Schlagwort: Kino

Die unerträgliche Schwere des Seins

Erwachsene Menschen haben Probleme. Und je älter sie werden, desto verzwickter werden die Probleme. Das zeigt Sandra Nettelbecks neuer Film „Was uns nicht umbringt“.


Der Hauptcharakter Dr. Maximilian Lange (August Zirner) ist Psychotherapeut und verliebt sich in seine Patientin Sophie (Johanna ter Steege). Max ist geschieden, bezeichnet seine Ex-Frau Loretta (Barbara Auer) aber als seine beste Freundin. Sophie führt dagegen eine Beziehung mit David (Peter Lohmeyer), der weiterhin bei seiner Frau und seinem Sohn lebt, die von der Beziehung wissen.

Dazu kommen fünf weitere Haupt- und Nebenplots und nochmal so viele Probleme. Das Figureninventar umfasst unter anderem eine Schriftstellerin, einen Pinguinwärter und einen Bestatter. Als Zuschauer٭in fehlt allerdings der emotionale Bezug zu so vielen Charakteren und ihren individuellen Handlungszwängen. Vielleicht fällt das Zuschauer٭innen im höheren Alter leichter, die selber der eigenen Biografie nicht mehr entkommen können.

Wahrscheinlicher ärgern sie sich aber über Szenen, wie diese: Fritz (Oliver Bourmis) trauert um seinen Lebensgefährten Robert, der mit Blutkrebs im Koma liegt. Dessen religiöse Familie will verhindern, dass Fritz seinen Freund noch einmal sehen kann. Als Fritz schließlich den Leichnam sieht, erleidet er einen Wutanfall mit anschließendem Zusammenbruch. Die Reaktionen von Fritz sind so eindimensional, dass es schwer fällt, wirklich Mitleid mit der Figur zu empfinden.

Die Geschichten des Films mögen alle realistisch sein, doch für die Zuschauer٭innen bleiben sie innerlich hohl. Das liegt vor allem daran, dass der Film sich mit dem Ensemble-Format übernimmt. Die meisten Geschichten bleiben facettenarm wie die von Fritz, auch wenn der Film sich bemüht, durch weitere Schwergewichte (sterbender Vater, dysfunktionale Teenager, Spielsucht etc.) mehr Emotionen herzustellen. Schade ist, dass in dieser Menge an behauptetem Tiefgang die besseren Geschichten untergehen. Zum Beispiel die des Pinguinwärters Hannes (Bjarne Mädel) zu seiner autistisch veranlagten Kollegin Sunny (Jenny Schily). Als ihr gekündigt werden soll, verzichtet er stattdessen auf seinen Job, ohne ihr etwas davon zu sagen. Hier wird ein Problem nicht auf psychologischer Ebene abgehandelt, sondern durch eine handfeste und nachvollziehbare Handlung.

Quelle: YouTube

„Was uns nicht umbringt“ ist ein ambitioniertes Projekt: Der Film versucht ein umfassendes Generationenportrait der 40- bis 60-Jährigen in Deutschland zu zeichnen. Es gibt sicher Zuschauer٭innen, die sich darin wiederfinden und den Film genießen können. Dafür müssen sie allerdings auch immun sein gegen wirre Schnitte und dick aufgetragene Klaviermusik.

Vielleicht sind sie dabei ähnlich überfordert wie Protagonist Max. Der Psychologe steht im Auge des Sturms, da ein Großteil der Figuren bei ihm zur Therapie ein- und ausgeht. Ob er ihnen wirklich hilft, ist schwer zu sagen. Totengräber Mark (Christian Berkel) bemerkt, dass Max sich anscheinend lieber um sich selbst kümmern würde. Das tut er dann auch und kommt tatsächlich mit seiner Patientin Sophie zusammen. Das könnte nun doch noch die große Liebe sein – oder der Auftakt zu neuen Problemen.

„Was uns nicht umbringt“ ist ab dem 15. November im Kino.

Beitragsbild: © Alamode Film

How many Galileos do you want?

Ein weiterer Schub für den Mythos. Mit Zahn und Sound verkörpert Rami Malek in Bohemian Rhapsody den zur Legende gewordenen Queen-Frontmann Freddy Mercury. Mit maximal aufgedrehter Lautstärke und raketenartiger Geschwindigkeit geht es vom Beginn der Schöpfung bis zum allgemein anerkannten Höhepunkt der vielseitigen Band: dem Live-Aid-Auftritt von 1985.

Von Maria Engler


Musik-Biopics sind das kleine Schwarze der Kinolandschaft – passen zu jedem Anlass, sind nie aus der Mode und für jeden gibt es das passende Lieblingsteil. Filme wie Amadeus, Walk the Line, Control, Love & Mercy oder der aktuelle deutsche Hit Gundermann zeigen: kein Kinojahr ohne passendes Musik-Biopic. Erfolg verspricht nicht nur die gewinnbringende Verschmelzung zwischen Musik und Film inklusive dazugehörigen Publika, sondern auch die oftmals nach Verfilmung schreienden Lebenswege der musikalischen Genies.

Bohemian Rhapsody wagt sich selbstbewusst an das mystische Leben und Schaffen des bereits zur Legende stilisierten Queen-Sängers Freddy Mercury. Auf dem Weg zum phänomenalen Höhepunkt der Band passiert der Film wichtige Stationen des Lebens des bisexuellen Frontmanns und gibt Einblick in die technischen und sozialen Prozesse innerhalb und außerhalb der Band, die letztendlich zur Schöpfung der ebenso großartigen wie weltbekannten Songs der britischen Gruppe führte.

Wie der dazugehörige Musiktitel und gleichzeitig wohl größte Hit von Queen, arbeitet Bohemian Rhapsody mit verschiedensten Rhythmen, Modi und Geschwindigkeiten innerhalb der unterschiedlichen Phasen. Nachdem das Live-Aid-Konzert als narrative und ästhetische Klammer mit geradezu zeitlupenartigem Tempo in den Film einführt, überraschen die ersten 20 Minuten mit ungeahnt hoher Erzählgeschwindigkeit. Die in anderen Musik-Biopics oftmals ausgedehnten, erfolglosen Anfänge werden hier erfrischend kurz gehalten. Eben noch im elterlichen Heim, im nächsten Moment schon bei Top of the Pops und ein Zwinkern später entwickelt die Band bereits in ländlicher Abgeschiedenheit ihre größten Hits – der Mut zur Lücke geht zugunsten der Spannung.

Sehr viel mehr Zeit investiert der Film in seine Hauptfigur auf dem Zenit des Erfolges. Schwankend zwischen Genius und Größenwahn rücken der Charakter Freddys und die Beziehungen zur Wahl-Familie Queen in den Fokus und zeichnen ein vielschichtiges Portrait des Sängers. Abgelenkt lediglich durch die leider niemals ihren Charakter als Fremdkörper verlierende, scheinbar jeden Moment heraushüpfende Zahnprothese, kann Rami Maleks intensive, körperliche Performance nur als großartig bezeichnet werden. An ihn reicht sowohl in Sachen Ähnlichkeit als auch in facettenreichem Spiel lediglich Gwilym Lee als Brian May als gute Seele der Band heran.

Abseits persönlicher Eskapaden Freddys und seiner schwierigen Suche nach der eigenen Identität sind es vor allem die Momente innerhalb der Band, die Bohemian Rhapsody sehenswert machen. Seien es die genialen Ideen und sagenumwobenen Entstehungsgeschichten der Songs, die intensiven und oftmals schmerzhaften Auseinandersetzungen innerhalb der Band oder die schrillen Auftritte – der Film ist immer dann am besten, wenn es um die Musik geht.

