Schlagwort: Haruki Murakami

Im wirren Strudel der Ideen

Nachdem bereits der im Januar dieses Jahres in Deutschland erschienene erste Band von Haruki Murakamis Roman Die Ermordung des Commendatore für Furore sorgte, ist nun der zweite Band mit dem Untertitel Eine Metapher wandelt sich herausgekommen. Schon der erste Band war im Vergleich zu sonstigen Werken des gefeierten japanischen Schriftstellers recht banal und langatmig. Es blieb zu hoffen, dass der zweite Band die Buchreihe retten würde. Doch auch diese Hoffnung hat Murakami enttäuscht.

Zur Erinnerung: Philips Besprechung des ersten Bands findet ihr hier.


Band zwei schließt direkt an die Begebenheiten des ersten Parts – diese Ereignisse zu nennen, wäre zu viel des Guten, denn im Grunde hatte sich bislang nicht viel ereignet – an. Der Ich-Erzähler, ein namenloser Porträtist, der in einer japanischen Provinz im Haus des Vaters eines früheren Kommilitonen wohnt und dessen Scheidung gerade am Laufen ist, soll die 13 Jahre alte Marie porträtieren und das Mädchen dabei dem reichen Exzentriker Menshiki näherbringen, der vermutet ihr Vater zu sein. Daneben versucht der Künstler, gebannt von dem Bild Die Ermordung des Commendatore, das Tomohiko Amada, der Vater des Freundes, in dem Haus gemalt und versteckt hat, der Biographie Amadas nachzuspüren sowie dessen traumatischer Vergangenheit im erfolglosen Widerstand gegen das NS-Regime während seiner Zeit in Wien.

Daneben erscheint ihm immer wieder eine groteske kleine Figur, eine Miniatur des Commendatore aus dem Bild, die eine Idee darstellt und rätselhafte Tipps gibt. Schließlich entstehen natürlich diverse Komplikationen und der Ich-Erzähler wird von diesen, in deren Mitte er sich durch Passivität befindet, mitgerissen, was ihn, wie so oft bei Murakami, in Parallelwelten führt, um Marie, die vermeintlich in Schwierigkeit ist, zu retten. Der Porträtist gelangt so in die dunkle und enge Welt der Ideen und Metaphern, voller unterbewusster Gefahren und Fallen.

Murakami, der doch auch ein Meister der Kurzprosa und des pointierten und gleichzeitig melancholischen Schreibens ist, kommt leider auch in Band zwei nicht zum Punkt. Das und die Belanglosigkeit vieler Handlungsstränge waren schon im ersten Band ein Problem. Allzu lange beschäftigt er sich mit den Bemerkungen eines nicht besonders willensstarken und fast schon flachen Charakters des Ich-Erzählers und seinen Wahrnehmungen der anderen Protagonisten. Die Auflockerungen durch das unregelmäßige Erscheinen des Commendatore, die wohl bizarr sein sollen, wirken dabei auch nur lächerlich.

Zwischen Nationalsozialismus und Ehebruch

Im Grunde plätschert ein Großteil des Romans vor sich hin, während sich die verschiedenen Erzählstränge ziemlich berechenbar und ohne sonderliche Wendepunkte fortentwickeln. Besonders absurd wirkt dabei das Ende. Der Porträtist muss, um ein Schicksal zu erfüllen und Marie zu retten, den Commendatore vor den Augen des geistig umnachteten Amada ermorden, um das Bild nachzuvollziehen und in die Ideenwelt zu gelangen. Dadurch soll er Marie retten, die verschwunden ist, aber im Endeffekt nur in einer sehr misslichen Lage ist, da sie Menshiki hinterherspionierte. Die Ideenwelt hält dabei Reminiszenzen an Murakamis Roman Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt bereit, und die Ereignisse um die Geliebte des Ich-Erzählers schließen nahtlos an seinen grandiosen Roman Afterdark an. Im Vergleich zu diesen beiden Werken, die man getrost zumindest als höchst lesenswert bis meisterhaft titulieren kann, bleiben die Schilderungen des Mysteriösen und Fantastischen verhältnismäßig blass, passend zum langweiligen und willensschwachen Hauptprotagonisten. Getoppt wird diese Blässe nur noch durch Murakamis Vorliebe für große weibliche Brüste, etwas das immer wieder und nicht so subtil wie in seinen anderen Büchern eine dominante Rolle spielt.

