Hiob und Publikum werden geprüft. Er in seiner Treue zum Glauben, die Anderen in ihrer Geduld. Anne Lenks Treue zu Thomas Roths Text verlangt Treue und Geduld.
Anne Lenk bringt Hiobs Qualen oder besser Thoms Roths Buch Hiob auf die Bühne. Der Text bietet viel. Neben der bekannten Geschichte Hiobs, der seinen Glauben trotz zahlreicher Schicksalsschläge oder Gottesprüfungen nicht verliert, geht es um Immigration, Sinnsuche und eigenverantwortliches Handeln.
Mendel Singer (Bernd Moss) ist ein frommer Privatlehrer in einem kleinen russischen Städtchen. Er bringt Kindern das alte Testament nahe, wie bereits sein Vater und sein Großvater vor ihm. Zusammen mit seiner Frau Deborah (Almut Zilcher) und drei Kindern lebt er in schlichten Verhältnissen. Doch dann ereilt ihn das erste Unglück. Die Geburt seines jüngsten Sohnes: Menuchim (Alexander Khuon) hat eine starke, offenbar geistige sowie körperliche, Behinderung. Und auch wenn ihn die Eltern zu lieben scheinen, empfinden sie ihn als Qual. Auch die Geschwister leiden zunehmend darunter, dass Menuchims Existenz das gesamte Familienleben überschattet.
Erst als Mutter Deborah vom Rabbi erfährt, dass ihr Sohn eines Tags „geheilt“ werden wird, schöpft sie neue Kraft, ihr Schicksal zu tragen. Vater Singer verzweifelt unter dessen an seinen älteren drei Kindern. Tochter Mirjam (Lisa Hrdina) treibt sich mit fremden Männern herum, der ältere Sohn, Jonas (Edgar Eckert) geht zur Armee und der jüngere, Schemarjah (Camill Jammal) in die USA. Das eine gefällt dem Vater nicht, da er um die Frömmigkeit seiner Kinder bangt, das Andere, da die USA ein fernes, fremdes Land sind. Doch von zunehmender Armut gezwungen, folgt Singer Schemarjah in die USA. Zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter bricht der alte Mann auf. Sohn Jonas bleibt bei der Armee, Menuchim wird für reiseuntauglich erklärt und zu Bekannten gebracht.
In New York angekommen verliert Singer zunächst alles, was ihm noch geblieben ist. Sein Sohn Schemarjah muss in den Krieg und fällt, seine Frau stirbt verbittert und seine Tochter verschwindet hinter den Toren einer psychiatrischen Anstalt. Und als er dann auch noch seinen Glauben zu verlieren droht, taucht sein zurückgelassener Sohn Menuchim aus der Heimat auf. Er ist vollständig von seiner Behinderung „erlöst“ beweist dem Vater damit, dass sich die Frömmigkeit bezahlt gemacht habe.
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Der anfängliche Elan der Aufführung weicht leider noch vor Singers Emigration in die vereinigten Staaten einer eher zähen Mischung aus Schauspiel und Erzähltheater. Wurde zu Beginn des Stückes ein Streit zwischen den Geschwistern noch als Wasserschlacht, die in einer Schlägerei mit PET-Flaschen mündet, dargestellt, nimmt diese Kreativität im Verlauf des Stückes stetig ab. Nach zwei Dritteln scheint sich ein festes System der Darstellung etabliert zu haben. Einer der Schauspielerinnen trägt den Text zu dem vor, was das Publikum grade sieht und der oder die anderen spielen, was grade vorgetragen wird. Die konsequente Verwendung dieses Mittels führt zu einer unüberwindbaren Distanz zwischen Protagonistinnen und Zuschauerinnen.
Nur durch die Kraft seiner Verzweiflung gelingt es Singer am Ende des Stückes, diesen Graben ein einziges Mal zu überbrücken. Als er seinen Glauben und sein Leben völlig infrage stellt, werden Wut, Verzweiflung und Lebensüberdruss spürbar. Zuvor schien ein unsichtbarer, alles dämpfender Vorhang zwischen Bühne und Publikum zu hängen. Ein solches fast unsichtbares Element gibt es tatsächlich. Es ist eine semipermeable Fläche. Sie befindet sich allerdings hinter den Darsteller*innen und hat drei Funktionen und einen Effekt. Wird sie direkt beleuchtet, dient sie als schwarzer Hintergrund, vom Projektor angestrahlt als Projektionsfläche und von hinten beleuchtet gibt sie den Blick auf den zweiten Teil der Bühne frei. Hier finden all die Szenen statt, die Träume, Wünsche und Hoffnungen der Figuren betreffen. Der Effekt dieser halbdurchlässigen Wand ist, das oft plakative Spiel vor ihr zu verfremden und für die sehnlich erwartete Irritation zu sorgen.
Doch es bleibt der Eindruck, dass die Energie der Schauspieler*innen nicht ausreicht, sich Roths Text entgegen zu stellen. Lenks Gehorsam gegenüber Roth findet seinen Höhepunkt darin, dass auch im Theater des 21. Jahrhunderts in Berlin ein Kind mit einer Behinderung völlig unhinterfragt als „Strafe Gottes“ dargestellt wird. Eine kritische Reflexion des Textes hätte sich dieser Frage annehmen können. Auch die Chance, den Aspekt der Auswanderung auf die derzeitige weltpolitische Situation zu übertragen, blieb leider ungenutzt.
Schauspieler*innen:
Bernd Moss (Mendel Singer), Almut Zilcher (Deborah, seine Frau), Edgar Eckert
(Jonas, sein Sohn), Camill Jammal (Schemarjah, sein Sohn), Lisa Hrdina (Mirjam, seine Tochter), Alexander Khuon (Menuchim, sein Sohn)
Regie: Anne Lenk, Bühne: Halina Kratochwil, Kostüme: Silja Landsberg, Musik: Leo Schmidthals, Video: Clemens Walter, Dramaturgie: Sonja Anders
Titelbild: © Arno Declair