Einen glorreichen und in Länge und Ausführlichkeit in der Geschichte der Musik-Biopics bisher nicht dagewesenen Höhepunkt bildet schließlich das Ende des Films. In einer nahezu deckungsgleichen Inszenierung des Live-Aid-Auftritts, fokussiert sich Bohemian Rhapsody auf das Wesentliche und stellt die unvergleichliche Energie der Performance und die Musik von Queen in den Mittelpunkt. In einem Moment cineastischer Perfektion überträgt sich die ton- und bildgewaltige Wucht durch die Leinwand hindurch in den Kinosaal und führt zu einem selten dagewesenen Hochgefühl. Wer sich von den sichtbaren (Schall-)Wellen der Begeisterung und der großartigen Musik nicht anstecken lässt, wurde vermutlich ohne ein Quäntchen Herz und Leidenschaft geboren.

Quelle: YouTube
Beitragsbild: © 2018 Twentieth Century Fox


Maria Engler ist eine der wenigen gebürtigen Berlinerinnen in Berlin und studiert Filmwissenschaft im Master. Wenn sie nicht gerade im Kino ist, schreibt sie Texte über Filme und Serien für ihren Blog diefilmguckerin.de oder andere schnieke Medien.

Ein doppelter Befreiungsschlag

Michael Bully Herbig wildert in fremden Genre-Gefilden. Abseits der Komödiensparte hält er in seinem ersten Thriller Ballon erfrischenderweise noch nicht einmal sein Gesicht in die Kamera, sondern überlässt das Feld gänzlich seinem großartigen, weil wahren, Filmstoff und erschafft einen spannenden und zeitgemäßen Film über eine spektakuläre Flucht.

Von Maria Engler


Ballon, dessen Erzählung ebenso klug auf das Wesentliche reduziert ist wie sein Titel, spielt im Jahr 1979 und erzählt die Geschichte der beiden Familien Strelzyk und Wetzel, die mit einem selbstgebauten Heißluftballon in den Westen fliehen wollen. Nachdem der erste Fluchtversuch der Familie Strelzyk, die ausgerechnet direkt gegenüber eines Stasi-Mitarbeiters wohnt, gescheitert ist, muss schnell eine neue Fluchtmöglichkeit her. Es beginnt ein Wettlauf mit den Ermittlern der Stasi, die den Fundstücken der Absturzstelle allmählich zu den Schuldigen folgt.

Der Film ist ein Befreiungsschlag sowohl für die Figuren dieser faszinierenden Geschichte als auch für den Filmemacher Michael Bully Herbig, der sich mit Ballon erstmalig, dafür aber umso eindrucksvoller, vom Ewiglustigen abwendet. Mit seinem vollständigen Rückzug hinter die Kamera zeigt er als Regisseur, Produzent und Co-Drehbuchautor neben Kit Hopkins und Thilo Röscheisen, dass er nicht nur ein Komödiant, sondern ein richtig guter Filmemacher ist.

Spannung bis zum bekannten Ende

Nachdem Disney die Geschichte der Ballonflucht, die wohl wie kaum eine andere nach einer Verfilmung schreit, 1982 unter dem Titel Mit dem Wind nach Westen mit John Hurt in der Hauptrolle in ihrer vollen Detailfülle ausgewalzt hat, wird sie in Ballon auf das absolut Wesentliche beschränkt. Der Film steigt kurz vor dem ersten Fluchtversuch ein und begleitet anschließend hochgradig spannend die Hindernisse und Erfolge auf dem Weg zum zweiten Anlauf. In knapp 120 Minuten Laufzeit wird hier ein absolut gelungener Schwerpunkt auf den Kern der Geschichte gelegt.

Details über Hintergründe, moralische Bedenken und den eigentlichen Antrieb der Familien werden in Zwischentönen erzählt und vieles den Ergänzungen der Zuschauer*innen überlassen, was ihnen einen erfrischend aktiven Part verleiht. Die enorme Zuspitzung der Geschichte steigert die Handlung trotz bekanntem oder zumindest erwartbarem Ende bis ins aufgeregte Augenzuhalten und nervöse Herumzucken im Kinosessel.

Dunkirk mit Blümchenmuster

Die zusammengezurrte Erzählweise und die Ästhetik von Ballon erinnern im besten Sinne an amerikanisches Kino. Der tickende Soundtrack legt sich in seiner Hans-Zimmer-mäßigen Art zwar zuweilen etwas schwer über detailverliebten Bilder, ist aber neben der verschlungenen Geschichte bis zum Schluss ein Motor für die emotionale Bindung an die Ereignisse. Der Kameramann Torsten Breuer leistet mit zahlreichen spannenden bis ungewöhnlichen Einstellungen und Bewegungen der Kamera erstklassige Arbeit und fängt die authentischen DDR-Sets inklusive grausamen, aber niemals von oben herab belächelten Blümchentapeten perfekt ein.

Aus der insgesamt sehr guten Riege der Schauspieler*innen sticht nicht nur David Kross mit unansehnlichem Schnauzer, sondern vor allem Thomas Kretschmann als Stasi-Detektiv der fiesen Sorte gesondert hervor. Im Stile eines viel weniger affektierten Hans Landa entfaltet sich seine Grausamkeit weniger als persönliche Eigenart, sondern eher als Bösartigkeit eines in sich faulenden Systems.

Ballon kommt Michael Bully Herbig kommt am 27.9.2018 im Verleih von Studiocanal in die Kinos und hat eine Spielzeit von 120 Minuten. Ein Trailer ist online verfügbar:

Quelle: YouTube
Beitragsbild: © Studiocanal GmbH


Maria Engler ist eine der wenigen gebürtigen Berlinerinnen in Berlin und studiert Filmwissenschaft im Master. Wenn sie nicht gerade im Kino ist, schreibt sie Texte über Filme und Serien für ihren Blog diefilmguckerin.de oder andere schnieke Medien.

„Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?“

Aus der Verfilmung der Dreigroschenoper, dem besten Theaterstück bzw. „Musical“ der Welt, vom großen Bertolt Brecht ist nie etwas geworden – zu sehr unterscheiden sich die Grundlagen des epischen Theaters, das zum kritischen Denken und Hinterfragen einladen soll, und die der Filmindustrie, die Gefühle zeigen und von der Realität ablenken will. 90 Jahre nach der Uraufführung des Stücks hat sich nun der Brecht-Kenner und Regisseur Joachim A. Lang daran gemacht, den Dreigroschenfilm endlich zu drehen. „Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm heißt jetzt das Werk. Daraus wurde der beste Film der vergangenen Jahre, vielleicht sogar der beste Film überhaupt. Eine Liebeserklärung!


Gemeinsam mit dem Komponisten Kurt Weill (dargestellt von Robert Stadlober) will Brecht (gespielt von Lars Eidinger) das Werk für die Leinwand überarbeiten. Das Stück ist im 19. Jahrhundert angesiedelt. Der Räuber Macheath, genannt Mackie Messer (Tobias Moretti), brennt darin mit Polly Peachum (Hannah Herzsprung), der Tochter des Bettlerkönigs Jeremiah Peachum (Joachim Król), durch. Daraufhin veranlasst Letzterer mit der Drohung eines Bettleraufstandes und der Bestechung von Prostituierten, Mackie festzunehmen und zu hängen. Macheath kann nur durch einen Verfremdungseffekt gerettet werden: einer königlichen Begnadigung. Das Werk nach Brechts Vorstellungen zu verfilmen, scheitert aber schnell an den unterschiedlichen Absichten von Autor und Produktionsfirma: Während Brecht den außergewöhnlichsten Film aller Zeiten machen will, verfolgen die Produzenten von Nero-Film rein wirtschaftliche Interessen, wollen daher die Konventionen der filmischen Verblödung pflegen und haben Angst vor politischer Zensur. Die Parteien ziehen sogar vor Gericht.

Foto: © Stephan Pick

Lang ist etwas Großartiges gelungen, etwas, das man dem Film kaum noch zugetraut hätte – ganz besonders einer deutschen Produktion, gilt der deutsche Film heute doch als seichte und redundante Bespaßung einer vergreisten Gesellschaft. Der Regisseur liefert tatsächlich die filmische Adaption eines epischen Theaterstücks, das es an Graden der Verfremdung – seltsamer Elemente, die den Zuschauer darauf hinweisen, dass es sich um ein Stück handelt, der daraufhin auf Distanz zum Gezeigten geht und erkennen soll, dass die Realität änderbar ist – mit dem epischen Theaters aufnimmt. Der experimentelle und gesellschaftskritische Film hat hiermit einen Höhepunkt gefunden.

