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„Was für Land, welch ein Männer“ – Ninamarie im Interview

Ninamarie stehen kurz vorm Release ihrer neuen Platte. Neun Jahre nach dem letzten Release bringen sie es erneut auf ganze sechs Songs. Gründe für ihr niedriges Tempo gibt es genug, zum Beispiel, dass die beiden mit ihren noch aktiveren Hauptbands genug zu tun haben: Thomas Götz mit den Beatsteaks, Marten Ebsen mit Turbostaat. Aber auch, weil sie sich viel Zeit zum Experimentieren nehmen.

„Was für Land, welch ein Männer“ ist eine erstaunlich vielseitige kleine Sammlung an nicht ganz ernsten Post-Punk- und Post-Pop-Songs über ernste Themen. Feine Arrangements und tiefe Melancholie treffen auf inbrünstigen, ehrlichen Gesang, starke Bilder auf Dadaismus. Wir trafen Marten zum Interview, sprachen über die Platte, Corona und Konzerte. Und zwar:


Es gibt diese Legende, dass ihr immer zu Silvester zusammen Musik macht und so all eure Songs entstehen. Stimmt das so?

Das stimmt so nicht, aber so hat es angefangen. Irgendwann, 2003 oder 2004, hatten Thomas und ich uns mal darüber unterhalten, wie scheiße wir Silvester und den Feierzwang finden. Er erzählte mir, dass er Silvester immer in den Proberaum geht. Als ich meinte, dass ich das richtig gut finde, hat er mich eingeladen vorbeizukommen. Wir sind dann in den Proberaum gegangen, haben zusammen gespielt und zwei Lieder geschrieben. Um vier waren wir fertig und hatten sie aufgenommen. Die Tradition haben wir einige Silvester aufrecht erhalten. Als ich dann auch in Berlin wohnte, fingen wir an, uns öfter zu treffen.

„Was für Land, welch ein Männer“ ist euer erstes Album seit 2013. War für euch immer klar, dass es mit Ninamarie weitergeht?

Es gab nie irgendwelche Bestrebungen, das nicht zu machen. Das Problem ist, dass die Zeit immer so schnell verfliegt und durch die Hände rinnt. Es hat einfach nur gedauert, bis wir wieder Zeit gefunden haben, und zusammenzutun. Wir haben zwischendurch immer mal an Sachen gearbeitet, die dann aber im Sande verlaufen sind. Der erste Entwurf von „Nackt im Spind“ ist echt schon einige Jahre alt. Wir hatten uns da mal nachmittags getroffen, Thomas hat Klavier gespielt und ich Gitarre. Da hatte er das Riff mitgebracht und es lag danach jahrelang herum, ohne dass es eine Überlegung gab, was man dazu singen könnte. Danach haben wir jahrelang keine Zeit gefunden, uns zu treffen. Thomas ist ja auch wirklich ein Hansdampf in allen Gassen und macht alles Mögliche. Und ein bisschen was mach ich ja auch.

Wann und wie ist der Rest des Albums entstanden?

Der Zug zum Tor fing kurz vor Corona an. Wir hatten im Herbst schon angefangen und als Corona dann anfing, hatten wir uns gegenseitig als Kontakt eingetragen. Und wir haben dann vor allem die Coronazeit zum Schreiben genutzt, haben uns zwar nicht jede Woche getroffen, aber von Zeit zu Zeit zusammen Musik gemacht.

Und schreibt ihr die Songs einzeln oder komponiert ihr alles zusammen?

Es bringt immer wer eine Grundidee mit – wie zum Beispiel das Riff bei „Nackt im Spind“. Den Refrain haben wir dann zusammen gemacht und dann bauen sich die Songs so mit der Zeit auf. Das ganze Arrangieren und wie das Lied abläuft, passiert relativ schnell und intuitiv. Weil wir ja nur zu zweit sind und das nicht einfach als Band zusammen spielen, passiert das immer peu à peu. Wir haben dann im Proberaum zusammen Gitarre und Schlagzeug eingespielt, Bass hab ich glaub ich hier zuhaus eingespielt. Sowas passiert dann immer mal, dass man dann mal einen Nachmittag lang einen Bass einspielt.

Ninamarie – Nackt im Spind:

Quelle: YouTube

Und ihr habt das alles selbst produziert?

Genau, Thomas hat ja ein Studio, in dem wir uns öfter getroffen haben – oder im Beatsteaks-Proberaum. Teilweise hab ich auch bei mir hier Sachen aufgenommen, zum Beispiel mal einen Haufen Akustikgitarren, die wir uns dann zugeschickt haben, weil grad richtiger Lockdown war und wir uns nicht sehen konnten. Das waren aber eher Ausnahmen.

Ihr habt nie mehr als sechs Songs gleichzeitig veröffentlicht. Warum eigentlich?

Das weiß ich nicht. Eine 12-Inch, die man auf 45 rpm abspielt, ist so eine überschaubare Sache. Wir machen das ja immer nebenbei und haben nicht den Drang, viele Lieder zu schreiben. Die Songs entstehen eher aus Experimenten. Bei einem Song zum Beispiel hatten schon die Abfolge fertig und dachten uns, es wäre cool, wenn das jetzt einen Chor hätte. Also haben wir uns ein Chor-Board gebaut und haben mit einem Freund zusammen den ganzen Sommer lang jeden Ton der Tonleiter über zwei Oktaven aufgenommen, sodass wir unseren Chor selber spielen konnten. Und dafür geht dann halt mal ein ganzer Sommer drauf.

Bei einem anderen Song waren wir eigentlich fertig, hatten aber das Gefühl, uns fehlt noch etwas, und haben noch ewig daran weitergearbeitet. Wenn du eine Platte mit einer ganzen Band machst, mit Deadline und so, hättest du das einfach so gelassen. Aber hier haben wir dann nochmal richtig viele Gitarren aufgenommen. Wir haben immer um ein Mikro herum verschiedene Gitarren in verschiedenen Oktaven eingespielt, bis wir eine riesige Wand an Gitarren hatten, die wir zusammenmischen konnten. Danach haben wir nochmal einen Nachmittag herumprobiert, ob das cool ist.

Und diese Zeit kann man sich mit einer anderen Band nicht nehmen?

Nein, das würde ich mit Turbostaat nie machen.

Ist diese Freiheit auch das, was Ninamarie für dich ausmacht?

Dieses Experimentieren: ja. Ich weiß nicht, wie es bei den Beatsteaks ist, aber bei Turbostaat muss das ein sicherer Schuss sein. Wenn wir ins Studio gehen, dann ist alles fertig und wir alle wissen, dass das klappen muss. Wir spielen meistens eine ganze Platte in vier bis fünf Tagen ein. Und wenn man da ankommt und sagt, ich könnte mir vorstellen, wenn man da jetzt zwei, drei Tage dran arbeitet, dann wären die ersten schon bei dem Satz rausgegangen. Und bei Ninamarie ist das halt egal, dann kannst du wirklich mal ein paar Tage herumprobieren – und wenn’s nichts ist, ist es halt nichts.

Und es sind ja nur sechs Songs, aber die sind schon alle auch sehr unterschiedlich und unterschiedlich instrumentiert – teilweise nur Synthies, teilweise Akustikgitarren: Gibt es auch konkrete Bands, die euch besonders beeinflusst haben?

Wir machen ja nicht erst seit gestern Musik und es gibt ja tausende Bands, die einen inspirieren. Da kannst du mit Beethoven, Bob Marley und den Beatles anfangen.

Es klingt ja teilweise auch sehr Eighties-mäßig.

Findest du? Wir hatten eher so ein Seventies-Gefühl – außer bei „Käsejunge“. Das ist ja eher daraus entstanden, dass ich angefangen hab, mit Synthesizern rumzuspielen. Aber bei den ersten Liedern hatten wir eher ein Supertramp-Gefühl.

Um einmal in die Songs reinzugehen: Wer ist der Käsejunge und wovor hat er Angst?

Ein bleicher Junge, der Angst hat um seine Privilegien.

Der Song bringt ja auch den titelgebenden Vers „Was für Land, welch ein Männer“ mit.

Genau, „Welch ein Land, was für Männer“ ist ja ein Plattentitel von Extrabreit. Und das passte einfach so gut: Was für Männer – der Käsejunge, der Angst hat. Wenn du zum Beispiel – ohne die Stimmung herunterreißen zu wollen, den Attentäter von Halle anschaust: ein kleiner bleicher Junge, der Angst hat, dass eine Privilegien verschwinden, der sich überfremdet oder von Frauen angegriffen fühlt, der nicht mit Menschen auf Augenhöhe agieren kann. Das war für uns der Käsejunge. Und dann diesen Ausruf „Welch ein Land, was für Männer“ umzudrehen zu „Was für Land, welch ein Männer“, ist ja eigentlich ganz klassisch dadaistischer Kram: Sachen umdrehen und sie dadurch automatisch lächerlich machen.

Auch bei „Nackt im Spind“ geht es um ein gewisses Land, es werden Bewegungen im Volk angesprochen und die Frage gestellt, wie man mit ihnen umgehen sollte.

Genau, es geht auch um Flucht, also das Pro und Contra von Realitätsflucht. Der Text ist zum größten Teil auf Thomas’ Mist gewachsen.

„An der Hand“ ist der melancholischste Song der Platte. Wessen Hand wird hier besungen?

Die Hand eines oder einer Liebsten.

Mit der Angst um Verlust?

Nein, es geht eher um das stoische Warten – mit einem leichten Hauch Melancholie. Dieser Song ist schon ganz alt. Die Strophen und den Refrain hab ich schon 2004 geschrieben. Und es gab noch nicht so viel Text, ich hatte nur diesen Satz im Kopf und fand den schön: Ich warte bei dir an der Hand. Dahinter ist eigentlich gar nicht so ein wirklich verkopftes Konzept, sondern wir haben einfach aus dem Bauch heraus geschrieben, aus der Wirkung der Musik. Auch das ist ja häufig nicht zu unterschätzen. Musik zu machen hat ja auch viel mit Gefühl zu tun. Also nicht nur mit einem guten Plan, sondern einfach nur mit dem Gefühl.

Und was habt ihr gegen Kalendersprüche?

Was sollen wir denn gegen Kalendersprüche haben? Das ist doch das Beste auf der Welt: „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken“. „Ich lebe glücklich, ich lebe froh wie der Mops im Haferstroh“. Ich weiß nicht, was du meinst.

War nur so ein Gefühl, dass es da Aversionen gibt.

Ne klar. Du meinst jetzt den Text „Kalenderspruch zum Abendbrot und dankbar sein“, dass man abgespeist wird mit ein paar halb ernstgemeinten Worten? Dafür steht der Kalenderspruch. Ein Kalenderspruch ist ja einfach ein Satz, der nicht an dich gerichtet ist, sondern allgemein so ist.

Und solche Sprüche zu verdrehen, macht ihr auf der Platte ja an vielen Stellen. Würdest du sagen, eure Texte sind auch eine Abrechnung mit abgedroschenen Phrasen?

Jein. Thomas und mich fasziniert immer, dass es in der erfolgreichen deutschen Popmusik, also den deutschsprachigen Songs in den Charts, immer darum geht, bekannte Phrasen zu nehmen, die jeder kennt, um gleich einsteigen zu können. Unsere Aufgabe sehe ich eher darin, das mit dem Arsch einzureißen, umzudrehen und ein Fragezeichen dahinter zu setzen. Und dann eben auch Sachen komisch zu machen, damit sie nicht einfach nur wegzukonsumieren sind. So begreif ich das jedenfalls. Aber es macht doch auch einfach Spaß. Wenn ich jetzt die ganze Zeit nur Texte wie „Das große Gefühl, dieser Moment, lalalala“ schreiben würde, hätte ich da einfach gar keine Lust drauf. So bin ich einfach als Person nicht.

Ninamarie – Kalenderspruch:

Quelle: YouTube

Bei „Es strahlt“ besingt ihr eine vergangene Jugend, bei „Die Geister“ scheint es ja auch um ein Vermächtnis zu gehen. Sind Wehmut und Älterwerden für euch Motive der Platte?

Ja bestimmt. Wir werden als Personen älter und wehmütiger. Aber man sitzt ja nicht da und sagt, ich würde gern ein Lied übers Älterwerden machen, am besten eine ganze Platte, zu der ich mir mal einen Plan mache. Sondern wir schreiben einfach irgendwas, das uns beschäftigt, werfen uns Bälle zu, die auch relativ viel mit Humor zu tun haben. Nicht mit klassischem Humor, aber unserem eigenen Humor. Thomas sagte auch schon ein paarmal in Interviews: Für ihn war das Interessante, dass wir mit dem Fahrrad zusammen zum Studio nach Köpenick gefahren sind, an der Rummelsburger Bucht entlang, und uns immer schon über alles mögliche unterhalten haben. Von Familie, was so ansteht, Quatsch, aber auch, was wir gelesen haben, was wir gehört haben, welchen Film wir gesehen haben oder was uns grad interessiert oder passiert ist. Die Songs sind dann auch immer ein bisschen das Produkt durch die verschrobene Brille, die wir schon auf dem Weg zum Studio aufsetzen.

Würdest du dennoch sagen, dass eure neuen Songs melancholischer geworden sind als die früheren?

Nein, ich fand ehrlich gesagt die alten auch immer schon melancholisch und teilweise depressiv. Sie hatten immer eine traurige Komponente, aber eben auch diesen Humor. Das ist das, was eigentlich automatisch passiert wenn Thomas und ich in einem Raum sind und Sachen machen. Weil wir beide diese Persönlichkeit haben. Wir haben diese melancholische Seite, aber können auch nicht eine Minute ohne einen schlechten Witz aushalten.

Welche Rolle hat denn die Pandemie-Phase für die Platte gespielt?

Durch Corona hatten wir einfach nur ein bisschen mehr Zeit und dachten, dass wir sie dem Projekt widmen konnten. Und jetzt stürzt wieder alles auf einen ein. Die Platte haben wir zum Glück rechtzeitig fertig bekommen – eigentlich schon letztes Jahr, wir haben jetzt nur noch auf die Pressungen gewartet.

Thomas und du spielt ja beide in zwei sehr aktiven Livebands. Wie geht es denn dem Konzertbetrieb, euren Live-Crews und den Venues nach diesen zwei Jahren?

Das kann ich gar nicht richtig beantworten, ich war selbst so ein bisschen von allem abgeschnitten. Mit den Leuten von Turbostaat hab ich zu tun gehabt, aber natürlich auch nicht so viel wie vorher, weil man sich ja jetzt anrufen musste, um miteinander zu sprechen. Dann hat man so einmal im Monat mit den Leuten telefoniert, vielleicht noch weniger. Das haben die schon alle irgendwie rumgekriegt.

