Wie weit würden Sie gehen? Wenn Sie erpresst werden? Wenn ihre Familie bedroht wird? Wenn Sie sehen, wie ihre Tochter in einen Sumpf aus wilden Partys und Drogen rutscht? Wenn dem Rechtsstaat die Beweise fehlen, um die Gefahr abzuwenden, die Sie kommen sehen?
Eigentlich hat Finnur (Baltasar Kormákur) ein angenehmes und reibungsloses Leben. Mit seiner Frau Margarét Bjarnadóttir und ihrer gemeinsamen Tochter Hrefna lebt er in einem schicken Haus am Rande von Reykjavik, und sein Beruf als Chirurg ermöglicht der Familie einen komfortablen Alltag. Nur seine Tochter aus erster Ehe macht ihm Sorgen. Anna (Hera Hilmar) ist bereits volljährig, von zuhause ausgezogen, und obwohl er zu ihr ein liebevolles Verhältnis hat, scheint sie sich von ihm zu entfernen. Als sie dann zur Beerdigung seines Vaters verspätet und verkatert erscheint und sich noch vor der Trauerfeier von ihrem neuen Freund Óttar (Gísli Örn Garðarsson) abholen lässt, bekommt Finnur ein ungutes Gefühl.
Wenige Tage später wird sich dieses Gefühl bestätigen. Nachts erhält er einen panischen Anruf seiner Tochter. Von Drogen völlig verwirrt und halb betäubt sei sie auf einer Party überfallen worden. Doch die Polizei findet keine Anzeichen auf Gewalt an ihr und sie selbst kann oder will sich an nichts erinnern. Als Finnur der Sache nachgeht, offenbart sich ihm, dass Óttar mit Drogen handelt. Als er diesen zur Rede stellt und fordert, Anna in Ruhe zu lassen, bedroht dieser erst ihn, dann Anna und schließlich auch Solveig und Hrefna. Zum Handeln gezwungen, sieht sich Finnur vor eine schwierige Frage gestellt. Wie weit ist er bereit zu gehen, um seine Familie zu schützen? Mit der gleichen Präzision, die ihn in seinem Beruf befähigt Leben zu retten, geht er nun Schritt für Schritt gegen Óttar vor. Doch hierbei bricht er nicht nur mit dem hippokratischen Eid, den er als Arzt geschworen hat.
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In 102 Minuten führt uns Kormákur, der nicht nur ein beeindruckender Schauspieler ist, sondern in seinem vierten Film auch die Regie übernimmt, durch eine schonungslos realistische Erzählung. Keiner der Charaktere – selbst Óttar nicht – ist nur gut oder nur böse gezeichnet. Jede٭r spielt seine oder ihre Rolle realistisch, unaufgeregt und lebensnah. Unterstützt wird dieses detailreiche Schauspiel durch eine filmästhetische Mischung aus düsteren nordischen Schneelandschaften und glänzenden Personenaufnahmen, die ein wenig an Hollywood erinnern. Auf die Frage, warum der Film unbedingt auf Island spielen musste, antwortet der geborene Isländer Kormákur: „(…) nur in Island kann sie so wunderbar klaustrophobisch sein.“ Damit sich einem diese spezielle Stimmung wirklich erschließt, sollte man den Film allerdings unbedingt im Original (mit Untertiteln) ansehen. Schon der deutsche Trailer vermittelt einen Eindruck davon, wie viel sonst von der Stimmung des Films verloren geht. Am Ende dieses Thrillers verlässt man das Kino mit einer Frage an sich selbst: Wie dicht ist eigentlich die zivilisatorische Decke, die wir uns umgelegt haben und wie handeln wir, wenn jemand diese Decke mit Gewalt zerschneidet?
Würden Sie für ihre Familie, für ihr Kind töten?
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