Denn Lang hat nicht einfach das Drehbuch des Dreigroschenfilms auf die Leinwand gebracht. Vielmehr zeigt er, wie Brecht und seine Freunde sich das Werk erarbeiten und um mit Nero Film kämpfen und prozessieren. Es handelt sich dabei nicht nur um einen Film im Film, sondern um eine ständige Interaktion und Verwischungen der Fiktionsebenen, bis hin zum kompletten Umfallen der vierten Wand und Appellen an das Publikum. Gerne unterbrechen sich etwa die Filmebenen gegenseitig, vor allem während des Singens, damit die Lieder auch ja nicht zum Einfühlen und Schunkeln einladen, wie es leider bei so mancher Aufführung der Dreigroschenoper in den vergangenen Jahren der Fall war.

Dabei wird sogar der Gerichtssaal schließlich zur Theaterbühne und soll den Verfall der Kunst zu einer Ware im kapitalistischen Prozess der Kulturindustrie zeigen. Brecht wollte damit die Wirklichkeit inszenieren, und Lang liefert mit einiger Verspätung die dramaturgische Darstellung dazu. Durch die zahlreichen Verfremdungseffekte und indem Lang die Hintergründe des Dreigroschenfilms darstellt und zeigt, wie die Protagonisten selbst zeigen und inszenieren, hat er das geschafft, was bisher als unmachbar galt: dass der Film im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit an die künstlerische Qualität und Kritikfähigkeit des modernen Theaters heranreicht. Das erfordert vom Zuschauer natürlich mehr als nur zu glotzen. Es erfordert eine Reflektionsfähigkeit, die Fähigkeit zu sehen, kurz: Es erfordert den Spaß an einem Lernprozess statt banaler Unterhaltung. Es erfordert also genau das, was Brecht wollte. Chapeau! Übrigens ist es dazu nicht einmal nötig, die Dreigroschenoper tatsächlich schon gesehen zu haben, da Handlung und Unterschiede zum Film in Mackie Messer herausgearbeitet werden.

Foto: © Stephan Pick

Der Film wäre natürlich nicht so gut, ohne die zum größten Teil grandiose Darstellung der Protagonisten möglich gewesen. Eidinger beispielsweise spielt den Brecht nahezu perfekt. Optisch scheint er ein Spiegelbild des Brechts der 1920er und 1930er zu sein. In gewisser Weise wirkt er also authentisch. Auch sein Text ist nicht ausgedacht: Lang hat aus dem Werk Brechts und überlieferten Zitaten den Text des filmischen Protagonisten Brecht zusammengeschnitten. Alle Aussagen Eidingers sind also Brecht-Originale. Die haut der Schauspieler in einem ruhigen, mal ernsten, mal vor Ironie beißenden Ton heraus und sorgt so für eine Pointe nach der anderen: etwa wenn er die Filmgesellschaft, Journalisten oder das Gericht vor den Kopf stößt, teils auch mit Obszönitäten, die die Wirklichkeit seiner Leser widerspiegeln sollen. Eidinger gelingt es dabei, ein originalgetreues Bild zu zeichnen. Denn Brecht wird bei ihm einerseits zu einem marxistischen Macho, andererseits zu einem sehr empfindsamen Denker, der versucht, sich in einer Ära der Kulturreaktion zu behaupten.

Andererseits wird die Rolle selbst verfremdet, wenn Eidinger versucht, wie Brecht zu singen, mit schwäbischen Akzent und einem rollenden R, was einfach nur gelungen seltsam klingt. Hervorzuheben ist auch Herzsprung als Polly. Sie durchläuft im Film, anders als Polly in der Dreigroschenoper, eine starke Wandlung: vom verliebten und naiven Mädchen voller Sinnlichkeit und zarter Gesangsstimme zur knallharten Bankerin, die anstatt Räuberbraut zu werden, eine Bank kauft und mit dem Kapital Mackie freikauft. Gerade Herzsprung hat damit eine anspruchsvolle Rolle, denn sie muss sich nicht nur als Polly im Dreigroschenfilm wandeln, sondern spielt auch noch in der Rahmenhandlung die Schauspielerin Carola Neher. Ähnliches gilt für Moretti, der aus dem Räuber Mackie Messer schließlich den bourgeoisen Banker Macheath macht.

Foto: © Stephan Pick

Die neue Wende des Films ist, wie alles andere auch, eine beachtliche Leistung Brechts, wenn er den Film umschreibt und die Räuber sich in Banker verwandeln lässt. Der kapitalismuskritische Satz von Mackie am Ende der Dreigroschenoper, was denn ein Bankraub schon gegen die Gründung einer Bank und ein Mord im Vergleich zu einer Aktie sei, wurde für den Film wörtlich genommen. Die Grenzen zwischen Bourgeois und Räuber verwischen. Zum Finale hat Lang diesen Wandel erfolgreich in einer Analogie dargestellt, indem die Räuber über eine Brücke gehen und als Banker im neoliberalen 21. Jahrhundert ankommen. Hier schließen Staat und Räuberbank Frieden und sperren das soziale Elend ins Dunkel.

Der Film wäre natürlich ein Flopp, wenn die Musik nicht gut gespielt wäre. Das SWR-Symphonieorchester ist jedoch in Höchstform, schon beginnend mit einem eindringlichen Zweiten Dreigroschenfinale, aus dem der bekannte Satz „Erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“ stammt. Dies singt Moretti übrigens überwältigend. Doch auch die meisten anderen Schauspieler (außer Król, der als Peachum nicht akzentuiert genug singt) stehen ihm im Gesang in nichts nach: zum Beispiel Britta Hammelstein als die Prostituierte Seeräuber Jenny. Die Basis für die große musikalische Leistung liefern die Komponisten Walter C. Mair und Kurt Schwertsik. Denn das musikalische Finale, wenn sich die Räuber in Banker verwandeln, liegt von Weill nicht vor. Es gibt nur den Text von Brecht. Also haben die Filmkomponisten im Stile Weills die Noten dafür geschrieben. Doch man merkt kaum den Unterschied zwischen ihrer Komposition und den Schlagern Weills, die durch ihre Leichte, abgewechselt von schroffen Akkorden und tonalen Brüchen, ein bizarres Verhältnis zu den derben Liedtexten eingehen.

Foto: © Stephan Pick

Es wäre also fast eine große Ironie, wenn dieser experimentelle, bunte und vielschichtige Film tatsächlich einen Oscar (also den Preis der Kulturindustrie schlechthin) als bestes fremdsprachiges Werk gewinnen würde. Auf der deutschen Auswahlliste steht er zumindest schon einmal. Lang und sein Team haben in mehrfacher Art das geliefert, was Brecht-Fans nicht zu hoffen wagten: erstens, den deutschen Film in einer großen Produktion künstlerisch zu retten, zweitens, den Film Brechts in epischer Form zu drehen, und drittens, dabei Brecht selbst zu inszenieren. Die Arbeit dieser Nachgeborenen ist gelungen, das Meisterwerk ist vollendet! Denn – und das habe ich bisher noch nie über ein dramatisches Werk von jemandem gesagt, und werde es wohl so schnell nicht wieder tun –: Dieser Film reicht an das Werk Brechts heran.

Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm kam am 13.9.2018 unter der Regie von Joachim A. Lang in die Kinos, wurde von Zeitsprung Pictures, dem SWR und Velvet Films realisiert und hat eine Spieldauer von 131 Minuten. Eine zweiminütige Kurzfassung ist online verfügbar:

Quelle: YouTube
Beitragsbild: © Stephan Pick

Besiegt die Hoffnung die Verzweiflung?

Freundschaft, Hoffnung, Vertrauen und Verrat. Große Gefühle, universelle Themen. In seiner Neuinterpretation des Film- und Buchklassikers „Papillon“ bringt Regisseur Michael Noer sie auf die Leinwand.