Aber das dicke Ende, auch für viele Läden, kommt ja erst noch. Es hat sich so vieles verschleppt und die Auswirkungen werden jetzt erst sichtbar. Du hast ja jetzt teilweise Festivals, die nicht stattfinden, weil sie keine Leute haben, die dort arbeiten können. Weil die alle sich in der Pandemie etwas anderes suchen mussten und auf einmal gemerkt haben, wir können ja am Wochenende zuhause bleiben und haben trotzdem einen schönen Job, der auch noch besser bezahlt ist. Manche haben das ja auch mit diesen Streaming-Konzerten versucht, aber das ist ja alles für die Katze. Das ist ja nur eine Fernsehaufnahme vom Konzert, bei dem du nicht da gewesen bist.

Und man selbst ist ja durch die zwei Jahre auch in so einen Tran gekommen, ist abends nach Haus gekommen, hat sich was zu essen gemacht. Man muss ja erstmal wieder auf die Idee kommen, abends Leute einzuladen abends oder mal irgendwo hinzugehen. Und bei Konzerten wird ja grad all das nachgeholt, was ausgefallen ist. Das nächste halbe Jahr wird vollgestopft sein. Das ist wirklich verrückt. Ein Bekannter von mir, mit dem ich neulich geschnackt hab, hat grad mit seiner Band eine Platte herausgebracht, und die können gar nicht auf Tour gehen, weil alles ausgebucht ist. Noch mit Konzerten von 2021. Mal gucken, wie sich das entwickelt, ich hab bisher zu wenig Erfahrung. Wir waren einmal auf Tour, haben zwei Festivals gespielt. Das eine war gut, das andere beschissen. Auch unsere Konzerte waren jetzt am Anfang ein bisschen leerer als vorher. Aber auch das kam wieder und jetzt müssen wir beobachten, wie es sich weiterentwickelt. Es fällt mir unheimlich schwer, daraus schlau zu werden.

Und wird es Ninamarie-Konzerte geben?

Wir hoffen das. Wir würden es jetzt gerne machen. Vorher hatten wir nie drüber nachgedacht, jetzt haben wir angefangen, darüber nachzudenken, dass wir das gerne machen würden. Wir sind bisher einmal aufgetreten, bei einer Feststunde in Potsdam. Da haben wir zwei Lieder gespielt, Thomas am Klavier, ich an der Gitarre. Aber jetzt überlegen wir grad, ob wir eine kleine Band zusammenstellen und ein paar Konzerte zusammen spielen. Die Ideen schießen wieder quer und man braucht auch entsprechende Leute dafür.

… und Venues.

Das ist Schritt zwei, wir sind noch nichtmal bei Schritt eins. Aber der Wille ist im Moment da und wir reden, wenn wir uns treffen, darüber, dass wir das gerne machen möchten.
Inzwischen habt ihr ja auch genug Songs für ein Konzert.
Genau, dann können wir einmal alles durchspielen. Vielleicht schaffen wir es zum Zwanzigjährigen. So lang gibt’s uns ja auch schon fast wieder.

Vielen Dank für das Interview!

Vielen Dank für das Interesse.


 

„Was für Land, welch ein Männer“ von Ninamarie erscheint am 17. Juni 2022 bei Rookie Records.

 

 

Beitragsbild: © Gregor van Dülmen

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Adobe-Quiz mit Katrin(terview) Salentin(view)

Katrin Salentin, die man auf www.katrinsalentin.de (und hoffentlich bald auf masterclass.com unter „Teaches the Art of Analogue and Digital Collage“) findet, meistert mit Bravur ein paar knifflige Fragen zu Photoshop – and then some …


1. Was wäre ein coolerer Name für „Photoshop“?

krēˈādər, CreatorTool, Composer, Frauder, Ersatzteillager, Bildschatz. Für mich ist es mein Vokabelheft, das ich schon mit zahlreichen Vokabeln gespeist habe. Mit jedem Strg+N bilde ich neue Sätze, versuche die (nur) mir bekannte Grammatik zu umschiffen.

2. Was ist von einem Kinderbuch zu halten, das „Leichenfund“ im Titel hat?

Hierbei kann es sich nur um einen Sehfehler handeln. Weil das Buch von anderen Dingbüchern verdeckt wird, ist der Titel nicht in Gänze zu erkennen. Möglichkeiten der vollständigen Titel sind: „[G]leichenfund“, „[B]leichenfund“, „Leichenfund[länder]”. „[G]leichenfund“ ist ein ermüdendes Mathematikbuch für die Unterstufe. Lee/hrstunden über das Lösen von Gleichungen. Für ein Vollbad in guter Vorbildung. Bei „[B]leichenfund“ handelt es sich um einen Geschichtenband, der über das Verschwinden der Sonne narrativiert. Der sich ausbreitende Schatten nimmt das Lachen und die Farbe aus den Gesichtern. Die Entdeckung einer neuen Hunderasse wird in „Leichenfund[länder]” verhandelt. Eine Abenteuerreise, begleitet mit viel Fotomaterial – und Entdeckervideos, abrufbar per QR-Codes.

Und insgeheim macht sich doch der Gedanke breit, keinem Sehfehler zu erliegen. Sondern einer Verweigerung des Erkennens. Grau, rosa, dunkelgrün. Graublau. Viel Unsicherheit, Leichtigkeit. Und ein Rasensprenger. Bilder steigen in mir auf, die ich gerne zu diesem Buch collagieren möchte. Es ist kein Kinderbuch. Es ist die Erinnerung aus der Erwachsenenwelt an eine Kindheit.

3. Welche Photoshop-Funktionen sollte es geben, welche dürfte es geben, welche wird es nie geben?

Niemals sollte es DIE Entertaste geben, die das Bild, das Foto, die Illustration mit einem Klick fertigstellt. Zwar würde das viele Grübelstunden ersparen, viel Digitalpapier, viele Nein-Ordner, die im Papierkorb landen. Aber eben genau das würde fehlen, das un/gute Kribbeln, das Tüfteln, das Lösen(wollen), die Zweifel (die grauen Haare nicht). All das, was das Bildwerden ausmacht. Inmitten von Loslassen, Akzeptieren, Finden, Erkennen.

Es darf die Taste geben, die fertiggestellte Bilder mittels einer Tastenbetätigung oder Tastenkombination automatisch für Dokumentationszwecke auf die Künstlerwebsite stellt und in Social-Media verbreitet – selbstverständlich mit passendem Textstatement und H#shtags.

4. Welche Dinge sollten häufiger aus Wänden kommen?

Nägel, Schrauben, Dübel – dann hängen sich die Bilder von alleine auf. In dem Moment, wenn die Wasserwaage an der Wand liegt und der Bleistift die Markierung setzt, ploppt der Nagel aus der Wand. Jede Wand gibt ihren spezifischen Nagel heraus. Drahtstifte, verzinkt oder aus Eisen, Stahlstifte, rostfreie Messingnägel, Schraubnägel, Ankernägel und Senkkopfschrauben. Ist ein Dübel zwingend nötig, ist auch er dabei. Welch eine Erleichterung.

5. Was sind die 3 wichtigsten Durchbrüche, die Adobe in den letzten zwölf Jahren geglückt sind?

„Lassen Sie den Computer nicht zu viel arbeiten.“ Ein Satz meines Professors vor über 12 Jahren. Lag mir lange Zeit wie eine Vorschrift auf dem Magen. Zwar war es sicherlich nur als ein RatVorschlag gemeint (das Gegenteil von gut ist gut gemeint), hat sich aber eingebrannt und hängt seitdem wie eine unsichtbare Regel an meinem Kopf. So habe ich stets versucht, viele Programmfunktionen zu umgehen. Meine Arbeit gleicht der meditativen Modifikation von Pixelgewebe. Will sagen: ich kenne mich mit Adobe nur unzureichend aus und kann nicht auf die Beantwortung der Frage eingehen. Eine Unterscheidung zwischen: a) „neue Funktion“ und b) „das gibt es schon seit etlichen Jahren“ kann ich nicht vornehmen.

6. Wie punktet man in ekelerregenden Teammeatings?

Tanzend den Raum verlassen.

7. Wenn die menschliche Existenz eine *.psd-Datei wäre, wie viele Ebenen hätte sie?

Bin mir nicht sicher, ob das die richtige Frage ist. Die Frage stellt sich nicht nach der Anzahl der Ebenen. Vielmehr müsste die Frage lauten: Wie sieht die Systematik einer *.psd-Datei aus, die das Überleben einer solchen Datei sichert? Die Ebenen wären wohl bestens organisiert. Jede Ebene, jede Gruppe so in Reih und Glied, dass das Zusammenspiel aufeinander angewiesener Datensätze/Organe reibungslos funktioniert. Eine Schönheit an guter Inszenierung. Und dennoch würde ich durch diese scheinbare innere Ordnung kein Durchkommen finden. Mein eigener Ordnungswille, den ich gerne den Dateien aufzwänge, würde an dieser scheitern. Ver(w)irrt wäre ich, die Datei würde mich ständig austricksen. Ebenen abstrahieren, kopieren, verzerren ___ nicht möglich. Überspeichern, löschen, hinzufügen, ausdrucken … begleitet von Error und Fehlermeldungen.

8. Ist „Mensch“ überhaupt ernst gemeint?

Ist es ernst gemeint, dass wir für jede Seite, die wir im Internet aufrufen, entscheiden müssen, welches Keksrezept wir akzeptieren? HRN] Man*n und Frau sollte sich selbst jedenfalls nicht immer allzu ernst nehmen.

Beitragsbild: © Katrin Salentin

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Maximales Jokschusview

Max Jokschus, mit dem unser Autor Daniel Ableev (also ich) über Diesel & Jena klönschnackuliert, wurde am zweiten Dezember 1992 in einem Zwickauer Krankenhaus geboren, woran er sich aber nicht mehr erinnert. Seit Erinnerungen existieren, nehmen Bilderbücher, Gedichtbände und Horrorfilme einen großen Stellenwert ein. Aktuell lebt er in Leipzig, arbeitet dort halbtags an der Uni und die andere Hälfte an einer Promotion über den Horrorfilm. Obwohl sein Tag damit ausgeschöpft ist, stiehlt er sich regelmäßig ein paar Extrastunden, in denen er kleine Reimereien verfasst und bebildert.


Welche Tools benutzt du zur Erzeugung deiner Kunst?

Ein Surface Book (teuer) und FireAlpaca (das Gegenteil).

Was ist schwarz-rot-gelb und trägt zur Novelle888 bei?

Eine Koalition aus CDU, SPD und FDP, die Orthographie strafbar macht.

Nicht ganz, Urus war gemeint. Was sind einige Vor- und Nachteile des Künstlerseins?

Das wüsste ich auch gern.

Unter welchen Bedingungen würde Sarah Palin auf einem Ursus die Prämisse für eine fesselnde Graphic Novel ergeben?

Unter der Bedingung, dass Orthographie strafbar ist und die Sprechblasen voller Kringel und Flecken sind. Ansonsten leider aussichtslos.

Wobei ich mich freue, klugscheißerisch anzumerken: Bei Urus Palin bitte keine Verwandtschaft zur amerikanischen Politik unterstellen, sondern allein zu Palinurus elephas.

Wer inspiriert dich und wen inspirierst du?

1) Edward Gorey und Mike Mignola; 2) niemanden, der mich kennt.

Wer oder was ist unbedingt in mJok (Millijokschus) zu messen?

Die Kratzigkeit des Hustens im Verhältnis zur Versicherung, man sei wirklich nicht krank.

Mit welchen Adjektiven (bzw. Interjektionen, Partikelkanonen usw.) würdest du am ehesten deinen Stil bezeichnen?

Preisunverdächtig. Wohlig. Hmm.

Welche unmittelbaren Privilegien ergäben sich aus einer sublimen Mensch-Languste-Bastardisierung?

Wahrscheinlich hätte es keine Covid-Pandemie gegeben, denn Langusten haben keine Lungen (glaube ich). Gewisse Konflikte mit jüdischen Speisegesetzen ließen sich aber nicht kleinreden.

Was sind deine cleversten Lebenssinnhaftigkeitsvorgauklertricks?

Thomas Ligotti nur in kleinen Dosen lesen.


Urusvon Max Jokschus gibt’s online, in den Headquarters of Experimentalism.

Titelbild: © Max Jokschus

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NAHSCHUSS

Nahschuss, Regie: Franziska Stünkel, Kamera: Nikolai von Graevenitz, Bild: Lars Eidinger (Franz Walter)

Inspiriert von der Geschichte Werner Teskes erzählt Franziska Stünkel in ihrem Film NAHSCHUSS auf berührende und eindringliche Weise über die Todesstrafe in der DDR und die Geschichte eines Mannes, der seinen Halt und sein Vertrauen in und durch ein System nach und nach verliert.


Die Premiere des Films NAHSCHUSS findet am 4. Juli beim Filmfest München statt. Der Film thematisiert die Todesstrafe in der DDR – nicht unbedingt ein Thema, das nach Open-Air-Sommer-Popcorn-Kino schreit. Die Regisseurin Franziska Stünkel, die wir am Premierentag über Zoom sprechen, ist dennoch glücklich, ihren Film jetzt endlich auf der großen Leinwand einem Publikum präsentieren zu können:

„Es ist eine große Freude, dass Kino wieder möglich ist. Dass es diesen Raum wieder als kollektives Seh- und Fühlerlebnis gibt, um Themen zu sich zu lassen und in den Diskurs zu gehen.“

Franz Walter (Lars Eidinger) mit seiner Frau Corina (Luise Heyer), © Alamode Film

Werner Teske und die Todesstrafe in der DDR

Auf das Thema ist die in Göttingen geborene Fotokünstlerin und Filmregisseurin eher zufällig gestoßen. Von der Todesstrafe in der DDR hat sie beiläufig, in einem Nebensatz eines Artikels, erfahren. Bei der Recherche ist sie dann auf ein Foto von Werner Teske gestoßen, dem letzten offiziellen Hinrichtungsopfer der DDR. Stünkel wird schnell klar, dass dies das Thema ihres neuen Filmes sein wird. Das Schicksal dieses Menschen interessiert und bewegt sie:

„Das Foto war die Initialzündung. Denn man macht Filme nicht über ein Thema, sondern über Menschen. Und dann bin ich diesem Menschen gefolgt“

Die Geschichte von Franz Walter

Inspiriert vom Schicksal Werner Teskes erzählt Stünkel in NAHSCHUSS die Geschichte von Franz Walter (Lars Eidinger). Frisch promoviert wird Franz eine Professur an der Universität in Aussicht gestellt, eine Position, die manche nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit nicht erreichen. An diese Stelle sind Bedingungen geknüpft. Bevor Franz diese antreten kann, soll er für die HVA (Hauptverwaltung Aufklärung der Staatssicherheit) arbeiten, wie ihm Dirk Hartmann (Devid Striesow) in einer konspirativen Wohnung eröffnet – alles unter strenger Geheimhaltung. Diese Position bringt viele Vorzüge mit sich und Franz genießt sein neues Leben mit Freundin Corina (Luise Heyer). Als die Anforderungen an ihn steigen und die Aufträge nicht mehr mit seinem Gewissen zu vereinbaren sind, ist es zu spät. Franz findet sich in einem System wieder, das ihn und alles kontrolliert und aus dem es kein Entkommen gibt.

