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Ann Cotten – Lyophilia

Lyophilia ist ein zähes, schwer lesbares und stellenweise ganz wunderbares Buch. Der Suhrkamp-Verlag, der die Bücher der österreicherischen Autorin verlegt, nennt es Science-Fiction auf Hegelbasis. Das meint wahrscheinlich, dass das Buch dialektisch angelegt sei. Tatsächlich besteht Lyophilia hauptsächlich aus zwei längeren Erzählungen, die sich antithetisch gegenüberstehen. In der Erzählung „Proteus“ geht es um eine Dreiecksbeziehung des Musikers Zladko zur slowenischen Politikerin Ganja und ihrem Sohn Igor. Die Geschichte ist in einer nahen Zukunft angesiedelt in der es Sex-Roboter gibt, aber die Menschen noch auf der Erde leben.


Diese Zukunft hat die bekannten Fragen und Probleme der Gegenwart zugespitzt: „Die Unruhigen übertünchen ihre krankhafte Unruhe, indem sie die Ziele ihres Strebens mit den Vorschlägen der Werbung streamlinen. Der Werbung oder ihrer Eheleute. Die können genauso wenig wie ich Ordnung schaffen und in der Sonne liegen, aber ihr Chaos und ihre Unruhe wird in Anzüge, Villen, automatische Autos oder gedankenabwesende Kinderbetreuung gespeist.“

Zladko, der Ich-Erzähler in „Proteus“ spielt Saxofon in einer Band, deren größter Hit „Lyophilia“ heißt. Das Wort bezeichnet die Gefriertrocknung und ist eine Möglichkeit Körper für die Ewigkeit zu konservieren. In der Erzählung „Proteus“ spielt dieses Prinzip kaum eine Rolle, dafür in der zweiten längeren Geschichte „Mitteilungen vom Planeten Amore [KAFUN]“. Die Protagonist٭innen leben auf einer weit entfernten Kolonie, die sie durch eine Zeitreise erreicht haben. Für diese Zeitreise wurde ihr Geist gefriergetrocknet – lyophilisiert.

Diese Erzählung ist deutlich hermetischer. Verschiedene Protagonist٭innen einer Gruppe von Siedler٭innen des Planeten Amore [KAFUN] berichten von ihrem Leben auf diesem Planeten und ihren Beziehungen untereinander. Jetzt fährt Ann Cotten das komplette Science Fiction-Arsenal auf: ferne Planeten, Zeitreisen, Klonen. Die Haupterzählerin nimmt ihren Lebenspartner „Emile“ nur im Plural wahr. Dadurch entstehen Sätze wie: „Emile rollen, bleiben auf den Rücken liegen, die Knie verlangsamt wie bei einer nachdenklichen Spinne. Er scheinen zu überlegen, ob er weiterrollen sollen oder wollen, picken sich einen Grashalm vom Pullover. Rollen plötzlich wieder los, aber fast zitternd vor Unentschiedenheit.“

Solche Einfälle machen Lyophilia zu einem interessanten Prosawerk. Frustrierend sind dagegen die zahlreichen anderen Einfällen, die sich zwischen den Zeilen andeuten. Teilweise sind sie in den begleitenden kürzeren Texten versteckt. Eine dieser Theorien ist, dass die Außerirdischen den Menschen das Sprechen beigebracht haben. Doch wahrscheinlich haben die meisten Leser٭innen frustriert von zu viel Verrätselung aufgegeben, bis sie sich diese Konstrukte erschlossen haben. Zudem konnte Ann Cotten der postmodernen Versuchung nicht widerstehen, aus Lyophilia ein Buch über das Erzählen selbst zu machen. Die Figuren in „Mitteilungen vom Planeten Amore [KAFUN]“ gründen zum Beispiel einen Literaturclub. Ob sie dort Lyophilia lesen würden, ist unwahrscheinlich. Damit entgehen ihnen einige interessante Einfälle, aber sie ersparen sich eine Menge Frust.

Coverbild: © Suhrkamp Verlag

Stinkende Straßen und der Wunsch des Vergessens

Lyrik muss nicht immer erhaben sein; Lyrik muss nicht immer romantisch sein; und vor allem muss Lyrik nicht immer schön sein. Fabian Lenthes Gedichte sind nichts davon. Sie sind verstörend, sie thematisieren Armut, Elend, Isolation und das Leben auf der Straße. 25 neue Gedichte von ihm sind jetzt in einem dünnen Bändchen erschienen, zusammen mit ebenso vielen dazugehörigen Illustrationen des Künstlers Michael Blümel. Da draußen lautet ihr gemeinsames Werk schlicht.


Lenthe legt keine fein ziselierte Wortkunst vor, wie man es vom Gros des Mainstreams der Lyrik gewohnt ist. Bei ihm geht es um materielle, rohe Umstände, die als solche dargestellt werden. Seine Gedichte sind Momentaufnahmen prekärer Lebensumstände. Mal umfassen sie nur einen Augenblick, mal sind sie eine Reflexion des lyrischen Ichs auf immer gleiche sich wiederholende frustrierende Wochen, Monate oder gar Jahre. Es sind kleine Szenen verschiedener Figuren des Unterschichten-Milieus: dem Obdachlosen, dem eine Decke fehlt, dem frustrierten Trinker in der Bar, dem Pfandflaschensammler, der doch nur ein Bier will, alle umgeben von einer düsteren, schweißtriefenden Stadt, deren Atem einen die Luft raubt. „Sie [die Stadt] stinkt aus dem Maul/ Nach Wodka und Angst/ Zwischen den Zähnen/ Verwende Träume“, wie es in einem der stets unbetitelten Texte des leider unpaginierten Büchleins heißt. Zusammen ergibt dieses Prekariat einen urbanen Organismus. Diesen prägen dieselben Motive: Das ist nicht nur der ökonomische Mangel, sondern auch Frust, Depression und Trunkenheit, meist um zu vergessen. Das Vergessen überhaupt ist das dominanteste Motiv der Gedichte. Die Protagonisten wollen dies stets, wollen verdrängen, aber können nicht vergessen, können nicht dauerhaft ignorieren, dass sie nur von einem Tag auf den anderen leben, von der Hand in den Mund, und dass dies die ständige Wiederkehr des Immergleichen ist.

Stilistisch sind die Texte in dem Band in zweierlei Hinsicht auffällig: Erstens, sind sie oft roh in der Sprache, direkt, unbarmherzig in ihren Feststellungen. Sie ergreifen den Leser sowohl analytisch als auch emotional, haben eine depressive Wirkung. Doch trotz der häufigen vulgären Schilderungen, wird das Werk selbst nicht ordinär. Zwar lebt das lyrische Ich draußen, wo sich die Ratten zwischen den Freiern streiten, wo Liebe Geld kostet, wie es in einem bittereren, dunklen Gedicht heißt. Aber die einzelnen (banalen) Bilder und Analogien entfalten in der Summe eine zu große, auch tiefgreifende Wirkung; fantastische Metaphern zeigen geheime Träume, die unerfüllt bleiben müssen; und die Melancholie ist zu erschütternd, als dass die Schilderungen so profan blieben, wie es zunächst scheinen mag.

Dennoch ist die Rohheit und Vulgarität durchaus angebracht. Geschmacklosigkeit macht das Leben aus, die Zumutungen, denen die Protagonisten ausgesetzt sind, sind häufig geschmacklos und ernüchternd – und genau dies komprimiert Lenthe in seinen Gedichten. Doch zweitens, unterscheiden sich diese neuen Gedichte von denen seines Debütbandes In den Pfützen der Stadt wächst ein Stück Himmel. Zwar geht es in beiden Büchern um recht ähnliche Topoi, und beide ergeben eine Lyrik des Prekariats. In seinen ersten Gedichten gab es jedoch in den letzten Versen meist einen kleinen Wendepunkt, einen kleinen Hoffnungsschimmer, und sei es nur durch die kurze Unterbrechung der Isolation durch liebevolle Vereinigungen, die auf eine Ablenkung (oder gar Katharsis) durch Zärtlichkeit hoffen. Diese Elemente sind aus den neueren Gedichten fast komplett verschwunden. Was bleibt, sind Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit.

Gelungen wird dies von Blümel unterstrichen. Blümel ist unter anderem bereits bekannt dafür, dass er auch während Lesungen zeichnet. Hier hat er aber etwas noch Schwierigeres unternommen: Lyrik, die wohl abstrakteste Literaturform, zu bebildern. Dennoch schafft dieser Profi es mit Bravur, jedes Gedicht zu illustrieren. Seine schwarz-weißen Zeichnungen sind oft grob, wirr und düster. Menschen und Gegenstände verwachsen miteinander, auf den Gesichtern der Straßenmenschen zeichnen sich Zorn und desillusionierte Frust ab. Oft bleiben sie selbst vage, deuten etwa bestimmte Formen und Figuren nur an. Meist braucht es einen zweiten Blick, um besser das Verschwommene, das Verworrene zu erkennen. Bezüglich der Motive erinnern die Illustrationen an den Expressionismus der Weimarer Zeit. Arme, Obdachlose und Einbeinige dominieren die traurige städtische Landschaft. Dennoch bleiben Blümels Zeichnungen abstrakter, abgehakter, bewusst kritzlig. Ihnen wohnt eine gewisse Dringlichkeit inne, sie fassen eine starke Emotion, die in ihrer Grobheit (die die Grobheit der dargestellten Leben zeigt) Herz und Hirn erschüttern können. Sie machen sichtbar, was die bloße Fotographie nicht zu greifen vermag. Seine Kunst entfremdet und legt die Entfremdung der Protagonisten offen.

