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„Heavy Bremen“ – Ein Herz für Live-Subkultur

Manche machen in ihrer Freizeit Sport, andere schreiben Artikel über Bücher. Daves Hobby ist Bands auf die Bühne holen.


BRAVO-Poster von Ed Sheeran, Taylor Swift und Capital Bra hängen über dem Fernseher, auf dem stumm Konzertmitschnitte aus der Zollkantine in Bremen laufen. Mit Pop haben die allerdings nichts zu tun. Aus der Musikanlage schallt der apokalyptische Postmetal-Klangteppich von Cranial. Willkommen auf Daves Abschiedsparty.

Dave blättert durch die BRAVO, die er durch Zufall beim Einkauf entdeckt und spontan mitgenommen hat. Das coole Extra, die rote Smartphone-Kette, hat er an sein Handy befestigt und sich umgehängt. Im Kontrast zu den Postern prangt das weiße Logo von Heavy Bremen auf seinem schwarzen T-Shirt: Unter dem markanten Schriftzug befinden sich die Bremer Stadtmusikanten in einem Zustand, der sich am ehesten als tollwütig und halb verwest beschreiben lässt. Bald wird Dave Bremen verlassen. Jedoch nicht ohne eine Spur zu hinterlassen, die aus knapp zehn Konzertveranstaltungen innerhalb eines Jahres besteht.

Ob Death-Metal-Grindcore à la Implore, die Hamburger Sludge Metal Band The Moth oder düsterer Stoner-Folk von Jayle Jayle aus den USA – Daves Auswahl ist bemerkenswert facettenreich und geht nicht nur über Genregrenzen, sondern auch über die von Bremen hinaus. Die Zollkantine, die sich als Veranstaltungsraum für Bremens musikalische Subkultur versteht, hat die Ohren gespitzt. Bisher dominierten vor allem Hip Hop Acts die Zollkantine. In diesem Jahr hat Dave jedoch dort so viele Konzerte veranstaltet, dass er einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Die Metal-Subkultur Bremens hat hier einen festen Hafen gefunden.

Vor wenigen Monaten haben Dave und sein Kollege Tim einen dicken Fisch an Land gezogen. Für Ende Juli engagierten sie die experimentelle Stoner-Rock-Band OM, die unter Liebhabern des Genres mit ihrem Album Advaitic Songs von einem Geheimtipp zu einem Geheimtipp mit Kultstatus geworden sind. Mit dem einzigen Auftritt von OM in Norddeutschland  versprachen sie sich ein ausverkauftes Konzert. Dass sie auf ein paar Karten sitzen geblieben sind, gehört zum Veranstaltungsrisiko. Das hält sie jedoch nicht davon ab, weitere Bands an Land zu ziehen.

Konzerte sind sein Hobby. Vor vier Jahren veranstaltete Dave in seinem damaligen Wohnort Münster sein erstes. Eigentlich wollte er damit seine eigene Band pushen, doch was bis heute bleibt, ist die von ihm ins Leben gerufene Konzertinitiative Tortuga Booking. Während er mit dem Tochterzweig Heavy Bremen die Hansestadt mit Auftritten bereichert, veranstaltet Dave weiterhin in Münster einige Konzerte.

Mit seinem beruflich bedingten Wegzug aus Bremen wird er sich eine weitere Stadt als Standort für Konzertveranstaltungen erschließen. Heavy Bremen lässt Dave aber nicht im Stich: Für Sommer 2020 ist in Blumenthal ein kleines Metal Festival geplant.

Titelbild: Lennart Colmer
Bildquellen: Facebook (Heavy Bremen) / YouTube (EmotionVFX)

Belzebong: Schall und Rauch im Magazinkeller

Belzebong_Magazinkeller

Am vergangenen Freitag veranstaltete die Kultur Guerilla Bremen im Magazinkeller ein Konzert mit Belzebong aus Polen und Sonic Wolves aus Italien. Sie brachten satte Riffs und stonigen Doom. Der Underground lebt noch.


03.03.2017, kurz vor Doom – Niemand dürfte sich aus purem Zufall im Magazinkeller des Bremer Schlachthofs verirrt haben. Und wenn doch, so hat er oder sie mit Sicherheit einen memorablen Abend verlebt. Selbstverständlich nicht im Sinne einer Rob Zombie Show, denn dafür mangelte es eindeutig an Platz. Zum anderen ging es schlichtweg um die Musik – wie bei jedem guten Rock Konzert.

Nachdem die ersten Bierchen gemütlich getrunken waren, begann die dreiköpfige Vorband Sonic Wolves zu spielen. Unter dem fachkundigen Publikum als „die Band mit dem Drummer von Ufomammut“ bekannt, heizten sie den Laden nach fuzzy Heavy Rock Art ein. Im Auge des Sturms hypnotisierte der Song He Said… mit einem Herz aus Blues:

Der Magazinkeller füllte sich zusehends, nachdem schließlich Belzebong die Bühne betreten hatten und programmatisch mit Bong Thrower den Doom des Abends einläuteten. In behäbigem Rhythmus schwangen der Bassist und die beiden Gitarristen die Matten und walzten sich sanglos von Song zu Song.

Jeder davon gab eine wuchtige Stoner Doom Expression ab, die nicht unter zehn Minuten lag. Bands wie Sleep und Electric Wizard haben es vorgemacht; die 2008 in Polen gegründete Band dreht (mit selbstgenanntem Bezug auf Black Sabbath und Gras) den Strick aus rauchigen, leidenschaftlichen Riffs weiter.