Franz Walter (Lars Eidinger), © Alamode Film

Seite an Seite mit Franz

In ruhigen, langen Einstellungen und ganz ohne spezielle Effekte oder leitende Musik, schafft Franziska Stünkel in kürzester Zeit eine enorme Nähe zu Protagonist Franz herzustellen. Als Zuschauer٭in weicht man Franz nicht von der Seite, es gibt keine Szene ohne ihn. Wir sehen, was er sieht und wir erleben, was er erlebt. „Man schaut Franz zu wie ein Gefühl entsteht und eine Entscheidung“, erklärt Stünkel. Und man bleibt weiter bei ihm. Franz‘ persönlicher Entwicklung wird damit viel Zeit und Raum gegeben. Die Entscheidungen werden dadurch nachvollziehbar und es schafft zudem eine Intimität und intensive Beziehung zwischen Publikum und Protagonist.

Die entstandene Empathie für Franz weckt ehrliches Bangen um sein Schicksal. Was den Zuschauer٭innen viel Stärke abverlangt. Man ist erschüttert über die Wendungen, die Franz‘ Leben nimmt, über plötzlich ins Wanken geratenes Vertrauen zu nahestehenden Personen und über Entscheidungen, die sich als Fehler herausstellen. Hätte man nicht gleich gehandelt an Franz‘ Stelle? Franziska Stünkel beschreibt dazu: „Man muss es auch aushalten, einem Menschen lange zuzusehen, seinem Gegenüber. Da spürt man dann erst: die Angst, Ablehnung, Zuneigung oder Unsicherheit.“ All das spüren wir in Franz und in uns.

Das Team: „Lars, Devid und Luise waren große Wunscherfüllungen.“

Für diese rohe und intime Erzählweise braucht man einen fähigen Schauspieler. In Lars Eidinger hat Franziska Stünkel einen solchen gefunden: „Mir lag es sehr am Herzen, für den Franz diesen Menschen und Schauspieler zu finden, der diese Radikalität und Authentizität vermag herzustellen, da war Lars Eidinger der absolute Wunsch von mir.“

Stünkel war es wichtig, mit Schauspieler٭innen zu arbeiten, denen bewusst war, worum es in der Geschichte im Eigentlichen geht. Auch war es ihr wichtig, an Originalschauplätzen zu drehen. Sie betont: „Ich glaube sehr an die Kraft von Orten.“ Hier waren die Schauspieler٭innen und das Team hinter der Kamera eine Einheit, wofür Stünkel sehr dankbar ist. Dort konnten sie, wie Franziska Stünkel sagt, „eine Konzentration erzeugen, in der wir die Räume auch wahrnehmen konnten, sodass Lars, Devid und Luise in ihren Rollen dort einfach waren.“

So endgültig Franz Walters Schicksal im Film ist, so unausgesprochen bleibt vieles. Ganz bewusst, wie Stünkel sagt, denn der „Film möchte auch Fragen stellen dürfen.“ Er wirft viele Fragen auf: historische, politische und persönliche. NAHSCHUSS ist:

„… die Geschichte von Franz. Und dieser Film erzählt die Todesstrafe in der DDR. Mir geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen und einen Diskurs aufzutun.“

Alle Zitate: Franziska Stünkel

Das ist ihr unserer Meinung nach gelungen. Wir möchten an dieser Stelle Franziska Stünkel ganz herzlich für das schöne, aufschlussreiche Gespräch danken und allen Leser٭innen sehr ans Herz legen, NAHSCHUSS im Kino anzusehen. Der deutschlandweite Kinostart ist am 12. August 2021.

Regie & Drehbuch: Franziska Stünkel

Kamera: Nikolai von Gravenitz

Montage: Andrea Mertens

Musik: Sebastian Karim Elias

Szenenbild: Anke Osterloh

Vor der Kamera: Lars Eidinger, Luise Heyer, Devid Striesow, Paula Kalenberg, Moritz Jahn, Peter Lohmeyer u. v. m.

Wut, Sex, Tod, Erwartungen und Humor. Jovana Reisinger im Interview

Jovana Reisinger hat einen neuen Roman veröffentlicht. Und unter vielen Gesichtspunkten ist dieser ganz anders geworden als ihr Debüt „Still halten“ von 2017. Dennoch haben beide Texte eine gemeinsame Wucht und prügeln auf Rollenbilder und ihre Protagonist٭innen ein. Erneut ist ihr ein intensiver Roman gelungen, der gleichzeitig erdrückt, dabei aber nicht vergisst, kurzweilig zu sein und zu unterhalten. Warum aber hat sie ihn „Spitzenreiterinnen“ genannt? Und wieso heißen die Frauen darin wie Zeitschriften? Welche Rolle spielen Männer? Worum geht es überhaupt? Gute Fragen, noch bessere Antworten.

Spoiler-Hinweis: am besten erst den Roman lesen, dann das Interview.

Worum geht es in „Spitzenreiterinnen“?

Es geht um Frauen, die nach Frauenzeitschriften benannt sind. Und um Rollenzuschreibungen, Klischees und Stereotype. Auch behandelt er Gewalt – in jeglicher Hinsicht –, Diskriminierungserfahrungen, Sexismus und neoliberale Leistungsversprechen. Jetzt hab ich viele Schlagwörter rausgeballert.

Wie bist du darauf gekommen, die Protagonistinnen nach Frauenzeitschriften zu benennen?

So genau weiß ich das nicht mehr. Aber ich finde das Medium Frauenzeitschrift sehr spannend, weil es einen großen Raum einnimmt. Nicht unbedingt in meinem Leben, aber generell verfügen sie über Reichweite, Macht und Geschichte.

Für Männer gibt es weniger Magazine, an denen man sich als Teenager orientieren kann. Widersprich mir gern, aber ich glaube nicht, dass man in der gleichen Form in Magazinen Hilfe suchte. Ich kann mich zum Beispiel noch gut daran erinnern, was in meiner Jugend zum Thema Sex in diesen Magazinen stand: Hier sind die fünf Supertipps, mit den Stellungen wird er wahnsinnig nach dir, so wirst du zur Blowjob-Queen. Es ging darum, den Mann zu befriedigen und überhaupt nicht darum, für sich ein Frausein zu erkennen und zu entwickeln. Es ging immer um die Frage: Was muss ich machen, damit man mich akzeptiert und anerkennt?

Ich fand spannend, mich Jahre später wieder mit diesen Zeitschriften auseinanderzusetzen und da entstand die Idee, einen Ensemble-Roman zu schreiben – mit gleichberechtigten Charakteren und Protagonistinnen. Der nächste Schritt war dann einfach, diese nach den Magazinen zu benennen, und sich gleichzeitig auf die Themen zu stürzen, die darin behandelt werden. Beauty, Fashion, Sex. Laura und Lisa haben ja zum Beispiel immer ganz viele Tipps und Tricks in ihren Kapiteln.

„Ganz viele Szenen im Roman basieren auf realen Ereignissen, teilweise aus meinem familiären Umfeld oder Freundeskreis, teilweise aus Medien, Nachrichten, Erzählungen, die mir zugetragen worden sind.“

Jovana Reisinger

Es ging also darum, die Rollenmodelle der Zeitschriften zu hinterfragen?

Nicht nur die der Zeitschriften. Der Gesellschaft. Aber ich habe mich gefragt, was passiert, wenn ich sie mit diesen Namen besetze. In meinem ersten Roman, du hast ihn ja gelesen, hat die Protagonistin keine charakterisierenden Beschreibungen. Man weiß nicht wirklich, wie alt sie ist usw. Das ist hier wieder so: Ganz selten kommt ein Alter vor, stattdessen Beschreibungen wie: „Sie ist Rentnerin und Witwe.“ Das verankert sie natürlich irgendwo, aber es wird nie beschrieben, wie sie aussehen, sondern sie sind alle irgendwie da.

Nirgends steht, was für Haarfarben, Haarstrukturen, Hautfarben oder Körpergrößen sie haben. Ich glaube trotzdem, wenn man dann aber die Frauenzeitschriften vor Augen hat und an die Frauen denkt, die einen von den Covern aus anlächeln, hat man eine Vorstellung davon, wie sie aussehen könnten. Ich hab mich gefragt, was das mit den Leser٭innen macht? Stellt man sie sich jetzt alle weiß, blond und blauäugig vor? Zu den Magazinen würde es passen. Aber vielleicht reflektiert man beim Lesen diesen Rückgriff und stellt sie sich dann ganz anders vor.

Für einen Capriccio-Beitrag hatte die Redakteurin alle Frauenzeitschriften gekauft, die im Buch vorkommen, und auf jedem Cover war eine weiße, dürre, blonde Frau mit blauen Augen. Die einzige Woman of Color war auf der Vogue.

Besonders kritisch stehen die Hauptfiguren ihren Rollen ja gar nicht gegenüber, oder?

Nein, die haben ja auch gar keine Zeit. Sie ackern und versuchen, ihr Leben hinzukriegen.

Kann es sein, dass sie alle vorgezeichnete Wege ausprobieren, dabei aber Schwierigkeiten haben, glücklich zu werden?

Ja, auch. Besonders die zwei Freundinnen Verena und Laura glauben, dass es einen vorgezeichneten Weg gibt, ein Frauen-Game, in dem man bestimmte Etappen gewinnen muss: guter Job, Macker, Ehe, Vermögen. Mit denen konnte ich natürlich gut den Konkurrenzkampf aufzeigen, der manchmal zwischen Frauen herrscht. 

Laura lädt ein Foto von ihrem Ringfinger bei Instagram hoch. Die Likes prasseln darauf wie ein Unwetter. Verena aktualisiert ihr Tinder-Profil.“

Jovana Reisinger – Spitzenreiterinnen

Was würdest du sagen, wer von beiden den Wettkampf entscheidet?

Das kommt auf die Perspektive an. Ich hätte lieber die Villa, die Verena erbt, als Lauras Typen.

Es ist schon generell in dem Roman so, dass Figuren von Todesfällen eher profitieren als daran zu zerbrechen, oder?

Findest du? Ja, vielleicht hast du recht, es sterben einige. Und ich meine, für Barbara ist es auch super, dass ihr Mann stirbt und auch, dass weitere Personen sterben. So kommt sie ja auch an ihren Hund.

 

Findest du eigentlich selbst manchmal, dass deine Texte ein bisschen zynisch sind?

Zynisch find ich besser als ironisch. Das möchte ich nämlich auf gar keinen Fall sein. Ironie in der Kunst ist ein billiges Mittel.  Aber wenn man ein Kunstwerk herausgibt, hat man ja schon selbst gar keine Macht mehr über die Rezeption. Das Buch ist draußen, wenn jemand sagt, es ist ironisch, dann ist es für diese Person so. Für mich ist es am Ende aber wirklich eher zynisch. Und es ist auf jeden Fall gemein und boshaft. Aber so ist es halt auch.

 

Du meinst, das Leben ist auch so?

Ja. Als der Text noch im Entstehen war, ist mich eine Förderreferentin harsch angegangen. Sie hat gesagt, so einen Text braucht man nicht, der sei zu rough, das sei nicht der Feminismus, den wir jetzt benötigen. Was wir bräuchten, sei ein Happy End. Ich hab ihr gesagt, es gibt für uns jetzt auch kein Happy End. Ich geh hier ja jetzt nicht raus und bekomm ein Happy End serviert. 

Übergriffe passieren mir, meinen Freundinnen und Freunden gefühlt auf einer daily basis. Sie landen dann in meinen Büchern oder Filmen und kommen so auch wieder heraus.“

Jovana Reisinger

Trotzdem suchen deine Protagonistinnen ja nach Happy Ends. In der Einleitung zum Beispiel steht der Satz: „Laura fiebert ihrer Hochzeit entgegen, dem Höhepunkt jedes weiblichen Lebens.“ – Warum schreibst du sowas?

Für Laura, genauso für Verena, ist der Höhepunkt ihres Lebens, sich einen guten Macker zu angeln. Wie eben im klassischen Rollenverständnis. Die sichere Ehe als ein Ideal. Aber dass die Ehe auch in jeglicher Form total unsicher sein kann, ob Gewalt, wirtschaftliche Abhängigkeit oder Scheidung, spielt in der klassischen Theorie überhaupt keine Rolle. Als wäre Ehefrau und Mutter die einzige Bestimmung.

Am Samstag vor zwei Wochen gab es in München eine Demo mit Abtreibungsgegner٭innen, die zum Teil Schilder mit Slogans wie: „Mutter werden, mehr Frau sein geht nicht“ trugen. Klare Rollenbilder. Ich bin in einer Bubble, in der man glaubt, sowas findet nicht mehr statt und hat keine Realität mehr. Aber da standen 900 Leute, die das Gegenteil behauptet haben. 

In deinem Buch kommt ja auch eine Demo vor.

Ja, die klassische 8.-März-Demo. Mit wütenden Männern, die etwas sagen wie „Frauen sind doch schon überall an der Macht. Jetzt wollen sie auch noch Gratis-Tampons – wie unfair.“

Was glaubst du, warum auch in der Realität viele Menschen unterschreiben würden, dass eine Hochzeit der Höhepunkt weiblichen Lebens ist?

Das kann ich nicht sagen, ich bin ja keine Soziologin. Aber wenn das für die so ist, ist das ja auch toll. Im Feminismus muss es wichtig sein, dass dies freie Entscheidungen sind. Genauso wie zum Beispiel sexuelle Identitätspolitik. Dazu gehören auch Schwangerschaftsabbrüche. Wenn ich heirate, ist es auch meine Entscheidung. Auch, ob ich den Namen annehme. Trotzdem muss man meiner Meinung nach diese Rollen und was mit ihnen einhergeht, zumindest einmal durchdenken. Warum macht man es, warum kommt es so selbstverständlich daher? Warum wird es nicht hinterfragt – auch persönlich? Warum denkt man, etwas ist das Ziel? Und das Ziel von was überhaupt? Genauso ist es für mich beim Thema Schönheit: Ist doch egal, ob eine Frau sich die Brüste machen lässt oder nicht. Wenn sie’s machen will, ist alles gut.