Da draußen ist ein bedeutendes Kooperationsprojekt zwischen Poesie und bildender Kunst, wie es selten noch vorkommt – und weder Lyrik noch solche unbequemen Zeichnungen erregen noch oft großes öffentliches Aufsehen. Dennoch ist gerade eine solche künstlerische Synthese ein gewagter stilistischer Vorstoß, der Aufmerksamkeit verdient. Denn beide betrachten ungeschönt gerade die sozialen (subalternen) Gruppen, die sonst keine Stimme haben und machen diese, wie es selten passiert, zum zentralen Punkt der Kunst. Gerade in der Kombination beider Kunstformen ergibt sich so etwas Neues: ein enges Zusammenspiel, das neue künstlerische Synergien freisetzt, im Ansatz eine Ästhetik des Hässlichen bietet, und neue Bedeutungszusammenhänge im Inhalt offenbaren kann.

So können Blümels zeichnerische Interpretationen, die manchmal sogar tierschürfender sind als die Texte des Bandes, dichterische Lücken füllen und bildstark das zeigen, was manchem Leser vielleicht erst verborgen blieb. Zugegeben, ich mag voreingenommen sein, da ich selbst in meinen eigenen Prosatexten gerne subalterne Gruppen portraitiere. Dennoch hat dies sicherlich eine intersubjektive Bedeutung, die im Literaturbetrieb gerne marginalisiert wird. Vielleicht sollten wir mehr solche Bücher lesen beziehungsweise ansehen und weniger bourgeoisere Romane zur Selbstfindung und Identitätsstiftung Jugendlicher auf teuren Reisen, die nichts mit unserer brutalen, materiellen Realität am Hut haben.

Da draußen von Fabian Lenthe und Michael Blümel erschien bei Rodneys Underground Press und hat 50 Seiten.

Coverbild: Rodneys Underground Press

Elena Ferrante: Frau im Dunkeln

Die Geschichte findet dort statt, wohin man gerne ein Buch mitnimmt: im Urlaub, am Strand, in Italien. Dass die herbeigesehnte Erholung vom Alltag durch das verloren geglaubte Selbst und die Suche danach ins Wanken gebracht werden kann wie ein kenterndes Schiff, davon erzählt Leda.


Nichts ist mehr wie es fünfundzwanzig Jahre lang für Leda war. Nachdem ihre erwachsenen Töchter zu ihrem Vater, Ledas Exmann, nach Toronto gezogen sind, fühlt sich die Universitätsprofessorin sinnentleert. Während sie allein den Sommerurlaub an der ionischen Küste verbringt, wird sie von ihrer Vergangenheit begleitet, die sich wie ein trüber Strudel um die eigentliche Frage dreht, wer sie selbst jetzt ist. Alles, was sie an die Gegenwart bindet, sind die Bücher, die sie zur Vorbereitung zum kommenden Semester mitgenommen hat. Doch eine fremde, junge Mutter und ihre kleine Tochter lassen Ledas durchwachsene Vergangenheit und einsame Gegenwart aufeinanderprallen.

Für ihre Töchter wollte sie immer Gutes, doch durch den jahrelangen Spagat zwischen Ehe, Familie und Beruf fühlt sich Leda zunehmend überfordert und frustriert, wodurch sie schließlich auch Verwerfliches tut. Sie wird sich selbst(bewusst) eine Rabenmutter nennen und möchte sich zugleich von den älteren – und wie sie sagt: stummen, grimmigen – Muttergenerationen abgrenzen. Durch die Begegnung mit der Fremden und ihrer Familie wird sie erneut an die Anforderungen der Mutterschaft sowie an die (un)möglichen Konsequenzen erinnert, die sie selbst erlebt hat. Ihr seit jeher andauernder Kampf um Anerkennung und Erkanntwerden lassen Leda im Dunkeln die Augen verschließen und zugleich auch sehen. Wo beginnt die Grenze zum (Un-)Erträglichen? Wer will sie sein und wer ist sie wirklich?

Elena Ferrante liefert eine spannungsgeladene Geschichte über mütterliche Identität, die sie auf knapp 190 Seiten bannt. Sie zeichnet eine komplexe Protagonistin, die im Netz aus Selbstschuld und Fremdschuld verfangen ist und fluchtartig, aber selbstbestimmt einen Neuanfang sucht.

Elena Ferrantes Frau im Dunkeln erschien im Suhrkamp Verlag und hat 188 Seiten.

Titelbild: © Lennart Colmer

Widersprüchliche Spielsprachen

Dass menschliche Sprachen engere Grenzen haben als wir meist glauben, macht uns so mancher Lyriker klar. Der Dichter und Essayist José F. A. Oliver hat dies jedoch in seinen Gedichten enorm kultiviert und bricht so manche sprachliche Wand ein. Er erschafft teils aus Spaltungen und Neukombinationen von Wörtern, Sätzen und Satzzeichen radikal Neues. So lässt auch sein neuer Band wundgewähr in einem unkonventionellen, anderen und manchmal auch schwer zugänglichen Stil Sprache und ihre Widersprüche erbeben.


In dem Band vereint der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Poetikdozent auf über 200 Seiten Gedichte der vergangenen zehn Jahre. Seine wilden Spiele mit der Sprache in den unterschiedlich langen Gedichten und Zyklen haben dabei keine feste Thematik, nicht das eine alles durchdringende inhaltliche Motiv. Das Ziel scheint vielmehr eine oft konfuse Kartographie einer chaotischen Sprache mit allerlei Widersprüchen und Doppeldeutigen zu sein. Es geht um nichts Geringeres als das Wort in der Welt. So generiert Oliver in seiner lyrischen Spurensuche Spielsprachen, die manchmal intuitiv entstehen, aber gleichzeitig auf die konventionelle Sprache gebrochen und paradox wirken.

Das macht natürlich den Zugang zu den einzelnen Texten nicht immer leicht – verständlich ist das Gesamtkonzept eher auf einer emotionalen und intuitiven Ebene, basierend auf dem jeweiligen Sprachgefühl. Ergo geht es in wundgewähr weitgehend um Methode und Stil, statt um die oft sehr unterschiedlichen Inhalte des gesamten Bandes, der insgesamt einen nomadischen Alltag beschreibt – jedoch stets auf unterschiedliche Weise und meist eher assoziativ, denn logisch oder chronologisch. Zwar kehren einzelne Motive, wie ein Mund voller Scherben, häufig wieder, aber die Zusammenhänge über einzelne Texte hinaus bleiben recht vage.

Olivers durchgängige Methode ist die Sprachzertrümmerung. Viele Begriffe werden durch Doppelpunkte getrennt, jedoch nicht willkürlich. Etwa entstehen dadurch Doppeldeutigkeiten oder einfach alternative Interpretationsmöglichkeiten der Verse. Etwa setzt der Dichter häufig Termini wie „w:erden“ (den man also als „werden“ oder „erden“ lesen kann), „m:acht“ (was der Leser als „macht“/ „Macht“ oder „acht“/ „achten“ verstehen kann) oder natürlich „k:ein“. Oft geschieht diese Separierung auch bei Komposita und Fremdwörtern, deren Wortteile, werden sie nun quasi als zwei oder mehr Begriffe interpretiert, sogar eine ganz neue, andere, meist sehr befremdliche Bedeutung erhalten.

Sprachzertrümmerung und Neuschöpfung

Doch Oliver zerlegt nicht nur stringent, ja, fast schon besessen, einzelne Wörter so, sondern auch ganze Sätze und Gedichte. Indem etwa Zahlen nicht ausgeschrieben werden und häufig mit dem &-Zeichen verbunden werden, werden sprachlich und optisch eigentümliche Effekte und Stolperstellen erzeugt. Beispielsweise heißt es im Gedicht zellen 2 & 4 / auferstehung, wo?: „die kreuzwegstationen : 1 kreuzturm & ECCE“. Doch der optische Effekt der Trennung von Versen wird noch anders vollzogen. So baut der Autor deutliche Brüche ein, etwa indem er klaffende Lücken zwischen Wörter setzt oder gar einen Vers mit einem Schrägstrich teilt.

Doch die Sprachzertrümmerung alleine macht noch keine Spielsprache aus. Denn es werden auch neue Verbindungen geknüpft, Neologismen entstehen. Oft brechen Verse oder ganze Strophen mitten im Wort ab und gehen per Bindestrich im nächsten Vers weiter. Die Vielzahl der Bedeutungsebenen nimmt so teils unüberschaubare, obgleich häufig grandiose Ausmaße an. Wo Sprache zersplittert wird, da wird Neues zusammengesetzt. Auch verbindet Oliver hin und wieder Betonungen, etwa in den tonalen Unterschieden zwischen dem Deutschen und dem Spanischen (die die Zweisprachigkeit des Autors zeigen). Was diese neuen Sprachformen zwar innovativ, vielseitig und spannend macht, wird aber in der Verständlichkeit erschwert: durch das Aufbrechen grammatikalischer Strukturen. So manches Gedicht hat nicht nur keinen logischen, sondern eher assoziativ umrissenen Inhalt, sondern verzichtet auch auf konventionell korrekte Satzbildung. Einzelne Satzfetzen werden dem Leser elegant hingeworfen und irgendwie, aber nicht immer verständlich neukombiniert.

Mal humorvoll und ironisch, mal tiefsinnig und melancholisch, mal auch zornig und bitter schafft Oliver so für uns neue Sprachen und Bedeutungen, die oft ganz normale lyrische Momentaufnahmen zum Topos wählen. Manch einem mag das durchgängige stilistische Instrumentarium Olivers suspekt oder übertrieben erscheinen, und nicht jeder wird mit diesen Gedichten etwas anfangen können. Wer sich dennoch auf dieses radikale Projekt einlässt und breit ist, sich viel Zeit für die einzelnen Gedichte zu nehmen, wird nicht nur von ihnen gepackt und nachdenklich, sondern auch sensibilisiert werden, wie Sprache funktioniert oder funktionieren könnte.

José F. A. Olivers Buch wundgewähr erschien 2018 bei Matthes & Seitz und hat 224 Seiten.

