder woanders, zu spielen. Es ist schön in eine Stadt zu kommen, von der ich noch nie etwas gehört habe, auf die Bühne zu gehen und zu sehen, dass so viele Menschen gekommen sind. Beides zusammen ist eine schöne Mischung. Und nur in großen Städten zu spielen ist echt schwer. Man muss auch viel weiter fahren. Es ist also sinnvoll, es so zu machen. Ich mag beides. Und ich liebe Leipzig.
Was für uns ebenfalls sehr spannend ist, ist die Musikszene, aus der du kommst und die enge Zusammenarbeit zwischen isländischen Musiker*innen untereinander. Ihr begleitet euch gegenseitig bei den Aufnahmen, begleitet euch in verschiedenen Projekten auf Tour, und unterstützt nicht nur etablierte Künstler, sondern fördert auch junge Talente. Seid ihr einfach alle miteinander befreundet oder spielen dabei auch Netzwerke wie zum Beispiel das Iceland Music Export Office eine Rolle?
Ich glaube, es ist beides. Das Export Office ist sehr wichtig für die isländische Musikszene. Es verfügt über Kontakte, und man ist dort bereit, Künstlern zu helfen – auch mir, wenn ich in der Musikindustrie verloren bin. Wir trinken einen Kaffee und reden darüber. Für junge Bands ist es ebenfalls sehr wichtig. Ich bin dreißig und kenne die Leute nicht, die erst zwanzig sind und gerade anfangen Musik zu machen. Ich wachse nur mit meiner Generation der Musikszene auf. Deswegen glaube ich, dass diese Netzwerke sehr wichtig sind, um einander kennenzulernen. Es gibt einfach unzählige Bands und Musiker*innen, und es gibt wirklich viele Kids, die ziemlich coole Sachen machen. Also sollte man sich treffen, über neue Projekte reden und das mit hinaustragen.
Kennt ihr euch alle untereinander?
Ja. Wenn wir uns nicht persönlich kennen, dann zumindest über gemeinsame Freunde. Die Szene ist wirklich klein. Es ist also schwer, sich nicht gegenseitig zu kennen. Wir stehen uns alle nahe, wir sind alle Buddys. Und das ist schön.
Der Musikexport scheint zu funktionieren. Dein letztes Album „Ask The Deep“ hat es ja sogar in den Soundtrack einer deutschen Krimiserie geschafft. Weißt du davon?
Ämm, wie heißt die Serie?
„Der Island-Krimi“.
Was? Ich weiß leider nicht alles darüber, wie und wo meine Musik verwendet wird. Aber es könnte sein, dass ich da eine E-Mail bekommen hab. Okay, das ist lustig.
Das war eine große Fernseh-Produktion, mit Franka Potente. Dich kennt also jetzt jeder in Deutschland.
Und das ist eine Krimiserie über Island?
Ja, es spielt in Island, mit deutschen Schauspielern, die so tun als wären sie Isländer.
Oh mein Gott, das muss ich sehen! Ich würde gern Deutsche sehen, die sich wie Isländer verhalten.
Die andere Art von Musik-Video:
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Der dunkle, schwere Sound des Albums passte aber ziemlich gut zur Stimmung der Serie. Was würdest du denn sagen, zu was für einer Serie dein neues Album passen würde?
Ich mag „Endless Summer“, den letzten Song. Ich dachte, er passt vielleicht zu einem Teenie-Film oder zu „Skam“. Das ist eine norwegische Serie über College Kids. Ich hab alle Folgen gesehen. Ich hoffe und spreche mal mit meinem Manager, ob er den Song in der neuen Staffel unterbringen kann. Die Serie ist sehr berühmt und hat viel coole Musik. „Skam“ hat auch eine Spotify-Playlist, auf der auch viele berühmte skandinavische Songs auftauchen.
Auf deinen früheren Alben hast du immer diese poetischen Horror-Märchen erzählt. Und auch auf dem neuen sind die Texte sehr szenisch und theatralisch. Hast du jemals darüber nachgedacht, ein Buch aus diesen Geschichten zu schreiben? Oder wird Musik für dich immer wichtiger bleiben?
Nein, ich habe tatsächlich darüber nachgedacht. Ich habe schon zweimal angefangen ein Buch zu schreiben. Aber ich bin immer zu beschäftigt und hab dann doch keine Zeit dafür.
