Schlagwort: Filmgeschichte

Hitlers Hollywood – Eine Geschichte des deutschen Films

Mit einem reißerisch anmutenden Titel wird ein dokumentarisches Portrait des deutschen Films vom Zerfall der Weimarer Republik bis zum Untergang des Dritten Reichs gezeichnet. Dieser Zeitraum geht einher mit der vollständigen Dekadenz einer hinsichtlich Innovation und Fortschritt einst weltführenden Institution kultureller Produktion. Welche Rolle hatte der deutsche Schauspielfilm als Propagandamittel und warum konnte er vermutlich dadurch bis heute nie an seinen ehemals progressiven und avantgardistischen Charakter anknüpfen? Eine Annäherung mit Verweis auf aktuelle Diskurse der filmischen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit.


„Hitlers Hollywood“. Was hat sich Rüdiger Suchsland – seines Zeichens nicht zuletzt aufgrund seiner Tätigkeit für überregionale Tages- und Wochenzeitungen viel gelesener Filmkritiker – bei der Titelauswahl für sein neuestes selbst produziertes Werk gedacht? Ohne ihm dies an dieser Stelle zu unterstellen, werden böse Zungen mit dem Vorwurf des Pathos sagen: Hitler geht immer. Denn die moderne Personifizierung des Bösen garantiert hohe Einschaltquoten und Auflagezahlen. Oder aber ist es in heutigen Zeiten des Clickbaitings ein legitimes Mittel, mit vermeintlich profanen Namensgebungen ein breiteres Publikum für einen gesellschaftsrelevanten Diskurs zu gewinnen?

Ganz abwegig erscheint diese Intention nicht, denn die Kontinuität von faschistischen und menschenfeindlichen Denkweisen in der europäischen Zivilgesellschaft macht deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit der ach so ruhmvollen Vergangenheit der deutschen Nation(en) immer Aktualität und deswegen Relevanz besitzt. Denn der Weg des Vergessens ist offenkundig der bequemere und so manche٭r Mitbürger٭in wird nicht müde, die eigene Müdigkeit zu betonen, die Verantwortung für die ((Ur-)Groß-)Elterngeneration für einen Teil mitzutragen. Dies ist keine neue Erkenntnis und deswegen braucht dieser Aspekt gewiss nicht diskutiert zu werden.

Histotainment oder die Knoppisierung der Geschichte

Unterhalten werden möchten die deutschen Medienkonsument٭innen offensichtlich dennoch. Und geht es um Entertainment, so bietet sich die nationale Vergangenheit mit den Jahren 1933 bis 1945 als Spitze des Eisberges geradezu als ein unversiegbares Füllhorn an. In diesem Zusammenhang geht es jedoch nicht um Schuld oder ein Verantwortungsgefühl, das nicht weiter als Last empfunden werden möchte. Die Ausstrahlung diverser TV-Produktionen, die sich inhaltlich mit der nationalsozialistischen Ära auseinandersetzen, setzt dies jedoch auch nicht voraus. Außerordentlich fragwürdige Projekte, wie die 2013 im ZDF und ORF ausgestrahlte und eine breite Öffentlichkeit erreichende Trilogie Unsere Mütter, unsere Väter arbeiten konsequent an einem naiven Bild der ideologiebefreiten deutschen Jugend. Andere Beispiele für diese Depolitisierung und einem damit einhergehenden tendenziellen Schuldfreispruch der Zivilgesellschaft sind Dresden (2006), Die Flucht (2007) oder Die Gustloff (2008).

Einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung des deutschen Opfermythos leistete zweifellos der Publizist und Populärhistoriker Guido Knopp, der sich für zahlreiche Produktionen mit dem vermeintlichen Anspruch des Dokumentarischen, von denen die ebenfalls im ZDF erscheinende Reihe History die wohl bekannteste ist, verantwortlich zeichnet. Knopp hat mit seiner Herangehensweise in gewisser Weise gar ein eigenes Genre geschaffen, mit dem sich die dunkle und so fern scheinende Vergangenheit wunderbar gemütlich auf dem heimischen Sofa konsumieren lässt: das Histotainment. Hierbei geht es, wie der Name bereits verrät, nicht um Bildungsarbeit und Aufklärung im Sinne geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern primär um den Unterhaltungscharakter bei der Aufarbeitung der damaligen Ereignisse.