Titelbild: © Matthes & Seitz

Billers Britney-Banalität

Manchmal fragt man sich, wie es ein Roman in die Feuilletons der Mainstream-Presse und auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schafft, außer dass dahinter ein prominenter Autorenname steht. Ein solcher Roman ist auch Maxim Billers Sechs Koffer.

Die Welt fragt, ob es sich dabei um eine autobiographische jüdische Version der Buddenbrooks handelt. Noch vollmundiger titelt Die Zeit, es handle sich um einen kafkaesken Familienroman. In Wahrheit ist das Buch zu Familiengeheimnissen und der Frage, wer Held und wer Verräter ist, eine konventionelle Banalität an die andere gereiht.


Sechs Koffer handelt von der Geschichte einer jüdischen Familie in Tschechien zur Zeit des Kalten Krieges. Aus sechs Perspektiven erzählt der Roman von einer Familiendenunziation, nämlich der Frage, wer 1960 den Großvater an die Sowjetunion verraten hat, um selbst zu überleben. War es einer seiner Söhne oder die traurige Schwiegertochter oder der Familienpatriarch und Schwarzhändler, der einen Kopf aus der Schlinge ziehen wollte? Einer dieser ex-post-Perspektiven wird von Biller selbst als Enkel eingenommen.

Durch die sich langsam, aber nicht komplett aufklärenden Abgründe einer Familie zwischen zwei Systemen, soll sich angeblich dem Leser die Frage stellen, wie er sich selbst in solchen moralischen Dilemmata verhalten würde. Doch damit so etwas gelingen könnte, bräuchte es einen viel besseren, tiefgehenden und distanzierteren Roman als Billers Geschwurbel. Auf dem sehr knappen Raum von 200 Seiten will der Autor uns über sechs Menschen aus drei Familiengenerationen berichten. Und das Ganze liefert zwar eine schöne Beschreibung der Atmosphäre, von Lebensgefühlen und Wünschen sowie der Kulturen des zeitgenössischen Prag, Zürich oder Hamburg; aber diese Ergüsse der konventionellen Einfühlung unterminieren ein Hineindenken in die Handlung und nehmen wertvollen Platz für die inhaltliche Auseinandersetzung.

Eine solche Auseinandersetzung entsteht auch nicht, da die Perspektiven immer und sehr unübersichtlich wechseln. Motive zu durchschauen oder gedanklich nachverfolgen zu können, bleibt so kaum möglich – vielleicht weil Biller sie selbst nicht ganz versteht. Das einzige Positivum an dem Büchlein ist tatsächlich, dass es den Leser bis zuletzt rätseln lässt, wer der Verräter ist.

Ichzeit versus Essayzeit

Auch stilistisch ist Sechs Koffer eher konventioneller Durchschnitt – nicht unbedingt schlecht, aber ganz sicher keine Besonderheit oder Rarität in der deutschen Literaturlandschaft, auch wenn der Roman gerade als solche gefeiert wird. Den durchaus flüssigen und anständigen Schreibstil an jeweilige Protagonisten anzupassen, gelingt Biller nicht immer überzeugend. Und die angestrebte Tiefe der atmosphärischen Beschreibung kann der Autor so nicht erreichen – zu sehr hängt er an der Optik und dem Konsumismus der Protagonisten fest. So wird ein Roman über menschliche Abgründe und moralische Fragen im Angesicht der politischen und ökonomischen Macht weitgehend eine optische Beschreibung. Die sonst so gelobte schonungslose Selbstkritik in den autobiographischen Büchern von Biller, sie fehlt hier größtenteils.

Schon 2011 hat Biller in einem Essay die gegenwärtige Literaturepoche großspurig als Ichzeit tituliert. Das soll heißen, der heutige Schriftsteller solle distanzlos und autobiographisch über das Ich und dessen Abgründe schreiben und zwar in Schockmomenten – Literatur müsst also weniger wie Balzac und mehr wie Britney Spears bei der Kopfrasur sein, der niveauvolle auktoriale Erzähler habe nichts mehr in der Prosa verloren. Eine solche Distanzlosigkeit und der Fokus auf die Britney-Banalität und das rein Äußerliche in solchen Erschütterungen scheint er auch in diesem Werk praktisch umzusetzen. Immer wieder habe ich dieser Literaturtheorie widersprochen – zuletzt hier. Was übrig bleibt in solch einer Ichzeit, ist eine Einfühlung, die ergreifen kann, aber das Denken und die Kritik im Spektakel aberzieht. Genau deswegen kann die moralische Frage, die in Sechs Koffer dem Leser gestellt werden soll, nicht wirklich gestellt werden – zu sehr bleibt er in der Atmosphäre, den Gefühlen der Protagonisten und den oberflächlichen Betrachtungen zu tschechischen Filmen, Sexshops oder Zigarettenmarken gefangen. Es ist also im Grunde schon ein Sakrileg, wenn eine Figur wie Biller sich immer wieder in Sechs Koffer auf den großen Bertolt Brecht bezieht, der doch nichts mit einer solchen lahmen literarischen Methode am Hut hat.

Biller bietet also nichts anderes als Kulturindustrie, die als Verblendungszusammenhang einen auf tiefsinnig macht. Um Kritik und Denken in der Literatur nicht obsolet werden zu lassen, war mein Gegenmodell die Essayzeit, ein Genrehybrid, in dem der Protagonist verfremdet wird und der Leser überraschend in eine Distanz zur Handlung gestellt wird. Doch mit Denken und Distanz hat Sechs Koffer nicht viel zu tun. Biller fehlt dabei aber sowohl die tiefe Melancholie von Thomas Manns Buddenbrooks als auch die absurde bürokratische Komik und Verfremdung eines verständnislosen Subjektes, wie man es bei Franz Kafkas Œuvre findet. Wenn Medien aber Billers Roman mit solchen Klassikern des Literaturkanons vergleichen, so feiern sie mit dieser falschen Ehrung nichts als ein Element des literarischen Verfalls in der Postmoderne, in der es um Identitäten und Gefühle geht statt um Kritik und Wahrheit.

Sechs Koffer von Maxim Biller erschien im Verlag Kiepenheuer & Witsch, hat 200 Seiten und steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2018.

Beitragsbild: © Kiepenheuer & Witsch.

Der widersprüchliche Humorist

Meistens bringen Jubiläen zu Geburtstagen von öffentlichen Personen oder historischen Großereignissen für den Buchmarkt nur die massenweise Aufwärmung biographisch und wissenschaftlich bereits gut aufgearbeiteter Themen. Doch hin und wieder werden dadurch auch großartige neue Standartwerke geschaffen. Zu letzterem gehört Stephan Parkers Biographie Bertolt Brecht anlässlich des 120. Geburtstags des Schriftstellers. Dies ist ein umfangreich recherchierter großer Wurf.


Als britischer Germanist war Parker bislang als Spezialist für die Literaturzeitschrift Sinn und Form bekannt. Mit seinem neuen, über 1.000 Seiten dicken Buch legt er eine vollständige Biographie des großen Bertolt Brecht vor, ohne sich in ideologischen Spielereien zu verlieren. In fünf Teilen geht Parker von Brechts Jugend in Augsburg und ersten Gedichten, über frühe dramatische Versuche im Stile des experimentellen oder epischen Theaters, das auf Vernunft und Kritik statt auf Emotion und Katharsis setzt, über sein marxistisches Engagement, seine Flucht vor den Nazis, über Finnland und die USA und seine späteren Probleme mit einer die Kunst zensierenden DDR. Doch Parker bleibt nicht nur bei Brechts literarischen, theoretischen und politischen Arbeiten stehen: Dazwischen geht es auch immer wieder um gesundheitliche Probleme, Frauengeschichten, Anekdoten und Streitereien mit zahlreichen anderen Intellektuellen.

Parkers Ziel ist es nämlich nicht, den literaturwissenschaftlichen Fokus auf Brecht als (unorthodoxen) Marxisten beizubehalten, sondern diese Einseitigkeit aufzubrechen, und damit die Darstellung einer so vielschichtigen Figur plastisch und kontextualisiert darzustellen – zugegeben, ich habe selbst Brecht vornehmlich als politischen Autor behandelt. Damit gelingt es ihm, dass er weder politische noch literarische Ambitionen und Arbeiten herunterstilisiert, noch Brechts Persönlichkeit als manischer Dichter zwischen Appetit, Lust, Askese und schwacher Gesundheit, zwischen Machotum, Sarkasmus, Aggressivität und Sensibilität zu kurz kommen.

Zwischen Revolution und Humanismus

Dabei zeigt der Biograph, dass er fähig ist, ein ausgewogenes Bild zu zeichnen, das meist affirmativ, aber hin und wieder auch kritisch ist – etwa bezüglich Brechts krassen Reaktionen auf Konkurrenten oder ihn ablehnende Frauen. Dabei stellt Parker Brecht als einen widersprüchlichen Humoristen und Gesellschaftskritiker dar. Und all das passiert in einem flüssigen, verständlichen Stil, der gleichzeitig breite Kenntnisse und wissenschaftliche Integrität beinhaltet.

Bertolt Brecht, widersprüchlicher Humorist.

Als einziges Manko des Buches, abseits weniger Kleinigkeiten, gilt eigentlich nur, wie Parker Brechts literarische Schaffensphasen einteilt. Er geht davon aus, dass mit Brechts Theaterstück Mutter Courage und ihre Kinder eine Wende in seinem Werk stattfinden würde; nämlich weg von einem revolutionären Marxismus, der Gewalt als Notwendigkeit begreift (wie in früheren Werken wie Die Maßnahme) hin zum pazifistischen Humanismus. Zwar stimmt es, dass Brecht stets gegen den Krieg war, aber nicht gegen die Revolution (die zwangsweise Gewalt inkludiert). Denn das nach der Mutter Courage erschienene Stück Der gute Mensch von Sezuan, auf das Parker erstaunlicher Weise kaum eingeht, ist dann doch wieder in einem kritisch-revolutionären Duktus geschrieben.

