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„Ich muss sie erfinden, die moderne Kunst!“ – Picasso und die Bohème am Montmartre

Tod, Sex, Opium und ein Esel im Flur. Als junger Künstler führte Pablo Picasso ein bewegtes Leben. Julie Birmant und Clément Oubrerie widmen sich in ihrer Graphic Novel „Pablo“ dessen Pariser Anfangsjahren. Kontrastreich und aus feministischer Perspektive.


Sein gewaltiges Gesamtwerk hat deutliche Spuren in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Nicht zu Unrecht gilt Pablo Picasso als Symbol der Klassischen Moderne. Zu Beginn seiner internationalen Karriere war das kaum zu erwarten. „Sicher, Picasso ist ein Genie, aber auch wenn ich so viel Opium rauche wie er, ich verstehe seine Malerei einfach nicht.“ Diese Bemerkung, die die Autor٭innen dem jungen deutschen Maler Karl-Heinz Wiegels im Jahr 1908 zuschreiben, lässt Picassos steinigen Weg zu Anerkennung und Ruhm erahnen.

Wiegels, der sich im Umfeld Picassos bewegte und heute nahezu vergessen ist, nahm sich nach erheblichem Drogenkonsum noch im selben Jahr das Leben. Dieses Schicksal blieb dem jungen Spanier, vermutlich auch durch diese Tragödie bedingt, glücklicherweise erspart. Seine Vorliebe für geisteserweiternde Mittel schränkte er in der Folge ein. Begreifbar war seine Kunst dennoch vielen Menschen zunächst nicht.

Konglomerat der Superstars

Im Jahr 1900 kam Pablo Picasso – talentiert, aber relativ erfolglos – anlässlich der Weltausstellung in die Stadt, die ihm das Tor zur Weltkarriere öffnete und ihm zugleich viel Schmerz zufügte. Mit ihm nach Paris kam sein enger Freund Carlos Casagemas, der sich nicht viel später aus Impotenz und Liebeskummer eine Kugel in den Kopf schoss. Ein großer Schock für den damals 19-Jährigen, den Picasso in seinen Gemälden verarbeitete und der die Blaue Periode initiierte.

In ärmlichen Verhältnissen lebend und sich in Liebesaffären stürzend machte er die Bekanntschaft zahlreicher Vertreter der damaligen Pariser Bohème, die sich aus Schriftstellern, Malern, Galeristen und Mäzenen zusammensetzte. Persönlichkeiten wie Max Jacob und Guillaume Apollinaire wurden zu seinen Bewunderern und Freunden und der Verleger Ambroise Vollard setzte sich mit seinen Kontakten für Picasso ein. Sehr bald wurden Gertrude und Leo Stein auf ihn aufmerksam und sorgten letztendlich für ein rapides Ansteigen seines Bekanntheitsgrades. Auf diese Weise näherte er sich der etablierten Avantgarde, zu der auch die Fauvisten André Derain und Henri Matisse gehören und zu der er anfangs ein ambivalentes Verhältnis aus Bewunderung und Verachtung hegte.

Bis zu seinem Durchbruch, der ihm schließlich 1907 mit dem damals skandalträchtigen Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon“ gelang und mit dem Kubismus (gemeinsam mit Georges Braque) nicht weniger als eine neue Stilepoche begründete, waren Picassos Lebensverhältnisse stets spärlich und von Selbstzweifeln geprägt. Das verfallene Haus Bateau-Lavoir auf dem Montmartre, in dem Picasso etwa fünf Jahre lebte und arbeitete, wurde später – auch durch das Bankett für Henri Rousseau – zum Inbegriff der Pariser Kunstszene.

Bunte Gestalten

Dieser fundamental prägenden Lebensphase Picassos wenden sich die Comicautor٭innen Birmant und Oubrerie mit ihren Zeichnungen und Texten zu. Handwerklich greifen sie dabei auf die klassischen Werkzeuge der Graphic Novel zurück. Ein im Ansatz naiver Zeichenstil verbindet sich mit variantenreicher Farbgebung und Motivwahl, die sich an die jeweilige Schaffensphase Picassos anpassen. Die Protagonist٭innen und Nebendarsteller٭innen präsentieren sich zu einem erheblichen Teil als äußerst eigenwillige, aber auch humorvolle Gestalten, deren Charakterzüge überzeichnet und somit herausgestellt werden.

Bizarre Szenen, wie der im Hausflur stehende (übrigens historische) Esel des Kabarettbetreibers Frédéric Gérard, fügen sich nahtlos ein. Das sich wiederholende Rufen von Parolen à la „Nieder mit den Fauvisten! Es lebe der Kubismus!“ kommt zwar pathetisch daher, da sie erst aus der Retrospektive und kaum zeitgenössisch Sinn ergeben. Andererseits gesellen sie sich zu den selbstbewussten Formulierungen der damaligen Avantgarde. Die Darstellung von Überhöhungen und Lächerlichkeiten sind nun einmal ein legitimes und weithin verbreitetes Mittel dieser literarischen Gattung.

