Schlagwort: Kinderliteratur

Das Ӎҋƈʮăęŀ-Ŝŧāʌɐŕɪč-ĶïʼnĐĕɹƃɄƆƕ-₰ρɇϛίΔḶ (fördert diakritisches Denken)

michael stavaric kinderbuchspecial

Während schlechte Kinderbücher nicht einmal als Mottenfalle taugen, zeichnet sich gute Kinderliteratur dadurch aus, dass sie ganz verschiedene Altersgruppen (auch unter „Jung und Alz“ oder „alles von 0 bis 666“ bekannt) anzusprechen bereit und fähig ist. Die Jüngsten betrachten die bumpen Bilder, die Älteren erweitern ihre Ach- und Sprachkenntnisse, und wir Verwachsene erfreuen uns an bildnerischer Kunstfertigkeit und ironischem Wurstwitz. Die 9 im Folgenden präsentierten Kinderbücher von Romancier, Lyriker, Linguist, Übersetzer, Österreicher und Tscheche Michael Stavarič entstanden in Kooperation mit einer seiner begabt-begnadeten Kunstpartnerinnen und arbeiten oft mehrschichtig, was ihm auch jede Menge einschlägiger Preise und Nominierungen eingebracht hat, nicht zuletzt den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur in dreifacher Ausführung.


 

Michael Stavarič & Renate Habinger: Gaggalagu (kookbooks, 2006)

Gaggalagu

Vielleicht weiß man, was „Gaggalagu“ auf Isländisch heißt, doch weiß man auch, warum dieses kunstvolle Kuckbuch mit vier halbtransparenten und ziemlich reißbaren Folienblättern ausgestattet ist? Damit die Kinder schon früh lernen, sorgfältig mit dem Gut Buch umzugehen. Doch steht diese bemerkenswerte Metaebene nicht im Vordergrund, das tut schon die lustige und lehrreiche Phonetik. Baskische Hunde machen „zaun“, indonesische Tiger „ngaung“ und chinesische Mauern „ausdemweltallsichtbarklischee“. Der Unterschied zwischen Schwedisch und Schwäbisch ist so gut wie nicht vorhanden, Lüttich ist sowohl eine Stadt in Belgien als auch ein Sittich in Oma Ottilie. Dänische Enten neigen zum Rappen, was sich Wassili (das Pferd) gerne mal über Tidal (Jay-Z hat die Exklusivrechte) reinzieht. Der Frosch aus Lubosz ist genauso Quäker, wie in Stockholm Syndromedar Sören wohnt – oder hätte ich doch lieber „wie sich in Stockholm Syndromedar Sören sonnt“ schreiben sollen, um beim Alliterativen Nobelpreis mitmachen zu dürfen? Jedenfalls können auch Tiere einen Kulturschock erleiden, wenn etwa ein japanischer Egel auf eine pafnutische Anschwebfliege trifft.

 

Michael Stavarič & Renate Habinger: BieBu – Mein Bienen- und Blümchenbuch (Residenz, 2008)

BieBu – Mein Bienen- und Blümchenbuch

Leider werden die bis zu 70 PS starken Bienen nicht nur in diesem Sachlachbuch krank und sind daher gezwungen, sich von anderen Tieren (darunter ein von Kurdo erlegter Bugatti Veyron) aushelfen zu lassen, was naturgemäß nicht allzu gut funktionieren kann. Das spezifische Know-how der unter anderem für ihren informationstechnischen Tanzstil critically acclaimed Schwirrvölker kann halt nicht einfach mal so auf Fledermaus Sayo, Beutelteufel Preeti oder etwa Berg-Schneck-Hybrid Popokakapeter übertragen werden. Natürlich ist permanentes Scheitern stets in der Nähe von Komik angesiedelt, daher haben wir es hier mit einigen Albernheiten sowie Kapitelüberschriften wie „Netzwerkarbeit“ oder „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ zu tun. Die Geschichte über die Suche nach einem halbwegs adäquaten Bienenersatz ist aber nicht nur pädagogisch aufbereitet, sondern auch grafisch imposant. Allein die zahlreichen Schriftkapriolen belegen, dass sich aus InDesign so viel mehr rauskitzeln lässt als beispielsweise aus einem Baum.