Bis auf solche Vereinfachungen, hinter der durchaus Parkers Wunsch stehen kann, den von ihm verehrten Brecht zum Humanisten zu machen, ist das Buch doch eine der besten Biographien, die je über den großartigen Schriftsteller geschrieben wurde. Das ist etwas, das viele deutsche Germanisten und Experten stören könnte, kommt dieses Buch doch von einem Briten. Ein großartiges Werk über einen großartigen Dichter.

Bertolt Brecht. Eine Biographie von Stephen Parker erschien in Übersetzung von Ulrich Fries und Irmgard Müller im Suhrkamp Verlag und hat 1.030 Seiten.

Beitragsbild: Berliner Ensemble, © Moritz Haase.

Lyrik des Prekariats

Die deutsche Lyrik wird inzwischen dominiert von lieblichen Heile-Welt-Schilderungen oder banalen konsumistischen Poetry-Slams. Schluss damit! Fabian Lenthes Gedichte über das urbanisierte Prekariat liefern einen gelungenen Gegenentwurf, was Lyrik sein kann und soll.


Auch abseits des Poesie-Mainstreams um die wenigen prominenten Lyriker herum, erscheinen ab und an Dichter, die einem kaum beachteten Genre neue Perspektiven verleihen können, oder verlorengegangene Blickwinkel wieder eröffnen. Die sehr düstere Perspektive eines meist abgehalfterten lyrischen Ichs bietet uns beispielsweise Fabian Lenthes Debüt In den Pfützen der Stadt wächst ein Stück Himmel. Ganz anders als die populäre pseudotiefsinnige Wohlfühllyrik geht es in diesem Band um wahre gesellschaftliche Abgründe. Und genau das ist erfrischend für die sonst so brave deutsche Gedichtelandschaft.

Einhundert unterschiedliche lange und nichtbetitelte Gedichte liefert Lenthe in seiner neuen Sammlung. Ansonsten kommt deutsche Lyrik entweder gerne daher mit vermeintlich feinsinnigen Beobachtungen, überschätzten Naturbeschreibungen oder den mehr oder weniger banalen Darstellungsformen bei Poetry Slams, in der selbst die abstrakteste Literaturform noch in den Häppchen der Kulturindustrie konsumierbar gemacht wird (en passant sei bemerkt, dass all dies nach Auschwitz in der Lyrik, zumal der deutschen, eigentlich nichts verloren hat). Doch in selten beachteten Gedichtbänden wie In den Pfützen der Stadt wächst ein Stück Himmel geht es ums Ganze, um die harten Probleme des urbanisierten Prekariats: sei es die Einsamkeit in einer überfüllten Stadt, seien es materielle und finanzielle Nöte, sei es das schwierige Zusammenleben in heruntergekommenen Gegenden, seien es Alkoholismus, Beziehungsprobleme, Motivationslosigkeit und Depressionen oder das Gefühl, schlicht abgehängt zu sein.

Schonungslos reflektiert jeweils das lyrische Ich über die Abgründe des eigenen Lebens. Gewiss, die Vulgarität und Härte der Gedichte von Charles Bukowski, in dessen Tradition der Band inhaltlich und stilistisch in großen Teilen zu stehen scheint, erreicht Lenthe nicht. Doch das ist auch nicht nötig, um den braven Lyrikkonsumenten mit der sozialen Rohheit aus dem Schönheitsschlaf zu wecken.

Ein schöner Tag in der Hölle

Ausgangspunkt ist meistens eine alltägliche Beobachtung, die räumlich und zeitlich recht beschränkt ist: Es kann sich dabei um eine Warteschlange im Supermarkt des Problembezirks handeln, um die Einsamkeit in einer spärlich eingerichteten Wohnung, einen Mangel an Bier, oder eben eine verdreckte Pfütze, die in dieser Welt immer noch als Hoffnungsschimmer geilt. Solche kleinen Schimmer, die Lenthe immer wieder einmal aufblitzen lässt, markieren die Dialektik einiger guter Momente von kurzer Dauer zwischen langen Phasen der Verzweiflung – Momente, an die sich nostalgisch geklammert wird, aber die freilich nicht nachhaltig helfen. Es gibt eben kein Richtiges im Falschen!

Auch Lenthes Stil wirkt auf den ersten Blick nicht aufsehenerregend, abgeklärt, manchmal auch hilflos. Doch genau so sind auch die lyrischen Ichs. Anders könnte es nicht sein. Die gewählten Metaphern sind auch meist offensichtlich. Spannend ist dabei aber, wie er einem finsteren, stinkenden Alltag mit einem Dreh erforscht. Meist hängt Lenthe nämlich ein Gedicht plastisch an einer dominanten Metapher auf und denkt das mal mit einem tragikomischen Witz, mal mit einer banalen, aber auch rohen Beobachtung zusammen. Das einfache und harte Leben braucht eine einfache und harte Sprache. Dem Autor gelingt somit zweierlei: Erstens, seine Verse sind verständlicher und weniger chiffriert als die vieler anderer Gedichte; und zweitens, konstruiert er aus dem Ideal der sprachlichen Einfachheit meist eine tiefere doppelbödige Momentaufnahme eines „schöne[n] Tag[es] in der Hölle“, wie es in einem der Gedichte heißt.

Zu lange wurden materielle Fragen und die Probleme der Unterschicht im Kultursektor marginalisiert; nehmen sie schon in der Prosa keine sonderlich prominente Rolle ein, so werden sie in der Lyrik als erhabene Literaturgattung noch weniger beachtet – und wenn doch, dann eher anhand des jammervollen, selbstmitleidigen Blickes auf einen Schicksalsschlag. Dennoch gibt und braucht es eine materielle und damit auch fassbare Lyrik. Eine solche findet man ab und an bei Kleinverlagen. Und ein solches Projekt ist Lenthes Buch.

„In den Pfützen der Stadt wächst ein Stück Himmel“ von Fabian Lenthe erschien 2018 bei Rodneys Underground Press und hat 116 Seiten.

Beitragsbild: © Rodneys Underground Press

1,603 kg Powergnosis

Es gibt gute Gründe, eine Schwäche für Eklektiker, Enzyklopädisten und polymathisch-polyhistorisch versierte Uomini universali zu haben: Zu wahrer Herrlichkeit erblüht Erudition doch erst, wenn Physiker komponieren, Schriftsteller IT-Systemelektronik treiben oder Biokryptographen Comedy-Bühnen unsicher machen, wenn Trudeau die (auswendig gelernten) Grundzüge des Quantencomputers darlegt und Gell-Mann sich von Finnegans Wake zu Quarks, oder zumindest deren Nomenklatur, verarb… inspirieren lässt. Doch Moment mal: In dem vorliegenden Kulturbrocken von Braunstein, Florence und Pépin, Jean-François werden die Naturwissenschaften nur nebenbei – immerhin – gestreift.


Welches Wissen ist bedeutender: die Funktionsweise von PET-Scans oder von Milorad Pavićs Metaphorik? Wer sich fürs Erstere entscheidet, könnte ein Philister sein. Wer sich fürs Letztere entscheidet, könnte eine „Entropie“ inflationär und/oder (grob) falsch verwendender Geisteswissenschaftler (pejorativ gemeint) sein. Fakt jedenfalls bleibt: Errungenschaften auf dem Gebiet der klassischen bis postmodernen Femtochemie, Mathephysik und Keksmechatronik sind selbstverständlich ebenso Teil der menschlichen Kulturgeschichte wie die Künste und unexakten Wissenschaften, zumal die Physik des 20. Jahrhunderts durch die Erschließung spekulativer Wunder seit langem wieder in die Nähe der Philosophie gerückt war und so die mannigfaltigen Avantgarden in Literatur, Musik, Malerei etc. kongenial zu komplementieren vermochte … Aber natürlich ist das hier Gezicke auf hohem Niveau, wäre doch eine derart grenzenlose Tour d’Horizon, die weder Bill Bryson noch Peter Watson (und schon gar nicht Dietrich „Thermodynamik ist nur was für Freaks“ Schwanitz) gelungen ist, für ein einziges Buch etwas viel verlangt. Andererseits gibt es Brockhausens lobenswert umfassenden, auf rund 600 Seiten aber naturgemäß nicht allzu tief greifenden Versuch in Form von Bildung21.