So ist es nicht verwunderlich, dass die führenden Vertreter des NS-Regimes und deren persönlichkeitsbildende Anomalien einen großen Raum einnehmen, während die Zivilgesellschaft folglich als das verführte oder gar wehrlose Volk präsentiert wird. Auch die Flucht vor der Roten Armee aus den damals ostpreußischen Gebieten sowie die Bombardierungen der deutschen Großstädte durch die alliierte Luftwaffe spielen in der knoppisierten Weltgeschichte eine eklatant große Rolle und werden in emotionalisierender sowie dramatisierender Ausprägung dargeboten.

Das Potential des Dokumentarischen

Das alles hat wenig mit Ansätzen gemein, die beispielsweise Claude Lanzmann in wegweisender Form verfolgte. Das über neunstündige Dokumentarmonument Shoah, das der französische Filmemacher über ein Jahrzehnt zusammenstellte und 1986 veröffentlichte, übt sich in einer Sachlichkeit, die für die unaussprechlichen Geschehnisse zwar unmöglich erscheint, dadurch jedoch ein angemessenes Distanzverhältnis gegenüber dem Zuschauenden schafft, um das nicht Darstellbare zu repräsentieren. Lanzmanns politisches Interesse liegt in diesem Kontext nicht darin, einen Film der Trauer oder Therapie zu schaffen, sondern aktuelle Zeitzeugenberichte Überlebender in ein Objekt der Massenkultur zu transformieren. Die Rezeption eines Dokumentarfilms wiederum ist stets von der Perspektive des Betrachters abhängig. So schildert der Film- und Theaterregisseur Andres Veiel, der sich in seiner Arbeit u. a. thematisch mit der Kontinuität von Gewalt auseinandersetzt, dass einige Zuschauer Schwierigkeiten mit einer Abstraktion des Dargestellten hätten, für andere hingegen „ist genau diese Reduktion die Stärke des Films. Für sie entwickelt der Film eine dokumentarische Kraft allein durch die vorgetragenen Interviews“.

Um nun eine Brücke zurück zu Rüdiger Suchslands jetzt erscheinenden Film „Hitlers Hollywood“ zu schlagen, sei noch die Begrifflichkeit der „Propaganda“ erwähnt. Der Terminus erschien zum ersten Mal im Zusammenhang der Gegenreformation und bezog sich auf die Glaubensvermittlung. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und Kriegsgefahr war „Propaganda“ in den 1930er Jahren in einem didaktischen Sinne noch positiv konnotiert, was sich erst in der Nachkriegszeit änderte. Denn der Dokumentarfilm wurde schließlich während der Kriegstage im Interesse des Krieges, Faschismus, Stalinismus sowie beispielsweise der Atombombe genutzt.

Dass dies auch für den Schauspielfilm gilt, erkennt Suchsland und setzt dementsprechend an diesem Punkt an. Denn während dem Dokumentarfilm dies in den meisten Fällen entgegengehalten wird, wird dem Spielfilm eine Grenzüberschreitung zwischen dem Fiktionalen und Dokumentarischen grundsätzlich zugestanden. Der französische Philosoph François Niney kommt zurecht zu dem Schluss, dass der „Gebrauch von ebenso vagen wie weiten Kategorien wie ‚real‘, ‚imaginär‘, ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ einen Berg von epistemologischen Problemen auf[wirft]“. Letztendlich verweisen auch fiktionale Werke wie Romane oder Spielfilme auf die Realität. Das macht Suchsland an seiner Betrachtung der deutschen Filmgeschichte während des Nationalsozialismus fest und untersucht diesen auf Elemente wie Propaganda, Gleichschaltung oder Antisemitismus.

Quelle: YouTube

Zwischen Agitation und passivem Widerstand

Anders als Knopp & Co. verfolgt der deutsche Filmkritiker das Ziel, frei von emotionaler Verklärung und Dramatik, vor allem im Hinblick auf Propaganda ein Portrait des deutschen Films zu zeichnen und in diesem Zuge dessen Parallelen zum Auf- und Niedergang des NS-Regimes zu ziehen, was durchaus gelingt. Zu Beginn der Regierung der NSDAP prägen Eigenschaften wie Kameradschaft und selbstmörderische Aufopferung das Bild. Diesbezüglich erscheint der Tod als das zentrale Stilmittel des Films. Anders als die während der Weimarer Republik entstandenen Werke zeichnen sich die Filme, für die von Anfang an Propagandaminister Joseph Goebbels Verantwortung trägt, wenig überraschend durch Kitsch, Ironiefreiheit und verkrampfte Fröhlichkeit aus.