Die Geschichte ist eigentlich nicht sonderlich komplex: Henri „Papillon“ Charriere (Charlie Hunnam) wird zu Unrecht zu lebenslanger Haft verurteilt, und weil er schon vor seiner Verurteilung keine weiße Weste hatte, glaubt ihm niemand. Er verschwindet in den Gefangenenlagern, die Frankreich in den 30er-Jahren in Französisch-Guayana betreibt. Hier lernt er den Fälscher Luis Dega (Rami Malek) kennen und zwischen ihnen entwickelt sich eine Zweckbeziehung, die nach und nach zur Freundschaft wird. Dega verfügt über Geld, Papillon über Körperkraft. Nur diese Kombination ermöglicht ein Überleben in der Strafkolonie. Alleine – das begreifen beide noch bevor sie einander mögen – ist eine Flucht aussichtslos. Doch auch wenn es Papillon gelingt, sie beide gegen die Angriffe anderer Häftlinge zu verteidigen und die Bestechungen Degas minimale Verbesserungen des Haftalltags bewirkten, mündet jeder Fluchtversuch in drakonischen Strafen durch die Wärter. Schließlich kommt es zur ersten Katastrophe, das Team der beiden Männer wird  getrennt und ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt wird.

Charlie Hunnam und Rami Malek in „Papillon“, © Constantin Film.

In zeitgemäßer Hochglanzoptik erzählt Noer eine Geschichte, die schon einmal die Kinozuschauer begeistert hat. Bereits 1973 verfilmte Franklin J. Schaffner die autobiographische Erzählung des französischen Schriftstellers Henri Charrières.

So gnadenlos wie die Wärter der Strafkolonie mit den Gefangenen umgehen, so  geht Noer hierbei mit den Zuschauerinnen und Zuschauern um. Gewalt, Tot, Hunger und Elend hunderter verurteilter Männer ergießen sich ins Kino und lassen den Blick nicht entkommen. Doch Noer ergötzt sich nicht am Schrecken, er verleiht ihm Ausdruck. Ausdruck in ungewöhnlich langen Kameraeinstellungen, frontal gefilmten Gesichtern und kurzen, aber ausdrucksstarken Dialogen. Bemerkenswert hierbei ist der Spagat, der ihm zu gelingen scheint. Auf der einen Seite zeichnet er ein Bild der Hölle auf Erden und auf der anderen Seite eines der beispiellosen Freundschaft zweier Männer. Dies gelingt ihm ohne pathetische Dialoge und kitschige Bilder. So überbrückt er die Kluft zwischen den beiden tragischen Helden in dieser Ausnahmesituation und den Kinozuschauerinnen und Zuschauern. Dies geht soweit, dass man sich dabei ertappt, sich aus der samtigen Komfortzone der Kinosessel hervorzuwagen, und mit Papillon und Dega auf eine strapaziöse Reise geht, die schließlich ein gutes Ende nimmt.

Quelle: YouTube

„Papillon“ von Michael Noer startet am 26. Juli 2018 im Kino.

Titelbild © Constantin Film

Annihilation – die Auslöschung der W-Fragen

Die bei Netflix nicht zufällig mit „mind-bending“ verschlagwortete, recht eigenständige Verfilmung des ersten Teils jener nebulösen, sprich: mit dem Nebula Award ausgezeichneten, Southern-Reach-Trilogie von Jeff VanderMeer ist ein vagemutiges Speculative-Fiction-Abenteuer von Alex „Machina“ Garland (Sunshine).

Click here for an English version of this review published on novelle.wtf.

Beim Anschauen seines empfehlenswerten neuen Kinofilms für daheim muss man nicht nur an ästhetisch-ätherisch nahestehende Meisterwerke wie Stalker oder Under the Skin denken, sondern auch an die Honest-Trailers-Kakaoten, da der Streifen so manche Vorlage für satirische Dreistigkeiten bietet: die in rund 16,8 Millionen Farben schillernden Seifenblasen etwa, welche zu raffen sich die fünf ghostbustenden Ladys, darunter Jennifer Joker Leigh, Natalie Mossad und Vergina Rodriguez, vorgenommen haben; oder die neuste Nvidia-Demo als Vorspiel zum Spiegeltango mit Fremdart & Gefunkel. Glücklicherweise wird hier Unbegreiflichkeit großgeschrieben, was eine ordentliche Lanze für Weird Fiction bricht und das dramaturgische Optimum rauskitzelt.

Darüber hinaus wurde die hier propagierte Beyondischkeit – eine der größten Verstörungen seit langem ist die Intestinalszene, wobei es auch reichlich ungemütlich anmutet, von Mr. Unheimlich erst sequenziert und dann an die Wand getänzelt zu werden – sauschön in Szene gesetzt. Jenes Andere, banaler: Außerirdische ist nicht zum Verstandenwerden hier, sondern um Usurpationsspielchen (oder whatever the fuck da los ist) zu treiben und dabei mit menschelnden Chimärchen und anderen herrlich üppigen Abartigkeiten in Tateinheit mit transzendentalem Lensflare (vgl. Turok) möglichst nonchalant gegen die Mutagenfer Konvention zu verstoßen.

Der häufigste Satz im Film lautet „Ich weiß es nicht“ und lädt herzlich dazu ein, die Gleichung „Wissen = Macht“ zu überdenken.

„Annihilation“ bzw. „Auslöschung“ feierte seine deutsche Erstausstrahlung am 12. März 2018 bei Netflix.
Titelbild: © Netflix

Von Amateur zu Amateur. DIY-Kult-Filmemacher Dirk Oetelshoven und Jens Barlag im Interview

Anarchie war immer eine der Urtriebfedern des Films“ – zumindest aber ist sie es für den No-Budget-DIY-Epos Amateure. Den Film drehte Dirk Oetelshoven, als die fetten Jahre vorbei waren, in Ko-Regie mit Jens Barlag. Warum sie dies taten, wie der Film sich im anarchischen Kino verortet und warum ausgerechnet Robbie Williams mitspielt, erzählen sie im Interview.

Zur Orientierung: Dirk Oetelshoven, geboren 1968 in Remscheid, ist seit Schulzeiten fasziniert von Film und Theater, als Darsteller sowie als Regisseur und Autor. Die ersten Erfahrungen sammelte er mit den Theatergruppen „Hootons wilde Komödianten“ und „Brot & Spiele“. Mit der Letzteren hat er viele preisgekrönte Kurzfilme gedreht. Nach dem Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln arbeitet er u. a. auch als Cutter für TV und Kino (z. B. Die fetten Jahre sind vorbeiDie Summer meiner einzelnen Teile). Dirk ist verheiratet mit der Videokünstlerin Magdalena von Rudy und lebt zusammen mit ihr und ihren beiden Söhnen in Wuppertal. Jens Barlag, geboren 1967 in Nordhorn, Germany, wiederum studierte an der Kunsthochschule für Medien Köln von 1995 bis 2000. Um ihren 2009 veröffentlichten gemeinsamen Film Amateure dreht es sich im Folgenden.


Euer Film Amateure ist „so geil, du lachst Kotze“. Was ist sonst noch so alles zum Kotzen/Lachen/Klotzen/Koten/usw.?

Dirk

Worte mit K sind komisch; „Kruzifix“, „Karambolage“ ist komisch. „Kakerlake“ ist sogar sehr komisch. „Amateure“ ist nicht komisch. Also das Wort, mein ich …

Jens

Ich finde „kotzen“ und „koten“ nicht witzig und „Kotze lachen“ erst recht nicht, sondern eher ekelig. Allerdings ist „Amateure“ auch nicht witzig, den Film meine ich.

Als Alternativtitel kämen in Frage: „Schaben“, „Suppenhelden mit Schlumpfhoden“ oder „Tragödem – Desolat-Aggregationen“ – wie wichtig ist das Depressive in der Kunst?

Dirk

Um es mit Mel Brooks zu sagen: Tragödie ist, ICH haue mir mit dem Hammer aus Versehen auf den Daumen. Das tut weh, ich bin schlecht gelaunt etc. Komödie ist, DU wirst vom Bus überfahren und stirbst!