Kommen wir nun aber zu dem dennoch üppigen Weltwissen, das unter der Haube dieses von zwei grünen Buchdeckeln parforcerittlings gezäumten Bildungsboliden steckt …

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Galilei lässt Unrat auf Newtons Haupt niedergehen, das, elffach verknotet, sogleich in die Mesosphäre entweicht. Murnau und Lang liefern sich erbitterte Klimm- und Kniffelduelle, woraufhin Lottab Reiniger einen Batzen Ton verfilmt und so das heliozentrische Weltbild als illegitimen Gauzentrismus-Nachfolger enttarnt. Frank Le Jefferson wird nach Kalkutta verfrachtet, wo angeblich 1 Qing wächst, Vasco da Gambas, Lebensmittel, kann sich sogar bis nach Austernitz durchboxen, muss aber spätestens beim Wiener Forellenkongress innehalten: Der Schinkenklimt ist ebenfalls mit von der Partie, nachdem Kleists Hölderline „gerissen“ ist. Gelich spürt diversen Phänomenologien nach, zuletzt der des Gefriertumblers, parallel entwickelt Søren eine ganz eigenwillige Butter, die anschließend von Nietzsche und Deleuze (fast) unverändert übernommen wird. Sigmunch Freud steuert auf die Psychopathologie zu, wobei der Bruckner Brahms die entsprechende Motivik anleitet. Dann erscheint Silur (403 bis 367 v. Kru.) und legt einen Würm ins Loch des Neandertalers, der von Früh- bis Spätneolithikum Dolmen schiebt. Es kommt zu Religion, in deren Rahmen Steppenmonaden ihre Hühner gen Zukunft und ihre Anti-Hühner gen Vergangenheit pfeifen. Der Hirsch aus Pekingmenschenfleisch formt einen ersten Keramikisolator sowie die dazugehörige Mesopotamische Null, mit der die Dynastie numerischer Fürsten eingeleitet wird. Fast zur selben Zeit wälzt sich Marcel Proust neurasthenisch auf der Chaiselongue, Apollinaire dreht am Radadad, Breton und Aragon sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wozu Jarry und Artaud sich wie paradoxe Cocteau-Zwillinge verhalten. Selbst Rilke neigt zu absurdem Theater, das tatsächlich aber von Neville Chamberlain auszugehen scheint. Beckett wittert die von Mussolinis billigen Tuchen durchgepeitschte Irland-Mafia und flieht als Codex Hammurapi nach Babybelon, als die Phönizier in ihrem eigenen Alphabet ersaufen. Die Kulaken klemmen sich ihre Simultanfäustchen ab und machen Iran unsicher, 300 Spartaner schauen phlegmatisch zu. Die Sphinx beginnt mit dem Gerüstbau für die Pyramiden, weil Osiris und Amon-Re eine viel zu komplizierte Wette abgeschlossen haben, deren Bedingungen bis heute unverstanden sind. Im Totenbuch wird die Zubereitung von Ramses genauestens beschrieben, während Kleopatra sich mit dem Leuchtturm von Alexandria orthogonal befriedigt. In der Bibliothek gleich nebenan lauert Ptolemäus darauf, Moses’ Wurfhammer zu inthronisieren. Die einzelnen Sippen fließen zu einer Großmischpoke zusammen, doch lediglich Talmud der Feine schlägt eine halbwegs akademische Laufbahn als Bundeslade ein und wird im Tempel von Jerusalem zwischengelagert, was dann und wann Nebukadnezar in Gel-Form zur Folge hat. In der Zwischenzeit wird Rigveda implementiert und die Upanishades of Grey verkaufen sich wie geschnitten Mehl, zumal Krishna als Brahmännchen in die Geschichte der MLB einzugehen beginnt. Auch Buddha lässt nicht lange auf sich warten und hilft als 8 ohne Grenzen jungen Fischkulturen beim Digitalisieren der Mahabharata mit: Darin streitet sich Kama Sutra mit einer tantrischen Swastika um den Wahlpflichtfach-Status an der École Polytechnique, unterdessen balsamiert Meister Brahmagupta seine Ayurvedenpitta kryogenetisch ein. Der Ukrainer von China seinerseits kann Konfuzianismus wenig bis viel abgewinnen und lässt folgerichtig Kafkas Metamorphoden von der Terrakotta-Armee zustampfen. Die Xing-Dynastie dauert nicht allzu lange an und macht dem Sechzehntelkönig Platz, der sich kurz zuvor an Rezikiller Shōtoku verhökert. Panzerkreuzer kommen – im Gegensatz zu Dumas – selten allein, daher entscheidet der Sowjet, Unkenrufen zum Trotzki, Lenins Akkreditierung greenzulighten. Als die UdSSR schließlich ihre Tore öffnet, kommt es unvermittelt zu Stalin: Die Gulags weisen niemanden zurück, Schwarze Donnerstage sind ebenso willkommen wie die Atlantik-Charta. Allmählich hält der Symbolismus Einzug, Hugo und andere Irrationale verzüchten sich an den Blumen of Steel, deren Vordenker Rimbautréamont sich mau passant zum experimentellen Flohbart-Naturalismus gedrängt fühlt. Der Beginn des Fin de siècle wird von Dekadandys gesäumt, die mit Mallarméladenbroten durch Verlaine und Wilde flanieren wie durch die Seine, ohne in Moralin zu versauern. Indochina dankt ab, #AffäreDreyfus kostet nicht nur Zola, sondern auch seine Kollegen Manet, Monet und Neo K. „Mango“ Lassizismus einen Balzac Money. William Turner reißt das Ganze aber noch einmal um, auch wenn Cézanne und Urinaro eigentlich kein Zurück zu kennen scheinen. Kurz zuvor wird in Pearl Harbor Ghandi-san via Hirohito Nagasaki nach Mao Zedong geleakt, um Äthiopien den erfolgreichen Launch von „Nok Nok“-Humor zu ermöglichen. Mykene zieht daraufhin Byzanz und verfüttert Kleisthenes an Thailand, die entsprechende Olympiade wird wegen Do Pings Unpässlichkeit auf n. Kru. vertagt, was Alexander dem Großen endlich die Gelegenheit gibt, Hellenismus nach Deutschland einzuschleppen. Inzwischen sind die Alliierten auseinandergestoben, und Captain Dunkirk organisiert einen finalen Fight zwischen Pétain und Göring. In Stalingrad führt Schukow Rommel derart hinters Licht, dass die V1 und V2 sich praktisch gegenseitig neutralisieren. Sobald die Charta der Vereinten Nationen beschlossen ist, werden van Goghs Ohren vollautomatisch nach Toulouse-Lautrec expatriiert. Aristoteles macht es sich als einer von insgesamt höchstens zehn Intellektuellen weltweit deutlich zu leicht und kümmert sich eher schlecht als recht um seine Landeier in Großprytanien. Als die Akropolis wegen Bombenalarm geräumt werden muss, hängen sich im Apollo-Tempel drei Säulensorten in einem lange Zeit für unverfilmbar gehaltenen Winkel auf, der die Propyläen missgünstig stimmt. Xo Naxos gelingt zum ersten Mal, den Donutismus Homers auch ihren zyklopischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nahezubringen. Hesiod schildert in seiner fabelhaften Oper Äs die Geschichte der thespischen Koryphäen, es ist aber schlussendlich Euripides, der den Weg ins nächste Eigentor ebnet. Thales von Milet hilft mit seinem bis dato magersten Schaltkreis Heraklit, seiner Zenon-App (mit Hilfe eines pythagoreischen Einecks) auf die Sprünge zu helfen, wobei Leonardo, da Vincis chronisch unbeholfener Nygus konsequent totgeschwiegen wird. Immerhin verdankt er dem Atomismus das postsokratische Och in Form von Platons aristotelischem Duftorgan „Plotin“. Die Metaphysik der Kyniker reicht weit über Diogenes und seine (schlussendlich in des Teufels Zirkelschluss gehörende) Skepsisbande hinaus. Epikur genießt mit stoischer Unverfrorenheit das Delphinarium von Orca, während Nike sich mit des Orpheus Hybris versohlt. Gaia die Grundgütige bläst Hades ins Horn, mehrere Götter müssen infolgedessen abdanken. Der hippokratische Meineid genießt vor allem in Euklids Kreisen einiges an Streetcred, wenngleich Archimedes erst viel später Heurekiri begeht. Die Etrusker haben ihre Nekropolen nicht umsonst eingeschmolzen, wie Lucifers ausverkaufte Genugtuungstour unzweideutig belegt. Von „7, 5, 3“-Romulus bis „Bromid springt aus der Moleküleichenhalle“-Remus wird das Imperium Romanum quasi ab urbe vergilbt und entflacht, die Res Publica (vgl. SPQR-Code) soll in Form eines Kleinkrieges gegen Horazius Ovidus endlich Realität werden. Marc Aurels Dioklettverschluss schlägt sich dementsprechend lange genug mit Rambo herum, was im Großen Sackhüpfenlassen von 333 gipfelt. Als endlich Cloaca Maxima ihr Riesenarschloch über die patrizischen Großfamilien von Damaskus schleift, zeugen spätrömische Garnituren endgültig von Seneca. De rerum natura und andere rhetorische Taschenspielertricks werden um Panlyra, Dudensack und Cicero ergänzt, wobei die Redekunst des Letzteren Nero wegen unsachgemäß geminter ฿฿ in den Knast einwandern lässt (wobei „Armut + Psyche = Antidepressiva“ gilt). Auch Tacitus geht auf jeden zweiten Agricola los und bemannt solcherart die Astronomie mit den jeweils unabdingbaren Arithmetica. Pontius Pilatus lässt seine zuverlässigsten Pharisäer dermaßen langsam kommen, dass aus Saulus Sallust und aus Paulus Plinius werden. Hieronymus nimmt den Aposteln ihre Gnosis und verankert mit ihr Konstantinopel fest im Schlamm der Raumzeit. Beim Konzil von Nicäa wird der Papst in den Okzident eingebacken und schlägt sich anschließend als stattliches Schisma nieder, sodass Benedikt von Nursia dringend aufs Kloster muss. Le Cottbuser wettert gegen Gropius, Mies van der Grobe muss sich von Picasso die Zweitnase umtünchen lassen. Aus Wittgenstein wird mit der Zeit dem Jaspers sein Heidegger, Gödel stößt bei einer Kognietenziehung an seine Grenzen und deckt sich am Ende der Parabel mit Husserls Rüssel zu. Bergsons Köpfchen allerdings verführt Durkheim zum Positivismus, überhaupt schreiben sich ganz neue Wissenschaften an der AdK ein. Der Marshallplan läuft rund und lässt die Entropäische Union XaSS ausbaldowern. Lucius „D.“ Clay beteiligt sich am Grundgesetz, scheitert aber an mangelnden Deutschkenntnissen. Ludwig Erhard findet für seine Art von Comedy kaum Absatz, dafür sorgt die Rentenreform für Vollbeschäftigung. Die SED zieht eine zweite Schallmauer hoch, Willy Brandt vertraut Helmut Schmidt nicht einmal Kohl an, dessen Ära von kollateralen Verträgen merklich gezeichnet ist. Homöopathisch motivierte Völkerwanderungen schlagen Attila mehrfach nieder, und Geiserichs Kaiserreich muss sich dem Codex Seraphinianus unterordnen. Auch in der Peterskirche nimmt Lethargie eine Sonderstellung ein, als koptische Mumien wie von selbst nach Hause losschlendern. Bei den Alemannen ist der Odokaeder gern gesehen, die Langobarden hingegen wollen Karl dem Großen ihre Runen schenken, ohne vorher die Rechnung mit finnelnden Hunnen oder wenigstens selbstgoogelnden Wikingern gemacht zu haben. Joule, Ampère und Faraday werden endgültig vereinheitlicht und unterstützen so die Gebrüder Lumière bei der bemannten Raumfahrt. Max Weber konkurriert mit den Utopistenkommunen, die von Verdisraeli und dem Goth-Prinzen Albert von Sachsen-Cobalt betrieben werden. Die entscheidende Frage bleibt auch nach Eingreifen durch Blasetti zunächst unbeantwortet, ganz im Gegensatz zur Gothic Novel, deren Hauptvertreter Byron, Shaw, Dickens, Wells, Kipling, Stoker, Joyce, Lawrence, Konsalik und Doyle heißen. Der Stream of Consciousness wird erst spät auf die darwinistische Transformationslehre angewendet, da diese sich zunächst vom modernen Kreationismus lossagen muss. General de Gaulle kommt auf Hô Chí Minh überhaupt gar nicht klar und findet den Indochinakrieg „total gestört“ (G. Pompidou). Der Irak versucht sich vergeblich an der Unmöglichkeit, von Sarkozy so gut wie nichts mitzukriegen, bis Margaret Thatcher sich endlich die Zeit nimmt, mit ihrer Eisernen Lady die Downing Street durchzupflügen. Plötzlich muss die Labour Party mit Berlusconi haushalten, was sich als fataler Fehler erweist. Papst Franziskus gibt Franco und Juan Carlos jeweils 