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Farbenfrohe Melancholie – Black Sea Dahu live in Berlin

Mit ihrem Album White Creatures haben sich Black Sea Dahu vom etwas zu geheimen Geheimtipp zur Indie-Band der Stunde gemausert. Live entführen sie uns auf ihre Insel. Wie zum Beispiel am 10. Februar in der Kantine am Berghain.


Schon erstaunlich, was eine Namensänderung bewirken kann. Nicht, dass die Schweizer Band Black Sea Dahu, als sie noch JOSH hießen, keine gute Musik gemacht hätten. Aber von der haben nicht viele etwas mitbekommen. Und ihr neues Album White Creatures, das gleichzeitig Debüt von Black Sea Dahu und Album Nummer drei der daran beteiligten Musiker٭innen um Sängerin und Songwriterin Janine Cathrein ist, ist eindeutig das Beste. Was nicht daran liegt, dass sie plötzlich aus dem Nichts Gesang und Instrumente beherrschen oder der Marktstrategie eines großen Labels folgen. Sondern, dass die Band sich etwas zugetraut hat, sich Zeit genommen und Raum geschaffen hat, um ihre künstlerische Sphäre gemeinsam auszuloten und ein für allemal festzuhalten.

Black Sea Dahu im Nordmeer

Noch als JOSH starteten sie ein Crowfunding, um sich für die Aufnahmen auf eine einsame norwegische Insel zurückziehen zu können. Dort angekommen verbrachten sie intensive Tage voller Aufnahmesession, in denen sie hinsichtlich Arrangement und Produktion gemeinsam, das kann man sagen, wirklich alles aus den mitgenommenen Songs herausholten, was sich herausholen ließ. Und zurück kamen sie farbenfroh: als Black Sea Dahu mit White Creatures im Gepäck, das nun beim Berner Independent Label Mouthwatering Records erschien.

Und plötzlich brauchen sie sich keine Wohnmobil-DIY-Touren mehr selbst zu organisieren, sondern nehmen einfach die Konzerte der für sie gebuchten Europa-Tour wahr. Das Beste aber: Ihre Live-Performance schöpft unmittelbar aus den intensiven Sessions. Und das Publikum wird einfach unverhohlen mit auf die abgeschiedene, norwegische Insel mitgenommen, die ihnen zum perfekten Zusammenspiel verholfen hat. Der Plan ist also ganz gut aufgegangen.

Zwischen Singer-Songwriter, Country, Folk und Jazz

Ihre erfrischende genre-technische Unentschlossenheit und eine gewisse Grundspannung, die sich durchs gesamte Set zieht, unterstützen die Kurzweiligkeit ihrer Live-Performance. Sodass ihre Show in der Kantine am Berghain trotz holpriger (aber sympathischer (aber holpriger)) Ansagen, zur runden Sache wurde. Im weichen, zeitlos jazzigen Sound, der Welten vom Mainstream entfernt zu sein scheint, liegt ein breites Spannungsfeld, das gemeinsam erforscht wird. Bei Songs, die eher in eine Country-Richtung ausschlagen, wie zum Beispiel In Case I Fall For You, erinnert ihre Musik manchmal ein wenig an Bands wie Lola March, wenn auch melancholischer. Und dann wieder an überhaupt niemanden.

Quelle: YouTube

Denn unterm Strich werden die sehr vielseitigen Kompositionen und Dynamiken des Albums durch einen der Band ureigenen Sound verbunden. Die tiefe, durchdringende Stimme von Janine Cathrein wirft einen Anker in die Musik, der auch stürmischer See standhält. Immer wieder ziehen sich die Songs auf ihren ungewöhnlichen, unaufgeregten Gesang und ihr Gitarrenspiel zurück und denen sich auf die sechsköpfige Band und mehrstimmigen Gesang aus.

Viel Aussagekraft für ihre Musik hat etwa der Song Pure, dem man noch anmerkt, dass er um ein Gefühl herum entstanden ist, das sich zunächst im persönlichen Songtext niederschlug. Der Song, der auch in schlichter Singer-Songwriter-Bearbeitung funktionieren würde, wird mit aller gebotenen Vorsicht andächtig mehrstimmig getragen. Instrumental hebt die Band dabei die rhythmisch extrem feine Dynamik aus der Gitarrenspur heraus und entfaltet sie so weit, bis aus der verträumten Komposition ein voluminöser Folksong wird. Der Wirkung des Songs scheinen Black Sea Dahu sich durchaus bewusst zu sein. Nicht umsonst fand er in der Kantine am Berghain Einsatz als Eröffnungssong. Er ist die Fähre zur Insel.

