In Zeiten, wo die Frage nach dem „Durchschnittsdeutschen“ tendenziell eher besorgte Blicke auf immer noch gut besuchte PEGIDA-Demonstrationen und jüngste AFD-Wahlergebnisse provoziert, zeigt uns Bjarne Mädel in der NDR-Serie „Der Tatortreiniger“ als Heiko „Schotty“ Schotte, dass es auch anders geht und bringt uns dabei vielleicht sogar etwas über das Glücklichsein bei.
„Der Tatortreiniger“ – eine deutsche Kultserie
Im Dezember 2011 strahlte der NDR im Nachtprogramm unangekündigt vier Folgen einer neuen Produktion namens „Der Tatortreiniger“ aus und erhielt keine besondere Zuschauerresonanz. Dass die Serie, über vier Jahre und 20 Folgen später, mehrere renommierte Medienpreise abgeräumt hat und sowohl von der Kritik als auch von vielen Fans immer noch hoch gelobt wird, dürfte trotzdem niemand wirklich überraschen. Das Duo Arne Feldhusen und Bjarne Mädel hatte schon mit „Stromberg“ erfolgreich einen tragisch-komischen Blick auf die zwischenmenschlichen Dissonanzen alltäglicher Personen kultiviert, der in „Der Tatortreiniger“ allerdings aus einer anderen und originären Perspektive erfolgt. Der von Mädel verkörperte Tatortreiniger Heiko Schotte ist weit entfernt vom stotternd-trottligen Ernie in Stromberg.
Schotty – ein echter Durchschnittsdeutscher?
Heiko „Schotty“ Schotte ist Tatortreiniger. De Facto heißt das, dass es sein Job ist, die Überreste von toten Menschen zu beseitigen. Kein schöner Job, aber einer, den ja auch irgendjemand machen muss. Heiko Schotte stellt auf den ersten Blick so etwas wie die Blaupause eines deutschen Arbeitnehmers aus der unteren Mittelschicht dar: Der Job ist unangenehm aber notwendig, wenn das Handy klingelt ertönt die Tatortmelodie und abends gibt’s das Feierabendbier zum HSV-Spiel. Schotty hat alltägliche Träume – große Liebe, Kinder kriegen, Maserati fahren. Trotzdem ist sein Charakter alles andere als flach oder ordinär und das zeigt sich schon an der besonderen Beziehung zu seinem Beruf.
Schotty betont immer wieder den mental belastenden Job des Tatortreinigers nicht an sich ran zu lassen. Stolz posaunt er sein Mantra “Mein Job fängt da an, wo andere Leute anfangen sich zu übergeben” heraus. Schotty hat eigene Probleme und kann es sich nach eigener Aussage gar nicht leisten den kleinen Dramen, die so um ihn herum passieren, viel Aufmerksamkeit zu schenken. Doch gerade das ist die Quintessenz der TV-Serie – die kammerspielartige Beziehungssituation zwischen Tatortreiniger Schotty und den Menschen, denen er bei der Ausübung seines Berufes begegnet. Empathischer Beziehungspunkt ist allerdings so gut wie nie das Schicksal des Toten, an das oftmals nur noch vereinzelt verstreute Körperbestandteile erinnern, sondern die Auseinandersetzung mit den Lebenden.