Muse der Emanzipation

Die eigentliche Leistung von „Pablo“ liegt jedoch in der erzählerischen Perspektive. Die Jahre 1900 bis 1908 in Pablo Picassos Leben werden nicht etwa aus dessen Sicht beschrieben, sondern aus dem Blickwinkel Fernande Oliviers, gemeinhin als Muse des Künstlers bezeichnet und über mehrere Jahre mit diesem liiert. Ihr Leben bildet den Rahmen der Erzählung und legt somit Zeugnis von Emanzipation und Selbstbehauptung ab.

Olivier, zunächst zwangsverheiratet und unter den Misshandlungen ihres Ehemanns leidend, floh nach Paris, um ein lebenswerteres Umfeld zu suchen. Dieses fand sie, trotz der widrigen und teils prekären Umstände, im Umfeld der künstlerischen Avantgarde. Jene wiederum entlarvt sich ungeachtet ihres vermeintlich weltoffenen und progressiven Charakters als chauvinistisches Terrain, in dem Frauen zwar oberflächlich mehr Respekt entgegengebracht wird, in den Augen ihrer männlichen Zeitgenossen meist aber nicht über eine dekorative und luststillende Funktion hinauskommen. Olivier gelingt es gelegentlich, aus diesen Strukturen auszubrechen und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, auch wenn es sie am Ende zum selbstbezogenen Picasso zurücktreibt.

Durch diese narrative Methode öffnen Birmant und Oubrerie einen dezent feministischen Blick auf die Szene. Wenn bedacht wird, dass das Bild der Kunstgeschichte bis in das 21. Jahrhundert hinein allen voran von männlichen Akteuren bestimmt wird und Vertreterinnen der Bildenden Künste im allerbesten Fall nebenläufig Beachtung finden, ist dies erwähnenswert. Nicht zuletzt dieser Ansatz macht die Lektüre von „Pablo“ zu einer unterhaltsamen, aber eben auch instruktiven Erfahrung.

Die Gesamtausgabe „Pablo“ ist jetzt bei Reprodukt erschienen und hat 352 Seiten.

Titelbild: © Moritz Bouws

Osteoblast. Jeff Smiths „Bone – Flucht aus Boneville“

Den Comics von Jeff Smith fehlt es nicht an vielem. Ein kleiner Einwand aber bleibt nach der Lektüre von „Bone – Flucht aus Boneville“.


Die Abenteuer von Bone lesen sich wie ein Zeichentrickfilm – eine entsprechende Animationsvariante ist in Planung. Das Besondere an Bone scheint die Kombination aus Disney-artigen Cartoon-Protagonisten und epischer Fantasy-Monster-Good/Evil-Action zu sein. Man taucht in eine fabelhafte Welt ein, die meistens unschuldig, albern, gewitzt ist – und manchmal unheimlich. Am Ende des ersten Bandes gibt es einen Cliffhanger, der eindeutig darauf hinweist, dass die Geschichte um Bone, der eigentlich viel zu weich aussieht, um „Knochen“ zu heißen, noch lange nicht abgeschlossen ist.

Der stets geldgeilgiergetriebene Göchtegernganove Phoncible B. „Phoney“ Bone wird aus Boneville verjagt, weil er schon wieder was Unverschämtes angestellt hat bei seiner ständigen Jagd nach Profit. Seine beiden ungleich sympathischeren Freunde Smiley Bone und Fone Bone – der eigentliche Protagonist dieser unterhaltsamen Comicreihe für Kinder und Jugendliche – begleiten Phoney (= verlogen, unecht), weil sie nun mal trotz seiner charakterlichen Makel zu ihm stehen. Doch auf der Flucht verlieren sich die drei aus den Augen. Fone lernt in einem mittelalterlich-mysteriösen Tal die schöne Thorn und ihre herrlich rüstige, da offenbar mit Popeye-Genen (vgl. Kinnstruktur) ausgestattete Großmutter Ben kennen, die offenbar eine gemeinsame Geschichte mit dem netten Roten Drachen hat, der Fone und den Rest der guten Bande regelmäßig vor den Übergriffen der Rattenmonsterschergen beschützt, die ihrerseits über leuchtend rote Augen und insgesamt ein ästhetisch sehr ansprechendes Gruseläußeres verfügen.

Das Einzige, was man kritisieren könnte, zumindest an diesem ersten Band der fast 1.400 Seiten starken Gesamtausgabe, ist vielleicht der Umstand, dass Smith seine Welt eine Idee zu nett ausgestaltet hat; ein paar schrägere Ecken und schroffere Kanten hätten dem Werk – und dieser Einwand lässt sich auf sehr viele Bücher, und natürlich nicht nur Bücher, anwenden – gutgetan.