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Weiterlesen-Tipp:

Wikipedia: Das Schweizer Fabelwesen „Dahu“.


Black Sea Dahu sind noch eine Weile live unterwegs. Ihr Album White Creatures erschien am 12. Oktober 2018 bei Mouthwatering Records.

Titelbild: © Black Sea Dahu

Tides from Nebula – Sternennebel im Urban Spree

Polens Nummer 1 in Sachen Post-Rock lockte die Berliner ins Urban Spree und zeigte was sie kann. Aber auch, woran es fehlt.


Tides from Nebula, Urban Spree, 17. Mai 2017

Obgleich die Sonne sich endlich auch auf den Sommer eingelassen zu haben schien, war eine ganze Menge Menschen in der letzten Woche gern bereit, den lauen Berliner Abend noch etwas warten zu lassen und sich ins dunkle Urban Spree zu verkriechen, um dort den melodischen, teils melancholischen Klängen der polnischen Post-Rock-Helden Tides from Nebula zu lauschen.

So ziemlich genau vor einem Jahr präsentierte das Quartett aus Warschau – damals leider als Trio – auf dem RAW-Gelände sein viertes Album, Safehaven, welches in kompletter Eigenregie aufgenommen werden konnte, weil im band-eigenen Studio. Thisquietarmy hatte das Publikum letztes Jahr auf eher experimentelle Weise eingestimmt, dieses Mal hatten Tides from Nebula den ganzen Abend für sich allein; so gab es am Ende sogar zwei Zugaben! Und das Konzert war dann auch wie das „neue“ Album: Solide, ohne viel Klimbim, keine lange Stimmen-Samples oder atmosphärische Pausen. Das Publikum hörte gespannt zu und wurde weder von großen Licht-Effekten (wobei es schon ein bisschen Blinken und Glitzern gab), noch von langen Ansagen abgelenkt. Stand überhaupt ein Micro auf der Bühne?

Dafür gab es viele eingängige und schöne Melodien, denen Keyboard und Gitarre ihre prominenten Rollen zu verdanken hatten und die manchmal fast an maybeshewill erinnerten. Was nicht heißen soll, dass es den Songs an Druck oder sich steigernden „Gitarren-Ausbrüchen“ fehlte, doch macht die Band ihrem Namen alle Ehre. Bei Songs wie „Home“ hat man zwischenzeitlich eher den Eindruck verträumt durch einen nebligen Wald zu gehen und schließlich in den schwarzen Nachthimmel zu blicken – düster-ish, aber voller funkelnder Sterne –, als in ein schönes Gewitter. „We are the mirror“ hingegen vereint dann, nach guter alter Post-Rock-Manier atmosphärische Ruhe-Phasen, mit Chaos und Gitarren-Loops. Simple Melodien steigern sich in den Songs zu einem musikalischen Höhepunkt, zu aggressiven Klanglandschaften, in denen der Zuhörer einfach nur noch dabei ist und nirgends anders, so wie Fans des Genres es gewöhnt sein mögen.

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Und da liegt dann auch der Knackpunkt, sofern es denn einen gibt. Tides from Nebula machen die Musik, die von einer europäischen Post-Rock-Band heute erwartet wird. Dies machen sie auch wirklich gut, sowohl live als auch bei Aufnahmen legen sie höchsten Wert auf die Soundqualität. Das Einzige, was man bei ihnen aber wohl nicht finden wird, sind schwierige, unzugängliche oder auch andersartige, innovative Parts. Nicht umsonst wurde „Safehaven“ 2016 auf Platz 10 der besten Post-Rock-Veröffentlichungen des Jahres gewählt und eine Tour reiht sich an die nächste, wobei die Reichweite sich von Polen auf Europa und die Welt ausgeweitet hat. Läuft bei denen.