Stimmt. In dem Roman gibt es immer wieder losgelöste Absätze Themen wie „Solidarität unter Frauen“, „weibliche Lust“, „Karrierefrauen“, „Haare“. Was hat es damit auf sich?

Das sind Sonderkapitel. Eine Figur, die es jetzt am Ende im Buch nicht mehr gibt, trug immer Powersuits. Es gab bei ihr einen längeren Abschnitt, in dem ich mich mit Hosenanzügen und dem Styling fürs Büro beschäftigt habe. Ich hab dann nach längerer Zeit festgestellt, dass die Figur für den Roman keinen Sinn macht, aber ich hing so an diesem Abschnitt. So entstand die Idee für diese Sonderkapitel, die auf jeden Fall inspiriert von diesen Frauen-Zeitschriften sind. 

Einiges, Haare und Haut, kommt ja direkt aus dem Beauty-Bereich, genau wie die Karrierefrau mit ihren Modetipps. Ich hatte hier das Gefühl, ich kann nochmal eine andere Sprache anwenden – fast wie für ein neutrales Medium, ein Nachschlagewerk. Aber es bietet natürlich auch die Möglichkeit, auf Gemeinheiten hinzuweisen wie den realen Fall, dass eine Frau entlassen wurde, weil sie zu sexy war. Dass das Gericht ihrem Chef recht gegeben und geurteilt hat, das sei gefährlich für seine Ehe und dass er diese Frau entlassen dürfe, ist doch spektakulär. Ich mochte, dass die Sonderkapitel so überraschend daherkommen, weil sie nicht im Inhaltsverzeichnis stehen.

Im ersten Sonderkapitel schreibst du, warum Frauen sich nicht als „Mädels” bezeichnen sollten. Dazu gab es bei postmondän auch schonmal einen Text. Warum sollten sie das aus deiner Sicht nicht tun?

Ich persönlich hasse es einfach, als „Mädels“ bezeichnet zu werden. Wenn ich mit einer Gruppe Frauen zusammen bin und wir sind die „Mädels“, die einen Mädelsabend machen, ist mir das viel zu niedlich, zu lieblich und harmlos. Was soll das? Und Jungs treffen sich dann zum Jungsabend? Sind wir jetzt alle wieder Kids? Es gab eine Zeit, in der ganz viele Produkte im Supermarkt so gebrandet wurden. Auf Prosecco-Flaschen stand dann in Rosa „Für den Mädelsabend“.

Und wieso heißt der Roman eigentlich „Spitzenreiterinnen“?

Die Idee hatte ich auch beim Konzipieren, was eine zweijährige Phase war: Ich glaube, ich habe eine Werbung gehört mit einem Solgan wie „Die Spitzenreiter der Charts“  oder „Spitzenreiter im Sport“. Mir ist dabei aufgefallen, erstens, was für ein tolles, klanghaftes Wort das ist, und zweitens, dass es aber weder „Spitzenreiter٭innen“ noch „Spitzenreiterinnen“ gibt. 

Ich hab mich erinnert, dass ich als Kind, wenn nachts Dauerwerbesendungen zur Schlager-Compilations im Fernsehen liefen, immer schon faszinierend fand, dass es diesen rein männlichen Begriff gibt. Das ist ja ein toller Superlativ, aber man benutzt ihn eigentlich auch nie, außer eben im Sport.

Neulich erzählte mir eine Buchhändlerin, dass bei ihr mein Buch jeden Tag gekauft wird, immer von Männern, und sie sich das Buch ganz lang nicht genauer angeschaut hat, weil sie dachte, das wär ein Buch über Sport oder antifeministischer Scheiß. Sie hat es sich dann irgendwann mal durchgelesen, und mich dann auch gleich zum Signieren eingeladen. Eine wahnsinnig lustige Frau. Spitzenreiterinnen – ein Sport-Roman.

Wäre eigentlich auch ein guter Name für Frauenzeitschriften, oder?

Ja, er klingt dann aber gleich wieder so nach Executive Chick, nach Managerinnen …

Ja stimmt, nach „Powerfrauen“. Das ist ja auch so eine ähnliche Kategorie wie der Begriff „Mädels“, oder?

Richtig schwierig. „Starke Frauen“ ist genau so eine Hass-Kategorie von mir wie „Mädels“.

„Power, also Macht, wird durch Powersuits, Powerfarben und Powerhandtaschen demonstriert. Mode als Power-Tool.“

Jovana Reisinger – Spitzenreiterinnen

Anderes Thema: Dein Debütroman „Still halten“ hat sich ja stark mit der Innenperspektive einer Figur beschäftigt, die an ihrer Umwelt zerbricht. „Spitzenreiterinnen“ konzentriert sich eher auf Außenperspektiven, auf Frauen in ihren Umfeldern. Was ist dir beim Schreiben leichter gefallen?

Der Schreibstil bei „Still halten“ war auch deswegen anders, weil ich versucht habe, über Form und Sprache dem Inhalt eine andere Ebene zu geben, und die Leser٭innen genau so verrückt zu machen wie die Protagonistin, sie in den Wahnsinn zu treiben. Das hat die Erzählerin zu einer unzuverlässigen Begleiterin gemacht. Bei Spitzenreiterinnen ist es leser٭innenfreundlicher. Es gibt ja immer diese kurzen Episoden, alles ist sehr beschreibend, immer mit einer Draufsicht. Auch dadurch, dass es hin und wieder diese kommentierende Erzählerin gibt, hat es eine ganz andere Perspektive. 

Ich würde aber sagen, dass sich rein sprachlich nicht so viel verändert hat, weil beide Sprachen relativ hart sind – das ist zumindest mein Anspruch –, gnadenlos und schonungslos. Was leichter zu schreiben ist, kann ich nicht beantworten, denn in beiden Büchern steckt viel Vorbereitung und eine lange Schreibzeit. In „Still halten“ nochmal wesentlich mehr, zwei Jahre länger, aber die Form, die „Spitzenreiterinnen“ jetzt angenommen hat, entspricht der Sprache, die ich jetzt gerade schreiben möchte.

Bei „Still halten“ gab es ja auch interessante Figuren, zum Beispiel den Förster: ein konservativer Gegenpart zur Protagonistin. Ich hatte das Gefühl, dass du ihm im Roman, trotz seines verschrobenen Verhaltens und Denkens, immer noch viel Liebe entgegenbringst. Kann es sein, dass dir diese Liebe in den Beschreibungen von Männern bei „Spitzenreiterinnen“ abhanden gekommen ist?

Das würde ich jetzt nicht sagen. Lisa hat ja am Ende einen Super Date mit einem Supertypen. Es kommen auch coole, nette, anständige, aufgeklärte Männer vor, die haben aber nicht so viel Platz. Deswegen werden sie auch ein bisschen überlesen.

Männer haben im Roman aber keine Namen, sondern nur Anfangsbuchstaben.

Genau. Die Männer sind durch ihre Taten sowieso präsent genug. Dadurch, dass ich mich auf die Gemeinheiten im Leben von Frauen gestürzt habe, Sexismus, häusliche Gewalt, brauchten diese Männer dann auch gewisse antagonistische Kräfte, und nicht noch mehr Identifikationsmöglichkeit.

Dementsprechend haben die keine richtigen Namen. Wonach hätte ich sie denn auch benennen sollen. Wenn ich meiner dramaturgischen Entscheidung treu bleibe, wonach alle Frauen nach Frauenzeitschriften benannt sind, wie soll ich denn die Männer benennen? Ich kann sie ja nicht „Beef“, „GQ“ und „11 Freunde“  nennen.

Komisch eigentlich, dass Männer-Lifestyle-Magazine nicht auch wie Männernamen heißen, oder?

Genau, die sind eher so nach Dingen benannt. „Beef“ sagt ganz klar, dass „Männer“ anders essen. Ich weiß nicht, was das soll. Und der Planet geht mit dem Fleischkonsum zugrunde. Aber egal. Hier ist dein Steak. In einer Rezension wurde mir vorgeworfen, ich hätte mich als Männerhasserin geoutet – der schlimmsten Form des Feminismus. Ich möchte hiermit sagen, ich bin keine Männerhasserin. Ich versteh auch nicht, wie man das herauslesen kann, aber es ist schon in Ordnung. Ich hab das Gefühl, es geht halt einfach eher um die Frauen. Und es darf auch einfach mal nur um die Frauen gehen. Und die Männer sind einfach Nebendarsteller. Ist doch auch okay.

In vielen Büchern ist es ja andersherum.

Eben, ist doch die ganze Zeit andersherum.

Männer können sich in deinem Roman relativ viel erlauben, kommen bspw. mit häuslicher Gewalt ungestraft davon. Die Frauen haben aber bei kleinsten Abweichungen mit starkem Widerstand zu kämpfen. Wie viel Wut steckt in diesen Beschreibungen?

Wut ist definitiv ein Motor für mich ist. Nicht der einzige, aber ein sehr starker. Ganz viele Szenen im Roman basieren auf realen Ereignissen, teilweise aus meinem familiären Umfeld oder Freundeskreis, teilweise aus Medien, Nachrichten, Erzählungen, die mir zugetragen worden sind. Ich denke dann jeweils weiter, was passen würde. Bei häuslicher Gewalt zum Beispiel: Es ist extrem kompliziert, aus so einer Beziehung wieder herauszukommen. Und es ist unfassbar anstrengend, vor allem wenn Kinder oder wirtschaftliche Abhängigkeiten im Spiel sind. 

Wie mit Tina umgegangen wird, ist für viele Frauen Realität. Dementsprechend war es mir auch so wichtig, ihr Hadern zu erzählen. Ganz oft sind Erzählungen so: „Er hat mich einmal geschlagen und dann bin ich gegangen. Ich geh als starke Frau heraus und mir kann sowas nie passieren.“  Klar, so etwas gibt es auch und es ist super, wenn das klappt. Aber wenn Abhängigkeiten geschaffen und festgezurrt sind, ist es viel schwieriger, wieder herauszukommen. Sie hat ein schlechtes Gewissen, diesen Mann zu verlassen und zu verraten. In ihren Augen ist sie ja auch so schon schuldig. Sie sagt, eigentlich müsste sie sterben, weil sie so eine schlechte Mama ist. Weder hat sie geschafft, ihre Kinder zu retten, noch ihre Ehe. Es ist wahnsinnig kompliziert, aus solchen Beziehungen herauszukommen. 

Ich wollte ihr Handeln weder bewerten oder verurteilen, sondern den einzelnen Storys Raum bieten, um nachvollziehbar zu machen, wie kompliziert und anstrengend das ist – alleine, zu so einer Beratungsstelle zu gehen und immer wieder diese Geschichte zu erzählen. Man wird immer wieder fotografiert, wenn man nach solchen Übergriffen zum Arzt geht. Die Fotos landen dann in einer Akte. Selbst wenn man schon mehrfach der Polizei gesagt hat, dass der Ex-Freund oder Ex-Mann oder wer auch immer einen attackiert, und ihm ein Annäherungsverbot ausgesprochen wurde, kann er ja trotzdem lauern und dich attackieren. 

Alles ist wahnsinnig anstrengend und kompliziert. Gleichzeitig ist es intensiv für weibliche Opfer häuslicher Gewalt – natürlich auch männliche, auch wenn das ein viel kleinerer Teil ist. Beratungsstellen sind unterbesetzt, man wird ins Frauenhaus gebracht. Warum überhaupt? Wieso wird das Opfer irgendwo hingebracht und nicht der Täter mitgenommen?

Du versuchst also eigentlich schon, etwas einfach so abzubilden, wie es ist?

Ich versuche die Wut in etwas anderes zu transportieren. Das versuche ich in meinen filmischen Arbeiten genauso. Eigentlich ist meine Herangehensweise Humor und Überstilisierung, also Übertreibung. Bei der Szene mit Lisa, in der im Restaurant Austern herumfliegen, wäre ich gern dabei gewesen. Ich find’s auch super, Barbara zu sehen, die auf ihrer Terrasse sitzt und sich so gerne fürchten möchte, weil nichts passiert und ihr so langweilig ist. 

Ihr Mann ist tot, sie ist Rentnerin, sie weiß nicht, was sie machen soll. Als Katalysator sucht sie sich die Angst aus und plötzlich kommt ein Hund dahergelaufen. Und zur Wut: Übergriffe passieren mir, meinen Freundinnen und Freunden gefühlt auf einer daily basis. Sie landen dann in meinen Büchern oder Filmen und kommen so auch wieder heraus. Jetzt zum Beispiel bin ich total friedlich. Ich bin gar nicht mehr wütend.

Was würdest du sagen, welche deiner Protagonistinnen am glücklichsten ist?

Das weiß ich nicht. Ich hoffe, am Ende sind sie alle glücklich. Nach welchen Parametern soll man Glück auch bemessen? Ich versuche sie ja eben nicht zu bewerten. Manche Lebensentscheidungen treffen eher auf meine Identität zu, aber ich find’s auch völlig okay, wenn sie andere Entscheidungen treffen.

Du hast dich beim Schreiben aber ja in alle hineinversetzt.

Ja, und ich liebe sie. Es hat Spaß gemacht, Zeit mit ihnen zu verbringen. Aber ich würde sagen, am Ende sind alle glücklich. Nur bei Tina ist es in bisschen gemein, mit dem offenen Ende. Aber Petra und Brigitte sind madly in love. Das ist doch mega schön. Jolie hat sich für ein Kind entschieden, das sie allein großziehen will. Verena hat eine geile Hütte. Barbara ist im Urlaub, bekommt ihren toten Mann endlich aus ihrem Kopf heraus. Er spricht nicht mehr mit ihr, was ja bestimmt auch ein bisschen anstrengend war. Lisa hat einen neuen Lover und einen geilen Job. Und sie lernt ihre neue Mitarbeiterin kennen, die auch irgendwie cool ist. Laura ist aufgeräumt, hat genau bekommen, was sie wollte. Ich würde unterm Strich sagen, Happy End für alle.

Letzte Frage: Mit wem von ihnen würdest du gerne tauschen?