Vielleicht wenn du alt bist?
Genau, vielleicht wenn ich alt bin, und mit meiner Whisky-Stimme eh nicht mehr singen kann. Aber ich denke darüber nach, Gedichte auf Isländisch zu schreiben. In meiner Muttersprache ist es für mich einfacher, mich auszudrücken. Mal sehen.
Und wenn man sich so mit dir unterhält oder dich bei einer Show sieht, fällt auf, dass Humor in deinem Leben eine wichtige Rolle spielt. Deine Songs tragen dagegen aber oftmals Titel wie „I’ll drown“, „Smashed Birds“, „Follow me down“ oder „Kill the Clown“. Ist das etwas, was du tust, wenn du Musik schreibst: deinen inneren Clown töten, um ernste Kunst zu machen?
(lacht) Ich weiß nicht, wer ich bin, wenn ich diese Songs schreibe. Ich hoffe, das Kind macht mich zu einem besseren Menschen. Manchmal habe ich vor mir selbst Angst. Warum schreibt jemand sowas und veröffentlicht es auch noch? Ich kann noch nicht mal Horrorfilme gucken. Ich habe solche Angst davor, dass ich Monate lang nicht ins Bad gehen kann, nachdem ich „Shining“ geguckt habe. Mein Ansatz ist also: Ich schreibe einen Horror-Song und denke mir die Geschichte aus – also ich weiß, dass das, was ich geschrieben habe, nicht real ist. Auf diese Weise stille ich mein persönliches Horrorbedürfnis. Denn man braucht etwas Unheimliches in seinem Leben, es hält den Herzschlag in Gang.
Sóley – Kill the Clown (live):
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Du schreibst Horror-Geschichten also, um sie kontrollieren zu können?
Genau. Weil ich das Ende bestimmen kann. Kann ich das? Ich bin mir gar nicht sicher. Ich mag es, aber auf dem neuen Album wollte ich weniger Horror. Ich wollte etwas Neues probieren. Es ist immer besser sich selbst herauszufordern, anstatt festzustecken. Denn normalerweise würde ich nie ein Lied über meine Tochter oder ein Lied in Dur schreiben, weil es nicht zu mir passt. Aber sowas stelle ich in Frage und frage mich: Warum machst du das nicht? Warum steckst du dich in eine Schublade und versuchst nicht etwas Neues, einfach um zu sehen, was passiert? Und das hab’ ich auf dem neuen Album versucht. Ich habe viel Neues ausprobiert, von dem ich dachte, dass ich es nicht tun sollte, weil ich mich selbst in eine Art Schublade gesteckt hatte.
Was sich auf dem Album auf jeden Fall auszahlt.
Ich bin mit dem Album wirklich zufrieden. Ich hab es in einem Jahr fertiggestellt, habe mich einfach eingeschlossen und all diese Songs kamen heraus, ohne dass ich es erzwungen habe. Die Songs waren nach vier Monaten alle da und dann habe ich sie einfach fertig gemacht. Warum sollte ich länger daran arbeiten? Ich werde sie einfach veröffentlich und mich etwas Neuem widmen. Ich weiß nicht, wie es ist, über zehn Jahre an einem Album zu arbeiten, und ich glaube dafür ist das Leben einfach zu kurz. Man sollte einfach anfangen, etwas Neues zu machen. Ich habe den Entstehungsprozess des Albums sehr genossen, er war sehr natürlich. Ich bin wirklich glücklich.
Wie schön. Alles Gute für den Release und vielen Dank für das Interview.
Danke. Wir sehen uns.
Sóleys drittes Album „Endless Summer“ erscheint am 5. Mai bei Morr Music. Danach spielt sie mit einer kleinen oder großen Band in großen und kleinen Städten:
10.5. Kulturkirche Köln, DE
11.5. Felsenkeller Leipzig, DE
12.5. Apostel-Paulus-Kirche Berlin, DE
14.5. Mousonturm Frankfurt Am Main, DE
16.5. Hybernia Theater Prague, CZ
18.5. Aula Artis Poznan, PL
19.5. NIEBO Warszawa, PL
20.5. Kino-Teatr RIALTO Katowice, PL
21.5. Brno, CZ
23.5. A38 Budapest, HU
24.5. Culture Factory Zagreb, HR
25.5. Kino Šiška Ljubljana, SI
27.5. Posthof Linz, AT
28.5. A4 Bratislava, SK
29.5. WUK Vienna, AT
4.7. Covo Summer Bologna, IT
5.7. Circolo Magnolia Segrate Milano, IT
Andalucía aus Münster veröffentlichen am 16. September mit Stuck ihr zweites Album. Wer noch nichts von ihnen gehört hat, der sollte das jetzt ändern. Es lohnt sich.