Tides from Nebula sind aber auch im wahrsten Sinne des Wortes eine Live-Band. Nicht nur, dass sie es irgendwie schaffen über die Musik (oder auch das Spielen im Zuschauer-Raum) aus Publikum und Band eine vereinte Menschenmenge zu machen, die Zuhörer also zu berühren, sie scheinen in den letzten Jahren auch nonstop auf der Bühne gestanden zu haben. Trotz der paar hundert Gigs, die sie mittlerweile auf dem Buckel haben, geht ihnen die Puste nicht aus. Sicherlich ist ihnen eine gewisse Routine anzumerken, dennoch bringen sie live eine Fülle von Emotionen und eine sehr positive Atmosphäre rüber. Der Song „Only with presence“ vom Vorgänger-Album „Eternal Movement“ ist sodann live mindestens so energiegeladen und unbeschwert-mitreißend wie man es vermuten würde, wenn man ihn mal „von Band“ gehört hat. Auch wenn die vier Polen onstage wie ernste Rocker scheinen, sind sie in Wirklichkeit äußerst freundliche, junge Menschen ohne jegliche Star-Allüren, die ihr Gepäck auch mal endlos durch die Nacht tragen und einem Bierchen mit Fans meist eher zugeneigt sind.

Also, solltet Ihr die Chance haben Tides from Nebula live zu sehen, tut es! Ihre Musik ist zum Tag- (und Nacht-)Träumen bestens geeignet und lohnt sich immer.

The xx in Berlin. Karneval auf Berlinerisch

Nachdem The xx ihre Berliner Fans fast vier Jahre hatten warten lassen, traten sie am Samstag endlich in der fast 9.000 Menschen fassenden Arena Treptow auf.


Die anstehende Menschenmenge vor der Arena ließ eher ein Konzert einer Größe wie Lana del Rey vermuten und auch innerhalb der Halle konnte man sich den besonderen Flair einer Hipster-Massenveranstaltung schwer wegreden. The xx versammeln mit ihrem minimalistischen, und doch tiefgründigen Indie-Pop, der zum Gläschen Wein bei Kerzenschein genauso passend sein kann, wie zu dröhnenden Bässen im Club, nun mal eine ganze Menge verschiedener Menschen. Diese unterschiedlichen Seiten ihrer Musik präsentierten die drei Musiker*innen auf dem Konzert sodann beispielhaft. Während der Auftakt ihrer Welt-Tournee im November 2016 noch etwas schüchtern, fast unsicher wirkte und Gitarristin Romy Madley Croft und Bassist Oliver Sim dort nicht müde wurden, zu betonen wie sehr sie sich freuten endlich wieder auf der Bühne zu stehen, was man ihnen durchaus abnahm, war die Show in Berlin sehr viel dynamischer und ließ bald eine Club-Atmosphäre entstehen.

Gespielt wurden Songs vom neuen Album „I See You“ – welches glücklicherweise Florian Silbereisen von der Spitze der deutschen Album-Charts verdrängen konnte – aber ebenso ältere, düster anmutende Ohrwürmer. Jamie xx hatte genügend Raum auch seine Solo-Stücke einfließen zu lassen und so das Publikum durch immer krassere Bässe zum Tanzen zu bringen. An einem elegant transparenten DJ-Pult stehend bediente er die Drum-Computer, griff jedoch auch mal zum analogen Drumstick, um Becken und Trommel klingen zu lassen. Licht- und Bühneninstallation passten perfekt zur jeweiligen Stimmung der Lieder, die oftmals fast nahtlos und gekonnt ineinander übergingen. Mal erzeugten übergroße, sich drehende Spiegelwände eine fast bedrohlich-psychedelische Atmosphäre, dann tanzten bunte Neonlichter fröhlich mit den Zuschauern zu „On Hold“.

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Die gefühlvollere Seite von The xx betonte Sängerin Romy mit Songs wie „Say something loving“ und während Oliver Sim kunstvoll bewies wie stylisch sich ein Bass spielen lässt, konnte sich der Zuschauer des Eindrucks nicht verwehren, dass die drei Musikerinnen – jeder für sich – gewachsen zu sein scheinen. Ob auseinander, zusammen oder wieder zusammen – es lässt sich nicht wirklich sagen. The xx haben sich entwickelt, verändert; das lässt sich nicht zuletzt auch an ihrem neuen Album hören, auf dem man die alte Melancholie von „Coexist“ oder „xx“ nicht so einfach wiederfindet. Ihre Musik ist eindeutig ihre Musik, aber vielleicht klingt sie live zudem einen Funken weniger unbeschwert, daran ändert auch das Konfetti, das Zuschauer im Gedenken an einen in Berlin nicht stattfindenden Karneval immer wieder in die beeindruckende Lichtshow warfen, nichts. Aber hieran ist ja auch nichts Verwerfliches, denn auch Künstler werden älter.

Insgesamt war es ein rundes, vielleicht etwas kurzes Konzert, das die Zuhörer sicherlich ein kleines Stückchen glücklicher in die Samstagnacht entließ und was kann man von einem Konzert schon mehr erwarten?