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Interliefiew – Im Gespräch mit Thomas Liefhold

Im folgenden Gespräch mit Thomas Liefhold – geboren in 1984, aufgewachsen in Gera, lebend in Mannheim – geht es nicht zuletzt um Cindy Told Him of the Sea, seine 2020 erschienene Sammlung generativer Maschinengedichte. Nagesake hingegen bleibt relativ unerwähnt.


Drei meiner Lieblingsautoren sind Burroughs, Brautigan und Beckett – und deine?

Gerade sind das wahrscheinlich Agnar Mykle, John Fante und Tove Ditlevsen.

Welche Dienstleistungs-App wärst du am liebsten?

Translate von Google.

Drei meiner Lieblingsbands sind Redemption, Jean-Michel Jarre und Carlo Domeniconi – und deine?

Die letzten Titel, die auf meinem Handy liefen, waren von Leighton Craig, Glorious Din und Mary Halvorson.

Wie lange noch bis zum ersten Auto-Complete-Herrn?

Das kommt darauf an, wann ich wieder länger auf Reise gehen kann. Die Gedichtsammlung, die du ansprichst und die ich 2020 unter dem Titel Cindy Told Him of the Sea herausgebracht habe, hatte ja eine solche längere Reise zum Anlass. Ich war sechs Monate unterwegs und habe einfach notiert, was Google Translate an Gedichten fabriziert, sobald die App versucht, thailändische oder vietnamesische Rezensionen ins Englische oder Deutsche zu übersetzen. In den USA, Mexiko und Guatemala gab es da keine Probleme, aber in Südostasien wusste die App phasenweise wirklich nicht mehr weiter. Die Algorithmen sind zumindest heute noch nicht so vollständig fehlerfrei, wie wir manchmal glauben, und das ist irgendwie beruhigend, denn aus den Fehlern der Maschine entsteht manchmal etwas sehr Poetisches. In Vietnam hieß es beispielsweise über ein Restaurant, dort stünden „vier Tassen Licht“ auf der Speisekarte, und über ein Ausflugsziel in der Nähe von Hanoi hatte jemand geschrieben, man sehe „die Berggeister im Nebelmeer spielen“, sobald man ein paar Treppenstufen eines Tempels nach oben gehe oder etwas in diese Richtung. Was derjenige wirklich geschrieben hat, kann ich nicht sagen, aber was Google verstanden haben will, ist klasse. Diese unfreiwilligen Gedichte habe ich festgehalten.

Drei meiner Lieblingsvideospiele sind Super Mario World, Pony Island und Monument Valley – und deine?

Ich habe mit meinem besten Freund aus der Grundschulzeit viele Nachmittage im Zimmer seines Bruders verbracht, um ihm beim Spielen am Sega Mega Drive zuzusehen. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an Streets of Rage 2, was eine Art Prügelspiel war, das man auch zu zweit spielen konnte, aber dazu kam es meist nicht, weil uns der Bruder meines Freundes nur selten an die Konsole ließ. Damals fand ich es unglaublich, dass man als Vierzehnjähriger einen eigenen Fernseher und eine Konsole besitzen konnte. Vor drei Jahren habe ich in Mexiko einige Wochen lang Stardew Valley gespielt, während meine Freundin im Pazifik surfen war. Wir sind am Morgen gemeinsam aufgestanden, die anderen Zimmer im Hostel lagen da noch totenstill, und dann lief Kathrin in Richtung Ozean und ich habe Kaffee gekocht und im Bett meine Farm aufgebaut und erst wieder aufgehört, als Kathrin drei Stunden später völlig erschöpft vom Strand zurückkehrte.

Worum geht es in deinem Blog Das Jahr der Fahnen?

Um dieses Jahr. Ich wusste im Januar, dass mein Roman im Sommer erscheint, ich wusste auch, dass ich einen neuen Job antreten werde oder vielmehr muss. Anfangs habe ich an einen Umzug gedacht und an eine neue Stadt, manchmal sogar an eine längere Reise. Aber das hat sich schnell zerschlagen. Außerdem war mir klar, dass ich dem Schreiben endlich vertrauen muss, weil es anders gar nicht mehr geht, und ich wollte unbedingt festhalten, was in diesem beweglichen Jahr mit mir geschieht, denn dieses Jahr stellt für mich so etwas wie eine Entscheidung dar, und deshalb dachte ich, am Ende macht es womöglich Sinn, über ein entscheidendes Jahr zu schreiben und herauszubekommen, ob es tatsächlich so entscheidend wird, wie man anfangs denkt. Außerdem geht es im Jahr der Fahnen um das kontinuierliche, tägliche Schreiben, auch wenn manchmal ein paar Tage zwischen den einzelnen Einträgen liegen. Ich arbeite jeden Tag etwas und erinnere mich plötzlich wieder an Dinge, die fünfzehn oder zwanzig Jahre lang nicht mehr da gewesen sind, und dann denke ich, irre, dass so etwas möglich ist, dass die Dinge überhaupt wieder auftauchen können, denn dafür gibt es ja weder einen Grund noch eine Garantie. Mittlerweile glaube ich sogar, dass ich im Jahr der Fahnen einen solchen Grund oder Anlass für mich selbst geschaffen habe, einen Anlass für die Rückkehr der Dinge sozusagen, für ein paar bedeutende oder unbedeutende Erinnerungen, für das Auftauchen meiner verlorenen Freunde, an die ich mich nicht mehr oder nur indirekt zu schreiben getraue, für die viele vergeudete Zeit, die ich mir wahrscheinlich immer zum Vorwurf machen werde. Ich versuche noch immer, aus allem herauszukommen, ohne wirklich zu wissen, was ich damit meine, und für dieses Gefühl ist das Jahr der Fahnen am Ende da.