 

Michael Stavarič & Dorothee Schwab: Die Kleine Sensenfrau (Luftschacht, 2010)

Die Kleine Sensenfrau

Wie es wohl ist, mit dem Tod eine Familie zu gründen? Wie/ob Freund Hein sich in seinen Vatereigenschaften von Hainfreund Waldemar unterscheidet? Jedenfalls muss Thanatos’ Tochter früher oder später in Senseniors düstere Fuß- und „Gerät zum Mähen, dessen langes, bogenförmig gekrümmtes, am freien Ende allmählich spitz zulaufendes Blatt rechtwinklig am langen Stiel befestigt ist“stapfen treten. Sie wird dabei, nach Abschluss einer lehrreichen und von Schwab vielseitig-filigran inszenierten Walz, sanft und liebevoll vorgehen und etwa ein unheilbar krankes Kind behutsam in den ewigen Schlaf wiegen. Hier wird ein durchaus verstörendes Thema behandelt, an dem allerdings kein Lebensweg vorbeiführt. Und wenn unser aller Leben wirklich eine Volks- bzw. Zivilisationskrankheit ist, wie einige Gemmologen behaupten, dann muss man zumindest einmal, wenn auch nur ganz kurz, so rational sein und den Tod als ein probates und nebenwirkungsfreies Naturheilmittel anerkennen, das sowohl in homöopathischen als auch hippopotamischen Dosen gleichermaßen wirksam ist.

 

Michael Stavarič & Renate Habinger: Hier gibt es Löwen (Residenz, 2011)

Hier gibt es Löwen

In diesem Buch gibt es so viel mehr als Löwen, nämlich Handrücken, Mittelfuß und sogar Schamlippen. Es geht um Körperteile, die erst benannt und danach mit allerlei Unfug (welcher leider viel zu selten als Kompliment Verwendung findet) bemalt werden, und zwar von Antonio, dem zweirädrigen und zigarmigen Malerich. Er produziert Kunstbuntwelten am laufenden Zentimeter: Wespen reiten Schmetterlinge, Kosmonauten lassen sich von Astronauten hinter den Mond entführen, Zehmonitore mit Motoren reimen sich auf Eimer wie sonst nur der Arsch aufs Auge. Mona Lisa entpuppt sich als veritabler Faker, der Rücken wird zur Yakuza-Ausstellung, und unter den Achseln findet sich für je einen Sauggreifbot Platz. Und wenn selbst das Steißbein der Stiefbruder eines Kreuzbandrisses ist, dann darf die Wirbelsäule ruhig nachtaktiver als die Gummibärenparade auf der Wade ausfallen … ein wahnsinnig schönes Buch!

 

Michael Stavarič & Dorothee Schwab: Gloria nach Adam Riese (Luftschacht, 2012)

Gloria nach Adam Riese

Stavarič ist, völlig zu Recht, Fan von Listen und Aufzählungen und erzeugt hier gemeinsam mit seiner bildgewaltigen Mitstreiterin Dorothee Schwab im heimischen Badezimmer ein schaumspielerisches Wortkaskadrom aus lobenswert sinnfreien Reimen, in denen surrealismustergültig zusammenkommt, was normalerweise selten zusammenkommt: Don Quichotte mit Salamibrotpanzer, ein Haufen Affen auf Waldfeenreifen mit einem Schwarm Kaiserschmarrn oder gar (etwas abstrakter) eine Kaste Kontraste mit einer Formation Inspiration. Adam Riese, seines Zeichens Inhaber des Lehrstuhls für das Kleene Einmaleins in Princeton a. d. Rühl, ist jedenfalls froh, dass Rechenkunst den Spieltrieb so wunderbar ankurbelt. Doch auch das gute alte Alphabeet lädt zum Nonsemstreuen im Buchstabierzelt ein, wenn Andenäste Xaver Xerxes dem XXLften zu infiltrierende Irokesen als halbwegs in Ordnung gehendes Lévistraußenburgersurrogat darbringen. Anhand solcher Eskapaden überrascht es kaum, dass mongoloide Winde, einheimischen Schweinen nicht unähnlich, zu „sulsulieren“ pflegen.