Ich glaub, ich könnte mir vorstellen, mal in jede hineinzuschlüpfen. Selbst in Tina, die auch einfach eine absurde Stärke hat. Aber ganz tauschen, weiß ich nicht. Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meinem eigenen Leben. Guck mal, ich bin in einer totalen Luxusposition, sitze zu Hause und bekomme Interviewfragen gestellt. Ich liebe es.

Das ist ja auch was. Vielen Dank für das Interview.


„Spitzenreiterinnen“ von Jovana Reisinger erschien im Verbrecher Verlag, dem wir an dieser Stelle herzlich zum 25. Geburtstag gratulieren. Der Roman hat 264 Seiten.

„Den Raum des Bösen lote ich gerne aus“

Ute Cohen ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Berlin. In ihrem neuen Roman „Poor Dogs“ nimmt sie die Welt der Unternehmensberatung und wie Menschen beginnen, alle Beziehungen nach einem ökonomischen Nutzenkalkül zu beurteilen, in den Blick. Philip hat mit ihr über das Buch, über Liebe, Grausamkeit und Kapitalismus geredet.


Ute, dein Roman Poor Dogs spielt in der Welt der transnationalen Unternehmensberatung. Er handelt davon, wie die beiden Protagonisten André und Eva in ihrer Liebesbeziehung immer mehr den Boden unter den Füßen verlieren und die Grenzen zwischen Wirtschaftlichem und Intimen verschwimmen. Was ist in diesem Kontext ein „Poor Dog“?

Das ist ein Begriff, der aus der Portfolio-Theorie von Boston Consulting stammt. Das ist eine Matrix, in der es um Marktwachstum und die Entwicklungsmöglichkeiten von Unternehmen geht, also wie man diese einzuordnen hat. Und die „Poor Dogs“ sind die, die in diesem Portfolio am Schlechtesten dastehen, den geringsten Marktanteil und die geringste Aussicht auf Marktwachstum haben. Wenn aber auch Menschen so beurteilt werden, ist das äußerst bedenklich, etwa, wenn du diese Matrix deinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis überstülpst. Und ich hielt es für eine gute Idee, danach einen Roman zu konzipieren, weil ich tatsächlich in meiner beruflichen Laufbahn Menschen erlebt habe, die so in ihrem ganzen Leben vorgehen und alles nur nach dem Nützlichkeitsaspekt machen und eigentlich in dieser Matrix gefangen sind, dass sie nur noch ihr entsprechend handeln.

Ein solcher Mensch wird also ein reiner Homo Oeconomicus, der alle sozialen Beziehungen nur als Humanressource sieht?

Ja, genauso ist das.

Wer im Roman auf jeden Fall so vorgeht, ist André. Denn in deinem Roman mischen sich immer wieder die Motive wie Liebe, Erotik, Sexismus mit kalter wirtschaftlicher Kalkulation – aber alle werden nach denselben Kriterien von den Protagonisten behandelt: ökonomisch. Besonders André fällt mir da auf. Er sieht Frauen als austauschbare Sexobjekte, die er sich zum Spaß, Dekor, zur Lust oder Rentabilität hält. Das ist ein verlängerter, libidinöser Arm seines skrupellosen ökonomischen Handelns. Aber wirken dabei er und Eva, die zwischen ihren Hormonen, ihrer Selbstständigkeit und ihrer Arbeit bei McCrowley hin- und hergerissen ist, nicht oft allzu stereotyp?

Es entsteht einfach eine Konformität mit den Anforderungen einer Unternehmensberatung. Man ist einem System mit bestimmten Firmenwerten und Kommunikationsarten. Wenn sich alle daranhalten, gibt es nur noch ganz wenige Variablen. Denn anfangs wird man danach beurteilt, wie man sich in dieses System einfügt. Das Beharren auf Individualität und Besonderheit wird höchstens später wertvoll. Und das färbt auf die Persönlichkeit ab. Daher ist dieses Stereotype natürlich gewollt, denn diese Menschen – und meine Protagonisten – werden zum Abziehbild; sie sind lebendige Klischees.

Sie verlieren ihre Individualität und werden oberflächlich in jeder Hinsicht?

Ja, und die Konsequenz ist, dass man nach der Matrix seine Mitmenschen beurteilt. Man betrachtet sie nur noch als Spielfiguren. Für die Beziehung zwischen den beiden oder die Beziehungen, die André überhaupt zu Frauen hat, gehe ich also einen Schritt weiter als die Sozialtheoretikerin Eva Illouz, die sagt, die Romantik werde vereinnahmt vom Kapitalismus. Aber in Poor Dogs ist von Romantik gar nicht mehr die Rede. Denn die kapitalistische Matrix funktioniert nur nach dem Prinzip der Unterwerfung und Macht. Die Romantik ist dann nur noch ein Instrument, das man einsetzt, um etwas zu erreichen.

Wenn wir also Illouz’ Theorie weiterdenken, wäre Romantik nur noch eine instrumentelle Ideologie, um wirtschaftliche Ziele zu verwirklichen?

Ja, und zwar auf einer unternehmerischen und privaten Ebene.

Wenn solche Protagonisten zu kapitalistischen Klischees werden, siehst du dann noch einen Ausweg aus solchen Mechanismen, die indoktriniert werden, sodass sogar am Anfang des Buches Eva, als die in flagranti mit André von dessen Ehefrau erwischt wird, das Problem wie ein Businessgespräch managt?

Wenn man sich so diverse Unternehmensgeschichten ansieht und wie sich da immer wieder Geschichte wiederholt, habe ich da Schwierigkeiten mir einen Ausweg vorzustellen. Denn es wird einfach immer wieder die Verlockung des Geldes geben. Man kann versuchen, sie zu überzeugen, dass sie eines Tages auf der Verliererseite stehen, wenn sie weiter nach solchen Prinzipien handeln oder nicht das Zeug haben, um später an der Spitze anzukommen. Aber, was wir hier moralisch bewerten, sehe ich nicht als wandlungsfähig an, weil die Gier im Menschen (nicht nur in der Unternehmensberatung) extrem stark ist. Das kann keiner leugnen! Die meisten Menschen sind nur nicht dieser Versuchung ausgesetzt.

Individuell abzuwägen, ob es etwas wert ist. Oder Menschen zu überzeugen, von einem solchen System abzulassen, wäre aber auch nur instrumentell. Man braucht dann einen anderen Mehrwert, um etwa Karriere zu machen oder Macht zu bekommen. Alles andere wäre nur romantische Nostalgie, die Gier an sich verurteilt.

Ja, und das sehe ich als unrealistisch an. Wandel entsteht in solchen Bereichen nur, wenn man an einem Tiefpunkt angelangt ist. Dann findet man vielleicht einen anderen Zugang zu Menschen. Aber das aus einem eigenen Impuls zu machen, ist kaum vorstellbar.

Wie Eva hast auch du ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert und danach in amerikanischen Unternehmensberatungen gearbeitet. Wie viel Autobiographisches steckt in Poor Dogs?

Ich sage nur: Die Realität übertrifft meistens noch die Vorstellungswelt. Das Buch ist schon an Leben gesättigt. Ich habe diese wirtschaftlichen Bereiche selbst durchwandert. Ich würde mich sowieso als Wanderin betrachten, und ich sauge aus verschiedenen Welten immer alles auf. Mein Vergnügen besteht darin, etwas genau zu beobachten, zu pointieren und dabei die Komik der Tragik zu sehen, das scheinbar Unvereinbare zusammenzubringen, und mir damit auch eine Erleichterung zu verschaffen. Ich schreibe aber vorweg keine Plots. Wenn ich Romane lese wie so manchen Krimi, die Reißbrettgeschichten sind, dann langweilt mich das. Ich verarbeite einfach Dinge, die mich ergreifen, die lebensentscheidend waren, so wie ich in meinem Roman Satans Spielfeld meine sexuellen Gewalterfahrungen und die Vergewaltigung als Kind transformiert und fiktionalisiert habe, so war auch die Zeit in der Unternehmensberatung für mich in all meinen Vorstellungswelten sehr erschütternd.

Ich habe erst an der Uni gearbeitet, und dann komme ich in eine Welt, in der nur noch ums Billing geht, wie im Rausch. Der Businessjargon hatte schon eine Faszination. Ich habe in der Kommunikationsabteilung gearbeitet – und immer mit dem Willen, tatsächlich was zu ändern. Und das Unternehmen hat dir auch das verkauft, indem man bei einem entsprechenden Gewinn etwa einen Literaturfond aufmachen kann. Und das habe ich geglaubt. Aber wenn es nicht so laufen konnte, wie ich es mir erhofft habe, habe ich einen Cut gemacht, den meine Protagonisten so nicht machen. Ich ziehe dann weiter und suche mir ein neues Feld. Vielleicht ist das Gerechtigkeitsstreben oder Idealismus, das ich in jedem Gebiet suche.

Naja, für die Suche nach Gerechtigkeit scheint mir die Unternehmensberatung nicht das beste Feld zu sein.

Das ist einfach meine wahnsinnige Neugierde, die mich dazu bringt. Aber Neugier ist von Gier gar nicht so weit entfernt, und man gerät schnell in so ein Business hinein durch seine Anziehungskraft, Geschwindigkeit, Spannung und Energie. Ich wollte einfach die große weite Welt entdecken. Und geprägt hat mich da so der Punk, die raw power. Es war eine Gipfelstürmersache: umhauen, Zusammenhauen und Neumachen, nach vorne preschen! Das hat eine große Energie, die natürlich schnell mit dem Bösen zusammenhängen kann. Den Raum des Bösen lote ich gerne aus. Und dazu muss ich es kennenlernen – auch, um es zu ändern. Viele aus dem Punk sind dann zu Businesspunks, etwa im Investmentbanking geworden und haben dort die raw power ohne Regeln praktiziert. Das Verbindungsstück aus beidem ist die Energie, die ich meine. Ich meine das aber nicht bewundernswert. Es fasziniert mich. So ist es auch mit der Gewalt. Sie schreckt uns alle ab, aber sie ist auch ein Faszinosum. Wir sind gebannt von ihr, jenseits des Bösen.

Poor Dogs ist ja selbst voyeuristisch. Das Buch hat auch viele innere Monologe. Wir erfahren sehr genau, was André und Eva denken, wünschen und planen. Gleichzeitig zu Gefühlen, wie Liebe, Hass und Anziehung wird eine Handlung der kalten Kalkulation und der Überlebenskämpfe geschildert – also wieder Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Und so wie sich diese Elemente abwechseln, so wechselt auch der Sprachstil. Mal ist dieser anheizend und spannend, mal ist er kalt und sehr zynisch. Würdest du das als grotesk bezeichnen? Und wie schaffst du es, bei so vielen verschiedenen Themen und Stilarten die Waage zu halten?

Die Waage oder das richtige Maß klingt camoufliert bei mir (lacht). Ich bin wirklich kein maßvoller Mensch. Ob es dann grotesk ist, wenn es kein Maß mehr gibt, ist egal. Maß und Mitte reizen mich nicht! Ich will das Maß überschreiten und die verschiedenen Facetten ausloten, wie auch meine eigene Beteiligung am Geschehen, etwa wenn es meinen Idealen widerspricht. Den eigenen Anteil erkennen kann ich nur, wenn ich alles durchleuchte. Das würde ich aber nicht unbedingt als grotesk bezeichnen. Aber aus dem menschlichen Handeln selbst ergeben sich oft bizarre Situationen, und die zeige ich auch im Stil. Das Leben ist nicht monokausal und nicht eingängig. Und mein Stil versucht die Lebendigkeit daran zu zeigen. Dass etwas verstörend wirkt, ist gewollt, denn die Handlung oder die Protagonisten sind verstörend. Vielleicht ertragen das Viele nicht, wenn sie von Angst geprägt sind. Man darf sich aber von seinen Ängsten nicht steuern lassen, sondern muss auf seine Ratio vertrauen und mal ein Risiko eingehen. Wir sind doch handlungsfähig, können transformieren und gestalten. Vielleicht hat mich auch das in die Welt der Unternehmensberatung gerade hineingezogen.


Poor Dogs von Ute Cohen erschein 2020 im Wiener Septime Verlag und hat 240 Seiten.

Beitragsbild: © Sonja Shenouda

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„Ich persönlich schreibe für niemand“ – Ein Gespräch mit dem Dichter Fabian Lenthe

Fabian Lenthe ist Lyriker und lebt in Nürnberg. Innerhalb kürzester Zeit hat er mehrere Lyrikbände veröffentlicht und arbeitet derzeit auch an einem Roman. Seine Gedichte handeln oft von Einsamkeit und Isolation – passen also erstaunlich gut zu den derzeitigen Verhältnissen. Philip hat mit ihm über alte und neue Projekte, über Lyrik generell und die Motivation des Schreibens gesprochen.


Fabian, seit 2018 veröffentlichst du jährlich einen Gedichtband. Dein neuestes Buch Apnoe ist 2020 erschienen, und auch für dieses Jahr wurde schon ein weiterer Titel von dir angekündigt. Andere Lyriker hingegen arbeiten jahrelang an einem Band und verfeinern diesen. Ist deine Arbeit schon eine lyrische Massenproduktion? Und wie arbeitest du, wenn du Gedichte schreibst?

Ich schreibe täglich. Eine gewisse Masse zu produzieren, lässt sich dabei kaum vermeiden. Andere Lyriker schreiben, wie sie schreiben, das geht mich nichts an. Ein Urteil lässt sich sowieso nur über das Ergebnis fällen.

Gedichte zu schreiben ist eine seltsame Angelegenheit. Ich setze mich nicht hin und sage: „Jetzt schreibe ich ein Gedicht!“ Es ist vielmehr so, dass ich womöglich etwas aufmerksamer wahrnehme, was um mich herum und in mir geschieht. Oft ist es nur ein Wort oder ein Gefühl, um welches sich thematisch alles aufbaut, aber das ist immer intuitiv. Einen bestimmten Weg gibt es nicht.

Die Lyrik kommt also von selbst zu dir? Im Grunde täglich?

Ja, das Schreiben ist immer da. Wenn man so will, ein ständiger Begleiter im Hintergrund.

Von Buch zu Buch werden deine Gedichte kürzer und dichter. Begonnen hast du mit längerer Poesie, die zwischen Trauer, Dunkelheit und kleinen alltäglichen Lichtschimmern im prekären Leben oszillieren. Das Ganze wurde schon einseitiger, knapper, melancholischer, aber auch verstörender (in einem poetischen Sinn) in deinem Band Da Draußen. In Apnoe nun sind die Gedichte noch verdichteter und behandeln weniger absurde Schilderungen als vielmehr abstrakte, metaphorisch verarbeitete Gefühle von Trauer, Isolation, Leere und auch Stillstand. Wie kommt es zu dieser Entwicklung? Was würdest du als deine Stimme in der deutschen Lyrikwelt bezeichnen?

