An seinem 69. Geburtstag, zwei Tage vor seinem Tod, veröffentlichte David Bowie sein letztes Album. Die Öffentlichkeit wusste zu dem Zeitpunkt nichts von dem 18-monatigen Kampf des Künstlers mit seiner Krebserkrankung. Und so scheint es im Nachhinein, als hätte Bowie mit Blackstar sein Requiem geschrieben, ein letztes Abschiedsgeschenk an seine Fans, seinen Schwanengesang.
Sowohl der zuerst veröffentliche Titelsong „Blackstar“, als auch die zuletzt veröffentlichte Single „Lazarus“ überraschten und gaben bereits vor Bowies Tod im Feuilleton Raum für spekulative Interpretationen. Bowie präsentiert mit Blackstar ein Album, das unerwartet ist, in einem (Lebens-)Werk, das selbst so abwechslungsreich ist, wie die Dekaden, in denen es entstanden ist. „Nothing has changed“, so versichert es uns noch die 2014 erschienene Compilation. Und man möchte es glatt glauben, denkt man an „The Next Day“ von 2013 zurück, ein Album, in dem sich Bowie nach zehnjähriger Studioabstinenz musikalisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt und alte Gedanken neu verwirklicht.
Doch Blackstar ist anders. Es ist das einzige Album des Künstlers, auf dessen Cover nicht sein Portrait oder irgendein anderer seiner Körperteile zu sehen ist. Der schwarze Stern steht für sich, eine Absage an die physische Präsenz. Doch auch musikalisch ist da etwas anders, nicht zuletzt deswegen, weil es wohl „Young Americans“, das 1975 erschienene neunte Album des Künstlers, musikalisch an Saxophonpräsenz noch übertrifft. Man hätte laut Tony Visconti, David Bowies langjährigem Produzenten, im Vorfeld der Produktion ständig das viel gelobte Album „To Pimp a Butterfly“ von Kendrick Lamar gehört. Dabei ging es Bowie und Visconti scheinbar besonders darum, das experimentelle Moment Kendrick Lamars zu erfassen und für sich nutzbar zu machen:
„We wound up with nothing like that, but we loved the fact Kendrick was so open-minded and he didn’t do a straight-up hip-hop record. He threw everything on there, and that’s exactly what we wanted to do. The goal, in many, many ways, was to avoid rock & roll.“
So kam es dazu, dass Bowie Donny McCaslin und seine gesamte Jazz-Gruppe dazu einlud, am neuen Album mitzuarbeiten. „Blackstar“ bekommt dadurch einen experimentellen Geschmack von Jazz, der jedoch zu kontrolliert ist, um wirklich jazzy zu sein, mit einem manchmal zu präsenten Saxophon.
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Der Beginn des ersten Songs des neuen Albums lässt einen jedoch eher an die sphärischen Trip-Hop-Grooves der Band Portishead denken, als an einen Jazz-Song, geschweige denn einen Bowie-Song. „In the villa of Ormen“, steigt dann eine Stimme in das schwingende Rauschen ein; eine Stimme, die an kirchliche Choräle erinnert. Ist das noch derselbe, uns bekannte Bowie? Die Musik von „Blackstar“ klingt okkult, beschwörend, und ist mit knapp zehn Minuten Länge neben „Station to Station“ wohl Bowies längster Song. Die im Song transportierte bedrückende Stimmung wird nicht nur durch die Lyrics von knieenden Frauen, gefallenen Engeln und Exekutionen, sondern auch durch das alptraumhafte Video, das Bowie mit Regisseur Johan Renck aufnahm, unterstrichen. In diesem ist es besonders der leblose Astronaut, der Assoziationen mit Vergangenem hervorruft. Denn wenn wir ehrlich sind, so kann man sich das Werk David Bowies nur schwer ohne einen Major Tom vorstellen. Im Video zu „Blackstar“ fliegt der Körper dieses Astronauten, wer auch immer er ist und was auch immer er bedeuten mag, dem schwarzen Stern entgegen. Zurück bleibt sein mit Juwelen besetzter Kopf, eine in ekstatischen Ritualen angebetete Reliquie. Und dann geschieht etwas, mit dem man in der ganzen düsteren Atmosphäre, die vorher evoziert wird, nicht gerechnet hat. Aus einem abebbenden Saxophon- und Drumsound ersteigt eine dem Hörer bekannte Melodie. Eine Melodie, die an die besten Zeiten des Künstlers erinnert. Vor uns steht ein prophetischer David Bowie, in der Hand ein Buch mit schwarzem Stern, eine Art „Blackstar“-Bibel:
„Something happened on the day he died, Spirit rose a metre and stepped aside, Somebody else took his place, and bravely cried (I’m a blackstar, I’m a blackstar)“.