 

Michael Stavarič & Christine Ebenthal: Mathilda will zu den Sternen (NordSüd, 2015)

Mathilda will zu den Sternen

Schweinchen Mathilda will das Unmögliche – einen Stern anknabbern. Was sie nicht weiß: Sterne eignen sich am besten als Metaphern. Außerdem ahnt das kleine, antiproportional ambitionierte und astrophysikalisch unverbildete Saugerät mit eigenem Sternbild nicht, dass Sterne weder nach Haselnuss noch Erdbeerkäse, sondern vielmehr nach 100 Millionen Grad Celsius bzw. Kelvin (darauf kommts nun wirklich nicht an) schmecken. Zum Schluss findet Matte~ aber immerhin einen anständigen Sternersatz in Form von Verliebtheit zu Bruno, der, wie der Autor ein natural-born Brnoer, Mathildas inneren Kosmos erstrahlen lässt. Ach ja, schon niedlich, dies endlose Streben von Tier- und Menschelein.

 

Michael Stavarič & Ulrike Möltgen: Milli Hasenfuss (kunstanstifter, 2016)

Milli Hasenfuss

Hier haben wir es, passend zum (wieder einmal kleinzuschreibenden) Verlagsnamen, mit einem echten Kunstbuch zu tun, in dem Ulrike Möltgen McKean’sche Mixed-Media-Meisterschaft walten lässt. Etwas Assemblage da, ein wenig Julian dort, und schon beißt sich Milli als weißes Kaninchen durch rassische Ressentiments, bis sie endlich im Heimathafen Schnee einläuft, wo sie sich gleich zu Hause fühlt. Doch schon kommen Dunkelkarnickel angeschwärzt …

 

 

Michael Stavarič & Linda Wolfsgruber: Als der Elsternkönig sein Weiß verlor (kunstanstifter, 2017)

Als der Elsternkönig sein Weiß verlor

Was für eine dezente Farbgebung, was für ein geschmackvoll bebildertes Buch über einen Vogelking, der aus unerfindlichen Gründen den Reverse-Leland macht und über Nacht drongoschwarz wird. Finster schaut er drein, denn nicht nur seine natürliche Färbung, sondern auch seine Laune ist hin. Ein Fragezeichen erscheint über seinem Kopf und muss von nun an mehr schlecht denn recht als Hütchen herhalten – Chapeau! Danach rastet er kurzerhand aus und greift nach klassischer Psychokratenmanier ordentlich durch, indem er die Totale Schwärzung einfordert: schwarze Einhörner, schwarzer Schnee, schwarzer Rauch, schwarze Quadratur der Kreissäge, schwarze Milch von früh bis spät usw. Lange hält das gepeinigte Volk ihren irren Diktator nicht aus und verbannt ihn schließlich. Nach reichlicher Zeit der Kontemplation und Einkehr, was ein bisschen redundant anmutet, findet er schließlich wieder zu sich, und mit Hilfe seines fortgeschrittenen Alters – denn Alter ist nur was für Fortgeschrittene – auch zum (Grau-)Weiß.