Titelbild: Jeff Bone (1991), © Corey Bond/Commons Wikimedia

Volle Nasenkraft voraus! Martin Rowsons Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman

Es lebte einmal ein Schriftsteller, der war nicht ungenial. Sein Name war Laurence Sterne. Larry, wie er von Rowson liebevoll genannt wird, schrieb mal einen komischen Roman, der hieß „The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman“. Und dieser Roman nahm die Postmoderne in etwa genauso vorweg, wie vielleicht Giuseppe Arcimboldo mit seinen „verrückten Früchtchen“ den Surrealismus vorweggenommen hatte. Jedenfalls gibt es jetzt den guten „Tristram“ auch als Comic – und der kann sich sehen, lesen (und vielleicht sogar riechen) lassen.


Martin Rowson, der sich offenbar auf anspruchsvolle Comics spezialisiert hat (vgl. sein auf Eliot-Engine laufendes „The Waste Land“ ), ist ein talentierter Humorist, der – britischerweise – die Säfte der Lustigkeit fließen, sprudeln und spritzen lässt. Wo ein Wortspiel fehlt, lässt der Künstler ein Bildspiel zu. Und wo das Graphische relativ straightforward erzählt, da wird dem Leser die eine oder andere Wortgewalt angetan.

Rowson selbst hält übrigens nicht viel von der ganzen zeitgenössischen Romanindustrie, wie man hier nachlesen kann; daher ist es verständlich, dass er sich von einem der wenigen echten Anti-Romane hat inspirieren lassen.

Tristram Shandy führt hier eine Gruppe interessierter Besucher buchstäblich durch die Kapitel seines Lebens, wobei immer wieder das eine oder andere sinnfreie Intermezzo zwischengeschoben wird. Der Sterne’sche Narrationskniff, der dafür sorgt, dass Tristram in seiner Autobiographie nur mit größten Schwierigkeiten über den Moment der Geburt hinauskommt, dürfte berüchtigt genug sein. Rowson ist dies (und jenes) Anlass genug, um unaufdringlich draufloszuexperimentieren: So albert er gern mit Metadiegese, indem er offenbar ganz en passant sich selbst und seinen Hund ins Spiel bringt, spricht den lieben Leser dekonstruktivitzigerweise mit „Derrida“ an und nimmt nebenbei Oliver Stone auf die Schippe, indem er diesem einen Streifen namens „Tristram Shandy – Von Namur einmal zur Hölle und zurück“ (Starring Robert De Niro, Tom Cruise … und Meryl Streep als Trim) in die Filmographie hineinparodiert.

Rowsons satirischer Zeichenstil ist detailliert, jederzeit derb-komisch, hangelt sich ungehemmt-unverschämt zwischen diversen Pythonesken entlang, dabei stets einen deftigen Drall ins Nasal-Phallische offenbarend. Slapstick kommt nicht zu kurz, dazu jede Menge stylisher Humbug-Unfug, der bestimmte Zeitgenossen genauso stark abstößt, wie er andere anzieht. Und obwohl die Zeichnungen allesamt schwarz-weiß sind, hat man selten das Gefühl, dass es hier unbunt getrieben würde.

Habe ich übrigens schon erwähnt, dass Nasen eine gewaltige Rolle spielen in diesem pantagruelisch überbordenden Schelm von einem Comic? Jedenfalls eine sehr empfehlenswerte, da eigenartige Interpretation!

Kafka, die Popikone

Als geheimnisvolle Ikone hat inzwischen auch die Popkultur das Potenzial des Prager Dichters Franz Kafka für sich erkannt und verwertet ihn vielfach. Das scheint Kafka einerseits hipper und einem breiten Publikum zugänglich zu machen, aber vereinfachen und entpolitisieren Popkulturen nicht sein Werk?


Was war Ihr Kafka-Moment, als Sie das erste Mal auf den Schriftsteller Franz Kafka stießen? Jeder Fan erinnert sich noch an das erste Mal. Bei mir war es „In der Strafkolonie“ bei einem Deutschlehrer, der den Prager Autor sozialistisch auslegen wollte. Ich war sofort süchtig nach seinen parabolischen Chiffretexten. Kafka ist eine Kultfigur, ein Schriftsteller des Grotesken, des Resignativen. Als geheimnisvolle Ikone hat auch die Popkultur sein Potenzial erkannt und verwertet ihn inzwischen auf breiter Basis. Den Kafka-Biographen Rainer Stach überrascht diese Beliebtheit nicht. Die Figuren Kafkas seien leicht erkennbar, bildeten ein charakteristisches Bildarsenal, das als Werbelogo taugen würde, und sie seien durch ihre Rätselhaftigkeit faszinierend. Zudem haben seine Texte eine Schockwirkung, die subversive popkulturelle Strömungen gerne aufgreifen. „Das wird allerdings gegenüber dem Original oft mit Verlusten an Bedeutungsdimensionen bezahlt“, sagt Stach.