Drei meiner Lieblingsfilme sind Lost Highway, Begotten und Everything Is Terrible – und deine?

Die Feuerpferde von Paradschanow fallen mir ein, Licht im Winter von Bergman und Ariel von Kaurismäki. Aber auch 2001: A Space Odyssey von Kubrick, alles von Tarkowski, Kurosawa und Ozu, Idioten von Lars von Trier. The Act von Killing habe ich in einem komplett leeren Kino in Wien gesehen, als der Film gerade rausgekommen war, und er hat mich damals völlig umgehauen und mitgenommen, so etwas habe ich danach nie wieder erlebt. Leider habe ich von Filmen nur eine oberflächliche Ahnung und zähle mit Sicherheit zum sentimentalen Publikum. Ich finde also alles gut, was ich mit mir selbst in Verbindung bringen kann.

Wie seltsam wird dein erster Roman Gärten in der Wildnis?

Der Roman selbst ist hoffentlich nicht seltsam, aber was mit meinem Erzähler passiert, wahrscheinlich schon. Seltsam ist hier vielleicht sogar eine ganz gute Beschreibung. Der Roman spielt in naher Zukunft, im Sommer 2029, und das Leben von Jakob, meinem Erzähler, gerät nach und nach völlig aus den Fugen. Eigentlich nimmt er dieses Leben überhaupt nicht mehr als Leben wahr, als Möglichkeit und Chance, als etwas Offenes, denn er hat sich komplett vergraben. Er arbeitet als Texter für fiktive Liebesbeziehungen in einer Agentur und liest durch Zufall von einem Schreibkurs. Schreiben, das wollte er immer, ein Buch, das wäre doch was, darin könnte ja der Ausweg aus der Sackgasse liegen, und deshalb macht sich Jakob zu diesem Schreibkurs auf und das wiederum bringt alles ins Rollen.

Er wird Teil einer Gruppe von dilettierenden Außenseitern und lernt einen verbotenen Schriftsteller kennen, ein euphorischer Abschnitt beginnt für ihn, plötzlich scheint das Schreiben real, und Jakob will von vorn anfangen. Das alles passiert vor einem düsteren Hintergrund – im Roman steckt ziemlich viel Dystopie –, denn die Stadt wird von einer Terrorgruppe heimgesucht, deren Agenda unscharf bleibt, patriotische Bürgerwehren sind allgegenwärtig, man hat alle Obdachlosen an die Ränder der Städte verbannt. Zu allem Überfluss bilden sich dort draußen gerade Wüsten, die Tage sind unerträglich heiß, aber dafür haben Jakob und die anderen keinen Blick. Sie halten weiter an der Kunst fest, darin steckt so etwas wie ein Ausdruck von Freiheit. Und genauso geht es auch Ruben, dem Zentrum des Kreises, zu dem alle aufschauen und der in erster Linie ein brutaler Dichter ist, was Jakob unglaublich fasziniert.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ruben ist mit Sicherheit seltsam, wenn man darunter etwas Zwiespältiges und Besonderes versteht. Vor allem Jakob treibt er an, er ist sozusagen für einen Lichtblick in der allgegenwärtigen Wildnis verantwortlich. Ruben will ganz einfach mehr als das, was uns überall angeboten wird, als wäre es genau für uns und nicht für alle anderen gemacht. Und damit zeigt er Jakob einen Weg aus der selbstverschuldeten Monotonie seiner Tage. Wobei nicht ganz klar ist, wie weit Jakob diesem Weg letztendlich folgt.

Drei meiner Lieblingsvokabeln sind „Trumen“, „Raumzeit“ und „safidal“ – und deine?

„Verunsicherung“ und „Sanftmut“, würde ich sagen.

Wofür sind deine Soundscapes am besten geeignet?

Die haben keinen Zweck.

Drei meiner Lieblingsbildkünstler sind Giger, Dalí und Mœbius – und dune?

Ich mag die Landschaften von David Hockney und die Stillleben von Wolfgang Tillmans. Und ich mag Goodiepals Installationen.

Drei meiner Lieblingsästhetiken sind minimalist’sch, rot-schwarz und transmutiert – und deine?

Das überlasse ich anderen.

Was ist der Sinn des Lebens?

Wer hat auf diese Frage eine spruchreife Antwort?

Titelbild: privat

 

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