Der Joint, der von irgendwo aus dem verzückten Publikum kam, wäre nicht zwingend notwendig gewesen, um sich den massiven Klangteppichen hinzugeben. Das Fazit des Abends fällt jedoch ungetrübt davon aus: Musikalische Leidenschaft und Frickelei sind allem Anschein nach noch tief im Underground verwurzelt. Kleines Konzert, maximale Befriedigung!

Titelbild: © Lennart Colmer

We had to leave. Geschichten von Monstern, Gejagten und schäumendem Sauerstoff

Am gestrigen Abend stellten We had to leave. im Bremer Tower ihr erstes Album A Rather Confident Thought vor. Während sie in ihrer Heimatstadt längst weitaus mehr als ein Geheimtipp sind, wollen sie nun auch in anderen Städten von ihrer Definition des Indie reden machen.


Aus dem kleinsten Bundesland ist seit jeher eine überschaubare Anzahl von positiven Nachrichten zu vermelden. Das Bildungssystem liegt brach, der einst so stolze örtliche Fußballverein blickt wehmütig auf seinen avantgardistischen Charakter der Nullerjahre zurück und das Viertel als kulturelles Zentrum droht der Bourgeoisie anheimzufallen. Nicht gerade erbaulich.

Doch es ist Hoffnung in Sicht. Etwas an der prekären Situation ändern könnte die hier ansässige junge Szene an Musikschaffenden, die sich ihrer Kreativität in vielfältiger Weise genreübergreifend bedient. Ein Beispiel für diese positive Entwicklung ist die dreiköpfige Band We had to leave., die vergangene Woche ihren ersten Longplayer A Rather Confident Thought veröffentlichten. Die Combo definiert sich vorrangig als Liveband, die ihren Ursprung in Gigs in anderer Leute Wohnzimmer sieht und bereits über Bühnenerfahrung auch im Ausland verfügt, da sie bereits mehrmals bei Festivals und Konzerten in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und der Schweiz auftrat. Die neuen Aufnahmen sollen jedoch zunächst in heimischen Gefilden wie Bremen, Hamburg, Kiel oder Oldenburg dem konzertaffinen Publikum vorgestellt werden. Mitte Mai gilt es dann, Hörer٭innen in etwas weiter entfernten Gebieten zu überzeugen, wenn Auftritte im Kukulida in der Dresdener Neustadt (14.05.) und schließlich im Auster Club in Berlin-Kreuzberg (15.05.) folgen.

Was aber macht We had to leave. aus und wie präsentiert sich deren erstes Album? Sie selbst beschreiben sich als Indie-Electro-Trio, das „mit progressivem Geschrammel und subtiler Arroganz so ziemlich jeden Club in eine seriöse Spielwiese [verwandelt]“ (Quelle: Pressetext). Klingt vielversprechend. Tatsächlich kann von Geschrammel aber kaum die Rede sein. Wer sich an der 2014 erschienenen EP Awake Asleep orientiert, auf der der Titel Branches heraussticht, wird sich ob des stringenten Arrangements auf A Rather Confident Thought überrascht zeigen.

Quelle: YouTube

Während die EP äußerst experimentell daherkommt und sich durchaus gefällig, aber unvorhersehbar zwischen elektronischen Elementen, melodischem Songwriting, aber auch härteren Gitarrenriffs und damit irgendwo zwischen Dream Pop und Shoegaze bewegt, ist nun ein klar nachvollziehbarer Stil zu erkennen. Im Vergleich zum Vorgänger erscheint das Album einerseits weitaus poppiger, andererseits deutlich reifer und wohldurchdacht, was gleich die erste Singleauskopplung Small Voices illustriert.

Quelle: YouTube

Unüberhörbar greift die Band auf verschiedene Einflüsse zurück. Bemerkbar macht sich dies in der Betrachtung der einzelnen Stücke. So erscheint Understanding In A Heartcrash wie eine Reminiszenz an die früheren Foals. Das instrumentale R.S. lässt mit seinem Glockenspiel an Alt-J denken und das Interludium Transitional Arrangement vereint Merkmale von Sigur Rós. The Hunted erinnert in einigen Elementen an Deerhunters Halcyon Digest.

 

Quelle: YouTube

Eine Besonderheit entwickelt sich zudem aus den diversen Wirkungskreisen, die sich ohnehin aus der Zusammensetzung der Mitglieder ergeben. Sänger und Gitarrist Julian kommt laut eigener Aussage eher aus der Indie-Ecke, Drummer Torben hingegen erkennt seine Herkunft im Post-Hardcore und Bassist Christian spielte vormals in einer Metalcore-Band, kann darüber hinaus auf ein Studium der klassischen Musik verweisen. Ein für drei Bandmitglieder vergleichsweise großer Melting Pot also. Dennoch kommt während des Hörens nie der Eindruck auf, dass bei der Komposition der Konsens fehlte. Man scheint sich auf die Gemeinsamkeiten geeinigt zu haben.

Ergebnis ist, dass sich A Rather Confident Thought als ein variantenreiches Werk zeigt, durch das sich trotz der erwähnten vielfältigen Inspirationen eine erkennbare Linie zieht, und sich die Band einen für sich stehenden Stil mit Wiedererkennungswert zu eigen gemacht hat. Es gibt also auch in der Hansestadt allen Grund für eher zuversichtliche Gedanken, die sich auch in anderen Städten der Tristesse ausbreiten dürfen.

Titelbild: © We had to leave.