Kafka in der Musik, Kafka als Comic

Etwa erfreut sich Kafka in der Popmusik einiger Beliebtheit. Die Band Blumfeld ist nach einem seiner Protagonisten benannt, und die deutsche Band Tocotronic bezieht sich in ihren Song „Stürmt das Schloss“ auf den Roman „Das Schloß“. Doch hier zeigt sich, dass die Resignation und der kafkaeske Wille des Individuums, lieber zum undurchschaubaren Kreis der Schlossbewohner zu gehören, zugunsten rebellischer Appelle aufgegeben werden. Kafka, so ein Tagebucheintrag von ihm, wollte lieber innerhalb eines Systems unterdrückt werden, als in einer einschließenden Ausschließung davorzustehen. Vielleicht bietet er sich auch deswegen für subversive Popkulturen an: Sie kritisieren auch die Gesellschaft, degenerieren aber oft von Kult- zu Werbeikonen oder werden gar zu kapitalistischen Unternehmern, bleiben also systemimmanent, ohne das Paradox jedoch, wie der verzweifelte Kafka, offenzulegen.

Näher an der Literatur sind Comics. Besonders der Knesebeck Verlag veröffentlicht viele Comic-Adaptionen des Kafkaschen Œuvres, wie „Der Proceß“, „Das Schloß“, „In der Strafkolonie“ oder „Die Verwandlung“. Ihr Lektor Marc Schmidt erklärt, warum: „Kafkas Texte evozieren Bilder und Ideen, die eine große Inspiration für Zeichner sind.“ Seine Stücke seien schwer und dunkel, ein Comic biete einer breiten Leserschaft einen leichteren Zugang. „Und Fans können das jeweilige Werk mit einem neuen Blickwinkel lesen.“

David Zane Mairowitz hat die Texte zu einigen der Graphic Novels zusammengestellt. Ihm zufolge biete sich Kafka durch seine bildhafte Sprache für eine Adaption an. „Ein Mann wacht auf und entdeckt, dass er sich über Nacht in ein Ungeziefer verwandelt hat. Ist das nicht schon ein Comic?“, fragt er. Aber auch er gibt zu, dass durch Adaptionen der Inhalt verändert werde. So lässt er den „Proceß“, anders als den Roman, an konkreten Orten in Prag spielen, und die Zeichnerin Chantal Montellier lässt den Protagonisten Joseph K. wie Kafka aussehen, was eine eher autobiographische Interpretation nahelegt. Neben den Kürzungen im Originaltext fließen auch mal Anglizismen ein, oder es werden durch zusätzliche Kommentare der Protagonisten Deutungen aufgedrängt, wo Kafka offen bleibt. „Die Comics haben nicht die Tiefe der Schriften und können sie nie imitieren“, räumt Mairowitz ein.

Er war auch der Kurator einer Wanderausstellung zu Kafka im Comic, die den Schriftsteller als Humoristen zeigen soll und damit die Vielschichtigkeit, des sonst immer so düster interpretieren Kafkas unterstreicht. „K: KafKa in KomiKs“ hieß die inzwischen beendete Ausstellung.

Jaromir 99 hat die Zeichnungen für den Comic „Das Schloß“ angefertigt. Seine Zeichnungen sind düster, kantig, grotesk und vieldeutig. Er sieht kein Problem in einer solchen popkulturellen Übertragung. „Die Ambiguität von Kafkas Werk ist ein reicher Fundus für alle Sorten von Adaptionen“, sagt Jaromir 99, „man kann kaum falsch liegen, wenn die Interpretationsmöglichkeiten so breit sind“. Die Literatur Kafkas könne qualitativ dabei nicht erreicht werden, aber im Comic kann, so glaubt er tatsächlich, die Atmosphäre plastischer geschildert werden. Atmosphäre statt literarischer Brillanz?

Im Kafkatheater

Teilweise anders als bei Comics oder Musik verhält es sich aber bei Theateradaptionen. So hat der Regisseur Jan Philipp Gloger am Hessischen Staatstheater Wiesbaden in dieser Spielzeit mit dem Stück „Kafka/Heimkehr“ eine Collage aus Kafkatexten kreiert und mit drei Kafkadarstellern und einem Vaterdarsteller vielgefeiert auf die Bühne gebracht. Zwar liegt damit der Fokus auch auf den autobiographischen Vater-Sohn-Konflikt, dennoch finden darüber hinaus auch ausdrucksstarke Mechanismen der Unterdrückung, Bedrohliches und die Minderwertigkeitskomplexe der Protagonisten ihren Platz. Das wird durch ein surreales Bühnenbild unterstrichen, in dem eine altmodische Wohnungseinrichtung mit einem Stuhlberg kombiniert wird, der beispielsweise als Bau, aus der gleichnamigen Erzählung, fungiert.

Für den niederländischen Regisseur Jakob Ahlbom sind die Unterdrückung und das Anderssein die Hauptaspekte in Kafkas Werk. Irgendetwas an einem ist anders, und schon folgen Exklusion und Unterdrückung, ob nun durch staatlich-bürokratische, sozial-familiäre oder metaphysische Instanzen. So hat er Kafka auch in seiner Proceß-Inszenierung im Staatstheater Mainz in der vergangenen Spielzeit adaptiert. Hier wird Joseph K., der aus unerfindlichen Gründen angeklagt wird, der Andere, der aus einem System blonder, maskierter, gleich aussehender und in einem totalitären System agierender Subjekte optisch hervorsticht, indem er dunkle Haare bekommt und als einziger keine Maske trägt. „K. wird angeklagt und steht damit außerhalb einer vermeintlichen harmonischen Gesellschaft, die sich selbst wiederholt“, erklärt Ahlbom seinen Ansatz. Leider kürzt er den Text stark, besetzt neun Schauspieler mit 20 Rollen und bringt den Roman in knapp zwei Stunden durch.