0 Chancen, Yggdrasil verschlingt Odins Asenedda und Freya lässt sich von Gyllinborsti die Nutte kraulen. Die Merowingers schließen sich mit den Karolingers zu einer Art Kartell zusammen, welches Karl der Einfältige für was zu essen gehalten haben wird. Theodulf Hitler kommt während des Zweiten Kreuzzugs gemeinsam mit Richard Löwenherz auf den ottonischen Cäsaropapismus, muss aber schlussendlich Barbarossas habsburgische Antwort auf die Goldene Bulle fehlgeleitetem Ästhetizismus zurechnen. Wolfram von Eschenbach zieht sich in die Villa Massimo zurück, nur um Meister Eckharts Minnespuren mundtot vorzufinden. Da Graf Innozenz IIII. sich behutsam um den Investiturstreit kümmert, benötigt sein Pontifikat zwölf Zündkerzen, daher die Kreuzzüge mit Gottfried von Bouillon am Kochlöffel und Franz von Assisi am Heiligen Gral. Die Dominikaner nehmen ihn ohne zu zögern auf und lassen ihm frühgotische Gewölbe und dergleichen Tand angedeihen. Diverse Wandteppiche mit Gaukelhuren liefern dabei köstliche Vorlagen für Chansons, Romanteppiche und Mysterienspiele um allegorische Universitäten feat. Thomas von Aquin, Albertus Magnus (PI) und nicht zuletzt Wilhelm von Ockham (dessen Rasur nach wie vor aussteht). Die Scholastik tritt die Erbfolge der Stochastik an, die wiederum einem Schaschlikstick entwachsen zu sein scheint, jener nekromechanischen Ethik also, die in der Summa technologia das Missverhältnis zwischen „Steigen Brentano, Hoffmann und Büchner in eine Bahn, deren Endstation MarsEgel heißt“ und Sprossen beleuchtet (wobei Gott den Allerkürzesten zieht). Chruschtschow wird vorsichtig von Gagarins Epidermis abgelöst, und sobald die beiden endlich separat bzw. zurück auf der Erde sind, wird mit Breschnew der Prager Lenz vorformatiert. Gorbatschow darf endlich den Ostblock freirubbeln, und in der Russischen Föderation verwaltet nun Jelzin, ein waschechter Melissa-McCarthyist, die Cougar-Krise. Ben Gurion geht sogar in Fukushima einkaufen, um den Jom-Kippur-Krieg zügig an die OPEC auszulagern. Martin Luther King hat einen hochgradig eskapistischen Traum, der dank Watergate, Reagan, Saddam Hussein und Monica Lewinsky so richtig zustande kommt: Obama denaturiert Osama. Gerade als die Dekabristen in den Krimkrieg einmarschieren, begegnet Casanova mit Rossini, Bugatti und Puccini zum allerersten Mal der i-Deklination in ihrer ursprünglichsten Form. Puschkins Meisterwerk macht auf Gogolew einen derart großen Eindruck, dass sie schnurstracks der Slawophilie erliegt. Dostojetski versucht sich als Westler, verliert aber im letzten Moment gegen Hogan, der sich auf die Nichtannahme des Literaturnobelpreises spezialisiert hat. Johannes von Gutenberg bewegt sich mit nur einer Letter durch die Welt der Unicode-Enthusiasten, Wilhelm der Eroberer liest Michael Ironsides Hasenfuß auf und gammelt anschließend studiosusmäßig ab. Die Magna Carla wird zwischen den großen CEOs ihrer Zeit herumgereicht, was Jeanne d’Arc nicht unkommentiert lässt. Die Kathedrale von Canterbury wird fachmännisch gefällt, und Caedmon veröffentlicht sein vorerst letztes Buch über die Vorzüge von Eichelhähern. Dante Ali stimmt sich mit Geologen über die Jahresringe seines Invertdendrons ab, Rubens und Delacroix finden unabhängig voneinander eine relativ umständlich Abkürzung von Malen bis nach Zahlen-Mitte (Westf.). Das Sonett führt Petrarca auf direktem Wege ins Purgatorio, welches Kosmen gerade die Geschichte von sich gegenseitig abzählenden Erzählern („Decamerone, Decamertwo …“) einzuflüstern scheint. Oleg geflügelt Jaroslaw, Kasimir nach Kiew zu holen, stattdessen repariert Alex Newski Iwan dem Schnecklichen sein Gehäuse. Von den Bojaren geht ein Dosenpfand aus, als würde Ogorod hochgezogen, sprich: Ayatollah Iljitsch Chomeini kämmt Otto „Dicks“ Grosz so lange durch, bis der Rote Bayouware inkommensurabel steht. Jackson Pollock widmet sich einer Art Brut à la Man Ray, während Naivling Rousseau mit Gustave Eiffel eine Art Nouveau à la Christo einführt. Tzara de Chirico lässt den Oomphressionismus auf die Leute los: Kleedinsky und Marcy Mack sind nur die Spitze eines Verrücktenberges, dessen Stijl später mehrfach kopiert wird und schließlich als Duchamp im Bidet landet. Hering Baselitz stellt das von einem Asylheymgöblin widerwillig initiierte Kunstverständnis für etwas weniger als 0 €/St. ein – die erste Postmoderne beginnt zu lugen. Hugo Ball, zu dessen diversen Nomdeplymen bedeutende Namen wie Benjamin, Tucholsky, Predator, Kästner, Cranston und Mann gehören, tut es seinen Kollegen Boll, Grass und Ingeborg Kollektiv gleich. Durch Arno Schmidt wird der sozialistische Determinismus berühmt, aber auch Durs Grünbein. Armin Müller-Stahl kann Georges Perec für seine Anden-Doku gewinnen, Simone und Jean-Paul knistern als exzellentes Paar durch die Mesosphäre. Sklaverei gehört von jetzt auf gleich der Vergangenheit an, Lincoln lässt zu diesem Zweck mehrere Sezessionskriege testen, um schließlich Roosevelt den Untergang des Hauses Ashram zu kolportieren. Neben Hemingway, Wile E. Coyote und Philip Roth gelingt es auch Rushdie und Tagore, an die Frankfurter Schule zu wechseln. Adorno überhöht (via Arendt und Canetti) die Phänomenologie der Wissenschaftsexistenz zu einem poststrukturalistischen Hermeneuter, derdas Derridas Dekonstruktion in die Auflösung sämtlicher Tonalitäten reinreitet. Neue Musik von Jazzup (Rolling Stones) bis Technoboob (Sugar Babes) lernt nichts aus der Eurokrise, obwohl selbst Russland seit der Arabischen Maienzeit weiß, dass Gaddafi von Ai Weiwei manipuliert worden ist. Immerhin geht Nelson Mandela nach Darfur und beißt die Afrikanische Union, wie der einzige uns bekannte, von Al-Chwarizmi überlieferte Algorithmus zur Wiederbelebung der Gupta-Schwestern belegt. Wang Wei und Wu Zhen reißen sich doch noch einmal zusammen und schlagen Wang Po Su Shi bei den umstrittenen, da Jahrzehnte Wabi-Sabi-Buddhaspuk voraussetzenden Teezeremonien im Shinto-Gorinto-Nirvana. Mit Zen legt Herr Khmer im Pantheon der Gegurgel eine Geisterrakete vor Angkor, Popol the Vuh steht dem grandiosen Meisterwuchs Tezcatlipocas gegenüber, und Quetzalcoatl weiß dem Reich der bösen Nerven von Taseromachetl zu entspringen. Poe, Melville und Theroux gehören zu den einzigen Schriftführern ihrer Generation, die das homoerotisch verwegene Autorenduo Clemens & Twain dem Landadel zuzuordnen bereit sind. Winston Churchill veröffentlicht seine „great American novel“, während Lesben in den Wäldern immer urbaner ausfallen. Magellan und Vespucci kommen auf der Gutenberg-Bibel angeschifft, der Vatikan ist nattermäßig aber offenbar schon „ganz gut aufgestellt“. Giordano Bruno kann zwar fließend Machiavelli, doch erst Max & Morus gelingt der ultimative Quappensprung: anatomischer Bildhub-Florentiner für Perugia, Pisa für Donatellos Straße der Manierismen. Venedig und Venedig II geißeln einander mit mutierten Dialogen, Guy Maddin Luthers Thesenkrach zettelt den Vishnuismus und mit ihm gegenreformatorische Anglizysten an. Die Hagebutten greifen eigenmächtig vor, indem sie Rabelais nach dem Gargantuel trachten, Montaigne versucht sich eher schlecht als Brecht an einigen Essaismen. Mit Don Quijote kommt endlich ein Kenner der Materie an den Hof und beginnt unverzüglich mit der Umwandlung der vorrätigen Erasmen: Erst gleicht Hieronymus Bosch seinem unbeschnittenen Brueghel, dann exkommuniziert der Erzbischof York, dann setzt Bloody Mary Maria Stuart auf ihre Tudor-Liste – erst jetzt kann das Elisabethronische Zeitalter mit der überaus gut geölten Shakespeare-Marlowe-Maschinerie anlaufen. Hector Pascal macht sich einige Gedanken über Descartes’ „Ich denkatatron…“-Kakophrenie und läutet provisorisch den Barock ein. Rubens van Dyck sägt schon mal am eigenen Gespenst, obwohl Monteverdi zur überaus sorgfältigen Einlösung von Vivaldis fast 12.000 Disketten umfassenden Versprechen ansetzt. Seine Matthäuspassion gilt seit eh und je als Abgesang auf den Minderjährigen Krieg, also kommt es letztendlich auf eine Leibnitz’sche Madenfütterung mehr oder weniger nicht an. Maria de Medici kastriert kurzerhand Richelieu und lässt Armand de Bourbon gemütlich abtropfen. In Absolutismus getaucht, ernährt sich die damalige Weltbevölkerung quasi nur noch von Racines Canaille und Versailler Knötchen. Empirismen greifen sich gegenseitig unter den cartesianischen Chapeau, Velázquez wird an Oliver Cromwell geleast, dessen Habeas-Corpus selbst in Hobbes’ Locke nachweisbar ist. Der utilitaristisch behauchte Bacon schreibt Vermeers Rembrandt auf Rubens um, Spinoza dringt mit den Romanows ins Osmanische Reich vor, wo Selim der Gestrenge und Süleyman der Prächtige sich von Dschingis Khan für das Taj Mahal hin- und herrichten lassen. Im Steppenwolf findet die Ming-Dynastie lobende Erwähnung, aber auch die Wu-Schule und das Säckchen Jesuitengranulat. Dem Los Alamos Kabuki Theater, formerly known as „Siebenjähriger Krieg“, gelingt es, Klopstock, Lessing und Herbig zu induzieren. Goethe und Schiller müssen sich ihre Hûme allerdings brüderlich teilen und lassen deshalb Kant häufiger an prionische Transzendentalkritik ran. Der Dialektik Bachs stellen Händel und Mozart je eine (in geschmacklos vergoldetem Prachtschubert ausgelieferte) Zauberflöte entgegen. Opiumkriege werden direkt im Konkubineninnern entfacht und durchgeführt, wo während der Samuraizeit ordentlich Voodoo geflossen sein muss. Klassische Zulu-Anarchie findet in den Aschanti genauso Anwendung wie Franz Ferdinand in Hindenburg. Marquise de Pompadour muss sich endgültig Marie Antoinette stellen, es folgt eine konstitutionelle, von Robespierre feinfühlig auf die Spitze getriebene Demonarchie. Die Französische Revolution ist gut zu Mirabeau und Marat, die mit Bruder Grimm das Große Französische Traumvirat bilden. Diderot schreibt gemeinsam mit dem von Humboldt an der Uncyclopédie, Ultrahochstapler Pasteur entdeckt die Geisteswissenschaften für sich, die Gebrüder Montgolfier bereisen hochrangige Kunstfehler, nebenbei entstehen aber auch Gluck und Despotismus. Ganz unvermittelt kommt Montesquieu aus dem Gesellschaftsvertrag ins Strauchelner Stadttheater angebahnt und lässt sich vom Barbier in Residence die Sexvilla notdürftig beurkunden. Swift stimmt mit Dafoe darin überein, dass der Immaterialismus keinerlei Kausalität zulässt, dafür aber Napoleons Spanischen Erbfolgekrieg (an dem auch Farinelli erbfolgreich teilnimmt). Goya paust hauptsächlich bei Poltawa ab, Potemkin und Lomonossow lassen sich kurzfristig auf der Mayflower nieder und gründen die New Jersey Teabaggers. Noch am selben Tag wird die Declaration of Terraforming von sämtlichen Parteien unterzeichnet und Zar Johannes Pawel XOXO. führt Stresemann kurzfristig in Scheidemann ein. Das angelsächsische Kapital findet sich vor allem in Heckler, Koch, Neff & Volckmar wieder, daher stiefelt Rom über Guernica nach Nürnberg und lässts dort BAMFtlich krachen. Papst Prius VI. wird durch Ignatius von Toyota in einen erbitterten Kampf gegen einen Flying Chaucer verwickelt, der die Hauptrolle in Anaximander Rühlmanns sublim angedeutetem Ai-Kino übernimmt. Kolbène gründet das „Mäzenat der Bartholomäuse“, Shōgünther & Bushidieter gehen in den Wald und kommen nicht wieder …