Jens

Ich mag traurige Lieder, traurige Filme und traurige Menschen.

Welche Bedeutung haben das sog. Fremdschämen und verwandte Geschmackskniffe?

Dirk und Jens

Besser Fremdschämen als fremdenfeindlich!

Nur Dirk

Aber ernsthaft: Ich glaube, wenn Trump, Putin, Erdogan, Wilders, Petry, LePen, Farage, Johnson, Imperator Palpatine für den Bruchteil einer Sekunde spüren könnten, was sie in anderen Menschen für Gefühle auslösen, sie würden sich vor Scham in Meerschaum auflösen. Nicht in diesen schönen weißen Meerschaum, sondern diesen öligen, gelben, nach Fäulnis und Fisch stinkenden Meerschaum.

Jens

Ich glaube nicht, dass die Damen und Herren wasserlöslich sind, aber schön wäre es. Fremdschämen ist immer scheiße und fremdenfeindlich ist noch mehr scheiße.

Einer der Superhelden im Film heißt TRAFO, seine Sidekick-Freundin LUX; ein anderer nennt sich AKKU. Ergeben die drei in Kombination irgendeine relevante Gerätschaft, von der ich wissen sollte?

Dirk

Das ist doch klar: Natürlich die WDR-2-Schütteltaschenlampe!

Jens

Als der Film gedreht wurde, war das iPhone noch nicht erfunden, wir waren immer unserer Zeit ein Stück voraus.

Was steckt hinter dem Plakat von Robbie Williams in Jürgens Wohnung (außer Tapete natürlich)?

Dirk

Dahinter steckt der vergebliche Versuch unserer Praktikantin, auch Ausstatterin sein zu wollen.

Jens

Ich dachte immer, dass die Praktikantin zu faul war, das Bild abzuhängen.

Ich habe polnische „Vogelmilch“ probiert und war enttäuscht – deutsche Süßigkeiten sind doch gar nicht so übel?

Dirk

Vergiss es. Nur der Mangel macht’s. Aus ihrem Bonbon-Stanniolpapier basteln die Polen wahre Kunstwerke! Kleine bunte Kirchen oder Paläste. Wow!

Jens

Sorry, da bin ich raus.

Was ist vom Bedingungslosen Grundeinkommen zu halten, das immerhin für 1000 Gramm Brot und 12 Spiele reichen müsste?

Dirk

Nur her damit, und dabei gehts mir gar nicht ums Geld, sondern: Wie sähe eine Welt aus, in der jeder nur noch das macht, was ihm Spaß macht? The Walking Dead oder Star Trek: The Next Generation?

Jens

Anarchie war immer eine der Urtriebfedern des Films, auch wenn ich das erst Jahre später begriffen habe.

Wodurch sollte der übliche Büroalltag am ehesten ersetzt werden, um alle akuten gesellschaftlichen Probleme endlich in den Griff zu bekommen: Nazighuule, Macrogol oder Antihistaminika-Horrortrips?

Dirk

Definitiv Nazighuule. Endlich mal ein Wort, das man nicht googeln kann!

Ansonsten vertrau’ ich auf die Entwicklung der KI, die uns alle Arbeit abnehmen wird. Ich hör jetzt schon mal auf zu arbeiten, damit es schneller geht. Doch auch die KI wird irgendwann die Schnauze voll haben, also sollte die KI vielleicht nicht zu I sein.

Jens

Und wir singen im Atomschutzbunker: „Hurra, diese Welt geht unter!“ Auf den Trümmern das Paradies.

Wie schneidet Helges Jazzclub im Vergleich zu seinen anderen Filmen ab?

Jens

Muss zugeben, dass das der einzige Schneider ist, den ich noch nicht zu Ende gesehen hab. Was sagt das über mich?

Dirk

Im Wendekreis der Eidechse dagegen ist ein kleines Meisterwerk meiner Ansicht nach. Hugos Ansicht nach auch! (Mein Sohn, 10.)

Jens

Mit Helge Schneider konnte ich nie was anfangen, Terror 2000 finde ich weitaus besser.

Was ist zum zeitgenössischen deutschen Film zu sagen?

Dirk

Hallo, zeitgenössischer deutscher Film, aber ich kann heute leider wieder nicht, sorry …

Jens

Jetzt mal eine ernste Antwort: Da gibt es eine Menge Dreck, aber ein, zwei Perlen sind dabei.

Welche Geheimtipps des (nicht ausschließlich deutschen) Indie-Kinos wären nennenswert?

Dirk

Super von James Gunn natürlich, auch wenn er alles geklaut hat von uns, aber man muss auch gönnen können.

Jens

Da schließe ich mich an.


Den gesamten Film Amateure gibt’s hier:

Quelle: YouTube

Lommbock. Bestandsaufnahme des deutschen Gourmet-Kinos

Wer dachte, dass nach Lammbock nichts mehr kommt, hat seine Rechnung ohne Kiffer gemacht. Denn die bewegen sich langsam. Aber sie bewegen sich.


Und so finden 16 Jahre später alle wieder zueinander. Stefan (Lucas Gregorowicz) und Kai (Moritz Bleibtreu), einstige Betreiber einer Würzburger Pizzeria mit Namen “Lammbock”. Genauso die beiden Dauercamper Frank (Wotan Wilke Möhring) und Schöngeist (Antoine Monot Jr.) sowie Stefans Exfreundin Jenny (Alexandra Neldel). Die beiden waren schon bei Lammbock nicht mehr zusammen, aber so richtig hat das nie mit ihnen aufgehört. Dass inzwischen aus dieser kleinen Schauspielriege in den Klammern, die bei Lammbock noch an ihren Anfängen stand, Berühmtheiten unterschiedlichster Formate geworden sind, macht ein wenig den Reiz des Films aus.

Unter ihnen befindet sich ja nicht zuletzt einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsdarsteller. Zwei haben inzwischen die Fronten gewechselt und sind, der eine für den Polizeiruf, der andere beim Tatort, unter die Kommissare gegangen. Andere haben sich als Tech-Nick oder Wanderhure Namen gemacht und Werbefernseh- bzw. Sat1-FilmFilm-Geschichte geschrieben. Dass Christian Zübert, dem wiederkehrenden Regisseur der Reihe, die Entwicklungen des deutschen Kinos nicht entgangen sind, zeigt auch das Fingerspitzengefühl, mit dem er den Cast, um “Freistatt”-Darsteller Louis Hoffmann etwa, auffrischt. Aber alle einfach zusammenzuwerfen und machen zu lassen reicht natürlich nicht. Worum geht’s hier?

Das Drehbuch macht aus Lommbock zunächst eine Bestandsaufnahme. Natürlich war Lammbock einst, wenn man es runterbricht, bloß ein gut gemachter Genrefilm, der zwei chaotische Freunde, die eigentlich nur Spaß, Gras und Ruhe suchten, mit den Wirren der sie umgebenden bürgerlichen, versteiften Gesellschaft konfrontierte. Nach eineinhalb Stunden war alles gesagt. Aber nur mal angenommen, die Biografien unserer Helden von einst hätten doch über die damals präsentierten 90 Minuten hinausgereicht: Wie wären sie verlaufen? Als Marihuana-Produzenten und gewiefte Dealer hätten sie es in Würzburg wohl nicht weit gebracht. Das Drogengeschäft hat sich geändert, wurde inzwischen von richtigen Geschäftsleuten übernommen. Und eigentlich waren die beiden ja schon in Lammbock zu alt für ihren Lebensstil und mussten sich mit dem an sie herangetragenen Anspruch auseinandersetzen, eine Erwachsenenpersönlichkeit auszuprägen.