Das einzig Spannende, aber auch Spekulative an Die Ermordung des Commendatore bleibt die Frage, inwiefern die Ereignisse, etwa der Abstieg in die Ideenwelt und Maries Rettung durch den Commendatore, zusammenhängen und was überhaupt in den Bänden geschehen ist, was erzählenswert wäre, außer dass der Porträtist technisch-künstlerisch Fortschritte gemacht hat. Der Ich-Erzähler ist gefangen in einem wirren Strudel, den die Ideen und Figuren, die ihn umgeben, die er aber nicht ausreichend versteht, konstruieren. Immerhin regt dies, wenn man schon die vielen hundert Seiten der beiden Bücher durchgelesen hat, zum weiteren Nachdenken an, und die Lösung ist wohl irgendwo zwischen dem Nationalsozialismus, bildender Kunst, klassischer Musik und unehelichem Sex zu finden – es hätte wohl doch ein bisschen präziser und pointierter sein können.

Sprachlich und stilistisch ist Band zwei gelungen, ähnlich wie Band eins, dennoch scheint Murakami auch hierbei momentan nicht auf seinem sonstigen Niveau zu sein. So gelingt es ihm nicht mehr, Romantik, Sehnsucht, Mystik und existenzielle Fragen der Freiheit zusammenzudenken und poetisch, verdichtet zum Ausdruck zu bringen. Realistisch und feinsinnig beobachtet schildert er zwar die Wahrnehmungen des Ich-Erzählers, die natürlich von seinen künstlerischen Fähigkeiten definiert sind, aber der sprachliche Tiefgang, etwa zu den eigentlichen Bedeutungen der auftretenden Metaphern und Ideen, fehlt. Murakami hat sich in den sehr beschränkten Verstand und den nahezu nur äußerlichen und oberflächlichen Beobachtungen des Ich-Erzählers gefangen.

Was ergo als großer Künstlerroman intendiert ist, reicht so leider auch nicht zum Entwicklungsroman oder zur Hommage an die Kunst in Zeiten politischer Katastrophen oder existenzieller Krisen. Vielleicht hätte es Murakamis Lesern besser getan, anstatt dieses langatmige und langweilige Werk zu schreiben, eine neue vielseitige Erzählungssammlung zu schreiben.


Haruki Murakamis Die Ermordung des Commendatore, Bd. II: Eine Metapher wandelt sich, übersetzt von Ursula Gräfe, erschien am 14. April 2018 beim Dumont Verlag Köln.

Titelbild: © Dumont-Verlag

Ein literarischer Meisterkoch wärmt Altes neu auf

Normalerweise ist man von dem japanischen Schriftsteller Haruki Murakami, der seit Jahren als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gilt, Meisterwerke zu zwischenmenschlichen Beziehungen und psychischen Abgründen gewöhnt. Sein neuer Roman Die Ermordung des Commendatore, dessen erster Band Eine Idee erscheint nun in deutscher Sprache vorliegt, ist dagegen leider eine Enttäuschung. Denn zu sehr spielt Murakami mit etablierten Motiven, sein Buch bringt nur wenig Neues.


Der Erzähler des Romans ist diesmal namenlos und Porträtmaler. Nachdem seine nichtssagende Ehe in eine Scheidung mündete, reist der Protagonist ziellos durch Japan, bis er schließlich in die Berge zieht, in eine Hütte des Vaters eines früheren Kommilitonen. Isoliert in den Bergen, sich unfähig zu jeder Art von Malerei fühlend, ergeben sich hier nun mehrere Handlungsstränge, die noch nicht ersichtlich miteinander koinzidieren. Zum einen beauftragt ihn der exzentrische und dubiose IT-Millionär Wataru Menshiki für ein besonderes Porträt, jedoch mit anderen Zielen im Hinterkopf. Ebenso versucht der Erzähler seine sexuelle Vergangenheit und seine eigentümliche Beziehung zu seiner toten Schwester in Rückblenden aufzuarbeiten. Und, vielleicht am wichtigsten, auch wenn dies eher so nebenbei geschieht, findet der Maler auf dem Dachboden ein altes Gemälde: Die Ermordung des Commendatore. Dieses Bild, das eine Szene aus der Oper Don Giovanni adaptiert, zieht ihn fortan in den Bann und bringt ihn in Kontakt mit einer unklaren materialisierten Idee aus einer anderen, zeitlosen Welt.