Vielleicht sei dies zu vereinfachend, gibt auch Ahlbom zu, wobei sein Fokus auf den Problemen sozialer zwischenmenschlicher Beziehungen liege. Er glaubt, indem man ein Buch adaptiere, zumal wenn es ein so spannendes sei, könne man neue, wenn auch eingeschränkte Blickwinkel auf den Roman eröffnen, und zwar für ein breiteres Publikum.

Wiedergeburt als Ikone

Kafka, der zu Lebzeiten nur einen sehr kleinen Kreis an Lesern hatte, ist heute so eine präsente Figur, dass er auf verschiedenste Arten ein solches breites Publikum erreicht und zu ungeahnter Popularität kommt. Denn Kafka erfüllt in seinem Werk voll und ganz den eigenen Anspruch an ein Buch, nämlich, dass es als Axt fungieren müsse, für das gefrorene Meer im Inneren des Lesers. Was ihm gelingt, funktioniert bei popkulturellen, vereinfachten Adaptionen aber nicht ganz: Manche, wie Gloger oder Ahlbom, haben seine Werke teils aufrüttelnd im Theater adaptiert, ohne zu konkret zu werden und die Vieldeutigkeit Kafkas zu reduzieren, was bei Comic oder Film, sind sie zu detailliert oder abgewandelt, nicht mehr funktioniert. Die Popmusik versucht ihn eher zu instrumentalisieren, etwa als mythisch-ikonischen Rebell.

Daraus ergibt sich eine kulturkritische Dialektik. Zum einen ist es immer begrüßenswert, wenn ein breites Publikum zu Franz Kafka findet, und dadurch Zugänge zu schwieriger Literatur über Repression und Exklusion geschaffen werden. Zum anderen wird man aber dem Literaturkomplex Kafkas kaum gerecht, wenn man ihn kulturindustriell zur Pop- oder gar Werbeikone stilisiert, um ihn zu instrumentalisieren oder leichter verdaulich zu machen und ihn damit auf wenige Aspekte reduziert: etwa indem man das Politische zugunsten des besonders beliebten (weil von der Interpretation her am einfachsten) Autobiographischen auslässt oder das Judentum in seinem Werk zugunsten seiner Rechtskritik ignoriert. Denn all diese Aspekte kulminieren bei Kafkas Texten nahezu gleichberechtigt.

 

Titelbild: © Knesebeck Verlag

Moebius: „Arzak der Raumvermesser“ – Moebius der Arzak-Verwässrer?

moebius azrak der raumvermesser

Normalerweise ist die Rezension eines Moebius-Bandes immer eine willkommene Herausforderung, die unter anderem darin besteht, neue, bisher unbenutzt gebliebene Superlative zu finden, um mit ihrer Hilfe das Genie des Franzôsen angemessen zu würdigen.
Hier muss allerdings auch eine kritische Stimme losgeworden werden: Sind wir, die Moebius-Verehrer und Arzak-Fans der ersten Stunde, wirklich bereichert, wenn jene grandiosen, von unausgesprochenen, da tendenziell unaussprechlichen Mythen und Ataraxien ausgekleideten Leerstellen des Originals nun plötzlich zahlreiche Konkretisierungen erfahren? Tut es der seraphischen Seltsamkeit Arzaks wirklich gut, dass er nicht länger in wortloser Pracht nonverbale Panoramen auf seinem Flieger aus Fleisch und BluTech durchstreift und dabei in delphische Begegnungen und Aktionen weit jenseits unserer 9-to-5-Normalnullität verwickelt ist?

Endlich weiß man, was sein Flugsaurier ist – ein Pterodelphus. Und dass es sich um ein bionisches, übrigens einer deformierten Ente mit inadäquaten Flügeln nicht unähnliches Viech handelt. Und Arzak, der einsame Geometer (?), hat die Funktion eines Gendarms auf der kargen Wüstenwelt Tassili inne, wobei die Betonung mehr auf Gen-etik denn Peristaltik zu legen wäre. Er ist eine Art Elite-Kämpfer auf Gesetzeshütermission – daher auch sein wunderbarer (Gesetzes-)Hut.

Kern des Plots dieses Nachfolgers von Moebius’ 1975er (in vollstem Sinnumfang des Wortes) Kult-Klassiker „ARZACH“ ist eine von Rassismus heimgesuchte ferne Gesellschaftsform, der weder utopische Technotechnik noch dystopische Primoprimitivität fremd zu sein scheint und in der die reptilienartige Spezies der Werg für untermenschlich befunden und gejagt wird. Werg-Schädel machen dabei als wertvolle Trophäen die Runde, und Arzak will in seinem Gerechtigkeitsstreben den faschistoiden Machenschaften unbedingt ein Ende setzen.