Im drogenfeindlich präsentierten Bayern gab es da eigentlich nur zwei Optionen: anbiedern oder auswandern. Und während sich Kai nun für das erste entschied, wählte Stefan das zweite. Beide wohlgemerkt im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Denn so richtig glaubt sich weder der bayerische Patchworkfamilienvater noch der millionenschwer verlobte, in Dubai lebende Geschäftsmann seine Rolle. Dass Dubai ohnehin keine gute Idee für Drogenfreunde ist, sei an dieser Stelle vorweggenommen. Als Letzterer nun für Papierkram mal wieder in die Heimat reist, eskaliert die Situation im Grunde unmittelbar. Denn wie sehr man sich auch weiterentwickelt hat, fällt man doch auf vertrautem Terrain rasch in alte Rollen. Erschreckend vieles scheint mit feinen Unterschieden ohnehin beim Alten zu sein. Aus der Pizzeria Lammbock ist der Asia-Imbiss Lommbock geworden. Und während Kai und Stefan im Film einen stetig wachsenden Haufen vermeidbarer Probleme aus dem Weg schaffen müssen, gelingt es ihnen, wie schon in Film eins, sich zu den wichtigen Fragen vorzuarbeiten, denen, die das eigentliche Problem sind: Was wollen sie eigentlich vom Leben? Lommbock stellt indes nicht nur Lebenspläne infrage, sondern zerschießt sie systematisch, was aber völlig okay ist, da diese eben einfach nicht gut waren.

Ein bisschen fühlt sich der Film dabei an wie ein Klassentreffen. Eines, bei dem man als Filmzuschauer das Privileg genießt, als unsichtbarer Betrachter bloß zusehen zu dürfen und zu staunen, was da aus all den Hoffnungen von früher geworden ist. Das Blöde am Unsichtbarsein, Sam wird das bestätigen, ist allerdings, dass man nicht eingreifen kann. Und so wird man wieder wehrloser Zeuge gewohnt unangenehmer Szenarien. Auch wenn die vielleicht nicht an die Überraschungsparty-Staubsauger-Szene von einst heranreichen, kommt Lommbock doch ohne Frage für seine Kosten auf. Elegante Twists spielen hierbei eine wichtige Rolle. Und Wotan Wilke Möhring gelingt es womöglich gar, seinen kleinen Sidekick zur Rolle seines Lebens auszubauen.

© Wild Bunch Germany

An selbstreferenziellen Verweisen mangelt es ebenfalls nicht. Schwächen hat der Film höchstens darin, als unabhängige Geschichte zu funktionieren. Vielleicht kommt er auch gegen sein prägnantes Vorbild etwas aufgeblasen daher. Aber geben wir dem Ganzen doch nochmal 16 Jahre. Lummbock, das große Trilogie-Finale, bügelt alles aus. Und wer weiß: Bis dahin ist Louis Hofman Dschungelkönig und Alexandra Neldel Oscarpreisträgerin. Mit etwas Glück sitzen Kai und Stefan dann (Achtung: Spoiler) hoffentlich auch nicht mehr im Gefängnis.

Merke: Lommbock fällt elegant zwischen die Zielgruppen und funktioniert in erster Linie als Fan-Arbeit eines Kultfilms, ist aber nicht nur für Liebhaber von Playstations und Gourmetpizzen unbedingt empfehlenswert. Geheimtipp: Vorher nochmal Lammbock gucken. Ist zurzeit auch bei Netflix. Zufälle gibt’s.

Titelbild: © Wild Bunch Germany

Hitlers Hollywood – Eine Geschichte des deutschen Films

Mit einem reißerisch anmutenden Titel wird ein dokumentarisches Portrait des deutschen Films vom Zerfall der Weimarer Republik bis zum Untergang des Dritten Reichs gezeichnet. Dieser Zeitraum geht einher mit der vollständigen Dekadenz einer hinsichtlich Innovation und Fortschritt einst weltführenden Institution kultureller Produktion. Welche Rolle hatte der deutsche Schauspielfilm als Propagandamittel und warum konnte er vermutlich dadurch bis heute nie an seinen ehemals progressiven und avantgardistischen Charakter anknüpfen? Eine Annäherung mit Verweis auf aktuelle Diskurse der filmischen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit.


„Hitlers Hollywood“. Was hat sich Rüdiger Suchsland – seines Zeichens nicht zuletzt aufgrund seiner Tätigkeit für überregionale Tages- und Wochenzeitungen viel gelesener Filmkritiker – bei der Titelauswahl für sein neuestes selbst produziertes Werk gedacht? Ohne ihm dies an dieser Stelle zu unterstellen, werden böse Zungen mit dem Vorwurf des Pathos sagen: Hitler geht immer. Denn die moderne Personifizierung des Bösen garantiert hohe Einschaltquoten und Auflagezahlen. Oder aber ist es in heutigen Zeiten des Clickbaitings ein legitimes Mittel, mit vermeintlich profanen Namensgebungen ein breiteres Publikum für einen gesellschaftsrelevanten Diskurs zu gewinnen?

Ganz abwegig erscheint diese Intention nicht, denn die Kontinuität von faschistischen und menschenfeindlichen Denkweisen in der europäischen Zivilgesellschaft macht deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit der ach so ruhmvollen Vergangenheit der deutschen Nation(en) immer Aktualität und deswegen Relevanz besitzt. Denn der Weg des Vergessens ist offenkundig der bequemere und so manche٭r Mitbürger٭in wird nicht müde, die eigene Müdigkeit zu betonen, die Verantwortung für die ((Ur-)Groß-)Elterngeneration für einen Teil mitzutragen. Dies ist keine neue Erkenntnis und deswegen braucht dieser Aspekt gewiss nicht diskutiert zu werden.

Histotainment oder die Knoppisierung der Geschichte

Unterhalten werden möchten die deutschen Medienkonsument٭innen offensichtlich dennoch. Und geht es um Entertainment, so bietet sich die nationale Vergangenheit mit den Jahren 1933 bis 1945 als Spitze des Eisberges geradezu als ein unversiegbares Füllhorn an. In diesem Zusammenhang geht es jedoch nicht um Schuld oder ein Verantwortungsgefühl, das nicht weiter als Last empfunden werden möchte. Die Ausstrahlung diverser TV-Produktionen, die sich inhaltlich mit der nationalsozialistischen Ära auseinandersetzen, setzt dies jedoch auch nicht voraus. Außerordentlich fragwürdige Projekte, wie die 2013 im ZDF und ORF ausgestrahlte und eine breite Öffentlichkeit erreichende Trilogie Unsere Mütter, unsere Väter arbeiten konsequent an einem naiven Bild der ideologiebefreiten deutschen Jugend. Andere Beispiele für diese Depolitisierung und einem damit einhergehenden tendenziellen Schuldfreispruch der Zivilgesellschaft sind Dresden (2006), Die Flucht (2007) oder Die Gustloff (2008).

Einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung des deutschen Opfermythos leistete zweifellos der Publizist und Populärhistoriker Guido Knopp, der sich für zahlreiche Produktionen mit dem vermeintlichen Anspruch des Dokumentarischen, von denen die ebenfalls im ZDF erscheinende Reihe History die wohl bekannteste ist, verantwortlich zeichnet. Knopp hat mit seiner Herangehensweise in gewisser Weise gar ein eigenes Genre geschaffen, mit dem sich die dunkle und so fern scheinende Vergangenheit wunderbar gemütlich auf dem heimischen Sofa konsumieren lässt: das Histotainment. Hierbei geht es, wie der Name bereits verrät, nicht um Bildungsarbeit und Aufklärung im Sinne geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern primär um den Unterhaltungscharakter bei der Aufarbeitung der damaligen Ereignisse.

So ist es nicht verwunderlich, dass die führenden Vertreter des NS-Regimes und deren persönlichkeitsbildende Anomalien einen großen Raum einnehmen, während die Zivilgesellschaft folglich als das verführte oder gar wehrlose Volk präsentiert wird. Auch die Flucht vor der Roten Armee aus den damals ostpreußischen Gebieten sowie die Bombardierungen der deutschen Großstädte durch die alliierte Luftwaffe spielen in der knoppisierten Weltgeschichte eine eklatant große Rolle und werden in emotionalisierender sowie dramatisierender Ausprägung dargeboten.

