Schlagwort: Diskursrock

Next level Punk – Postfords aufwühlendes Debüt

Kennt ihr diese stilisierten, verträumten Softpunk-Alben, die momentan aus dem Boden sprießen? Postfords Debütplatte ist keines davon.


Schon gar nicht soft. Und das ist auch gut so. Denn Postford greifen Punk für sich als uneingeschränkte Möglichkeit auf, ihrer Angefressenheit Luft zu machen. Und da sie kluge, kritische Geister sind, die bekannterweise viel zu sagen haben, teilt sich ihre Wut gut sortiert unter verschiedenen Themenfeldern auf. Einerseits sind da die Banalität von Kapitalismus, Medienapparat und Leistungsgesellschaft, andererseits sinnlose Kriege und Radikalisierungen. Mit kryptisch zersplitterten Texten und vielschichtigen, wuchtigen Arrangements greifen sie diese Komplexe breit an. Denn „zwischen Schampus und Ignoranz passt noch ein Hummerschwanz“. Und aus Kopf-Hoch/Weitermachen wird die Negation, wird „Hinfallen/Liegenbleiben“. Aus den Phrasen entsteht ein Narrativ, das keine abstrakten Parolen produziert, sondern Politik auf die direkte Ebene zurückholt, auf der sie stattfinden sollte.

„in der Glotze Krieg und Audi // auf der Straße Gold und Dreck“

Postford – La Déluge

Mal ernsthaft aufgebracht, mal zynisch erzeugen die Texte auch abseits der Lautstärke stete Unruhe. Damit stellen die Bremer٭innen sich konzeptuell in eine Reihe mit nordischen Diskurspunk-Bands wie Turbostaat, die sicher auch musikalisch als Inspiration durchklingen. Das Aufgreifen präganter Fetzentexte und ineinder herumwühlenden Spuren ist hier ein klares Plus der Platte, erstens weil es ohnehin ziemlich brillante Stilmittel sind, zweitens, weil es Postford gelingt, es zu etwas Eigenem zu formen und mit frischen Inputs zurückzuschießen. Eine weitere Stärke ist ohne Frage der Gesangsvortrag selbst, der ziemlich souverän sowohl zwischen verschiedenen Stimmen als auch Sprachen als auch Techniken der Trias Schreien, Singen, Sprechen kreist. Gerade die Vielseitigkeit ist hier prägnant.

Quelle: YouTube

Postford selbst holen übrigens auch ein altes Schätzchen aus dem großen Genre-Schubladenschrank, wenn sie sich beschreiben, und bemühen neben „Punk“ auch das Wörtchen „Emo“, auf welches man aufgrund von Genre-Verwirrungen und -Fehlzuschreibungen vielleicht gar nicht unbedingt gekommen wäre. Aber zunächst einmal gibt es ja nur Aufschluss über die persönliche Dimension der Texte. Und das ist etwas, worauf schon der Bandname „Postford“ angelegt ist: auf die Durchdringung von Individuum und der Gesellschaft. Von Persönlichkeitsentfaltung und Arbeitswelt. Von Nichtstun und Politik. Von H&M-Shopping und Welthungerbericht. Von der Band Postford und dem Album „Postford“. Die beiden letzten sind (die anderen genauso) nämlich in der Tat nicht zu trennen. Denn herausgekommen ist eben kein stilisiertes Kunstprodukt, sondern ein glaubhafter Versuch, sich selbst musikalisch als engagierte Individuen innerhalb von Zwängen abzubilden.

Nicht zuletzt sind es aber Spielfreude und Neugier, die das Album antreiben. Da geht es um Neuerfindung, Spaß an der Musik, an Riffs, an Pogo – ein paar Tugenden, die Postford sich hoffentlich erhalten. Ein konsequentes, waches Album haben sie nun schon hervorgebracht.

Titelbild: © Christina Kühn


Postford – s/t ist am 28. April 2017 bei Antikörper-Export und Raccoone Records erschienen.