Wenn Isolation Berlin auf die Bühne treten, sind sie und ihr Publikum gemeinsam einsam. Sie feiern Trostlosigkeit, Kälte und sich selbst. So auch am 17. Dezember 2016 im Columbia Theater Berlin.
Keine Frage, die Medien lieben sie. Weil sie keinem Trend folgen und doch den Zeitgeist treffen. Weil sie so traurig, schwermütig und tiefsinnig sind. Und weil sie das liefern, nach dem sich scheinbar alle gesehnt haben. Isolation Berlin haben in diesem Jahr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Von einigen werden sie als die deutsche Indie-Rock-Entdeckung 2016 gehandelt. Neben Bands wie Drangsal, Annenmaykantereit, Von wegen Lisbeth und Milliarden waren sie für den Preis für Popkultur in der Kategorie „Hoffnungsvolle Newcomer“ nominiert. Den Preis gab es nicht, aber weiterhin gute Presse. Rezensionen und Bandporträts lesen sich fast wie ihre Songtexte selber. Kritiker٭innen verlieren sich in bedeutungsschwangeren Formulierungen wie „trügerische Euphorie“, „eisige Abgründe“ oder „eine blutrote U-Bahnfahrt von leichtem Walzer bis zur Endstation im Lärm“ (s. Spiegel online und Intro), wenn sie ihren Sound beschreiben. Als hätten die Schreiber٭innen Angst, den vier Musikern und ihrer Botschaft nicht gerecht zu werden. Auch der Vergleich mit Bands wie Ton, Steine, Scherben oder Tocotronic verringert nicht den Druck, etwas ganz Großes in den vier Mittzwanzigern zu sehen.
Dann stehen sie am 17. Dezember 2016 – als Abschluss eines erfolgreichen Jahres – auf der Bühne des ausverkauften Columbia Theaters in Berlin. Kein großes Hallo, kein euphorisches „Guten Abend, Berlin!“ Eher unaufgeregt, ja fast nüchtern abgeklärt singt Tobias Bamborschke, als hätte er nie etwas anderes getan: „Ich bin ein Produkt. Ich will, dass ihr mich schluckt. Dass ihr mich konsumiert. Euch in mich verliert“. Dabei hebt er bühnensicher die Arme in die Höhe und deutet dann ins Publikum. „Ich will, dass ihr mich liebt. Und auch die ganze Welt. Ich lebe für Applaus. Bis der Vorhang fällt.“ Eine unmissverständliche Ansage an das Publikum. Und ein geschickter Zug des ehemaligen Schauspielstudenten: Wie entzieht man sich zu Beginn eines Konzerts jeglicher Kritik? Man geht in strenger Selbstreflexion mit sich selbst ins Gericht und schreit das Urteil heraus.
Quelle: YouTube, © berlinconcert
Ja, er ist das Produkt. Genauer gesagt ist er das Zentrum eines guten Produkts. Während er mit gewaltiger Bühnenpräsenz alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, werden seine drei Mitspieler zu Statisten. Die Band interagiert nicht. Alle wirken konzentriert, versunken in ihrem Sound. Auf der Bühne ist kaum Bewegung. Und Tobias Bamborschke? Er weiß, was er da tut. Und wenn er singt, dass es schwerfalle aufzustehen, wenn man nicht wisse wieso, glaubt man ihm. Schließlich unterstreicht er die Schwere durch seine kraftlose und monotone Artikulation. Aber die Gefühle, die Melancholie, Traurigkeit und Trostlosigkeit, die er in all den Rock-Chansons beschreibt, gingen dem Konzert voraus. Auf der Bühne spielt er seine Rolle. Die Gesten sind einstudiert, etwa wenn er singt: „Siehst du da die dicke Frau?“ und in die Leere zeigt, als stünde sie dort. Er tut es nicht zum ersten Mal. Nur einmal, glaubt man, ein nicht geplantes Lächeln in seinem Gesicht zu erkennen: Nachdem ihm die Menge laut und textsicher „Der Schlachtensee ist lang. Und auch ohne dich ganz schön“ entgegensingt.
Es ist nicht zu überhören: Isolation Berlin hat eine Fangemeinde. Sie kann jedes Wort mitsingen – ihres Debütalbums „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ und sämtlicher EPs. Diese Fanschar umfasst nicht etwa nur Student٭innen Mitte zwanzig – auch wenn sie die Mehrheit bilden. Bis 50 Jahre ist alles dabei. Und sie feiern ihre Band, die nur wenig mit ihnen in Aktion tritt. Sehr kurze Ansagen kündigen ihnen an, was sie ohnehin nach den ersten Tönen erraten würden: den Titel des nächsten Liedes. Danach gibt es Jubelschreie und Applaus, wie zu Beginn gefordert. Den letzten Song widmet der Sänger dem wichtigsten Menschen in seinem Leben: sich selbst. Das sorgt für den ersten Lacher des Abends im Publikum. Die letzten Zugaben performt Isolation Berlin mit ihrer geliebten Vorband Der Ringer und dann fällt der Vorhang.
Ja, Isolation Berlin beherrschen ihr Handwerk. Sie wissen, wie sie einen grauen, dumpfen Schleier über ihre Zuhörer٭innen legen und es mitziehen – in besungene Abgründe, in Weltschmerz und Selbstmitleid. Aber das Konzept ist durchdacht, die Abgründe sind geplant. Trotzdem oder gerade deswegen scheinen sich viele in ihnen und ihren Songtexten wiederzufinden – die manchmal naiv mit vorhersagbaren Reimen gerade herauserzählt und manchmal mit Methaphern und Pathos überladen werden. Vielleicht ist es das, was den Kritiker٭innen so imponiert und sie zu ebenso bildlichen Umschreibung ihrer Musik verführt: die naive und gleichzeitig ausgewachsene Melancholie. Trotzdem sollte sich doch eine٭r dazu hinreißen lassen, Isolation Berlin einen Wikipedia-Artikel zu schreiben. Was ist denn das für ein Produkt ohne Wikipedia-Eintrag?
Bilder: © Anna Stuhrmann und Katharina van Dülmen