Das Potential des Dokumentarischen

Das alles hat wenig mit Ansätzen gemein, die beispielsweise Claude Lanzmann in wegweisender Form verfolgte. Das über neunstündige Dokumentarmonument Shoah, das der französische Filmemacher über ein Jahrzehnt zusammenstellte und 1986 veröffentlichte, übt sich in einer Sachlichkeit, die für die unaussprechlichen Geschehnisse zwar unmöglich erscheint, dadurch jedoch ein angemessenes Distanzverhältnis gegenüber dem Zuschauenden schafft, um das nicht Darstellbare zu repräsentieren. Lanzmanns politisches Interesse liegt in diesem Kontext nicht darin, einen Film der Trauer oder Therapie zu schaffen, sondern aktuelle Zeitzeugenberichte Überlebender in ein Objekt der Massenkultur zu transformieren. Die Rezeption eines Dokumentarfilms wiederum ist stets von der Perspektive des Betrachters abhängig. So schildert der Film- und Theaterregisseur Andres Veiel, der sich in seiner Arbeit u. a. thematisch mit der Kontinuität von Gewalt auseinandersetzt, dass einige Zuschauer Schwierigkeiten mit einer Abstraktion des Dargestellten hätten, für andere hingegen „ist genau diese Reduktion die Stärke des Films. Für sie entwickelt der Film eine dokumentarische Kraft allein durch die vorgetragenen Interviews“.

Um nun eine Brücke zurück zu Rüdiger Suchslands jetzt erscheinenden Film „Hitlers Hollywood“ zu schlagen, sei noch die Begrifflichkeit der „Propaganda“ erwähnt. Der Terminus erschien zum ersten Mal im Zusammenhang der Gegenreformation und bezog sich auf die Glaubensvermittlung. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und Kriegsgefahr war „Propaganda“ in den 1930er Jahren in einem didaktischen Sinne noch positiv konnotiert, was sich erst in der Nachkriegszeit änderte. Denn der Dokumentarfilm wurde schließlich während der Kriegstage im Interesse des Krieges, Faschismus, Stalinismus sowie beispielsweise der Atombombe genutzt.

Dass dies auch für den Schauspielfilm gilt, erkennt Suchsland und setzt dementsprechend an diesem Punkt an. Denn während dem Dokumentarfilm dies in den meisten Fällen entgegengehalten wird, wird dem Spielfilm eine Grenzüberschreitung zwischen dem Fiktionalen und Dokumentarischen grundsätzlich zugestanden. Der französische Philosoph François Niney kommt zurecht zu dem Schluss, dass der „Gebrauch von ebenso vagen wie weiten Kategorien wie ‚real‘, ‚imaginär‘, ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ einen Berg von epistemologischen Problemen auf[wirft]“. Letztendlich verweisen auch fiktionale Werke wie Romane oder Spielfilme auf die Realität. Das macht Suchsland an seiner Betrachtung der deutschen Filmgeschichte während des Nationalsozialismus fest und untersucht diesen auf Elemente wie Propaganda, Gleichschaltung oder Antisemitismus.

Quelle: YouTube

Zwischen Agitation und passivem Widerstand

Anders als Knopp & Co. verfolgt der deutsche Filmkritiker das Ziel, frei von emotionaler Verklärung und Dramatik, vor allem im Hinblick auf Propaganda ein Portrait des deutschen Films zu zeichnen und in diesem Zuge dessen Parallelen zum Auf- und Niedergang des NS-Regimes zu ziehen, was durchaus gelingt. Zu Beginn der Regierung der NSDAP prägen Eigenschaften wie Kameradschaft und selbstmörderische Aufopferung das Bild. Diesbezüglich erscheint der Tod als das zentrale Stilmittel des Films. Anders als die während der Weimarer Republik entstandenen Werke zeichnen sich die Filme, für die von Anfang an Propagandaminister Joseph Goebbels Verantwortung trägt, wenig überraschend durch Kitsch, Ironiefreiheit und verkrampfte Fröhlichkeit aus.

Untermalt werden die präsentierten Beispiele von Suchsland mit Gedankenspielen von namhaften und teils fachnahen Persönlichkeiten wie Siegfried Kracauer, Susan Sontag, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und Walter Benjamin. Frühwerke wie „Hitlerjunge Quex“ aus dem Jahr 1933 haben unzweifelhaft propagandistische Zwecke und lassen die vorangegangene Periode der Weimarer Republik als eine Zeit des Chaos und der Anarchie zurück. Die Urängste vor diesen beiden Szenarien werden durch eine Ästhetisierung der Politik bedient. Die Heroisierung der Gleichschaltung und Ordnung erfolgt unter anderem in Leni Riefenstahls Film zum Nürnberger Reichsparteitag 1934.

Laut Suchsland wurden im nationalsozialistischen Deutschland ca. 1.000 Filme produziert, von denen etwa 500 als Komödien und Musikfilme einzuordnen sind, während der Rest Melodramen und Abenteuerfilme waren. Zynisch bemerkt der Regisseur, dass Horror- oder Fantasyfilme kaum Beachtung fanden, da sie sich zu nah an der Realität bewegten. Hervorgehoben wird zudem die Rolle der UFA, die Hitler und seiner Gefolgschaft durch die eigenen Wirkungskreise zunächst zur Macht verhalf und später aufgrund der Verstaatlichung zum zentralen Organ filmischer Produktion im Deutschen Reich wurde. Rückwärtsgewandtheit und nationale Isolation kann dem deutschen Film zu jener Zeit zumindest in technischer und personeller Hinsicht nicht vorgehalten werden. Neuartige Schnitttechniken schufen etwas Irreales hin zu einem Verschwimmen der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit und verhalfen dem Film somit zu einer illusionistischen Charakteristik. Viele Stars des damaligen deutschen Films waren darüber hinaus Ausländer, wie beispielsweise Marika Rökk oder der bis in die 2000er Jahre allseits beliebte Johannes Heesters.

Berücksichtigung finden in der damaligen Filmindustrie selbstverständlich Filmschaffende, die bestens für die NS-Propaganda geeignet schienen: Heinz Rühmann, dessen infantile Charaktere suggerierten, dass die Realität doch nur halb so schlimm sei. Ferdinand Marian als Hauptfigur der Verfilmung von „Jud Süß“, der sich in die Liste der 1940 veröffentlichten unmissverständlich rassistisch-antisemitischen Werke wie „Die Rothschilds“ oder „Der ewige Jude“ einreihte und die Endlösung in der Judenfrage propagandistisch vorbereitete. Die schwedische Schauspielerin Kristina Söderbaum, die als Idealbild der „arischen Frau“ aufgrund des Schicksals ihrer Charaktere den Beinamen „Reichswasserleiche“ erhielt. Und nicht zuletzt deren Ehemann Veit Harlan, der als Regisseur die Perfidität auf höchstem Niveau beherrschte und gegen Kriegsende als Speerspitze mit der Vereinigung von Krieg und Liebe die Bombenangriffe der Alliierten romantisierte und Verschwörungen gegen Kriegsgegner großzügigen Platz einräumte.

Zu den gleichgeschalteten Akteuren gesellen sich jedoch Personen, die sich in diverser Form von der einheitlichen Propaganda unterschieden. Hans Albers, vom äußeren Erscheinungsbild prädestiniert für die Propagandamaschinerie, verkörperte aufgrund seines Witzes und seiner actionlastigen Szenen in gewisser Weise den Anti-Nationalsozialisten. Auch der spätere schwedische Weltstar Ingrid Bergman bereute die einstige Kooperation in „Die 4 Gesellen“ (1938), was sie unter anderem im US-amerikanischen Klassiker „Casablanca“ (1942) untermauerte, indem sie dort eine Antifaschistin verkörperte. Gustaf Gründgens unternahm den zu seiner Vita passenden janusköpfigen Versuch zwischen Kollaboration und Widerstand.