Fabian Lenthes Gedichtsammlung Apnoe

Es lässt sich ganz gut mit dem Meißeln einer Skulptur vergleichen: Erst wenn alles Überflüssige entfernt worden ist, ist man fertig. Wie alle Künstler durchlaufe ich eine Entwicklung. Wenn ich es mit vier Zeilen schaffe, das auszudrücken, was ich möchte, wozu dann mehr schreiben? Man muss auf den Punkt kommen! Alles andere ist Zeitverschwendung!

Ich weiß nicht, ob man von einer Stimme sprechen kann, oder sollte. Alles, was ich zu sagen habe, kann man lesen, der Rest ist uninteressant. Wen interessiert es schon, was man zum Frühstück hatte oder wie oft man aus dem Fenster springen wollte.

Je kürzer dein Gedicht, desto besser ist es also für dich?

Nein, es geht darum, alles Unnötige wegzulassen. Dasselbe gilt auch für die Prosa. Wie dick oder dünn ein Buch ist, wie viele Zeilen ein Gedicht hat, sagt nichts über die Qualität aus. Wenn du vier Zeilen brauchst, brauchst du vier, wenn du hundert brauchst, brauchst du hundert.

Viele deiner Gedichte, laufen immer wieder auf ähnliche, traurige oder düstere Alltagsbetrachtungen hinaus. Gibt es ein bestimmtes Grundthema, von dem dein Werk handelt?

Das Leben, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Nicht mehr, nicht weniger.

Das ist so allgemein, dass die Aussage inhaltsleer wird. Was für ein Leben oder Lebensformen meinst du?

Ich behaupte mal, dass die meisten Menschen auf dieser Erde mehr Zeit damit verbringen zu überleben, anstatt zu leben. Dem Gefühl des täglichen Verzweifelns versuche ich Ausdruck zu verleihen. Am besten so, dass sich jeder darin ein Stück weit wiederfinden kann.

Du veröffentlichst bisher alle deine Bücher bei Rodneys Underground Press, einem kleinen Punk-Verlag für sogenannte Underground-Lyrik. Sind aber deine Gedichte, je herkömmlicher und feinfühliger sie in ihrer Metaphorik und Bildsprache werden, nicht eigentlich schon im Mainstream angekommen? Und wenn ja, was bedeutet das für dein Schaffen?

Ob man in der Lyrikszene von Mainstream sprechen kann, wage ich zu bezweifeln, dazu wird zu wenig gekauft.

Wenn den Leuten gefällt, was ich schreibe, freue ich mich. Wenn sie daraufhin meine Bücher kaufen, freue ich mich noch mehr. Das ist alles.

Ja, Lyrik ist sicherlich kein literarischer Mainstream mehr. Ich meinte auch den „Mainstream“ innerhalb der Lyrik. Aber wo wir beim Thema sind: Warum glaubst du, wird Lyrik so wenig gekauft, aber in den Feuilletons relativ breit rezipiert? Schreiben Lyriker nur noch für ihre Kollegen und die Kritik? Wie ist das bei dir? Für wen schreibst du?

Hier und da fällt es natürlich auf, dass immer wieder dieselben Namen neben Goethe und Rilke in den Buchläden zu finden sind und vom Feuilleton besprochen werden. Auch ist es schade, dass dadurch dem Leser das wahre Spektrum der Gegenwartslyrik völlig verborgen bleibt. Wer nicht wirklich Teil der „Szene” ist oder sie zumindest regelmäßig verfolgt, dem werden einige großartige Dichter und Dichterinnen entgehen. Ich persönlich schreibe für niemanden. Schreiben ist mit das Schrecklichste, was man sich antun kann. Ich rate jedem davon ab. Wenn du es trotzdem nicht lassen kannst: „Willkommen im Club!“

Würdest du sagen, dass deine Texte noch Hoffnung vermitteln?

Das dürfen die Leser selbst entscheiden.

Wie heißt dein neues Projekt, und worum soll es im neuen Lyrikband gehen?

Fabian Lenthes bald erscheinendes acedia

Der neue Band trägt den Namen acedia, die im christlichen Glauben als eine der sieben Todsünden angesehen wird. Übersetzt bedeutet acedia „Sorglosigkeit“, „Nachlässigkeit“ oder „Nichtsmachenwollen“. Eine Haltung, die sich gegen Sorge, Mühe oder Anstrengung wendet und darauf mit Abneigung, Überdruss oder Ekel reagiert. Man könnte durchaus sagen, ich habe einen ganzen Gedichtband dem Nichtstun gewidmet.

Kann das Nichtstun oder Nichtsmachenwollen nicht auch eine Tugend sein, so wie es Vertreter des Rechts auf Faulheit (im Sinne der Muße) oft vertreten?

Ja, durchaus. Paradoxerweise entstehen alle meine Gedichte während ich, zumindest, wenn man mich beobachten würde, nichts tue. Wie schon erwähnt, das Schreiben hört nie auf, es ist immer da.

Das finde ich nicht sehr paradox. Vielen Dank für das Gespräch.


Apnoe von Fabian Lenthe erschien 2020 mit vier Zeichnungen von Michael Blümel bei Rodneys Underground Press und hat 79 Seiten.

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„Ich möchte Brücken bauen“ – Florence Brokowski-Shekete im Interview

Florence Brokowski-Shekete ist in Hamburg als Kind nigerianischer Eltern geboren, wuchs zunächst in Buxtehude bei einer deutschen Familie in Pflege auf. Mit acht Jahren nahmen ihre Eltern sie mit nach Nigeria, in ein Land, das ihr fremd war. Doch sie kam wieder zurück nach Deutschland, wo sie eine beachtliche Laufbahn durchlief. Sie legte das 1. und 2. Staatsexamen für Lehramt ab, arbeitete als Lehrerin und freie Beraterin und Coach. 2007 wurde sie Rektorin, 2013 Schulaufsichtsbeamtin, 2014 Schulrätin und 2020 Schulamtsdirektorin.

Wir haben mit ihr über ihre Biografie, ihr Buch „Mist, die versteht mich ja“ (Orlanda Verlag, Berlin, 2020) und ihre Erfahrungen als schwarze Frau in Deutschland, über Diskriminierung und sensible Sprache gesprochen.


Sehr geehrte Frau Brokoswki-Shekete, Sie sind in Deutschland als Kind nigerianischer Eltern geboren, wuchsen dann in Lagos (Nigeria) in einem für Sie fremden Land auf und kamen zuletzt wieder zurück nach Deutschland. Wie hat diese Erfahrung Sie geprägt?

Ich war ja in Buxtehude zunächst das schwarze Kind in der weißen Mehrheitsgesellschaft, dort fühlte ich mich aber trotzdem wohl. Ich war neun, bevor wir nach Nigeria umgezogen sind. In Nigeria sah ich dann zwar genauso aus wie alle, wie die Mehrheitsgesellschaft, aber ich verstand die Sprache nicht und kannte die Kultur nicht. Das hat mir gezeigt, dass es nicht unbedingt mit dem Äußeren zu tun hat, ob man sich an seinem Ort wohlfühlt.

Ihr 2020 erschienenes Buch trägt den Titel „Mist, die versteht mich ja“ (Orlanda Verlag, Berlin) und spielt damit darauf an, dass Leute angenommen haben, Sie würden kein Deutsch sprechen, weil Sie schwarz sind. Welche Diskriminierungserfahrungen mussten Sie als schwarze Frau in Deutschland machen? Können Sie ein oder zwei Beispiele für typische Situationen?

Es gibt so viele und unterschiedliche Situationen. Zum Beispiel sprechen mich Leute aufgrund meiner Haare an oder weil sie meinen, dass eine bestimmte Farbe mir gut steht. Einmal war ich dienstlich unterwegs, als ich noch Schulrätin war. Ich wurde einer älteren Person in der Funktion vorgestellt. Er guckte mich völlig entgeistert an und sagte dann irgendwann: „Ne, ehrlich, dann bringen Sie wenigstens Farbe ins System!“ Das ist Rassismus, aber wenn man es den Leuten sagt, verstehen sie es gar nicht.

In einem bestimmten Geschäft wurde ich von der Verkäuferin derart blöd angepampt, dass ich zuerst nicht mehr in das Geschäft gehen wollte. Aber ich bin doch wieder hingegangen, habe dem Geschäftsführer die Situation erläutert und ihm gesagt, dass das einfach nicht geht. Zwei Wochen später bin ich ganz bewusst wieder in dieses Geschäft und die Verkäuferin hat mich ganz freundlich bedient. Ich vermute, er hat mit ihr gesprochen. Das sind Situationen, die einen nicht nur sprachlos, sondern auch erschüttert zurücklassen.

Was möchten Sie mit Ihrem Buch erreichen?

Ich werde ständig nach meiner Biografie gefragt. Irgendwann kam dann – mehr im Scherz – die Idee auf, ein Buch zu schreiben. Daraus wurde das tatsächliche Ziel, ein Buch zu machen. Ich möchte den Leuten die Möglichkeit bieten zu sehen, wie das Leben einer Person ist, die schwarz aussieht, nicht „deutsch“ aussieht, aber durchaus deutsch ist. Ich möchte den Menschen, die das Buch lesen, einen Blick hinter die Kulissen gewähren.

Sie haben beruflich eine beeindruckende Karriere gemacht. Zunächst haben Sie als Lehrerin gearbeitet, zwischendurch waren sie als freie Beraterin und Coach selbstständig, dann wurden Sie 2007 Rektorin, daraufhin waren Sie ab 2013 als Schulrätin tätig und nun sind Sie seit 2020 Schulamtsdirektorin. Was hat Sie dazu gebracht, im Bereich Bildung zu arbeiten? Haben Sie den Eindruck, dass Sie es schwerer als andere hatten?

Leichter hatte ich es auf keinen Fall. Ich wollte ursprünglich was anderes machen beruflich. Nach dem Abitur habe ich ein Praktikum in einem Jugendzentrum gemacht. Als ich in dem Jugendzentrum gearbeitet habe, habe ich gemerkt, das waren Jugendliche, die Bedarfe mitgebracht habe. Von den Schülern – es waren viele Hauptschüler – habe ich oft gehört, dass die Schule für sie nicht besonders prickelnd war. Daraufhin habe ich beschlossen, Grund- und Hauptschullehramt mit dem Schwerpunkt Hauptschule zu studieren, da ich der Meinung war und auch noch bin, dass gerade die Schüler*innen, die sich etwas schwer beim Lernen tun, besonders motivierte Lehrkräfte benötigen

Und ich hatte schon das Gefühl, dass es wesentlich schwerer war. Ich hatte den Eindruck, dass ich fünfmal besser sein musste, als wenn ich weiß gewesen sein wäre. Im Referendariat hatte ich sehr unangenehme Begegnungen. Hätte mir nicht der Beruf an sich Freude gemacht, hätten diese Begegnungen dazu geführt, dass ich aufgegeben hätte. Das Referendariat besteht aus zwei Teilen: Der praktische Teil des Referendariats war zwar wunderbar; doch der theoretische Teil im Seminar mit den Lehrbeauftragten und der Leitung war nicht besonders wertschätzend, ganz im Gegenteil, äußerst respektlos, im Nachhinein würde ich sogar sagen, besonders von Seiten einer Person sehr rassistisch.

Erleben Sie trotz Ihrer beruflich abgesicherten Position noch immer Rassismus im Alltag?

Ich erlebe auch in meinem Beruf Rassismus. Der wird manchmal intellektuell kaschiert und verpackt und hat letztlich auch etwas mit Machtherrschaft zu tun. Für die meisten, denen ich begegne, bedeutet Rassismus, jemanden zum Beispiel heftig zu beschimpfen. Aber Rassismus kann auch eine Bemerkung oder eine Verhaltensweise sein, die aufgrund des vermeintlichen kulturellen Andersseins oder der Hautfarbe entstanden ist. Wenn man den Leuten sagen würde, dass sie rassistisch sind, dann wären sie überrascht, um nicht zu sagen komplett entsetzt und echauffiert. Und wenn man die Leute tatsächlich darauf anspricht, gehen sie in eine absolute Verteidigungshaltung. Dann kann es dazu kommen, dass sie beleidigt sind, und man selbst sich dafür entschuldigen muss, dass man bemerkt hat, dass sie sich rassistisch verhalten haben und man dieses Verhalten für sich nicht möchte. Das sind zum Teil sehr skurrile Situationen.

Durch „Black Lives Matter“ bekam das Thema Rassismus und Antirassismus sehr viel Aufmerksamkeit. Was könnte man Ihrer Meinung nach konkret gegen Rassismus in der Gesellschaft unternehmen?

Im Grunde kann man genau das tun, was wir nun machen: sprechen, sprechen, sprechen. Es braucht Offenheit von beiden sein. Offenheit von der deutschen Mehrheitsgesellschaft, lernen zu wollen. Man muss rassismuskritisch die eigenen Gedanken, den gesellschaftlichen Alltag und die Schulbildung reflektieren. Man muss auch sehen, wo es institutionellen Rassismus innerhalb der Gesellschaft gibt. Eine wichtige Frage ist: Was können Menschen, die an gesellschaftlichen Stellschrauben sitzen, tun, dass der institutionelle Rassismus aufgebrochen wird?

Sie sind seit 1997 auch als interkulturelle Beraterin, als Coach und Trainerin aktiv. Mit Ihrer Agentur FBS intercultural communication bringen Sie Führungskräften und Unternehmen einen sensiblen sprachlichen Umgang, Kommunikation und interkulturelle Kompetenzen bei. Welche Kompetenzen sind nötig, damit interkulturelle Begegnungen gelingen?

Zunächst mal ist die Offenheit wichtig, lernen zu wollen, was überhaupt Rassismus bedeutet. Man muss aufhören, zu relativieren und gleich in eine Verteidigungshaltung zu gehen. Ich hatte neulich ein Gespräch mit jemandem, in dem ich geschildert habe, dass ein junger Mensch sich doppelt anstrengen muss, um auf eine berufliche Position zu kommen, weil er schwarz ist. Und die weiße Person hat das gleich vom Tisch geschoben und mir erklärt, dass das so nicht ist. Und das kann ja so nicht sein! Dann muss ich dem Gegenüber erstmal erklären, dass mein Erleben als schwarze Person überhaupt existiert und real ist.