 

Michael Stavarič & Ulrike Möltgen: Der Bär mit dem roten Kopf (aracari, 2017)

Der Bär mit dem roten Kopf

Dass der Bär einen roten Kopf hat, bedeutet nicht, dass er peinlich berührt ist. Oder dass er irgenson schräges Corporate-Design-Maskottchen von irgendsonem semihippen Start-up ist. Weder ist er Blutwarnbär noch zur Großmutter unterwegs noch MarSPDler noch chinesischer Bordellbetreiber mit indianischem Betteppich. Er hat einfach nur einen roten Kopf, so wie andere einen nichtroten Kopf haben. Oder Vermutungen anstellen. Oder unter Zeitdruck stehen. Und doch kriegt er seine Naturfarbe (ein bisschen farbintensiv gehts in diesen Büchern ja schon zur Sache) nicht ignoriert und sucht nach Zugehörigkeit, was mehr als nachvollziehbar ist. Auf seiner Reise durch die harsche, jederzeit zum Fremdeln einladende Welt bekommt er so manches Nixlili spendiert, bis er schließlich eine grünköpfige Bärin heiratet und mit ihr eine Familie gründet, zu der bald drei bärenbraune Originärbärkinder gehören.

 

*

 

Fazit:

 

Gaggalagu, Dobendan,

Hatschi schnief im Ramadan.

Halsschmerz, Husten und Erkältung

sind gut für Völkerverständigung.

 

Blümchen profitieren

nur von Profi-Tieren,

Bienen etwa oder Hummeln,

nicht von Dilettanten dummen.

 

Das Sensenfräulein lernt so viel

von ihrem Herrn Papa.

Die Kunst des Lebennehmens

ohne Sichverhebens (möglichst locker aus der Hüfte).

 

Löwen fönen Römer,

Ösen ölen Höhlen.

Götter löten Öhrchen.

(Vgl. „posttrëmatische Belächelungsstörung“.)

 

Adam zählte zu den Riesen,

wenns um Zahlen ging wie diese:

eins, grei, sorben, achtundzwanzig,

viehundvielzigkommaschwanzig.

 

Mathilda möchte Sterne knuspern,

doch diese sind zu weit.

Drum repariert sie kurzerhand

ihre Zweisamkeit.

 

Milli ist so groß wie Meter,

Weiß ist ihres Glückes Schmied.

Drum isst sie 8 Kilo Feta,

bis sich ihre Lücke schließt.

 

Die Elsterseele inhaliert

exorbitante Schwärzen.

Aus ihr erwachsen böse,

endosäuge Herzen.

 

Ein Bär sieht … Rot (nicht wirklich).

Ein … Rotor ist er auch nicht.

Rotisserien … besucht er selten,

von … Rothko trennen ihn acht Welten?

 

Wer bist du, Erwin Erzähler?

Er sorgt für einige Verwirrungen im Kinderzimmer. Alle kennen ihn. Aber keiner weiß, wer er wirklich ist. Der Erzähler der Benjamin-Blümchen-Hörspiele ist eine Stimme ohne Bild. Ein Versuch der Identifizierung.


Er trägt den Namen „Erwin Erzähler“, wenn man der Rückseite der Hörspiel-Kassettenhüllen Glauben schenken möchte. Vorstellen tut er sich nicht – der Erzähler von Benjamin Blümchen. Weder in der ersten Folge, noch in irgendeiner anderen. Das ist nichts Ungewöhnliches. In den seltensten Fällen stellt sich der Erzähler vor. Ja, meistens nehmen wir, die Leser٭innen bzw. die Hörer٭innen, ihn ja nicht einmal richtig wahr. In einem Hörspiel ist er nur Mittel zum Zweck: eine abstrakte Instanz, die uns mit Informationen füttert. Das ist sehr nett von ihm. Denn würde ein Hörspiel nur aus Figurenreden bestehen, fehlten uns wichtige Details. Aber im Falle des Benjamin-Blümchen-Erzählers wäre eine Vorstellung der eigenen „Person“ nur höflich. Denn dieser Erzähler ist anders: Er kommentiert, bewertet die Handlung, teilt seine eigenen Vorlieben mit. Er spricht mit den Zuhörer٭innen und mit den Figuren (z.B. in Otto ist weg und Benjamin Blümchen als Koch). Sie antworten ihm, wissen jedoch nicht so recht, mit wem sie da reden. Die meiste Zeit nehmen ihn nur die Hörer٭innen wahr. Die Figuren scheinen ihn weder zu sehen, noch zu hören. Um die Frage „Wer bist du, Erwin Erzähler?“ zu beantworten, müssen die Hörer٭innen die kleinen Fetzen, die die männliche Stimme von sich preisgibt, zu einem einheitlichen Erzählerbild zusammensetzen. Aber das ist gar nicht so einfach.