Ist Schotty ein glücklicher Mensch? Die Kunst der Verdrängung
Bjarne Mädel hat in einem Interview auf die Frage, ob man angesichts des Unglücks in der Welt überhaupt glücklich sein kann, geantwortet:
„Wenn ich in der Familie einen Todesfall habe, ist das sehr belastend, und ich denke sehr viel mehr über das Ende nach, auch über mein eigenes, als wenn ich nicht so direkt betroffen bin. Wenn ich den Verstorbenen nur flüchtig kannte, kann ich eher sagen: Ey, ich schaue gerade HSV gegen Dortmund und habe Spaß dabei. Aber nur mit unserer Fähigkeit zu verdrängen, kann man das Leben ertragen.“ (Interview bei bento.de)
Diese Fähigkeit zur Verdrängung oder Distanzierung scheint gerade beim Beruf des Tatortreinigers essentiell wichtig zu sein. Heiko Schotte ist jeden Tag direkt mit großem Unglück konfrontiert und schafft es trotzdem noch irgendwie in der Pause mit Genuss in sein Wurstbrot zu beißen. Die Distanz die er dabei zwischen sich und den Toten schafft, wird allerdings durch seine Beziehung zu den Beistehenden, die im Laufe einer Folge oftmals von Fremden zu Diskussionspartnern über private und existenzielle Themen werden, gebrochen. Schotty geht auf diese Menschen offen und neugierig zu und lässt sich auf sie ein. Der Verdrängungsmechanismus kehrt sich ins Gegenteil um: Schotty ist zwar vom (teilweise gewaltsamen) Ableben der Toten an seiner Arbeitsstelle oberflächlich wenig tangiert, verstrickt sich aber umso mehr in die Gedanken- und Gefühlswelt seiner Mitmenschen, die sich in feinen Dialogen offenbaren.
Heiko „Schotty“ Schotte – Kommunikationstalent
Das Grundgerüst eigentlich jeder Folge von „Der Tatortreiniger“ besteht aus einem dynamischen Dialog zwischen Schotty und seinen neuen Bekanntschaften. Die besondere Gabe des Heiko Schotte liegt in der Kommunikationsfähigkeit. Schotty tritt voller Neugier und ohne Vorurteile auf seine Gesprächspartner zu und ist ernsthaft interessiert an ihren Ansichten. Er hat kein Problem sich andere Perspektiven anzuhören, vertritt allerdings immer authentisch und offen seinen Standpunkt – was kurzfristig schon mal zur Eskalation des Gespräches führen kann. Gerade dann, wenn ganz große Moralkeulen geschwungen werden, schreit er der militanten Veganerin auch mal zu: „Von dir lass ich mir doch nicht meinen Schweinebraten madig machen!“ oder er antwortet auf die Kritik an Asylgesetzen trocken: „Na ich hab die Gesetze ja nicht gemacht.“. Doch diese kurzfristigen emotionalen Ausbrüche beenden die Kommunikation nicht, sondern sie regen vielmehr die argumentative Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven an. Schotty ist dabei im Laufe des Gesprächs nie vollkommen ignorant und hinterfragt sich sogar kritisch selbst, wenn ihn die Argumente der Gegenseite zum Nachdenken anregen. Moralisch wertend wird er immer erst dann, wenn ihm die Argumente des Gegenübers zu abstrus erscheinen.
Heiko „Schotty“ Schotte – Integrationsvorbild
In der Folge „Schotty´s Kampf“ wird diese Kommunikationsstruktur auf die Spitze getrieben. Schotty sieht sich an seinem Einsatzort unversehens mit dem schleimigen Vorsitzenden eines Nazi-Vereins konfrontiert, mit dem er erst minutenlang argumentiert um das Gespräch schließlich mit einem schlichten: „Ich finde das falsch, was sie sagen. Und zwar alles“ zu beenden. Anschließend schreitet Schotty persönlich zur Tat und lässt einen Raum voller Nazi-Memorabilia von seinen Sperrmüllkumpels mit Migrationshintergrund ausräumen.
Das Team von „Der Tatortreiniger“ wurde für die Folge „Schotty´s Kampf“ mit dem Grimmepreis und dem CIVIS-Fernsehpreis ausgezeichnet, der Beiträge ehrt, “die das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher nationaler, ethischer, religiöser oder kultureller Herkunft fördern”. Wenn man Schotty´s Charakter ganzheitlich betrachtet, so kann man „Der Tatortreiniger“ auch als Bekenntnis zu einer offenen und integrativen Kommunikation sehen, die jeder toleranten Perspektive Raum und Geltung zuspricht.