All diese Motive, ein farbloser Ich-Erzähler, ein Einzelgänger, der gerne ein Künstler wäre, Parallelwelten, schlechter Sex und nicht aufgeklärte mystische Geheimnisse, sind dem Murakami-Leser keinesfalls neu. Auch der enttäuschte Künstler, der sich in die Natur zurückzieht, ist nicht gerade eine kreative Idee. Generell ist vieles in dem Roman berechenbar. Es scheint, als ob der Meisterkoch der Literatur nur ein altes Gericht wieder aufgewärmt hätte. Frisch ist daran nur sehr wenig: etwa, dass der männliche Erzähler, diesmal fasziniert ist von einem Mann, nämlich Menshiki, aber auch überfordert, und dass er diesmal kein erfolgloser Schriftsteller oder Architekt ist, sondern Porträtist, der gerne freie Kunstwerke zeichnen und malen würde.

Insgesamt scheinen dieses Mal die Figuren farblos gestaltet zu sein. Während es in seinen früheren Romanen charakteristisch war, dass der Ich-Erzähler farblos war oder sich so empfand – so etwa in seinem melancholischen Roman Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki –, sind nun alle Figuren mehr oder weniger farblos. Das könnte einerseits dazu dienen, ihnen bei der Auflösung im zweiten Band, der im April erscheinen soll, Tiefe zu verleihen und sie nun geheimnisvoll zu gestalten; andererseits hat der Künstler prinzipiell Probleme Gesicht oder Charakter von Menshiki auf einer Metaebene zu malen. Es scheint, dass nur der Commendatore als Idee und die Vergangenheit des Hausbesitzers literarische Plastizität besitzt.

Doch selbst wenn dies Methode und womöglich einen Sinn hat, den der Leser noch nicht durchschaut, so ist es doch über einen ganzen Roman hinweg ziemlich langatmig. Daher ist es wohl auch keine gute Idee, das Projekt zweibändig zu gestalten, denn dadurch entstehen lästige Längen, und auch spannende Cliffhanger zählen – das zeigt auch sein an sich epochaler dreibändiger Roman 1Q84 – nicht zu Murakamis Stärken. Dafür ist sein Stil im neuen Werk modifiziert: Er beschreibt nun, seinem Erzähler angemessen, seine Umwelt wesentlich bildhafter, plastischer, farbiger, und in seiner literarischen Verarbeitung von Gemälden und Opern, generiert er eine künstlerische Kombination auf einer Metaebene.

Tatsächlich ist das Abdecken verschiedenster Kunstformen die größte Stärke von Die Ermordung des Commendatore, Bd. 1. Denn natürlich bleibt Murakami ein genialer Stilist. Jedoch scheinen ihm die Ideen für Neues auszugehen, so als ob ihm (hoffentlich nur zwischenzeitlich) die Luft während der Produktion ausgegangen ist. Darum ist auch im ersten Teil dieses Werkes noch kein großer Gehalt ersichtlich. Kreativ, innovativ, tiefsinnig und grandios sind eher seine anderen Romane und Erzählungen.


Haruki Murakamis Die Ermordung des Commendatore, Band I: Eine Idee erscheint, übersetzt von Ursula Gräfe, erschien am 22. Januar 2018 beim Dumont Verlag Köln.

Titelbild: © Dumont Verlag

Murakami: Von Männern, die keine Frauen haben

murakami-von-maennern-die-keine-frauen-haben

Haruki Murakami hat die seltene Gabe uns mit seiner schlicht anmutenden Prosa eine intime Verbindung zu seinen Protagonisten aufbauen zu lassen. Auch in der Geschichtensammlung Von Männern, die keine Frauen haben gelingt ihm dieser Geniestreich.


Von autofahrenden Frauen und scheuen Schauspielern

Der mäßig erfolgreiche Schauspieler Kafuku hat ein Problem: Nachdem er leicht alkoholisiert seinen Führerschein verloren hat, braucht er einen Chauffeur. Und da Männer ihm beim Fahren immer den Eindruck von Nervosität vermitteln, hätte er gerne eine Frau, die zu seinen Theaterterminen fährt.

“Kafuku war schon mit vielen Frauen im Auto mitgefahren. Er unterteilte sie grundsätzlich in zwei Typen: Die einen fuhren ihm zu waghalsig, die anderen zu vorsichtig. Zahlenmäßig überwogen – glücklicherweise – die letzteren.”