*

Wie man sieht, hat man es bei 1 Kilo Kultur mit einer atemberaubenden, Respekt und Ehrfurcht einflößenden Ansammlung von stereotypen Klischees, banalen Trivialitäten und platten Binsenweisheiten zu tun. Wer an einem entsprechenden Quizzical interessiert ist, möge bei der Novelle fündig werden.


1 Kilo Kultur: Das wichtigste Wissen von der Steinzeit bis heute von Florence Braunstein und Jean-François Pépin erschien 2017 bei C. H. Beck in deutscher Übersetzung von Nikolaus Palézieux unter Mitarbeit von Alexander Kluy. Das Buch hat 1.296 Seiten und wiegt eintausend Gramm.

Unbequeme Schattenseiten. Nakamuras „Die Maske“

Jüngst erschien der japanische Bestseller Die Maske in deutschsprachiger Ausgabe. Im Prinzip stellt dessen Autor Fuminori Nakamura in dem Roman bloß simple Charakterfragen: Wie geht man damit um, wenn das eigene Leben dazu vorbestimmt ist, den größtmöglichen Schaden anzurichten? Und: Kann ein Identitätswechsel helfen, seine innere Bestimmung zu überwinden?


Es soll ja Familien geben, die sich der Weltverbesserung verpflichtet haben, für die der eigene Wohlstand nur Mittel zum Zweck ist, Gutes zu tun und die Welt zu verbessern. Wenn es diese wirklich gibt, dann gibt es sicher auch Familien wie den Kuki-Clan, der sich neben dem Anhäufen von Reichtümern noch ein zweites Ziel gesetzt hat: Übel und Verderben über die Welt zu bringen. In einer alten Familientradition zeugen daher die männlichen Kukis in hohem Alter noch ein Kind, das sie sehr bewusst darauf drillen, Schaden an der Menschheit zu verüben. Wer die Mutter ist, erfahren diese liebevoll als „Geschwüre“ gerufenen Kinder oftmals gar nicht. Geschickt webt Nakamura die Familienchronik jener Kukis in die jüngere Weltgeschichte ein, in der die sympathische Unternehmerfamilie aus Japan sicher ihren Platz gefunden hätte. Familienmitglieder tauchen etwa bei den Massakern der großen Kriege auf oder bei Terroranschlägen. Nicht immer zielen die Verbrechen der Familie auf einen persönlichen Vorteil. Ihre konsequente Haltung gegen die Menschenrechte hat ihnen dennoch nicht dabei geschadet, enorme Reichtümer anzuhäufen.

Krieg als moralisch integres Geschäft

Gerade erst machte sich einer der Kuki-Söhne in einem afrikanischen Bürgerkrieg verdient, den er mit geschäftsmännischer Präzision im Grunde selbst erst organisiert hat. Welchen kleinen Staat es hier traf und welcher politischen Richtung er hilft, spielt kaum eine Rolle – weder für ihn noch für den Roman. Viel spannender an Letzterem ist, wie Nakamura die Mechanismen moderner Kriege als Geschäftsmodell nachzeichnet. Das Investionsobjekt: ein Machtvakuum, am besten nach einer Revolution. Die Investition: Unterstützung einer Rebellengruppe mit Waffen und strategischer Beratung. Das Geschäft: Zerstörung der Ordnung, der Infrastruktur, ganzer Städte, des gesamten Staats, bis zum Aufbau einer neuen Regierung. Der Lohn: die Etablierung der hauseigenen Firmen in den Wiederaufbau. Ein Millionengeschäft.

Auch wenn dieser konkrete ferngesteuerte Krieg Fiktion sein mag, bleibt ein unangenehmer Geschmack. Zumal Nakamura auch hier nicht die Verortung des Geschäftsmodells in realen Kriegen scheut. Zwar verzichten die meisten Regierungen heute auf Propagandaministerien, aber dass Kriegsparteien teilweise Werbeagenturen beschäftigen, um Fake News zu verbreiten und international für Kriegseinsätze zu werben, ist ja bekannt. Allein mit den inneren Konflikten der Beteiligten an solchen Kampagnen ließen sich ganze Bücher füllen. Aber anstatt moralisch zerrissene Charaktere zu portraitieren, zeichnet Nakamura in seinem Roman zahlreiche integre Persönlichkeiten, die mit sich selbst im Reinen sind und nach ihrer Berufung handeln: Geschwüre eben. Das ist dann schon wieder literarisch interessant.