Thaumaturg Giraud schenkt uns zum Abschied eine durch und durch anständige, auf sympathische Weise trashige SF mit politischen Untertönen, pulpösen Jargon-Kaskaden (Hyperraumlöcher, Zentralisatoren, Azaping-Systeme, Xanedrinjunkies etc.) und artifiziell-artistischen Namensgebungen (Xing Wang Xu, Werga, Kimorg Barbax, und nicht zuletzt: Ark der Einzige – der letzte Techno-Schamane des Werg-Imperiums), die aber im Gegensatz zum rein bildhaften Ursprungsmaterial eine Art Profanierung, Desublimierung, Verweltlichung und schließlich Entmöglichung darstellt, die einen, wenn auch minimalen, Enttäuschungsstrich durch die Rechnung des tief geneigten Kritikers zu ziehen imstande ist. Die Kraft des Ungesagten, Unbeschriebenen, Unerhörten ist doch – so banal, so wahr – nach wie vor nicht zu unterschätzen. Ein bisschen könnte Moebius seinem eigenen Werk Magiepunkte abzogen haben, indem er es in einen normalen, logischen, narrativen, sprich: sprachlichen Kontext eingepfercht hat. Aber hey, Schmollitäten beiseite: Hier wirkt immer noch kein Geringerer als der Genius Moebii!

In einem autobiographischen Nachwort erklärt Giraud, dass „Arzak leben wollte“. Und so lässt er seinen Sonderliebling in, wie zu erwarten, chromo- und xenophilen Illustrationen Sprech blasen und Narrations- & Interaktionskomplexe ondulieren. Natürlich muss man dem Wunsch des Meisters, eine Geschichte nicht nur in Bild-, sondern auch Worttaten greifbarer Charaktere erzählen zu wollen, mit Respekt begegnen. Dennoch ist das Resultat, wenn man mit ehrlicher Kritik herangeht, zwiespältig, denn die unfassbaren Arzak-Welten von einst werden durch mehr oder minder ausgenudelte Topoi unterminiert-torpediert. Heraus kommt etwas Gutes, dem insgesamt jedoch ein gewisser Genieblock anhaftet … Es stellt sich nun mal die Frage nach der Kongenialität zwischen Sprach- und Bildebene, wobei letztere ja für sich allein genommen ikonisch ist. So ist die gebotene Story per se semi-originelle Standard-Phantastik mit Seltsamkeitseinlagen. Die Ultra-Eskapismus befördernde Mise en Scène aber ist nach wie von Aurum umkrönt: Paradiesische Hirne erfahren eidetische Aufrollung und RegenboGenHäute der RaumzeiT sprengen jedwede Vorstellungskraft …

Schwarz und schwärzer, Loch und Löcher

In Black Hole entführt Charles Burns uns in eine bizarr sexualisierte Endzeitwelt und portraitiert eine Jugendkultur, die in die Geschichte einging.

von Sarah Kassem und Daniel Ableev


Der Inhalt von „Black Hole“ ist schnell zusammengefasst: ein Vorort von Seattle, die 1970er, eine Schule. Eine Epidemie bricht unter den Schülern aus, der „Bazillus“, welcher anscheinend sexuell übertragbar und nicht kurierbar ist. Symptome der Krankheit sind divers: Einigen wachsen Schwänze, andere bekommen Geschwüre oder leiden an totaler Deformation. Die kranken Schüler verstecken sich im Wald und klinken sich aus der Zivilisation aus.

Zu den Hauptcharakteren zählt Chris, eine schöne Schülerin, in die diverse männliche Mitschüler verliebt sind. Rob hat anscheinend Chris mit dem Bazillus angesteckt, jedoch bleiben die beiden zusammen, weil sie sich lieben. So nimmt die Geschichte ihren Lauf: Es geht um das Verhältnis von Chris zu Rob, Keith, Dave und anderen Mitschülern, um die Krankheitsproblematik, die Flucht von zu Hause, Alkohol- und Drogenmissbrauch, seltsame Halluzinationen – bis schließlich diverse Handlungsstränge in ein offenes Ende münden.

Als Erstes fällt der brillante Zeichenstil auf – ein laserscharfer Duktus mit einem Retro-Hauch von Pop-Art. Ultrapräzis konturierte Zeichnungen in geschmackvoll-groteskem S/W, wobei die Farbe Schwarz eindeutig dominiert, sind für das Verhängnisvolle von „Black Hole“ wie geschaffen und machen den Alptraum geradezu haptisch erfahrbar. Der von Sexuellem aller (Ab-)Art durchsetzte Bildroman – Vaginas, Brüste, Penisse und Rückseiten kommen massenhaft vor, besonders der weibliche Schambereich ist überrepräsentiert; Wunden, Wolken, Münder, Risse, Äste … irgendwann ist das Auge so darauf trainiert, dass man überall Vaginales zu erkennen glaubt – liest sich extrem spannend, denn Charles Burns ist etwas äußerst Atmosphärisches geglückt. Böse, phantasmagorische, also bleibende Eindrücke sind fast auf jeder Seite zu finden.