Untermalt werden die präsentierten Beispiele von Suchsland mit Gedankenspielen von namhaften und teils fachnahen Persönlichkeiten wie Siegfried Kracauer, Susan Sontag, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und Walter Benjamin. Frühwerke wie „Hitlerjunge Quex“ aus dem Jahr 1933 haben unzweifelhaft propagandistische Zwecke und lassen die vorangegangene Periode der Weimarer Republik als eine Zeit des Chaos und der Anarchie zurück. Die Urängste vor diesen beiden Szenarien werden durch eine Ästhetisierung der Politik bedient. Die Heroisierung der Gleichschaltung und Ordnung erfolgt unter anderem in Leni Riefenstahls Film zum Nürnberger Reichsparteitag 1934.

Laut Suchsland wurden im nationalsozialistischen Deutschland ca. 1.000 Filme produziert, von denen etwa 500 als Komödien und Musikfilme einzuordnen sind, während der Rest Melodramen und Abenteuerfilme waren. Zynisch bemerkt der Regisseur, dass Horror- oder Fantasyfilme kaum Beachtung fanden, da sie sich zu nah an der Realität bewegten. Hervorgehoben wird zudem die Rolle der UFA, die Hitler und seiner Gefolgschaft durch die eigenen Wirkungskreise zunächst zur Macht verhalf und später aufgrund der Verstaatlichung zum zentralen Organ filmischer Produktion im Deutschen Reich wurde. Rückwärtsgewandtheit und nationale Isolation kann dem deutschen Film zu jener Zeit zumindest in technischer und personeller Hinsicht nicht vorgehalten werden. Neuartige Schnitttechniken schufen etwas Irreales hin zu einem Verschwimmen der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit und verhalfen dem Film somit zu einer illusionistischen Charakteristik. Viele Stars des damaligen deutschen Films waren darüber hinaus Ausländer, wie beispielsweise Marika Rökk oder der bis in die 2000er Jahre allseits beliebte Johannes Heesters.

Berücksichtigung finden in der damaligen Filmindustrie selbstverständlich Filmschaffende, die bestens für die NS-Propaganda geeignet schienen: Heinz Rühmann, dessen infantile Charaktere suggerierten, dass die Realität doch nur halb so schlimm sei. Ferdinand Marian als Hauptfigur der Verfilmung von „Jud Süß“, der sich in die Liste der 1940 veröffentlichten unmissverständlich rassistisch-antisemitischen Werke wie „Die Rothschilds“ oder „Der ewige Jude“ einreihte und die Endlösung in der Judenfrage propagandistisch vorbereitete. Die schwedische Schauspielerin Kristina Söderbaum, die als Idealbild der „arischen Frau“ aufgrund des Schicksals ihrer Charaktere den Beinamen „Reichswasserleiche“ erhielt. Und nicht zuletzt deren Ehemann Veit Harlan, der als Regisseur die Perfidität auf höchstem Niveau beherrschte und gegen Kriegsende als Speerspitze mit der Vereinigung von Krieg und Liebe die Bombenangriffe der Alliierten romantisierte und Verschwörungen gegen Kriegsgegner großzügigen Platz einräumte.

Zu den gleichgeschalteten Akteuren gesellen sich jedoch Personen, die sich in diverser Form von der einheitlichen Propaganda unterschieden. Hans Albers, vom äußeren Erscheinungsbild prädestiniert für die Propagandamaschinerie, verkörperte aufgrund seines Witzes und seiner actionlastigen Szenen in gewisser Weise den Anti-Nationalsozialisten. Auch der spätere schwedische Weltstar Ingrid Bergman bereute die einstige Kooperation in „Die 4 Gesellen“ (1938), was sie unter anderem im US-amerikanischen Klassiker „Casablanca“ (1942) untermauerte, indem sie dort eine Antifaschistin verkörperte. Gustaf Gründgens unternahm den zu seiner Vita passenden janusköpfigen Versuch zwischen Kollaboration und Widerstand.