Maskiert durch die Unterwelt

Als ein solches Geschwür kommt auch Fumihiro Kuki, Hauptfigur des Romans, zur Welt. Und schon nach wenigen Seiten entsteht Eindruck, dass es sich hier nur um eine Ausreißergeschichte mit Rachefeldzug handeln kann. Denn Fumihiros Vater, der selbst als jüngster Sohn, als Geschwür, in die Welt trat, drillt seinen Sohn schon in jungen Jahren leidenschaftlich zu seiner Bestimmung. Etwa nimmt er ein Mädchen aus dem Waisenhaus im Familienanwesen auf, lässt beide Kinder Seite an Seite aufwachsen, misshandelt sie aber im Wissen des Sohnes. Dass sich daraus nicht über Romanlänge eine komplett fatalistische Geschichte abspielen wird, will man beim Lesen natürlich schon deswegen hoffen, weil der Roman bereits bei einer breiten Öffentlichkeit eingeschlagen und zum Bestseller geworden ist. Dass es Fuminori Nakamura gelingt, seiner Figur Fumihiro trotz dieser Grundvoraussetzungen mit einem komplexen und nicht komplett gutmütigen Charakter auszustatten, ist andererseits eine der großen Leistungen des Romans.

Titelgebend ist übrigens der Umstand, dass Fumihiro aus gegebenen Anlässen, vor allem, um unerkannt wirken und gegen den Familienfluch kämpfen zu können, einen Identitätswechsel einschlägt. Da er dabei einen radikalen Weg wählt, der ihm selbst viel abverlangt, klappt zumindest das auch teilweise ganz gut. Da sich der gesamte Roman jedoch im Yakuza-Zwielicht aus Drogen, Rotlicht und Gewalt mit Akteuren wie Bandenmitgliedern, Undercover-Polizisten und Privatdetektiven bewegt, stellt sich für ihn auch die neue Identität als nicht ganz unproblematisch heraus. Im Prinzip beschränkt er sich im Roman immer mehr auf zwei einfache Grundhandlungen: das Anrichten kalkulierter Schäden auf der einen und die Begrenzung anderer Schäden auf der anderen Seite.

In Japan feierte bereits eine aufwendige Verfilmung des Stoffs Kinopremiere. Aus gutem Grund, denn der Roman beleuchtet sehr geschickt gesellschaftliche Schattenseiten. Nicht zuletzt wird die extrem hohe Selbstmordrate in Japan thematisiert. Und die Geschichte birgt mehr als genug Potenzial, um ein spannender Film zu werden, auch wenn der Roman selbst dieses noch nicht ganz auszuschöpfen weiß. Da das Setting am Ende doch entfremdet und die Geschichte absurd bleibt, manchmal auch logisch etwas herausfordernd ist, fällt es ab und an schwer, sich die Dramatik des Stoffs einzuverleiben. In puncto unvorhersehbaren Wendungen und einer Handlung, die durch ihre Merkwürdigkeit fasziniert, lässt Nakamura allerdings keine Punkte liegen.

Die Maske von Fuminori Nakamura erschien am 28. Februar 2018 im Diogenes Verlag.

Titelbild: © Lucas Allmann auf Pexels

Im wirren Strudel der Ideen

Nachdem bereits der im Januar dieses Jahres in Deutschland erschienene erste Band von Haruki Murakamis Roman Die Ermordung des Commendatore für Furore sorgte, ist nun der zweite Band mit dem Untertitel Eine Metapher wandelt sich herausgekommen. Schon der erste Band war im Vergleich zu sonstigen Werken des gefeierten japanischen Schriftstellers recht banal und langatmig. Es blieb zu hoffen, dass der zweite Band die Buchreihe retten würde. Doch auch diese Hoffnung hat Murakami enttäuscht.

Zur Erinnerung: Philips Besprechung des ersten Bands findet ihr hier.


Band zwei schließt direkt an die Begebenheiten des ersten Parts – diese Ereignisse zu nennen, wäre zu viel des Guten, denn im Grunde hatte sich bislang nicht viel ereignet – an. Der Ich-Erzähler, ein namenloser Porträtist, der in einer japanischen Provinz im Haus des Vaters eines früheren Kommilitonen wohnt und dessen Scheidung gerade am Laufen ist, soll die 13 Jahre alte Marie porträtieren und das Mädchen dabei dem reichen Exzentriker Menshiki näherbringen, der vermutet ihr Vater zu sein. Daneben versucht der Künstler, gebannt von dem Bild Die Ermordung des Commendatore, das Tomohiko Amada, der Vater des Freundes, in dem Haus gemalt und versteckt hat, der Biographie Amadas nachzuspüren sowie dessen traumatischer Vergangenheit im erfolglosen Widerstand gegen das NS-Regime während seiner Zeit in Wien.

Daneben erscheint ihm immer wieder eine groteske kleine Figur, eine Miniatur des Commendatore aus dem Bild, die eine Idee darstellt und rätselhafte Tipps gibt. Schließlich entstehen natürlich diverse Komplikationen und der Ich-Erzähler wird von diesen, in deren Mitte er sich durch Passivität befindet, mitgerissen, was ihn, wie so oft bei Murakami, in Parallelwelten führt, um Marie, die vermeintlich in Schwierigkeit ist, zu retten. Der Porträtist gelangt so in die dunkle und enge Welt der Ideen und Metaphern, voller unterbewusster Gefahren und Fallen.

Murakami, der doch auch ein Meister der Kurzprosa und des pointierten und gleichzeitig melancholischen Schreibens ist, kommt leider auch in Band zwei nicht zum Punkt. Das und die Belanglosigkeit vieler Handlungsstränge waren schon im ersten Band ein Problem. Allzu lange beschäftigt er sich mit den Bemerkungen eines nicht besonders willensstarken und fast schon flachen Charakters des Ich-Erzählers und seinen Wahrnehmungen der anderen Protagonisten. Die Auflockerungen durch das unregelmäßige Erscheinen des Commendatore, die wohl bizarr sein sollen, wirken dabei auch nur lächerlich.

Zwischen Nationalsozialismus und Ehebruch

Im Grunde plätschert ein Großteil des Romans vor sich hin, während sich die verschiedenen Erzählstränge ziemlich berechenbar und ohne sonderliche Wendepunkte fortentwickeln. Besonders absurd wirkt dabei das Ende. Der Porträtist muss, um ein Schicksal zu erfüllen und Marie zu retten, den Commendatore vor den Augen des geistig umnachteten Amada ermorden, um das Bild nachzuvollziehen und in die Ideenwelt zu gelangen. Dadurch soll er Marie retten, die verschwunden ist, aber im Endeffekt nur in einer sehr misslichen Lage ist, da sie Menshiki hinterherspionierte. Die Ideenwelt hält dabei Reminiszenzen an Murakamis Roman Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt bereit, und die Ereignisse um die Geliebte des Ich-Erzählers schließen nahtlos an seinen grandiosen Roman Afterdark an. Im Vergleich zu diesen beiden Werken, die man getrost zumindest als höchst lesenswert bis meisterhaft titulieren kann, bleiben die Schilderungen des Mysteriösen und Fantastischen verhältnismäßig blass, passend zum langweiligen und willensschwachen Hauptprotagonisten. Getoppt wird diese Blässe nur noch durch Murakamis Vorliebe für große weibliche Brüste, etwas das immer wieder und nicht so subtil wie in seinen anderen Büchern eine dominante Rolle spielt.

Das einzig Spannende, aber auch Spekulative an Die Ermordung des Commendatore bleibt die Frage, inwiefern die Ereignisse, etwa der Abstieg in die Ideenwelt und Maries Rettung durch den Commendatore, zusammenhängen und was überhaupt in den Bänden geschehen ist, was erzählenswert wäre, außer dass der Porträtist technisch-künstlerisch Fortschritte gemacht hat. Der Ich-Erzähler ist gefangen in einem wirren Strudel, den die Ideen und Figuren, die ihn umgeben, die er aber nicht ausreichend versteht, konstruieren. Immerhin regt dies, wenn man schon die vielen hundert Seiten der beiden Bücher durchgelesen hat, zum weiteren Nachdenken an, und die Lösung ist wohl irgendwo zwischen dem Nationalsozialismus, bildender Kunst, klassischer Musik und unehelichem Sex zu finden – es hätte wohl doch ein bisschen präziser und pointierter sein können.

Sprachlich und stilistisch ist Band zwei gelungen, ähnlich wie Band eins, dennoch scheint Murakami auch hierbei momentan nicht auf seinem sonstigen Niveau zu sein. So gelingt es ihm nicht mehr, Romantik, Sehnsucht, Mystik und existenzielle Fragen der Freiheit zusammenzudenken und poetisch, verdichtet zum Ausdruck zu bringen. Realistisch und feinsinnig beobachtet schildert er zwar die Wahrnehmungen des Ich-Erzählers, die natürlich von seinen künstlerischen Fähigkeiten definiert sind, aber der sprachliche Tiefgang, etwa zu den eigentlichen Bedeutungen der auftretenden Metaphern und Ideen, fehlt. Murakami hat sich in den sehr beschränkten Verstand und den nahezu nur äußerlichen und oberflächlichen Beobachtungen des Ich-Erzählers gefangen.

Was ergo als großer Künstlerroman intendiert ist, reicht so leider auch nicht zum Entwicklungsroman oder zur Hommage an die Kunst in Zeiten politischer Katastrophen oder existenzieller Krisen. Vielleicht hätte es Murakamis Lesern besser getan, anstatt dieses langatmige und langweilige Werk zu schreiben, eine neue vielseitige Erzählungssammlung zu schreiben.


Haruki Murakamis Die Ermordung des Commendatore, Bd. II: Eine Metapher wandelt sich, übersetzt von Ursula Gräfe, erschien am 14. April 2018 beim Dumont Verlag Köln.

Titelbild: © Dumont-Verlag