Schlagwort: Künstler

Documenta, Dinosaurier, UFO

Es scheint schwierig, trotz der Standorterweiterung ein gutes Haar an der documenta 14 unter der Regie von Adam Szymczyk zu lassen. Der plakative moralisch-politische Zeigefinger eckt an. Macht das Kunst nicht eigentlich aus? Ein Projekt documenta-kritischer Künstler rief als Antwort einen Gegenentwurf ins Leben.


Vor über hundert Jahren verprügelten sich noch Ausstellungsbesucher ob der unverschämten Geste der impressionistischen Malerei gegenseitig mit Regenschirmen. 2017 schaut alle (Kunst-)Welt auf die documenta 14 und freut sich über das Spektakel; die Prügelei hat sich intellektualisiert auf Kritiken in Kunst- und Kulturmagazinen verlagert.

Daniel Chluba (aufmerksame postmondän Leser kennen seinen Namen bereits aus diesem Artikel) rief eine alternative documenta ins Leben. Resultierend aus dem Onlinepetitionsprojekt WIR WOLLEN NICHT ZUR DOCUMENTA 14 fand die documenta ulaanbaatar kassel UFO UFO UFO am 10. Juni auf dem REWE Parkplatz in Kassel statt. Die Ausstellungsdauer wurde nicht etwa auf hundert Tage begrenzt sondern durch hundert Besucher.

Zu sehen waren kleine Arbeiten von 12 Künstlern – und zwar in einem UFO. Eine Ausstellung auf minimalem Raum. Deutlicher kann der Dimensionsunterschied zwischen den Documenten nicht ausfallen. Die documenta ulaanbaatar kassel UFO UFO UFO setzt dem Hype um die altehrwürdig angesehene Kunstausstellung einen klaren Gegenstandpunkt. Ein Protest gegen den Ausstellungsgiganten, der Kunst und Künstler verschluckt? Klingt erstmal paradox. WIR WOLLEN NICHT ZUR DOCUMENTA 14 haben ihre ureigene Ansicht:

„Sie ist ein Prachtexemplar mit einer gewissen Pflanzenfressermoral. In ihrem Magen befinden sich fast alle Probleme unserer Zeit. Ihre Gestalt repräsentiert für uns das umfassende Dinosauriertum. (…) Wir setzen nur eine Wegmarke. Und es wird übrigens die erste Bewegung weltweit sein, die keine Symbole mehr braucht. Sie wird überhaupt nicht den Charakter von Größe haben. Die Kunstwerke hingegen werden dort gezeigt werden, wo einzig die Künstler es für richtig halten. Die Kunst wird darüber lächeln wie die Mona Lisa. Die ja übrigens auch nicht groß ist.“

Quelle: Critique Collective, ADAM SZYMCZYK WIR WOLLEN NICHT ZUR DOCUMENTA 14

Für eine eigentlich ausgestorbene Spezies hält sich der Saurier in Gestalt der documenta ziemlich gut. Was sie dieses Mal aber (außer stark ausgeprägtem Belehrungsehrgeiz) besonders macht, ist schwer zu sagen.

Die documenta 14 ist zwar besser besucht, aber möglicherweise hat die documenta ulaanbaatar kassel UFO UFO UFO ein breiteres Publikum erreicht. Wo treffen sich Kunst und Alltag schon, wenn nicht auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt?

Titelbild: Daniel Chluba

Kunst das Knast oder kann St. Mich mal?

Gedanken zu „Kunst versteht keine Sau …“ von Sandra Danicke

Die zeitgenössische Kunstszene mit ihren experimentellen Scheißhaufen ist ein bisschen wie die überaus dichten Augenbrauen einer Nebenfigur aus „Breaking Bad“, welche – so der lapidare Kommentar von Bob Odenkirk in der Rolle von Edelschmuddlor Saul Goodman – „won’t stop“, sprich: endlos sind. Und die zeitgenössische Kunstszene schämt sich nicht mal dafür – was schon ein bisschen arg sein kann. Auf jeden Fall ist die Welt der Kunst, welche 2011 keine Sau interessierte (so der Titel von Danickes Vorgängerband) und 2012 keine Sau verstand, von Mensch ganz zu schweigen, wirklich krass-fantastisch & „ur-igel-0“ & weit & breit (keine Zeit, um alles abzuscannen).


Was das 20. und 21. Jahrhundert uns an Kunstkonzepten und Konzeptkünstlern geschenkt haben, ist so vielseitig und spannend, dass wir zum wirklichen Verstehen eigentlich gar keine Gelegenheit haben, weil wir viel zu sehr mit Staunen beschäftigt sein dürften. Daher ist dieses kleine Bilderbuch, das uns mit einigen wirkungsvollen Skulpturen, Fotoarbeiten und Installationen meist aktueller Künstler bekannt macht, eine schöne Einstiegslektüre für den A(rt)mateur. Die Autorin, eine promovierte Kunstwissenschaftlerin, klärt mit Humor und Respekt vor der großen Unbekannten Kunst/Künstler über einige aufregende Konzeptarbeiten auf. Oft geht es um doppelbödige Ununterscheidbarkeiten zwischen Wahr- und Fiktion (Peter Fischli/David Weiss), Sinn und Wahn (Anna & Bernhard Blume), Scherz und Ernst (hier allerdings nicht Max). Künstler, vor allem Konzept- und Aktions-, sind schon echt gestörte Säue, die ganz genau wissen, wie man das System subvertiert, wobei mit „System“ ach so vieles gemeint sein kann. Was für Schläuen und Intelligenzijae, aber auch rein handwerkliche Begabungen (Kunst kommt ja von Können) hier am Werk sind, das vermag doch schon sehr zu fesseln. Dem System „Kunst“ einen Strich durch die Rechnung machen kann man allerdings auch heute nicht viel frappanter als damals, 1915, mit den Schwarzen Suprematismen von Malewitsch (Nomen est Omen).

Auch kommen lauter elektronische Spielereien bei heutigen Projekten zum Einsatz, teilweise richtig anspruchsvolle Computertüfteleien sorgen für interaktive Kunstviecher – etwa diverse Männchen-Manipulationen des im vorliegenden Buch nicht erwähnten, aber dennoch erwähnenswerten Videokünstlers Gabriel Barcia-Colombo –, die wahlweise albern, erschütternd oder erstaunlich nullig sein können.

Vor rund zehn Jahren hatte ich selber mal die Idee für ein interaktives Kunstwerk: eine große, hochauflösende, weiße Touchscreen-Fläche, und darauf ein einzelnes, hyperrealistisch animiertes Haar, das man dann als Galerie-Besucher wegzuwischen versuchen kann. Wahrscheinlich gibt es das aber schon längst als Smartphone-App für 39 Cent – ich bin da nicht auf dem neusten Stand. Jedenfalls darf man sehr darauf gespannt sein, welche Formen Kunst in 10, 30, 1003 Jahren annimmt. Ich bin ziemlich sicher, dass technologischer Fortschritt mittel- bis langfristig für so manche Sophistication und den einen oder anderen massiven Jawdropper sorgen wird.

Lesetipp:

Sandra Danicke: „Kunst versteht keine Sau …“ (Belser 2012)

Titelbild: © Lennart Colmer