Für mich ist das A und O, dass eine Offenheit und eine Bereitschaft vorhanden ist, den anderen verstehen und in seinem Sein wahrnehmen zu wollen und einen Perspektivwechsel einnehmen zu wollen. Wenn man mein Buch liest, kann es zunächst unangenehm sein, da es einen Spiegel vorhält, obwohl ich versuche, diesen Spiegel sehr sanft und liebevoll vorzuhalten. In jeder gesellschaftlichen Ecke müssen wir sehen, was wir dagegen tun können, um den institutionellen Rassismus auszumerzen.

In den letzten Jahren wurde sensible und diskriminierungsfreie Sprache wichtiger. Verlage streichen diskriminierende Begriffe aus älteren Büchern. Zuletzt wurde die „Mohrenstraße“ in Berlin umbenannt. Immer wenn solche Anpassungen vorgenommen werden, gibt es auch heftigen Widerstand. Was würden Sie Menschen antworten, die aus Tradition weiterhin diskriminierende Begriffe verwenden wollen?

Auch mir begegnen Leute, die sagen, dass das N-Wort früher nicht böse gemeint war. Dann versuche ich den Leuten zu erklären, dass es in allen Sprachen Begriffe gibt, die vor 50, 60 Jahren andere Konnotationen hatten, zum Beispiel im Gender-Bereich, im kulturellen Bereich, im Bereich sexuelle Orientierung. Aber das N-Wort ist einfach negativ konnotiert. Wenn jemand sagt, dieser Begriff sei noch normal, dann sage ich Nein, der ist negativ konnotiert und man darf ihn nicht mehr verwenden. Ich finde es auch nicht schön, wenn man von Mohrenköpfen spricht. Tradition hin oder her, es gibt auch Traditionen, die man ab und zu hinterfragen und verändern muss.

Warum ist sensible Sprache wichtig?

Sensible Sprache ist gesellschaftlich wichtig, um Menschen nicht zu diskriminieren. Ich werde ja eingeladen, um für Sprache im Allgemeinen zu sensibilisieren. Meine Gruppen sind zum Teil sehr divers zusammengesetzt. Dann geht es darum, die Kommunikation so sensibel zu gestalten, dass sich niemand diskriminiert fühlt, zum Beispiel weil jemand eine andere sexuelle Orientierung hat oder eine Behinderung hat. Die Sprache, die wir nutzen, sollte jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft sensibel ansprechen, egal welchen Bedarf, welches Alter, welche Persönlichkeit jemand mitbringt.

Gerade jetzt in der Corona-Zeit geht es auch um die Älteren. Da wurde ja gesagt, dass die Älteren zuhause bleiben müssen. Wenn dann jemand zu einem älteren, der vielleicht noch korpulent ist, sagt: „Du bist ja sowieso Risikoperson, weil du nicht nur alt, sondern auch noch übergewichtig bist.“, dann ist das Diskriminierung.

Wenn jemand merkt, dass er sich nicht mehr im Körper eines Mädchens wohlfühlt, sondern ein Junge sein möchte, und daraufhin bei der Krankenkasse und anderen Institutionen immer noch als Frau angesprochen wird, obwohl die innere und äußere Entwicklung schon sehr weit vorangeschritten ist und die Person um eine bestimmte Ansprache bittet, diese jedoch ignoriert wird, dann ist das Diskriminierung.

Es geht also um unsere Haltungen, die wir infrage stellen müssen und die hinter Diskriminierungen stecken können. Wenn wir diese eigenen Haltungen bewusst betrachten, kann es zunächst für einen selber unangenehm, sogar schmerzhaft sein. Im besten Fall ist es ein innerer Erkenntnisprozess, wenn wir diesen zulassen, kann es zu einer hoffentlich positiven Weiterentwicklung kommen.

Was sind die typischen Fehler bei interkulturellen Zusammentreffen?

Ich möchte ein Beispiel nennen: Ich war als Lehrerin auf einer Fortbildung für Religionslehrkräfte, die mit Interkulturalität überhaupt nichts zu tun hatte. In der Pause kam ein Schuldekan zu mir und fragte: „Wo kommen Sie denn her?“ Ich nannte ihm meine Schule, denn das war das Naheliegendste. Daraufhin fragte er: „Was machen Sie denn dort?“ Ich sagte ihm, dass ich dort als Lehrerin arbeite. Er fragte: „So richtig Lehrerin?“ Ich fragte ihn, wie man denn nicht richtig Lehrerin sein könne. Er antwortete: „Ich dachte, Sie wären eine Praktikantin aus Timbuktu und gucken, wie es hier so ist.“

Was hat der Mann falsch gemacht? Er hat mich kontextlos gefragt, wo ich herkomme, und hat die Distanz überhaupt nicht gewahrt. In der Kommunikation gibt es Distanzringe. Man fühlt sich in der Regel dann wohl, wenn man eine Armlänge Distanz zum anderen hält. Das kann man auch auf die verbale Kommunikation übertragen. Man kann nicht beim ersten Treffen fragen: „Aus welchem Land kommen Sie?“ Das ist kontextlos und distanzlos. Wenn man in einem kulturellen Kontext ist und die Überschrift des Zusammentreffens „meine Wurzeln“ lautet, dann ist es kein Problem nach der Herkunft zu fragen. Es kommt also auf den Kontext an.

In der öffentlichen Diskussion ist in letzter Zeit immer wieder von Cancel Culture die Rede, d. h. der Boykott von Personen oder Organisationen, denen Diskriminierung vorgeworfen wird, zum Beispiel in Zusammenhang mit Lisa Eckhardt oder Dieter Nuhr. Wie stehen sie zu solchen Absagen?

Ich möchte mich nicht an einem öffentlichen Shitstorm beteiligen. Wenn mich eine Kontroverse sehr berührt oder ärgert, dann biete ich der betroffenen Person das persönliche Gespräch an. Ich habe auf meinem Instagram-Account einen Spruch: „Wenn ich über ein Thema etwas wissen möchte und ich spreche nicht mit denen, die es betrifft, dann führe ich Selbstgespräche.“ Ich finde es klasse, wenn man wertschätzend, respektvoll und achtend aufeinander zugeht und miteinander Brücken baut. Ich möchte aber zuletzt noch festhalten: Die meisten Menschenbegegnungen sind angenehm, freundlich, geneigt und offen.


„Mist, die versteht mich ja“ von Florence Brokowski-Shekte erschien am 1. September 2020 im Orlanda Verlag und hat 250 lesenswerte Seiten.

Beitragsbild: © Matthias Purkart

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„Die einzige Heilung von Ängsten ist, sich ihnen zu stellen“ – Lars Eidinger im Interview

Der Jude Gilles (Nahuel Pérez Biscayart) kann seiner Exekution entkommen, indem er vorgibt Perser zu sein. Diese Lüge rettet ihn und bringt ihn doch weiter in Gefahr. Gilles wird beauftragt SS-Offizier Koch (Lars Eidinger) Farsi beizubringen – eine Sprache, die Gilles nicht spricht und nun Wort für Wort erfinden muss. Mit seinem Film „Persischstunden“ fordert Regisseur Vadim Perelman sein Publikum heraus. Dass dies auch schmerzhaft für ihn als Schauspieler war, erzählt uns Lars Eidinger im Gespräch.


Herr Eidinger, für Regisseur Vadim Perelman waren sowohl Sie als auch Nahuel Pérez Biscayart seine erste Wahl für die Besetzung der Protagonisten Koch und Gilles. War Ihnen das auch sofort klar?

Dass ich die erste Wahl bin? (lacht)

Dass Sie Koch spielen möchten?

Das war mir klar, nachdem ich das Drehbuch gelesen habe. Selten habe ich ein Buch gelesen, das mir so eingeleuchtet hat. Ich dachte, wenn man diesem Thema begegnen will, dann ist das die adäquate Form. Ich bin inzwischen sehr vorsichtig, was Drehbücher angeht, die in der Zeit des Nationalsozialismus spielen. Hier besteht oft die Gefahr, dass man Geschichte verharmlost, banalisiert oder vielleicht sogar verfälscht.

Was genau hat Sie an diesem Drehbuch angesprochen?

Es ist ein genialer Kunstgriff, eine Verbindung zweier Menschen über eine Sprache zu erzählen, die einer der beiden nur erfindet. Dass sie sich in dieser Sprache treffen und eine Intimität entsteht. Gleichzeitig macht er uns bewusst, was Sprache – und auch Religion und Nationalität – eigentlich ist. Etwas, das von Menschen gemacht ist. Und umso absurder ist es, jemanden dafür zu verurteilen.

Kann denn Kochs und Gilles’ Beziehung wirklich auf Augenhöhe stattfinden?

Ja, auf einer emotionalen Ebene. Aber natürlich ist die Beziehung auch ein Missverständnis. Einmal, weil die Sprache gar nicht existiert. Aber auch, weil diese Sprache für beide eine unterschiedliche Bedeutung hat. Koch erzählt zwar, dass er die Sprache lernen will, weil er ein Restaurant in Teheran eröffnen möchte. Ich habe es mir jedoch so konstruiert, dass Koch sich in eine Perserin verliebt hat. Für mich als Klaus Koch war dieses „Fake-Farsi“ somit die Sprache der Liebe und für Gilles die Sprache des Überlebens. Bei dem einen geht es um Liebe, bei dem anderen ums Leben. Insofern missverstehen sie sich und begegnen sich gar nicht.

Nahuel Pérez Biscayart und Lars Eidinger in Persischstunden, © Alamode Film

Das „Fake-Farsi“ ist zwar die Sprache der Liebe und des Überlebens. Aber doch auch der Toten …

Ja, das Besondere an dieser Sprache ist, dass sie sich aus den Namen der Insassen speist. Gilles kann die Vokabeln nicht aufschreiben, da er vorgibt, die Sprache zu kennen. Er orientiert sich also an den Namen auf den Listen. „Ich“ heißt beispielsweise „il“, wie Gilles, und „duheißt „au“ wie Klaus.

Und ausgerechnet durch diese Sprache kann sich Koch öffnen.

Meine Figur wird eingeführt als jemand, der Schwierigkeiten mit der Sprache hat und im Deutschen stottert. Kochs Aggression und Dominanz haben viel damit zu tun hat, dass er seine Ängste und Minderwertigkeitskomplexe kompensiert. Diese kommen auch durch das Stottern zum Ausdruck. Das „Fake-Farsi“ ist eine Sprache, in der er plötzlich frei ist.

Inwiefern wird Koch frei?

Koch befürchtet die ganze Zeit, dass man sich über ihn lustig macht. Somit, glaube ich, ist es kein Zufall, dass er jemandem begegnet, der das tatsächlich tut und ihn hintergeht. Diese Person erklärt er zu seinem engsten Verbündeten. Und in letzter Konsequenz weiß Koch sogar, dass er belogen wird. Aber er spielt dieses Spiel mit. Auch Gilles weiß, dass Klaus Koch weiß, dass Gilles ihn betrügt. Beide spielen mit. Das ist wie eine Vereinbarung. Ich fand es interessant, zu behaupten, dass das die eigentliche Intimität ist: das Teilen eines Geheimnisses.

Warum lässt sich Koch hintergehen, obwohl das seine größte Angst zu sein scheint?

Ich glaube, weil die einzige Heilung von Ängsten ist, sich ihnen zu stellen. Ihnen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sich mit ihnen zu konfrontieren.

„Konfrontieren“ ist ein gutes Stichwort. Als Zuschauer*in wird man mit dem Menschen Klaus Koch konfrontiert und kann ihm nicht den für Zuschauer*innen erlösenden Stempel „typischer Nazi, abnormal, böse“ aufdrücken, aber ihn auch nicht als glückliche Ausnahme freisprechen.

Das stimmt.

Wie haben Sie die Figur Koch mit sich und dem Regisseur Vadim Perelman verhandelt?

Wahrscheinlich ist „Konfrontation“ hier wirklich das richtige Stichwort. So versuche ich, allen Figuren zu begegnen. Ich glaube, das ist der Schlüssel. Sowohl für mich als auch für den Zuschauer, eine Erkenntnis zu gewinnen. Man konfrontiert sich mit diesen Figuren und begeht nicht den Fehler, sie von sich wegzuhalten. Denn gerade bei einer Figur wie Koch besteht die Gefahr, zu sagen: „Das hat mit mir nichts zu tun“. Ich glaube, so banal das klingen mag: Es gibt viele Leute, die sich nicht vorstellen können, im Nationalsozialismus auf der Seite der Nationalsozialisten gewesen zu sein. Dabei war es eine Mehrheitsbewegung. Das vergessen die Menschen. Im Nachhinein wird es oft verklärt: „Nazis waren eigentlich nur Hitler, Goebbels, Göring, Himmler. Der Rest waren nur Soldaten, die für sie gekämpft haben.“ Das Gegenteil ist ja der Fall. Und damit muss man sich auseinandersetzen. Es hilft also, zu versuchen, sich in jemandem wie Klaus Koch zu sehen und sich mit ihm zu identifizieren. Dieser Versuch ist natürlich schmerzhaft – auch für mich als Spieler. Es ist immer leichter, sich zu schützen und so etwas von sich wegzuhalten.

Es war sehr bedrückend zu sehen, wie – jetzt hätte ich beinahe menschlich gesagt – aber wie nahbar dieser SS-Offizier gezeigt wird. Menschlich waren und sind ja alle …

Ganz genau, das ist, finde ich, ein interessanter Punkt. Ich habe schon so oft auch im Zusammenhang mit Der Untergang gehört: Man zeige Hitler als Menschen. Das ist doch total abstrus. Natürlich wäre nichts schöner, als die Erkenntnis zu sagen: „Zum Glück, die Nationalsozialisten waren Außerirdische, die sich der Welt bemächtigt haben, und es hat mit uns nichts zu tun.“ Aber die Erkenntnis ist ja, zu sagen: „Das waren Menschen wie du und ich. Das waren wir. Da muss man sich stellen“.

Schon im Geschichtsunterricht bin ich darüber gestolpert, dass gesagt wurde, Hitler habe man am Anfang verharmlost und über ihn gelacht. Die größte Witzfigur unserer Zeit ist Donald Trump, der gefährlichste Mensch. Und ich glaube, es ist an der Zeit, aufzuhören, über diese Menschen zu lachen und anzufangen sie ernst zu nehmen. Und sich ihrer Gefährlichkeit zu stellen.

Wenn man jemanden als Witzfigur abtut, muss man sich nicht ernsthaft mit ihr auseinandersetzen …

Genau, und man erhöht sich und nimmt sich den Impuls zu rebellieren. Der Widerstand oder das Aufbegehren gegen eine Witzfigur verpufft. Ein Feindbild lädt ja viel mehr dazu ein, angegriffen zu werden, als jemand, über den ich lachen kann.