Das Schwarze Loch ist als kosmologisches Perversitätskonzept für knallharte Horrormetaphorik natürlich perfekt geeignet. In der Tat braucht man nicht viel mehr als die Farbe Schwarz, die für das unaussprechliche, wabernde Nichts steht, und ein Loch, welches jene Art von unsanftem Übergang zwischen Bekannt und Fremd, Natürlich und Widernatürlich repräsentiert, der hier plötzlich für das Highschool-Leben der Protagonisten relevant wird.

Dunkelheit regiert und kommt in wenigen Farben, aber vielen Formen zum Tragen. Dem Leser begegnen zahllose Anomalien: Rob entwickelt eine Art Vagina am Hals, die geheime Botschaften flüstert, Chris zieht sich mit einem Zug die Haut ab. Es gibt auch hin und wieder Tentakelhorror, was natürlich immer nur ein Plus sein kann. Die Handlung ist zuweilen etwas verwirrend, aber das Feeling des Bösen, das den Seiten dieses Buches innewohnt, ist sehr stark und unheimlich. Und in all diesem Wahnsinn gibt es dennoch Raum für Liebe und Romantik.

Das Buch, welches übrigens ein Cameo im Affenzirkus „Dawn of the Planet of the Apes“ (2014) hat, ist sehr groß, schwer und mächtig – Leserillen im Buchrücken sind unausweichlich. Trotzdem hat man „Black Hole“ in wenigen Stunden gelesen, denn es besteht nur zu circa zwanzig Prozent aus Text, der Rest sind überwältigende, teilweise mehrseitige Bilder. So auch der elegante Schluss: ein viereinhalb Seiten umfassendes Sternenhimmelpanorama, das ins Zentrum der Galaxie, Heimatland der Schwarzen Löcher, hineinzuzoomen scheint.

Doch was ist nun eigentlich dieser „Bazillus“? Eine Metapher für die Pubertät? Oder eine Generation-X-Story: die degenerierte Jugend mit ihrer Selbstzerstörung und ihren Selbstzweifeln? Ist es eine Coming-of-Age-Geschichte mit Horrorelementen oder eine Erwachsenen-Geschichte, betrachtet durch das Spiegelbild der Jugend? Was hat es mit den „Blair Witch Project“-artigen Figürchen im Wald auf sich, wo die deformierten Schüler hausen? Was bedeutet die Selbsthäutung, die bei Chris stattfindet? Und das Schwarze Loch: Ist es der Sog der Sexualität, der Drogen und des Alkohols, etwas Übernatürliches, Aliens, oder doch – aufgrund der zahlreichen Symbole – die Vagina per se(x)?

Die Widmung in „Black Hole“ ist übrigens eine Aneinanderreihung von vielen Vornamen, die womöglich Burns’ ehemaligen Mitschülern gehören. In einer Art Prolog-Gimmick sieht man nämlich verschiedene Jahrbuchbilder, die am Ende des Buches eine Reprise erfahren, jedoch in Post-Bazillusinfektions-Optik.

Fazit: ein optisch opulenter und berauschender Comic, hocherotisch und mit groteskem Horror übersät: Bestnote.

PS: Der Name Burns kommt einem bekannt vor, und tatsächlich: nach einiger Recherche findet man heraus, dass Matt Groening mit Burns in der Highschool für dieselbe Schülerzeitung tätig war und sich bei der Namensgebung seiner „Simpsons“-Figur Mr. Burns inspirieren ließ.

Titelbild: © Reprodukt/Charles Burns

Eine Erinnerung an zu Erinnernde – Paco Roca: Die Heimatlosen

Der Comicautor Paco Roca erzählt die Geschichte eines Freiheitskämpfers. Was macht dieses Werk so wertvoll?



„Jede Generation hat ihre eigenen Kämpfe und sie waren mit dem Moment konfrontiert, in dem man mit Waffengewalt gegen den Faschismus kämpfen musste. Vielleicht liegt es heute in unseren Händen, das zu verteidigen, was sie erreichten, eine gewisse Form des Lebens, die wir bisweilen zu verlieren drohen.“

Paco Roca

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährte sich vor wenigen Monaten bereits zum siebzigsten Mal. Dies bedeutet, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Möglichkeit erlischt, das Geschehene und Erlebte auf Grundlage von Zeitzeugenberichten festzuhalten. Dem spanischen Comicautor Paco Roca ist das bewusst und er präsentiert mit seiner 2015 im Reprodukt Verlag erschienenen Graphic Novel Die Heimatlosen (sp. Los surcos del azar) ein lesenswertes Werk, das heute fast vergessenen Akteuren im Kampf gegen den europäischen Faschismus zu neuer Anerkennung verhilft.