Bist du ein Teil der Benjamin-Blümchen-Welt, Erwin Erzähler?

Hören wir einmal genauer hin, was Erwin Erzähler zu berichten hat:

„Also es ist wirklich ganz schön heiß. Mein Uhr zeigt mindestens 32 Grad im Schatten. Ich meine, mein Thermometer fünf nach vier. … Ach! … Naja, ist ja auch egal! Es ist jedenfalls unheimlich heiß.“

Erwin Erzähler – Benjamin Blümchen als Bademeister

Etwas verwirrt scheint der Gute zu sein. Aber das Zitat gibt einen wichtigen Hinweis: Erwin Erzähler spürt die Hitze, die zuvor auch Benjamin Blümchen beklagt hat. Er ist also Teil der Diegese – eine Figur der Benjamin-Blümchen-Welt (nach dem Literaturtheoretiker Gérard Genette ein homodiegetischer Erzähler) – und ein Ich-Erzähler. Eine Figur, die eine Uhr trägt und die Witterungsverhältnissen der Welt ausgesetzt ist. Aber was soll das für eine Figur sein? Sie erfüllt keine andere Funktion, als das Geschehen zu beobachten und für die Hörer٭innen im Kinderzimmer zu beschreiben. Sie hat keinen Einfluss auf die Handlung und ist auch in das Geschehen nur bedingt involviert (nach Literaturwissenschaftler Franz K. Stanzel ein peripherer Ich-Erzähler). Aber wissen wir damit mehr über dieses merkwürdige Wesen? Bei der Antwort „Erwin Erzähler ist ein homodiegetischer Erzähler bzw. ein peripherer Ich-Erzähler“ wird ein Kind, das verzweifelt vor seinem Kassettenrekorder sitzt und fragt: „Wer ist dieser Mann?“, nur  mit fragendem Blick den Kopf schütteln.

Was weißt du, Erwin Erzähler?

Um die Frage zu beantworten, wer hinter dieser ominösen männlichen Stimme steckt, kommen wir nicht umhin, zu hinterfragen, was Erwin Erzähler eigentlich weiß. Kennt er die Gedanken von Benjamin, Otto und Co? Die Frage ist schnell beantwortet. Die Antwort lautet „Nein“. Erwin Erzähler weiß, was die Figuren tun („Benjamin und Otto machen sich also auf den Weg zur U-Bahn.“ – Benjamin Blümchen als Fußballstar), er weiß, was er selber für Vorlieben hat („Also ich sehe schon: Benjamin hat von Fußball keine Ahnung. Ich übrigens auch nicht. Ich spiele lieber Tischtennis.“ – Benjamin Blümchen als Fußballstar), aber er kennt nicht die Gedanken der Figuren. Er ist nicht allwissend. Geheimnisse bleiben vorerst für ihn und damit für die Hörer٭innen geheim:

„Dieses Flüstern ist wirklich eine Unsitte. Kann man doch nichts verstehen.“ […]
„Jetzt flüstern sie alle. Die ganze Neustädter Fußballmannschaft steht um Benjamin und flüstert. Was hat das wohl zu bedeuten?“

Erwin Erzähler – Benjamin Blümchen als Fußballstar

Manchmal weiß Erwin Erzähler also weniger als der Protagonist Benjamin Blümchen. Aber er hat einen guten Überblick über die Welt. Er hat seine Augen und Ohren überall. Und weil er nicht nur dem Benjamin-Blümchen-Handlungsstrang folgt, sondern auch andere Figuren der Welt ausspioniert, weiß er von Zeit zu Zeit mehr als der sprechende Elefant. Nun wird es langsam unheimlich. Und ein leiser Verdacht macht sich breit, wer Erwin Erzähler wirklich sein könnte.

Wo bist du, Erwin Erzähler?