Andalucía, das sind André Martens am Schlagzeug und Philipp Ohnesorge, der Gitarre und Gesang übernimmt. Was 2014 vielversprechend mit dem Debütalbum There Are Two Of Us begann, nimmt mit dem zweiten Album Stuck neue Dimensionen an. Denn der authentische Klang der neuen Platte ist bestimmter, gereifter als der ihres Vorgängers, bleibt sich dabei jedoch trotzdem treu.
Ebenso wie ihr Erstlingswerk, erscheint Stuck auf dem bandeigenen Label Sic Life Records. Im Schriftlichen steht die redaktionelle Ergänzung [sic] für die Kennzeichnung von Besonderheiten im Text, oft für einen Fehler, und gibt damit den Hinweis, dass das Zitierte aus dem Original ohne Abänderungen übernommen wurde. Das sīc erat scriptum scheint in der Musik von Andalucia zum Prinzip erhoben zu sein. Ein Sound, der sich zwischen Lo-Fi und Noise Punk/Pop/Whatever bewegt und einem das authentische Gefühl eines „so ist es wirklich“ vermittelt. Auf Hochglanz polierte Aufnahmen, darauf wird bei Andalucia gut und gerne verzichtet. Fehler werden zu Stilmitteln. Besonders deutlich wird das in dem Song „Ordinary Daze“. Diesen Gitarrensound meint man zu kennen, doch ist etwas eigenartiges mit ihm passiert. Als hätte jemand das Gitarrenriff genommen, es durch Raum und Zeit gedehnt, um uns dann mit einer verfremdeten Erinnerung daran zurück zu lassen.
Sowieso breitet sich beim Hören der LP, und insbesondere bei den Songs „White Noise“ und „Ode De Coy“, ein Gefühl des Vertrautseins aus. Doch dies soll nicht heißen, dass es dem Werk an Originalität fehlt. Eher im Gegenteil. Es ist weniger der Song denn das Gefühl, das bekannt ist. So als hätte man schon einmal etwas erlebt, das genau so war, sic erat, und jemand hat nun mit Musik einen Weg gefunden, das Vergangene wieder ins Gedächtnis zu rufen. Erinnerung in Musik übersetzt; die Zeit relativiert. Vielleicht ist Stuck der Geschmack eines Gebäckstück namens „Petite Madeleine“, das wir gedankenverloren in Lindenblütentee tunken. Jedenfalls wünscht man sich, man hätte schon damals, als es diese Platte noch gar nicht gab, einfach auf „Play“ drücken können. Damals, als es so schön passte.
Es wundert deshalb kaum, dass Andalucía zur Aufnahme der neuen LP nach Mannheim in die RAMA-Studios zurückgekehrt sind, um auch dieses Mal zusammen mit Christian Bethge aufzunehmen. Neben dem gewohnten Studio gab es dort auch eine leerstehende Kirche auf einem verlassenen ehemaligen US-Militärgelände. Und wer die Musik von Andalucía kennt, der kann sich denken, dass die beiden es sich nicht haben nehmen lassen, auch hier für das neue Album aufzunehmen. Entstanden ist eine LP, die mit dem facettenreichen Duo aus Schlagzeug und Gitarre, das wir bereits auf dem ersten Album kennengelernt haben, und einem Gesang, der seinerseits mehr Instrument ist, denn Stimme, Schlagzeug und Gitarre in ihrer Verschrobenheit ergänzend, überzeugt. Vielleicht war es genau diese Umgebung, die es den beiden Musikern ermöglicht hat, ihren Sound wachsen zu lassen und uns das Gefühl eines ungewohnten Bekannten zu geben. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart, alten Ungewohntheiten und neuen Vetrauten wird Stuck zu einem retrospektiven Soundtrack für das Jetzt.