Schotty oder Dittsche – Wer ist denn nun der Durchschnittsdeutsche?
Um nun auf die Frage nach dem Durchschnittsdeutschen zurückzukommen, lohnt sich der Vergleich von Schotty und einer anderen Ikone des deutschen Abendprogramms: Dittsche.
Dittsche steht in Bademantel in einem Imbiss und redet voller Inbrunst von aufgeschnappten Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien, ohne dass ihn das alles wirklich zu berühren scheint. Er hat zu allem eine Meinung und von nix so richtig Ahnung. Dittsche ist damit das Epitom des skurrilen aber harmlosen Stammtischdeutschen, der auf seine eigene Art in seinem Mikrokosmos auch wieder ganz knuffig ist. Schotty hingegen vertritt authentisch seine Meinungen, lässt sich aber auch auf wirkliche Diskussionen mit denen ein, die anderer Meinung sind – sofern das Gespräch interessant ist. Dabei kommt oft eine echte Betroffenheit zum Ausdruck – im Gegensatz zu Dittsche hat Schotty noch nicht aufgegeben und sich mit dem Status Quo abgefunden.
Die Verbindungslinien zwischen Schotty und Dittsche werden auch von den Serienmachern gezogen. So hat Dittsche einen Cameoauftritt in „Der Tatortreiniger“, bei dem die unterschiedlichen Mentalitäten recht deutlich illustriert werden. Als Schotty nach dem Ziehen einer Wartenummer, ob der ineffektiven bürokratischen Vertracktheit, frustriert gegen einer Mülleimer tritt kommentiert Dittsche nur trocken: “Davon geht das auch nicht schneller. Eher langsamer.” Auch beim Auftritt von Schotty im Imbiss von Dittsche begegnen sich die Charaktere eher mit Skepsis – das einzig wirklich verbindende Element ist das Feierabendbier.
Wieso wir alle in Zukunft ein bisschen mehr wie Schotty sein sollten
Schotty verkörpert auf viele Arten einen „Durchschnittsdeutschen“, den ich mir wünschen würde. Mit „Durchschnittsdeutscher“ meine ich damit natürlich nicht einen nationalstaatlichen Stereotyp, sondern vielmehr jemand, der mit einer bestimmten Mentalität (die sicher stereotypisch nicht klassisch deutsch ist) an die lebensweltlichen Herausforderungen herangeht, vor die wir uns hier in Deutschland gestellt sehen.
Wenn das Geheimnis eines glücklichen und schönen Lebens in der erfolgreichen Verdrängung von all dem bestände, was in der Welt falsch läuft, dann hätte weder Schotty noch der „Durchschnittsdeutsche“ eine wirkliche Chance glücklich zu werden. Flüchtlingskrise und Terrorismus konfrontieren uns in unserer behaglich behüteten Verdrängungswelt aktuell mit einer distanzlosen Realität, die vielen Menschen Angst macht und Nährboden für Bewegungen wie PEGIDA oder die AFD ist.
Auch Schotty hat auf gewisse Art und Weise seine selbstauferlegte Distanz zu den Schicksalen seiner Mitmenschen verloren. Doch er schafft es mit viel Herz, Offenheit und Authentizität damit umzugehen, kommunikativ auf sie zuzugehen und ist zumindest dem Eindruck nach ein recht glücklicher Mensch. Sicher hat auch Schotty seine eigenen Probleme und emotionalen Tiefs, doch am Ende des Tages stellt er sich eben nicht im Bademantel in die Imbissbude und lamentiert vor sich hin, sondern holt sich nur Leberkäse und Bier, um am nächsten Morgen wieder mit einem gutgelaunten „Moin“ sein nächstes dialogisches Abenteuer zu beginnen.
Beitragsbild: Bjarne Mädel als Schotty in Der Tatortreiniger by Sandra Hoever (Provided by Bjarne Mädel) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons ; Der Tatortreiniger auf NDR