Sommerfrauen Winterfrauen könnte ein sphärisches Jugendstil-Gemälde sein, das allegorisch von den vier Jahreszeiten schwärmt. Chris Kraus lässt jedoch eine ganz andere Geschichte erzählen, die eigentlich gar nichts mit dekorativer Malerei gemein hat. Wer dieses Buch aufschlägt, öffnet auch ein Tagebuch, das von den Irren und Wirren eines jungen Filmstudenten im New York der 1990er Jahre erzählt.
Schonungsloser Sex in New Yorks zwielichtigsten Ecken und am besten das jenseits biederer, heterosexueller Normen. Was für den Professor Lila von Dornbusch der einzige Weg ist, noch einen halbwegs interessantes Filmprojekt zu machen, stellt für seinen Studenten Jonas Rosen allenfalls einen letzten Ausweg dar. Ihn beschäftigen ganz andere Dinge, als er seine vierwöchige Reise nach New York antritt: Die Beziehung mit seiner Freundin Mah und die unüberschaubare US-Metropole, in der er irgendwie eine Unterkunft und Filmequipment für seine Mitstudenten und seinen idealistischen Professor organisieren soll. Zu allem Überfluss an Eindrücken ist da noch Tante Paula, die er besuchen muss: ehemaliges Kindermädchen seines Vaters, Auschwitz-Überlebende.
Chris Kraus erzählt ungezwungen von den Zwängen der Kunst und dem Leben, mit denen sich seine Protagonisten herumschlagen müssen. Jonas’ persönliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seines Großvaters wirft zwar einen schweren Schatten, zieht die Erzählung aber nicht – wie vielleicht zu erwarten wäre – in die Sackgasse des Schreckens. Dafür kreuzen sich zu viele rührende wie absurde Situationen während Jonas’ Aufenthalt in New York, der kathartische Züge annimmt.
Nahezu lakonisch dokumentiert er das ambivalente Verhältnis zu seinem unsympathischen wie mitleiderregenden Herbergsvater, in dessen Wohnung sich Fäkalien und Kunst unweigerlich die Hand reichen. Nicht zuletzt ist da noch eine junge Frau, die sein Interesse weckt und seine Beziehung zu Mah nicht unberührt lässt. Wer schließlich am Ende des Buches angelangt ist, wird feststellen müssen, dass er nicht alles erfahren hat, was er sich erhofft hat.
Würde man den Roman in eine Malerei übersetzen, wäre er wahrscheinlich eine abstrakte Farbschlacht. Ein Chaos wie jenes in Jonas’ Kopf, welcher zudem wegen eines zurückliegenden Unfalls verletzlich wie ein rohes Ei ist (Zufall?). Chris Kraus geht vor allem dahin, wo es wehtut und findet zugleich einen unaufgeregten Umgang mit der Schonungslosigkeit.