In diesem Moment denken wir an Starman, Space Oddity, Life on Mars, bis wir von der Gravitation des Blackstars zurück in düstere Gefilde gezogen werden, wo uns der Mann mit der knopfäugigen Augenbinde wiederbegegnet.
Es ist auch dieser Mann mit der Augenbinde, der in „Lazarus“ auf dem Totenbett liegt. Die verdeckten Augen sind ein Motiv, dass stark an Totenrituale der Antike oder des alten Ägyptens erinnert. „Look up here, I’m in heaven“, so beginnt der elegische Song mit dem biblischen Namen, der Bowies letzte Single-Veröffentlichung sein sollte. Eine Zeile, die durch den Song begleitet, unterstrichen von einem melancholischen Saxophon. Eine Zeile, die uns durch folgende Ereignisse in Erinnerung bleiben wird. Der ganze Song ist wie ein Rückblick auf das Leben („By the time I got to New York, I was living like a king“) und ein Ausblick, vielleicht auf den Tod („You know I’ll be free, Just like that bluebird“). Doch dadurch wirkt er längst nicht wehleidig. Die Bläser vermitteln ein Gefühl der Sehnsucht, das in dem Moment einen Riss erhält, wenn das Handy aus den besungenen Höhen in die Tiefe fällt und man sich bei diesem Augenzwinkern denkt: Ist das nicht typisch Bowie?
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Die weiteren Songs des Albums unterscheiden sich von den beiden Single-Auskopplungen, denn sowohl die Thematik, als auch die Texte und die Musik scheinen leichter, befreiter, aber auch trivialer zu sein. Mit „’Tis a Pity She Was a Whore“ und „Sue (Or In A Season Of Crime)“ sind zwei Songs auf dem Album, die bereits auf „Nothing Has Changed“ zu hören waren, jedoch für „Blackstar“ neu aufgenommen wurden. „’Tis a Pity She Was a Whore“, dessen Name Bowie von der 1633 uraufgeführten Tragödie von John Ford übernommen hat, könnte zumindest in Hinsicht auf den vulgären Text auch ein Lou Reed-Song sein, der unterstützt von einem freien, ungebundenen Saxophon-Spiel um einiges virtuoser klingt, als die Version, die man auf „Nothing Has Changed“ zu hören bekommt. Aber auch „Sue (Or In A Season Of Crime)“ und „Girl Loves Me“ hingegen schlagen experimentellere Töne an, letzterer Song besonders durch seine basslastigen Beats und einem Gesang, der beinahe ins Sprechen übergeht.
Und da wären da noch die unverständlichen Lyrics, deren Sprache einem britischen Slang der Londoner Gay Community Mitte des 20. Jahrhunderts entnommen ist. Dagegen klingt „Dollar Days“ schon fast wie eine konventionelle Ballade. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass der Song spontan im Studio während der Aufnahmen entstanden ist. “‘One day, David just picked up a guitar,’ says McCaslin. ‘He had this little idea, and we just learned it right there in the studio. I didn’t even remember it until months later when someone told me it was on the album’“, zitiert der Rolling Stone. Der nahtlose Übergang von „Dollar Days“ zum letzten Song „I Can’t Give Everything Away“, wenn episch ausklingende Streicher und das auf dem gesamten Album stark vertretende Saxophon sich plötzlich in einen poppigen Beat einer 80er-Jahre Drummachine verwandeln, ist im Hinblick auf das restliche Arrangement des Albums unnötig und damit eher störend. Ansonsten ist der letzte Song ein treffender Abschluss. „I Can’t Give Everything Away“, eine vieldeutige Aussage über die Kunstfigur David Bowie, Ziggy Stardust, The Thin White Duke und den Künstler David Robert Jones, der wohl so viel mehr war, als nur die Summe seiner Teile.
Wenn David Bowie im Video zu „Lazarus“ ein letztes Mal vom Totenbett aufsteht, sich an den Schreibtisch setzt und hastig anfängt zu schreiben, so glaubt man, er wolle noch schnell alles niederschreiben, was er uns hier zu sagen hat, bevor er für immer im Schrank verschwindet. Nach seinem Tod hat Tony Visconti auf die vielen Fragen „Blackstar“ betreffend über David Bowie gesagt: „Sein Tod war nicht anders als sein Leben – Ein Kunstwerk“. Und man möchte sagen: Ain’t that just like him?
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