Zu Beginn der Handlung ist es Roca selbst, der den nun im französischen Exil alleine und zurückgezogen lebenden Bürgerkriegs- und Weltkriegsveteranen Miguel Ruiz aufsucht, um dessen Geschichte in Erfahrung zu bringen und dokumentieren zu können. Der kauzig wirkende alte Herr begegnet diesem Vorhaben zunächst mit Ablehnung und Wortkargheit.

Paco Roca Die Heimatlosen S. 31

© Reprodukt/Paco Roca

Als er jedoch erkennt, dass es dem Autoren ein ernstes Anliegen ist und dieser sich aufrichtig für dessen Vergangenheit interessiert, lässt er sich schließlich darauf ein. Somit wird dem Leser die bewegte Geschichte eines ehemaligen spanischen Soldaten dargeboten, der als Republikaner nach dem Sieg der faschistischen Franquisten im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) seine Heimat verlor und fortan von Idealismus getrieben einen nicht unerheblichen Teil dazu beitrug, dass Europa weitestgehend vom nationalsozialistischen Deutschland befreit werden konnte. Ruiz steht hier stellvertretend für eine beachtenswerte Zahl von Spaniern, die sich nach der Flucht vor Francos Repression trotz des schlechten Umgangs in den französischen Auffanglagern der Résistance anschlossen und 1944 wesentlich an der Befreiung von Paris beteiligt waren.

Die Erzählperspektive bewegt sich im Laufe der Handlung zwischen der Gegenwart, in der Paco Roca den alten Ruiz interviewt und darüber hinaus im recht schlichten Alltag begleitet, und der Vergangenheit, die auf dem von Ruiz Berichteten basieren. Dieses Stilmittel ist gewiss nicht neuartig. In diesem Zusammenhang und in Bezug auf die Thematik im Allgemeinen fällt die Ähnlichkeit zu Javier Cercas‘ erfolgreichem Roman Soldados de Salamina auf, der 2003 verfilmt wurde und von einem Journalisten (Buch) bzw. einer Journalistin (Film) handelt, der/die sich ebenfalls auf die Suche nach einem vermeintlichen Helden des Spanischen Bürgerkriegs macht und schließlich in Frankreich fündig wird.

Insofern hat Paco Roca mit Die Heimatlosen sicherlich das Rad nicht neu erfunden. Dennoch sind ihm einige Aspekte hoch anzurechnen. Zum einen greift er in eindrucksvoller Weise auf das zumindest in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zur Auseinandersetzung mit historischer Thematik immer noch unkonventionell erscheinendem Genre des Comics zurück, auch wenn Künstler wie Art Spiegelman oder Joe Sacco in dieser Hinsicht bereits Pionierarbeit leisteten. Dass Roca in diesem Fall geradezu ein – wenn auch teils fiktives – Paradebeispiel von Oral History liefert, macht die Lektüre umso spannender. Trotz der dramatischen und bedrückenden Ereignisse sorgt beispielsweise die kapriziöse Erscheinung des alten Ruiz immer wieder für humoristische Situationen.

Paco Roca Die Heimatlosen S. 126

© Reprodukt/Paco Roca

Des Weiteren wagt sich Paco Roca an eine Materie, die in seinem Heimatland pikant anmutet. Denn der spanische Erinnerungsdiskurs ist nach wie vor von Emotionalität und Polarität geprägt. Grund dafür sind die fast 40 Jahre währende Militärdiktatur Francos, die nur die Version der Siegerseite zuließ und der anschließende, gelinde gesagt, vorsichtige Umgang mit der Aufarbeitung der nationalen Vergangenheit. Roca behandelt das Geschehene aus der Perspektive der antifaschistischen Freiheitskämpfer, die sich dem vergeblichen Aufbäumen gegen die Franquisten anschlossen und daraufhin für den Rest ihres noch jungen Lebens die Heimat verloren. Dennoch ist eine unkritische Glorifizierung und Heroisierung der Protagonisten nicht zu erkennen. Der Autor verzichtet gänzlich auf Euphemismen und stellt die Ereignisse schonungslos dar.

Paco Roca Die Heimatlosen S. 227Paco Roca Die Heimatlosen S. 228

© Reprodukt/Paco Roca

So räumt auch der alte Ruiz ein, dass er Taten begangen habe, die er heute bereue.

Paco Roca Die Heimatlosen S. 229

© Reprodukt/Paco Roca

Paco Roca muss zugestanden werden, dass er mit Die Heimatlosen ein Werk geschaffen hat, das trotz der alltäglichen Konfrontation mit den Ereignissen in den 1930er und 1940er Jahren spannend und unterhaltsam bleibt. Die äußerst menschlich dargestellte Erzählung leistet einen wichtigen Beitrag für Verständigung und Geschichtsverständnis. Der zentrale Wert dieser Graphic Novel liegt aber darin, dass sie die Geschichte einer Gruppe von Menschen beleuchtet, die wahrscheinlich bis heute nicht die Anerkennung erhalten hat, die sie verdient und droht, dem Vergessen anheimzufallen.

Lassen wir somit abschließend den alten Ruiz das Fazit ziehen:

Paco Roca Die Heimatlosen S. 320

© Reprodukt/Paco Roca