Es gab in der Benjamin-Blümchen-Ära höchstwahrscheinlich das ein oder andere Kind, was sicherstellte, dass über ihm kein Mann schwebt, der es beobachtet und seine Taten kommentiert. Fliegende Menschen in Kinderzimmern sind schließlich keine Seltenheit. Man schaue nur einmal in das Bücherregal oder durchstöbere die DVD-Video-Kassetten-Sammlung eines Kindes. Zu finden sind dort nicht selten der fliegende „Mann unbestimmten Alters“ Karlsson vom Dach oder auch der „Junge, der niemals erwachsen werden wollte“, Peter Pan. Auch wenn Erwin Erzähler eine gute „Übersicht“ nicht abzusprechen ist, gibt es jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass er fliegen kann bzw. über dem Geschehen schwebt. Auch unsichtbar scheint er nicht zu sein. Schließlich nimmt Benjamin Blümchen ihn von Zeit zu Zeit wahr (z.B. in der Folge Benjamin Blümchen als Koch). Was ist mit der Unsichtbarkeit à la Pumuckl oder Harry Potter mit Tarnumhang? Kann es sein, dass sich Erwin Erzähler in den richtigen Augenblick unsichtbar bzw. sichtbar machen kann? Auch hier lautet die Antwort „Nein!“. Dann würde er nicht freiwillig im Fußballstadion Eintritt zahlen:

„Ob ich auch hingehe? Doch! Werde ich tun! Mal sehen, ob mein Geld noch reicht. Vier Mark, fünf Mark, sechs … ja, reicht! Dann sehen wir uns übermorgen.“

Erwin Erzähler – Benjamin Blümchen als Fußballstar

Viel eher stellt sich beim Hören der Geschichten mehr und mehr das Gefühl ein, dass Erwin Erzähler Menschen gleicht, denen wir tagtäglich auf der Straße begegnen. Denen wir keine Beachtung schenken, weil sie keine Propeller auf dem Rücken oder grüne Strumpfhosen tragen.

Und plötzlich warst du weg, Erwin Erzähler!

Wer glaubt, ein Medienwechsel würde Licht in das dunkle Geheimnis des Benjamin-Blümchen-Erzählers bringen, wird bitter enttäuscht. Anzutreffen ist in den Benjamin-Blümchen-Filmen nur Rabe Gulliver. Und damit verliert sich jede Spur von Erwin Erzähler:

Quelle: Youtube

Guter Schachzug der Benjamin-Blümchen-Produzenten: ein sprechender Rabe, der uns Zuschauer٭innen auf dem Laufenden hält. Der so klein ist, dass er überall mitmischen kann, ohne groß aufzufallen, der fliegen kann und somit nicht den Überblick verliert. Es bleibt aber die Frage: Warum wurde Erwin Erzähler aus der filmischen Benjamin-Blümchen-Welt verbannt?

Bist du ein Voyeur, ein Stalker, Erwin Erzähler?

Es können nur Spekulationen folgen: Vielleicht wissen die Benjamin-Blümchen-Filmemacher gar nicht, wer Erwin Erzähler ist. Aber dieses Problem lässt sich doch lösen. Wenn es jedoch gelöst ist, wird es erst recht unmöglich, Erwin Erzähler Eintritt in die Benjamin-Blümchen-Filmwelt zu gewähren. Denn nach allem, was wir über ihn wissen, würde eine bildliche Darstellung einen unangenehmen Beigeschmack bei den Eltern der kleinen Benjamin-Blümchen-Zuschauer٭innen hinterlassen. Denn, egal, wie wir es drehen und wenden: Erwin Erzähler kann nicht fliegen, ist nicht unsichtbar, sieht und hört alles, was die Figuren der Benjamin-Blümchen-Welt so treiben, hat eigene Vorlieben, spricht von Zeit zu Zeit mit den Figuren und ist so unauffällig wie die Menschen auf der Straße, denen wir Tag für Tag keine Beachtung schenken: Erwin Erzähler ist und bleibt der Stalker hinter dem Baum.