Auch die Rolle der Frau wies gelegentlich feministische Züge auf. So behandelt Wolfgang Liebeneiner in „Großstadtmelodie“ (1943) den Werdegang einer Frau, die entgegen der Konventionen ohne Kinderwunsch und mit freundschaftlicher Beziehung zum männlichen Geschlecht sowie selbstbewusster Ausstrahlung ihre Karriereziele verfolgt. Auch wenn diese Aspekte als eine Form des passiven Widerstands interpretiert werden könnten, reicht es freilich nicht für den Titel des Gerechten unter den Völkern. Zum einen offenbarten sich keine Filmschaffenden, die sich öffentlich gegen das Regime stellten, zum anderen erschien aktiver Widerstand aufgrund des Zensurapparates und der drohenden Konsequenzen im Inland ohnehin nahezu unmöglich. Somit war Subversion, wenn überhaupt, nur in äußerst dezenter Form realisierbar: „Die Schauspieler waren die Hofnarren, die mehr als andere die Wahrheit aussprechen konnten. Aber eben nur am Hofe.“

In den letzten Kriegsjahren verweist der Versuch, sich im Genre des Fantasyfilms zu bedienen, eindeutig auf den Wunsch nach einer Gegenwelt. Harlans Morbidität bezeichnet Suchsland als kümmerliche abgebildete Sehnsucht ohne Zielsetzung. Die bis dahin teuerste und aufwendigste deutsche, in Agfacolor gedrehte, Produktion „Kolberg“ aus dem Jahr 1945 verleugnet die Vorahnungen des bevorstehenden Untergangs zwar nicht, heroisiert denselben jedoch und stellt Elemente wie den Opfertod oder schlichtweg Resignation in den Mittelpunkt. Ohne auf die nach dem Krieg folgende weitere Entwicklung des deutschen Films einzugehen, stellt Suchsland somit die offene Frage, wieviel nach 1945 vom deutschen Film weiterlebte. Denn die viel zitierte Stunde Null habe es in diesem Fall nicht gegeben. Gegen Kriegsende verlor der deutsche Film gleichbedeutend mit dem bevorstehenden Zerfall des Regimes sukzessiv an Wirkung und filmischer Leistung. Eine Dekadenz, von der sich der einst international äußerst erfolgreiche und progressive Film vielleicht bis heute nicht erholt hat.

Ergiebiges Sammelsurium mit bedeutender Schwäche

Sicher ist, dass „Hitlers Hollywood“ – trotz des für manchen wohl abschreckend wirkenden Titels – ein brauchbarer Dokumentarfilm bleibt, indem er ein Panorama des nationalsozialistischen Films malt und dabei sowohl die Gleichschaltung als auch Ansätze vermeintlichen Widerstands sowie die Tragweite einzelner Akteure beschreibt. Als problematisch kann es erachtet werden, dass es sich bei Suchslands Werk um eine Anhäufung chronologischer Informationen handelt, deren historische Einordnung jedoch an zahlreichen Stellen vermisst wird. Für nicht unwesentliche Teile der Bevölkerung, die der Beschäftigung mit der Thematik ohnehin vertraut sind, wird dies aufgrund des mitgebrachten Vorwissens zweifellos keine allzu große Hürde sein.

In Zeiten, in denen Vaterlandsliebe mit Übergehen der 1930er und 1940er Jahre vereinbart werden soll und kann, politische und historische Bildung also weitaus weniger als nur defizitär vorhanden ist, bleibt diese ausgelassene offensichtliche Kategorisierung zumindest in Teilen problembehaftet. Dies gilt gerade dann, wenn ein solcher Film der breiten Öffentlichkeit präsentiert wird, was angesichts der relevanten Materie eigentlich auch der Fall sein sollte. Erwartet werden darf außerdem nicht, dass „Hitlers Hollywood“ bedeutende neue Erkenntnisse liefert. Vielmehr ist er als ein Zeugnis einer der weitreichendsten Epochen des deutschen Films zu betrachten. Diese Funktion erfüllt er in vollem Maße.

Filmstart in den deutschen Kinos am 23.02.2017

Literatur:

Niney, François (2012): Die Wirklichkeit des Dokumentarfilms. 50 Fragen zur Theorie und Praxis des Dokumentarischen, Marburg: Schüren.

Renov, Michael (2004): The Subject of Documentary. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press.

Veiel, Andres (2006): Die Grenzen des Darstellbaren, in: Zimmermann, Peter/Hoffmann, Kay (Hg.): Dokumentarfilm im Umbruch. Kino – Fernsehen – Neue Medien, Konstanz: UVK, 274-277.

Titelbild: Hilde Krahl in Wolfgang Liebeneiners „Großstadtmelodie“

“Du wirst ihr nichts tun!” – Der Eid

Wie weit würden Sie gehen? Wenn Sie erpresst werden? Wenn ihre Familie bedroht wird? Wenn Sie sehen, wie ihre Tochter in einen Sumpf aus wilden Partys und Drogen rutscht? Wenn dem Rechtsstaat die Beweise fehlen, um die Gefahr abzuwenden, die Sie kommen sehen?


Eigentlich hat Finnur (Baltasar Kormákur) ein angenehmes und reibungsloses Leben. Mit seiner Frau Margarét Bjarnadóttir und ihrer gemeinsamen Tochter Hrefna lebt er in einem schicken Haus am Rande von Reykjavik, und sein Beruf als Chirurg ermöglicht der Familie einen komfortablen Alltag. Nur seine Tochter aus erster Ehe macht ihm Sorgen. Anna (Hera Hilmar) ist bereits volljährig, von zuhause ausgezogen, und obwohl er zu ihr ein liebevolles Verhältnis hat, scheint sie sich von ihm zu entfernen. Als sie dann zur Beerdigung seines Vaters verspätet und verkatert erscheint und sich noch vor der Trauerfeier von ihrem neuen Freund Óttar (Gísli Örn Garðarsson) abholen lässt, bekommt Finnur ein ungutes Gefühl.

Wenige Tage später wird sich dieses Gefühl bestätigen. Nachts erhält er einen panischen Anruf seiner Tochter. Von Drogen völlig verwirrt und halb betäubt sei sie auf einer Party überfallen worden. Doch die Polizei findet keine Anzeichen auf Gewalt an ihr und sie selbst kann oder will sich an nichts erinnern. Als Finnur der Sache nachgeht, offenbart sich ihm, dass Óttar mit Drogen handelt. Als er diesen zur Rede stellt und fordert, Anna in Ruhe zu lassen, bedroht dieser erst ihn, dann Anna und schließlich auch Solveig und Hrefna. Zum Handeln gezwungen, sieht sich Finnur vor eine schwierige Frage gestellt. Wie weit ist er bereit zu gehen, um seine Familie zu schützen? Mit der gleichen Präzision, die ihn in seinem Beruf befähigt Leben zu retten, geht er nun Schritt für Schritt gegen Óttar vor. Doch hierbei bricht er nicht nur mit dem hippokratischen Eid, den er als Arzt geschworen hat.

Quelle: YouTube

In 102 Minuten führt uns Kormákur, der nicht nur ein beeindruckender Schauspieler ist, sondern in seinem vierten Film auch die Regie übernimmt, durch eine schonungslos realistische Erzählung. Keiner der Charaktere – selbst Óttar nicht – ist nur gut oder nur böse gezeichnet. Jede٭r spielt seine oder ihre Rolle realistisch, unaufgeregt und lebensnah. Unterstützt wird dieses detailreiche Schauspiel durch eine filmästhetische Mischung aus düsteren nordischen Schneelandschaften und glänzenden Personenaufnahmen, die ein wenig an Hollywood erinnern. Auf die Frage, warum der Film unbedingt auf Island spielen musste, antwortet der geborene Isländer Kormákur: „(…) nur in Island kann sie so wunderbar klaustrophobisch sein.“ Damit sich einem diese spezielle Stimmung wirklich erschließt, sollte man den Film allerdings unbedingt im Original (mit Untertiteln) ansehen. Schon der deutsche Trailer vermittelt einen Eindruck davon, wie viel sonst von der Stimmung des Films verloren geht. Am Ende dieses Thrillers verlässt man das Kino mit einer Frage an sich selbst: Wie dicht ist eigentlich die zivilisatorische Decke, die wir uns umgelegt haben und wie handeln wir, wenn jemand diese Decke mit Gewalt zerschneidet?

Würden Sie für ihre Familie, für ihr Kind töten?

© Alamode Film