Schlagwort: Generation

„Hört erst mal auf zu jammern!“ – die Schizophrenie einer Generation

Seit einiger Zeit verwirren mediale Stimmen die Menschen einer Generation. Vom Selfie-Journalismus, dem Wir und dem Ich. Eine subjektive Beobachtung.


Um zu einer Generation zu gehören, muss du nichts tun, außer geboren worden zu sein. Denn ein*e jede*r wird aufgrund seines*ihres Geburtsjahrs einer Gruppe innerhalb der Gesellschaft zugeordnet. So ist eine*r jede*r, der*die ungefähr zwischen 1980 und 1999 – so der*die Soziolog*in will – unfreiwillig ein Teil der Generation Y, auch Millennials genannt. Und was verbindet die Menschen, die zufällig in diesem Zeitraum das Licht der Welt erblickten? Ihnen werden ähnliche Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und Charakteristika zugeschrieben. Schließlich sind sie in den gleichen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Verhältnissen groß geworden – da müssen sie ja Ähnlichkeiten aufweisen.

So und nicht anders bist du

Du bist zwischen 1980 und 1999 in Deutschland geboren? Dann verfügst du wahrscheinlich über einen Hochschulabschluss, kommuniziert über das Internet und hältst nicht allzu viel von Status. Dir ist es wichtig, einer Arbeit nachzugehen, die dich mit Sinn erfüllt. Sowieso bist du ständig auf der Suche nach dem Sinn – warum solltest du sonst zur Generation Why gehören? Du fühlst dich ertappt? Wir alle! Kulturwissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die Charakteristika einer Generation keinem Naturgesetz folgen. Vielmehr sind sie „gemacht“. Der Begriff einer Generation entsteht in den Medien, wird dort definiert und weiterentwickelt. Und was passiert dann? Dann schließt sich die Echokammer. Denn Zeitungen und Magazine, die sich mit dem Generationsbegriff beschäftigen, tun dies verständlicherweise, weil er bei den Leser*innen auf Interesse stößt. Die Leser*innen, die sich wiederum für diese Medien und gleichzeitig für den Generationsbegriff interessieren, gehören dieser Altersgruppe an oder stehen mit ihr in engem Austausch.

Willkommen in der Echokammer!

Nun etablieren sich Medien, die Menschen dieser Altersgruppe als Leser*innen gewinnen möchten. Sie definieren ihre Zielgruppe und Inhalte aufgrund des medial hervorgebrachten Begriffs und von einigen Vertretender*innen der Generation abgenickten Definition. Wer sind also die Rezipient*innen dieser Medien? Eben die, die sich mit dem Generationsbegriff identifizieren (wollen) – ja die, die ihn abgenickt haben. Und was ist mit denjenigen, die im gleichen Zeitraum geboren, aber nicht Konsument*innen dieser Medien sind? Die, die sich durch die aufgeführten Inhalte nicht angesprochen fühlen? Ihre Eigenschaften, Wünsche und Bedürfnisse werde ausgeklammert. Denn wer sind die Macher*in und die Leser*innen der beschriebenen Medien? Menschen, die einen Hochschulabschluss haben, einer Arbeit nachgehen, die sie mit Sinn erfüllt und im Internet kommunizieren. Du fühlst dich ertappt? Wir alle!

Wir bin ich

Aber wer ist dieses Wir? Von wem ist die Rede bei Überschriften wie „Warum es gefährlich ist, wenn wir uns eine neue Beziehung schönreden“? Auf der Suche nach dem Wir im Artikel stolpert man über sehr viele Ichs. Eine Freundin ruft das Ich an, um von ihrem neuen Freund zu schwärmen. Es wird eine Szene aufgemacht, die auf eigenen Erfahrungen des Ichs basiert und keine vorangehende Recherche erforderte. Der sogenannte Selfie-Journalismus. War das Ich im klassischen Journalismus einst verteufelt, löst es nun die dritte Person Singular des szenischen Artikeleinstiegs, wie er in Reportagen üblich war, ab. Ein Artikel mit szenischem Einstieg fordert eine induktive Verfahrensweise: Es wird vom Kleinen (Beispielsituation) ins Große (Fakten rund um das Thema) geschlossen. So wird im Laufe des angeführten Artikels aus dem kleinen Ich ohne Faktengrundlage ein großes Wir:

„Wenn wir irgendwie selbst nicht so ganz von einer Sache überzeugt sind, müssen wir darüber reden.“

Das Wir ist nicht exklusiv, es meint nicht nur die Redaktion. Das Wir ist ein inklusives. Wir – die Leser*innen – sind gemeint. Die Generation, die sich Dinge schönredet, wenn sie nicht überzeugt davon ist. Die subjektive Wahrnehmung einer*s Einzelnen wird im Text selbst zu einem Fakt stilisiert, der allen Leser*innen – und womöglich einer ganzen Generation – eine Charaktereigenschaft zuschreibt.