Auch die Rolle der Frau wies gelegentlich feministische Züge auf. So behandelt Wolfgang Liebeneiner in „Großstadtmelodie“ (1943) den Werdegang einer Frau, die entgegen der Konventionen ohne Kinderwunsch und mit freundschaftlicher Beziehung zum männlichen Geschlecht sowie selbstbewusster Ausstrahlung ihre Karriereziele verfolgt. Auch wenn diese Aspekte als eine Form des passiven Widerstands interpretiert werden könnten, reicht es freilich nicht für den Titel des Gerechten unter den Völkern. Zum einen offenbarten sich keine Filmschaffenden, die sich öffentlich gegen das Regime stellten, zum anderen erschien aktiver Widerstand aufgrund des Zensurapparates und der drohenden Konsequenzen im Inland ohnehin nahezu unmöglich. Somit war Subversion, wenn überhaupt, nur in äußerst dezenter Form realisierbar: „Die Schauspieler waren die Hofnarren, die mehr als andere die Wahrheit aussprechen konnten. Aber eben nur am Hofe.“

In den letzten Kriegsjahren verweist der Versuch, sich im Genre des Fantasyfilms zu bedienen, eindeutig auf den Wunsch nach einer Gegenwelt. Harlans Morbidität bezeichnet Suchsland als kümmerliche abgebildete Sehnsucht ohne Zielsetzung. Die bis dahin teuerste und aufwendigste deutsche, in Agfacolor gedrehte, Produktion „Kolberg“ aus dem Jahr 1945 verleugnet die Vorahnungen des bevorstehenden Untergangs zwar nicht, heroisiert denselben jedoch und stellt Elemente wie den Opfertod oder schlichtweg Resignation in den Mittelpunkt. Ohne auf die nach dem Krieg folgende weitere Entwicklung des deutschen Films einzugehen, stellt Suchsland somit die offene Frage, wieviel nach 1945 vom deutschen Film weiterlebte. Denn die viel zitierte Stunde Null habe es in diesem Fall nicht gegeben. Gegen Kriegsende verlor der deutsche Film gleichbedeutend mit dem bevorstehenden Zerfall des Regimes sukzessiv an Wirkung und filmischer Leistung. Eine Dekadenz, von der sich der einst international äußerst erfolgreiche und progressive Film vielleicht bis heute nicht erholt hat.

Ergiebiges Sammelsurium mit bedeutender Schwäche

Sicher ist, dass „Hitlers Hollywood“ – trotz des für manchen wohl abschreckend wirkenden Titels – ein brauchbarer Dokumentarfilm bleibt, indem er ein Panorama des nationalsozialistischen Films malt und dabei sowohl die Gleichschaltung als auch Ansätze vermeintlichen Widerstands sowie die Tragweite einzelner Akteure beschreibt. Als problematisch kann es erachtet werden, dass es sich bei Suchslands Werk um eine Anhäufung chronologischer Informationen handelt, deren historische Einordnung jedoch an zahlreichen Stellen vermisst wird. Für nicht unwesentliche Teile der Bevölkerung, die der Beschäftigung mit der Thematik ohnehin vertraut sind, wird dies aufgrund des mitgebrachten Vorwissens zweifellos keine allzu große Hürde sein.

In Zeiten, in denen Vaterlandsliebe mit Übergehen der 1930er und 1940er Jahre vereinbart werden soll und kann, politische und historische Bildung also weitaus weniger als nur defizitär vorhanden ist, bleibt diese ausgelassene offensichtliche Kategorisierung zumindest in Teilen problembehaftet. Dies gilt gerade dann, wenn ein solcher Film der breiten Öffentlichkeit präsentiert wird, was angesichts der relevanten Materie eigentlich auch der Fall sein sollte. Erwartet werden darf außerdem nicht, dass „Hitlers Hollywood“ bedeutende neue Erkenntnisse liefert. Vielmehr ist er als ein Zeugnis einer der weitreichendsten Epochen des deutschen Films zu betrachten. Diese Funktion erfüllt er in vollem Maße.

Filmstart in den deutschen Kinos am 23.02.2017

Literatur:

Niney, François (2012): Die Wirklichkeit des Dokumentarfilms. 50 Fragen zur Theorie und Praxis des Dokumentarischen, Marburg: Schüren.

Renov, Michael (2004): The Subject of Documentary. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press.

Veiel, Andres (2006): Die Grenzen des Darstellbaren, in: Zimmermann, Peter/Hoffmann, Kay (Hg.): Dokumentarfilm im Umbruch. Kino – Fernsehen – Neue Medien, Konstanz: UVK, 274-277.

Titelbild: Hilde Krahl in Wolfgang Liebeneiners „Großstadtmelodie“