Kafuku hat Glück, sein Automechaniker kann ihm eine junge Frau namens Misaki vermitteln, die Kafuku nach einer Probefahrt aufgrund ihrer ruhigen und sicheren Fahrweise sofort engagiert. Misaki ist keine Frau der “süßen Sorte”, doch die wortkarge, schroffe und bestimmte Art der Mittzwanzigerin interessiert den scheuen Kafuku. Nach einigen wortlosen Fahrten, die nur durch Misakis gelegentliche Raucheinlagen durchbrochen werden, stellt die Chauffeurin unvermittelt zwei Fragen, die Kafuku zum Nachdenken anregen: “Ist es als Schauspieler beglückend eine andere Person werden zu können?” und  “Warum haben sie eigentlich keine Freunde?” Diese zwei Fragen lösen Kafuku die Zunge. Er erzählt von seiner verstorbenen Frau – einer bildhübschen Schauspielerin mit dem Drang zu gelegentlichem außerehelichem Geschlechtsverkehr.  Er erzählt auch, dass er sich mit der letzten Affäre seiner Frau angefreundet hat, um herauszufinden, warum sie ihn gerade mit diesem Mann betrogen hat. Doch auch nachdem Kafuku erkannt hat, dass dieses Unterfangen aussichtslos ist,  trifft er sich weiter mit dem ihm, obwohl ihn die Bilder der Untreue verfolgen. Auf die Frage “Warum?” antwortet Kafuku:

“Hat man einmal ernsthaft eine bestimmte Rolle angenommen, ist es nicht leicht, sie abzulegen. Auch wenn sie seelisch darunter leiden. Sie können nicht mittendrin abbrechen, solange sie keine sinnvolle Stelle dafür finden. Es ist so ähnlich wie in der Musik, wo man ohne einen bestimmten Schlussakkord nicht zu seinem harmonischen Ende kommen kann…”

Die Kunst der oberflächlichen Unaufgeregtheit

Die Figur Kafukus in der ersten Geschichte des Bandes Von Männern, die keine Frauen haben illustriert einen prosaischen Stil, den Murakami bereits in seinem Bestseller Die pilgerlosen Jahre des farblosen Herrn Tazaki gepflegt hat. Ohne viele Schnörkel und fast aus der Distanz wird uns das Innenleben der Figuren präsentiert – und wir kommen ihnen dabei erstaunlich nah. Gerade weil manche emotionalen Zustände nur mit einer gewissen Distanz betrachtbar werden, affizieren sie uns um so mehr. Murakamis Prosa hat eine schlichte Magie, die es uns ermöglicht, seine Figuren nicht nur zu verstehen, sondern mit ihnen zu fühlen.

Kafuku etwa entscheidet sich nicht dazu, sich an dem Mann, mit dem seine Frau schlief, zu rächen – obwohl er es gekonnt hätte. Die eigentliche Beleidigung hat er nämlich nicht von ihm erfahren, sondern von seiner Frau, die den Grund für ihre Untreue mit ins Grab genommen hat. Die Frage, warum sie gerade diesen bestimmten Mann dazu ausgesucht hat, der nach Kafukus Einschätzung blass und formatlos ist, wird von Misaki mit einer ganz eigene Theorie beantwortet:

“Vielleicht fühlte sich Ihre Frau gar nicht zu ihm hingezogen. Und hat gerade deshalb mit ihm geschlafen. […] Manchmal tun Frauen sowas.”

Diese unverblümte Antwort trifft Kafuku so sehr, dass er nur schweigen kann und froh ist, dass Misaki nach ihrem Gespräch zu ihrer stoischen Art zurückkehrt.

Die verschiedenen Formen der männlichen Frauloskeit

Ingesamt sieben Geschichten präsentiert Murakami in Von Männern, die keine Frauen haben. Der verbindende Faktor ist, wie der Titel schon vermuten lässt, die Abwesenheit des weiblichen Geschlechts.

Doch die Art des Umgangs innerhalb der Geschichten unterscheidet sich erheblich – nicht alle fraulosen Männer sind so beherrscht wie Kafuku aus der Einführungsgeschichte. Spätestens, wenn der menschgewordene Käfer Gregor Samsa – nicht nur thematisch, sondern auch prosaisch eine Hommage an Kafka – mit seiner für ihn als Insekt etwas ungewohnten Erektion eine junge Dame verschreckt, wird klar: Murakami hat eine gute Mischung aus Tiefe und Unterhaltung gefunden. Nicht jede der sieben Geschichten ist so packend wie die des führerscheinlosen Kafuku, doch lesenswert sind sie allemal.


Beitragsbild: btb Verlag