Ich bin Du

Dir als Mitglied der Generation Y werden Verhaltensweisen und Eigenschaften zugeschrieben – ob sie auf dich zutreffen, ist nicht wichtig. Denn es geht darum, eine Generation in ihrer Gänze zu erfassen, den Mitgliedern eine Identität zu geben und eine Gemeinschaft zu kreieren. Es geht also darum, das Wir zu definieren. Und wer ist das Du in Texten wie „20 Typen, die du auf jeder Party triffst“? Das Du dient als persönliche Ansprache, die dir unmissverständlich vermittelt, dass du Teil des Wirs bist:

„Wir kennen sie alle: die verschiedensten Typen von Menschen, die man beim Feiern eben so trifft“.

Eigentlich müsste die Überschrift aber „20 Typen, die ich auf jeder Party treffe“ heißen. Denn wieder werden die auf subjektiven Wahrnehmungen basierende „Fakten“ nicht in Frage gestellt. Ich, der*die Autor*in des Textes, vermittle dir meine eigenen Erfahrungen, keine repräsentative Umfragen oder gesicherte Studien. Und weil es mir als Autor*in so geht und ich Teil der Generation Y bin, ist es bei dir als Leser*in, die*der du zu meiner Generation, zu unserem Wir gehörst, genauso.

Weil ich nicht Du und nicht Wir bin

Den Leser*innen wird vorgegeben, wie sie sind (Gen-Y: Die Arroganz der Privilegierten), was sie machen (11 Fehler, die du in Restaurants immer wieder machst) und wie sie sein sollen (Diese 6 Sätze müsst ihr streichen, um wirklich Karriere zu machen). Und wie reagierst du, wie reagieren wir, wie reagieren sie auf diese Zuschreibungen? Die Antwort lässt sich in einem Neologismus fassen: mit „Rechtfertigungsjournalismus“. So häufen sich zurzeit Artikel wie „Alle haben einen Plan für ihr Leben – nur ich kann mich nicht entscheiden“. Warum aber „Rechtfertigungsjournalismus“? Weil sich in diesen Texten Autor*innen dafür rechtfertigen, dass sie sind, wie sie sind. So heißt es im angeführten Artikel:

„Manchmal frage ich mich, warum ich so anders bin. Während andere Menschen Angst vor Veränderungen haben, bereitet es mir Bauchschmerzen, wenn ich nicht auf mein Gefühl höre.“

Wer oder was hat dieser Autorin das Gefühl gegeben, anders zu sein? Was macht sie so sicher, dass alle anderen Menschen Angst vor Veränderungen haben? Wer oder was hat sie dazu gebracht, ihr privates Leben, ihre Emotionen und Verhaltensweisen in die Öffentlichkeit tragen und sich dafür rechtfertigen zu müssen? Das wird nicht vollends reflektiert, doch die Motivation des Artikels kommt mit dem Vorschlaghammer. Sie möchte sich selbst (vom Kleinen) und dem Wir (ins Großes) bewusst machen, dass es okay ist, so zu sein, wie man ist:

„Wir sind nicht nur A oder B, wir können so vieles sein. Deshalb sagen ich: Einfach mal machen!“

Sie möchte sich und ihre Leser*innen frei von Zuschreibungen machen, die sie zuvor selbst vornimmt. Die Zuschreibung, dass alle Menschen einen Plan für ihr Leben und Angst vor Veränderungen haben. Jetzt ist die Verwirrung komplett: Eigentlich müsste ich so sein, bin es jedoch nicht, aber das ist irgendwie auch in Ordnung.

Aber wer sind wir denn jetzt?

Was sagt das nun über die schreibenden bzw. lesenden Menschen der Generation Y aus? Eigentlich nicht viel. Nur dass sie bereit sind, ihre eigenen Erfahrungen, Ängste, Zweifel und Wünsche in die Öffentlichkeit zu tragen und mit fremdem Stimmen zu diskutieren – wie zuvor noch nie geschehen. Könnte es dann nicht sein, dass genau diese Erfahrungen, Ängste, Zweifel und Wünsche auch vielen Menschen vorheriger Generationen eigen waren? Hat sich vielleicht einfach nur die Bühne, auf der diese Themen diskutiert werden, verschoben – vom WG-Küchentisch ins Netz? Und sich damit die Stimmen, die sich in das eigene Leben mischen, vertausendfacht? Das würde ja bedeuten, dass der bestehende Generation-Y-Begriff nicht nur ein gemachter, sondern ein von einigen Protagonisten der Generation gewollter und bewusst inszenierter ist.

Denn hinter all diesen Texten steht nicht die Frage „Wer bin ich und wie möchte ich sein?“, sondern „Wie möchte ich mich und meine Generation in der Öffentlichkeit sehen?“. So sind am Schluss die Eigenschaften und Charakteristika der Generation Y kaum noch welche, die ältere Medienmacher*innen ihr zuschreiben. Vielmehr suhlen sich die schreibenden und lesenden Menschen der Generation Y in den Zuschreibungen. Entwickeln sie weiter, um sich als Gemeinschaft („Wir“) zu sehen und sich mit den Leser*innen („Du“) verbunden zu fühlen. Um sich jedoch im gleichen Atemzug doch als Individuum („Ich“) dazustellten, dass doch irgendwie anders, irgendwie besonders ist – „Ich bin wir, ich bin du, ich bin ich“. Du fühlst dich ertappt? Wir alle! Vielleicht ist das tatsächlich die Eigenschaft, die die Generation Y von den vorherigen abgrenzt.