Hatten Sie trotz allem Bedenken, Ihre Figur zu nahbar darzustellen?

Ich war schon überrascht, dass Vadim Perelman der Figur Koch so viel Zuneigung entgegengebracht hat, bis hin zu einer gewissen Sympathie. Es hat, glaube ich, geholfen, dass Vadim Perelman selbst Jude und kein Deutscher, sondern Ukrainer ist, der in Kanada lebt und mit einer Distanz darauf schaut. Vielleicht erlaubt ihm das eher, sich eine Sympathie oder Identifikation einzugestehen. Aber ich denke, dass man solche Figuren gar nicht nahbar genug darstellen kann, eher erhört es den Konflikt. Denn wenn es gelingt, diese Figuren nachvollziehbar zu erzählen, dann ist es für den Zuschauer noch schwerer sie von sich wegzuhalten. Und das ist ja der Anspruch eines solchen Films. Dass der Zuschauer sich erkennt und in einen Konflikt gerät, auch mit sich selbst.

 

Quelle: YouTube

Die Weltpremiere von „Persischstunden“ fand am 22. Februar 2020 als Teil der 70. Berlinale in der Sektion Berlinale Special Gala statt. Am 24. September 2020 ist nun der Kinostart in Deutschland. Der Film von Regisseur Vadim Perelman und Drehbuchautor Ilya Zofin wurde 2019 in Deutschland und Russland produziert und ist 127 Minuten lang.

Vor der Kamera mit dabei: Nahuel Pérez Biscayart, Lars Eidinger, Jonas Nay, Leonie Benesch, Alexander Beyer, Luisa-Céline Gaffron, David Schütter, Guiseppe Schillaci, Antonin Chalon, Mehdi Rahim-Silvioli, u.v.m.

Mehr über Lars Eidinger bei postmondän findet ihr hier.

Titelbild: © Alamode Film

 

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Poetry, The Beach Boys and the Arts – An Interview with Stephen Kalinich

Stephen Kalinich is a self-taught artist with a prolific career. He initially gained prominence in the 1960s writing song lyrics for The Beach Boys, and has since collaborated with Paul McCartney, P. F. Sloan, Brian May and many other famous composers and performers. Although often described as a “poet” whose works uphold 1960s hippie values, Kalinich has been active in many fields, performing his poetry, recording his own songs, acting in movies and now, in his late 70s, starting to paint. Here, he is interviewed by film director Alexander Tuschinski who has been a friend for several years now.

by Alexander Tuschinski

Stephen, when we last met in Los Angeles this February you gave me a wonderful tour of your apartment-turned-painting studio, and you were busy recording a spoken-word album.  How have you spent the time since?

I keep busy being creative, be it creating new paintings or songs. Besides that, I have done a few Zoom performances and I’m doing charity work for the homeless and people affected by the virus. I have a new album coming out called “The Essential Yo MaMa” with Jon Tiven and many talented collaborators; we just put the deal together. I feel it’s important to keep being creative no matter the circumstances. Right now, I probably enjoy performing poetry and painting plus improvisation the most. I am inspired many times daily.

With this interview, my goal is to not only learn about you and your career, but also to potentially inspire people from all walks of life to just start doing creative things for the love of it. That’s my goal with many of my documentary films, too. What do you think about that?

I’m always trying to inspire people to express themselves, so I agree with you completely. At the same time, I do not want to act as if I were superior to others. Something a lot of artist don’t have is humility. Without humility, you cannot be a great artist, a great poet, and this is something that many performers, directors, producers and so on lack. It’s important for me to have people know that.

What artists influenced you when you first became interested in writing? Did you initially think that writing, or particularly song writing, would ever become a career? Did you receive much support?

I do not have much of a faith in pinpointing “influences”. All of life is an influence for me, but I put it together in my own way. Eventually, you make it your own. Some artists influenced me, but so did life experience, travel, just living, creating and discovering my own voice. That being said, there were many artists whose works I enjoyed when growing up. Among them were Walt Whitman, T.S. Eliot, P.F. Sloan, The Beach Boys, the Beatles and the poet Rainer Maria Rilke.

My parents were divorced. My mom was supportive, while my dad was not involved much in my upbringing – he was a professional golfer, a head pro at many country clubs and remarried. My mom did not stop the flow, she let me do almost anything I wanted. She was a loving soul, very kind and sweet. Even though I was not very disciplined, she was seldom angry at me. I always loved to perform in front of audiences since my grandparents had me entertain their guests in their house. Outside of home, I did not receive much support with my creative works, especially with the poetry. Many people said it would never happen. So, I just wrote and performed, and never thought of a career.

Stephen Kalinich’s texts became famous in songs by The Beach Boys:

Source: YouTube

You were born and went to college at the East Coast, but then decided to go to Los Angeles in 1965. LA in the 1960s must have been a fascinating place as a young artist. What was it like when you arrived, did you already have contacts? What did you do when you arrived? How did your creative career start?

When I first came to LA in my early 20s, I actually wanted to go to med school here. I knew no one except for a few of my father’s friends. It was a fascinating place. I remember how exciting it was to me to see oranges growing on a tree, experiencing the great weather, seeing the celebrities… It was like living in a dream, but right next to the wealth was utter poverty. There were many homeless people on the streets, even back then.

Shortly after starting, I dropped out of college when I got a break with my artistic career. From then on, I knew I wanted to be a poet, a spoken-word performer and later a songwriter. But, mostly, I was interested in performing. Brian Wilson wanted me to do a rock record around that time but I never did, as I realized my “drive” was neither fame nor notoriety, but I did want to be known as a peace bringer. I just wanted my work to be used for world peace. Even when I went to Brian Wilson and started collaborating with The Beach Boys in 1968, I cared about the love and the peace and not so much about being a “star” or even a “rock star”. Of course, I am a human being like everyone else and I am not on “a higher planet” so to say. So, even though it was already my goal, I was not totally selfless, and as my career progressed, I did enjoy having a successful song. But over the course of my life I learned to always put my position of wanting to do good and creating a life that’s better for all beings first.


Your collaboration with The Beach Boys – in particular Dennis Wilson – on the album “Friends” in 1968 has been discussed many times. Your songs “Little Bird” and “Be Still” are beautiful and rightfully held in high regard. Your very poetic lyrics came at a time when The Beach Boys started considerably deviating from their original surf image. The Beach Boys, led at the time by the legendary Brian Wilson, were huge stars, and you were writing poetry as a hobby, having just started out in Los Angeles, how did this collaboration come about?

Dennis heard about me through his brother Brian. The entire story began with a lucky chance meeting: One day, at the Hollywood YMCA, I met Jim Critchfield who worked with the famous Jay Ward of Bullwinkle fame. Jay became a friend and huge fan of my poems after I performed in private in his auditorium. He was also a friend of Brian’s, and told me that Brian had just started a new record company and might be open to a poet songwriter. To make a long story short, they set up a meeting with Brian and within weeks I was signed on as a writer. It was exciting, I received a $500 advance which felt like a lot of money back then, when rent was $100 a month. That was the beginning. It was a lucky huge break for me, which led to many more contacts. Additionally, at the time when I wrote “Be Still” and “Little Bird”, I was in love, which might shine through in these lyrics.

What did it feel like when you first heard the final recordings of your songs on the “Friends” album?

I particularly remember hearing “Little Bird” for the first time. I lived in a motel back then and used a payphone on a sidewalk just outside my room as my telephone – I could hear its ringing from within my room. The Beach Boys believed that number was a regular telephone in my apartment, because I was too embarrassed to admit that I didn’t have enough money for one. One day in 1968, it rang, I ran out of my room to answer, and there was Al Jardine on the other end, playing “Little Bird” for me through the phone. So, I listened to my first collaboration with The Beach Boys on an LA side walk through a payphone. I was thrilled, it was an unforgettable moment for me.

You also collaborated with Dennis Wilson when he did a solo album in the 1970s. How did you get along?

Dennis and I became friends, deep friends. We did almost everything together. We first hung out a lot while working and it quickly became a friendship. When collaborating on a song, we would work a little, then go out to eat. We loved each other. He was very respectful of my poetry and said I can influence the world for good and so did Brian, who also became a good friend.

What was the process like when you collaborated with Brian and Dennis Wilson?

The collaboration with both of them was beautiful. Dennis spontaneously came up with melodies off the words with me. He had a rare gift: He could hear a poem and instantly set it to music in his head and sing it back. Very few people saw that side of him. With others, he would do the music first and then find words to it, but not with me. In all our songs I wrote the words first. It was a beautiful collaboration. With Brian I did it both ways. Usually words first, but for the song “A Friend Like You,“ which he performed with Paul McCartney, he gave me the melody first.

Beside Brian and Dennis Wilson, you collaborated with many composers on songs. Do you have a “usual” procedure when collaborating with a composer who sets your words to music? What are your experiences?

It depends. I usually write the words first, but I have done it both ways. I think, to be quite honest, I do not like collaborating on songs most of the time; it’s a struggle, but once in a while it works. It really depends on the collaborator. I am not of the school that the chef is responsible for all of the meal, it takes many players, be it with films, with cooking and so on, but poetry is more of a lonely journey. It requires a special view of living that is less tied to perfection than to joy. That being said, something I love is when musicians improvise to my poems and spoken words.

You never published a book of your poetry. Instead, starting with the LP “A World of Peace Must Come,” which you recorded with Brian Wilson in 1969, you released your poems as spoken-word performances. The performance of “Be Still” on that LP is, to me, one of your finest works. Only quite recently, you started to publish written poems on social media. Is the performance as important to you as the text itself?

Performance is important, but the poem itself must deliver. When I perform, I try to reach, touch, speak to each person in the audience. I try to include them and make it a communication for all of us, in the sense that I want to reach them but let them come to their own conclusions. When I was younger, I used to be an athlete, and I brought my energy from sports into performing. My performances were not subdued, but very energetic. Someone back then compared them to Mick Jagger. I generally prefer live recording – it’s more spontaneous, and even though there might be flaws and mistakes it has an urgent, real feel to it. Recordings in a studio are great but I prefer the straight inspiration of life. Although “Be Still” was not recorded in front of an audience, it was very much “in the moment” – I just recited the poem as Brian played the organ to it spontaneously in one take. All in all, I’d say it’s all important – the text, the performance, the staging. I love performing, I love writing, I love painting, it all belongs together.

„Be Still“, known as a song by The Beach Boys, expanded as a Spoken-Word-Performance:

Source: YouTube 

One evening when we walked in Los Angeles last year, you just started improvising a highly creative, profound and poetic text about our surroundings as we walked by. Do you generally create very intuitively and quickly, or do you sometimes labor over a work for a long time? What do you think of poetry slams?

When it comes to painting, I like to leave “mistakes” in them as part of the artwork, but with songs and poems, less so. I rewrite, polish, edit, cultivate my poems; I lay a garden and take out the “weeds” until it has grown to its full shape. It depends on the work, though, if I like its raw form I leave it alone. You have to look at each work individually to see what it requires. In my writing, I want to allow people room for discovery. I hope I do not demand, but I try to open up a dialogue and get my view of it across, too. I do enjoy some poetry slams, but it’s only one kind of poetry that’s often very “showy”. I prefer variety: Sometimes, I like a slowly recited poem that takes you to peace, or sometimes one that disturbs you. 

You have experimented with many genres, like performing a rap in a music video in the 1980s. That rap performance, “Everybody’s Got a Car In LA,” subverts all expectations one might have of such a video in a good-natured, silly way, and you told me that you were “just having fun” doing it. It is quite a contrast to some of your “deeper” works. Tell us a bit about it.

We are all a combination of many feelings. I sometimes enjoy creating a deliberately silly song that makes you laugh, and I also like to create serious works that rivet you like the “Galactic Symphonies”. My credo is: Let’s create some peace with joy, but also with dead serious words when it is relevant.  The rap song you mentioned – I had the idea, wrote the lyrics quickly and Chris Pelcer put music to it. That’s just how it was born, spontaneously, without many rewrites, I loved the spontaneous flow. It was fun, as I created an alter ego for the music video: Stevie Nobody, whom I later developed more with Jon Tiven in “Yo MaMa”. Somewhere, I have a raw outline of a script for a movie about Stevie Nobody which I want to direct one day.

You have picked up painting only quite recently and are entirely self taught.  Your paintings show a very distinct style, and you often repurpose objects to use as a canvas; be they empty cereal boxes, pieces of cardboard and wood or any other material. What made you decide to start expressing your creativity this way, in your mid 70s? Do you have any painters whose works influence you?

I think many painters inspire me, but I am not sure whether I have been influenced or not by their art. I love Renoir, Monet, Cezanne, Picasso, Matisse and Franz Kline. I was particularly touched by the works of Vicci Sperry, a dear friend who encouraged and supported me. Today, I am not as fond of landscapes as I used to be. Instead, I prefer little faces, and also abstract forms, shapes or color. I never know what I will paint one day to the next, it’s mostly a very intuitive process. I love to seek the unexpected while painting, I love the surprise, the spontaneous outbursts, the calming down, the rage, the calming, the chaos, and trying to shape it into a work that touches me and hopefully some others as well. Only on rare occasion, once in a while, will I set out with a plan for a painting.

You ended up collaborating with numerous artists, including quite a few musicians you listened to while growing up. Many of them have become friends. How do you feel about it?

Grateful. The way I feel today is that I am grateful for all of the people I met, for all the positive ones, and even for those I had negative experiences with, because I learned lessons from them. I love my friends, many have encouraged me, inspired me, but I went my own way.

You are now in your late 70s and highly productive. In a recent, autobiographic poem published on Facebook, you wrote that you have been painting daily for the past three or four years. Do you have a message for people who might want to try to express themselves creatively, but still hesitate?

Be open to this journey of life, be passionate. Make a film, paint, hike, whatever you want within reason – try it. Be kind to other beings, get you ego out of the way, embrace humanity. Just create. Do it, just try. Do not judge yourself, just keep at it. Do not hesitate, go for it whatever it is you do. In all aspects of life, keep joy and adventure alive. Gerda Herrmann, the self-taught “Songwriter of Botnang” whom you made a wonderful documentary film about, is a great example. She’s 89, wrote her first song at 53 and keeps spreading joy through her music. Last year, she set my poem “If I Can Be a Benefit” to music, which made me very happy. It’s never too late. Just create.

You can find Alexander Tuschinski’s interview with Gerda Herrmann (in German) here.


And for more information about director and filmmaker Alexander Tuschinski check out his interview by actor Thomas Goersch (in German as well).

Titelbild: © Alexander Tuschinski