Aufbruch in eine neue Welt – wirklich?

Für welche Ideale kämpfen wir gegen unsere Herkunft? Diese Frage stellt „Väter und Söhne“ im Deutschen Theater Berlin dem Publikum – schonungslos, denn es sitzt fast auf der Bühne.


Wahrscheinlich jedem, der einmal den Ort, an dem er aufwuchs, verließ, wird dieses Gefühl vertraut sein: Man kommt zurück und alles ist kleiner und irgendwie verkrustet.  Man selbst ist erwachsen. Erwachsen aus den Erfahrungen und beflügelt von den neuen Eindrücken und Erkenntnissen der Fremde. Mit diesen Flügeln schwingt man sich empor und betrachtet die Menschen, die man zurück gelassen hat, von oben. Aus dieser Perspektive sehen sie klein aus und je weiter man sich von ihnen entfernt, desto weniger sind einem ihre Bewegungen erkennbar. Manchmal scheint es fast unklar, ob sich überhaupt noch etwas bewegt.

Als scheinbar ein anderer tritt man zurück in die Reihen derer, die einen großen Teil dessen ausmachen, der man heute ist. Doch all ihre Weisen zu denken sind fremd geworden. Sie scheinen ein gänzlich anderes Leben mit anderen Erwartungen für sich gewählt zu haben, während man selbst doch in der Fremde endlich gelernt hat, worauf es wirklich ankommt. Indes, die ultimative Erkenntnis, die man mit nach Hause zu bringen glaubt, interessiert zu Hause kaum jemanden. Fast ist es so, als hätte man während der Abwesenheit die Sprache seiner Heimat verlernt. Und anstatt sich zu mühen, sich verständlich zu machen, reagiert man mit Ungeduld. Ungeduld über die Unverständigkeit und Unverständlichkeit des eigenen Ursprungs.

Wie neu sind die neuen Gedanken der nächsten Generation wirklich? Die Aktualität dieses Generationenkonflikts bringen Daniela Löffner und David Heiligers in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin auf die Bühne, indem sie zwei junge Männer, Arkadij Nikolajitsch Kirsanow  (Marcel Kohler) und Jewgenij Wasiljew Bazarow (Alexander Khuon) in ihre Elternhäuser zurückkehren lassen. Zuerst in Arkadijs und dann in Jewgenijs Heimat. Im Gepäck haben sie gänzlich neue Ansichten über die Welt und jeden einzelnen Menschen, der auf ihr lebt. Von Jewgenij als älterem und wortgewaltigen Freund unterstützt, bezeichnet sich auch Arkadij stolz als „Nihilist“ und ist bereit alles abzulehnen, an das sein Vater (Helmut Mooshammer) und sein Onkel (Oliver Stokowski), bei denen er aufwuchs,  glauben. Während Jewgenij mit ihm diskutiert und sich über die scheinbar zurückgebliebene Familie erhebt, mischt sich in Arkadijs Gefühlswelt die Solidarität zu seinem Ursprung. Als der weniger rationale, dafür aber emotionalere Mensch, scheint er die Sprache seiner Heimat noch nicht gänzlich verlernt zu haben. Und auch wenn sein Freund Jewgenij nicht müde wird, ihm diese Emotionalität als Schwäche auszulegen, wird sie zu seiner Stärke. Er ist es, der beim Besuch der von ihrem Sohn völlig verunsicherten Eltern Jewgenijs (Bernd Stempel  & Katrin Klein), vermittelt.

Während Jewgenij jeden, ob in der eigenen oder in der Generation seiner Eltern, mit Rhetorik und Arroganz, von seiner neuen Weltanschauung zu überzeugen versucht, die im Wesentlichen aus Ablehnung all dessen besteht, was bisher gegolten hatte, vermittelt Arkadij zwischen den Fronten. Indes ist es nicht Jewgenijs diplomatisches Geschick allein, dass es den beiden Fremdgewordenen ermöglicht, einen neuen Bezug zu ihrer Heimat aufzubauen. Es ist der Versuch, sich zweier Frauen aus ihrer Heimat zu öffnen, der die beiden dazu bringt, ihre neue, hochgelobte Weltanschauung zu überdenken.

Dreizehn stark gespielten Charaktere führen den Zuschauer in eine vergangene Welt voller aktueller Probleme. Leben Jung und Alt heutzutage nicht noch stärker in getrennten Welten, in denen sie verschieden Sprachen zu sprechen scheinen? In einer fast vierstündigen Inszenierung des über 150 Jahre alten Textes von Iwan Turgenjew zeichnet sich ein präzises Bild des (ewigen) Generationenkonflikts, dessen Vielschichtigkeit nicht zuletzt in den angespannten Gesichtern der SchauspielerInnen, die gleichsam eine Rolle in ihrer Rolle zu spielen scheinen, zum Ausdruck kommt.

Titelbild: © Arno Declair