Schlagwort: Berlin Feminist Film Week

Feminismus mit oder ohne Technik

Auf der Berlin Feminist Film Week wurde das Science-Fiction Genre endlich `mal ein wenig umgekrempelt. Frauen schrieben Drehbuch, führten Regie und machten den Großteil des Castings aus. Mit Advantageous ist eine dystopische Schau in die Zukunft entstanden, die uns widerspiegelt, was an dem heutigen Verhältnis von Arbeit/Frauen und Wissenschaft/Technik schief läuft.


Im Rahmen der Berlin Feminist Film Week lief Advantageous. Die Regisseurin Jennifer Phang schrieb zusammen mit der Hauptdarstellerin Jaqueline Kim das Drehbuch. Zunächst als Kurzfilm für Netflix produziert, wurde dieser 2012 beim Sundance Film Festival gezeigt und später als Feature zu einem vollen Spielfilm ausgearbeitet. Angekündigt wurde „feminist sci-fi at its best“. Ich erwartete also einen feministischen Science-Ficiton Film. Vor allem erwartete ich eine Geschichte, in der Frauen sich behaupten und vielleicht auch gerade durch Technik mehr Macht bekommen oder sie sich nehmen. Ich hatte hier an anderer Stelle bereits auf das speziell gesellschaftskritische Potenzial von Science-Fiction aufmerksam gemacht. In Science-Fiction-Filmen speist sich die Not, mit der neue technische Innovationen erforscht und realisiert werden, fast immer aus ganz grundsätzlichen Fragen, die die menschliche Existenz betreffen. In vielen populären Filmen sieht das so aus: Der Lebensraum auf diesem Planeten wird zerstört, also brauchen wir Raumschiffe und Technik, die Überlebensbedingungen im All oder auf einem anderen Planeten für uns schaffen.

Berlin Feminist Film Week 2016

© Florence Wilken

Das beinahe zwanghafte Verhältnis von Wissenschaft und Praxis wird gerade in Science-Fiction zwar nicht immer Thema der Handlung, ist aber dennoch der Grund und Boden, auf dem sich Handlungsstränge abspielen und Konflikte entzünden oder überhaupt erst ermöglicht werden. Und das ist die gar nicht so fiktionale, sondern reale Dimension des Genres. Wissenschaft und Technik wirken ganz direkt auf Machtverhältnisse zwischen Menschen, denn die in der Wissenschaft destillierten „Fakten“ werden normativ aufgeladen in Technik eingewoben und werden jedes Mal im Gebrauch der Nutzerinnen reproduziert (Cynthia Cockburn, Susan Ormrod: “Wie Geschlecht und Technologie in der sozialen Praxis gemacht werden”, in: Irene Dölling und Beate Krais: Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis).

Technik gegen Biologie

Dreh und Angelpunkt für den Konflikt, dem die Protagonistin in Advantageous ausgesetzt ist, ist der Verfall des menschlichen Körpers, das Altern. Gwen Koh, eine alleinerziehende Mutter, ist Sprecherin für den Konzern „Center for Advanced Health and Living“. Wie der Name vermuten lässt, verbirgt sich dahinter das Bestreben, dem Fortschritt nicht im Wege zu stehen. Dort werden technische „Lösungen“ vermarktet, die das menschliche Leben und die Gesundheit erträglicher machen sollen. Welche Lösung wäre nicht umfassender und logischer, als den Verfall des Körpers gänzlich zu stoppen? Gwen ist in den 40ern, immer noch bildschön, aber man sieht ihr den unerbitterlichen biologischen Prozess eben doch an. Sie kann nicht mehr als Sprecherin des Centers auftreten, man sucht eine neue, jüngere, attraktivere Frau. Gwen ist nicht die einzige, die arbeitslos wird. Im Verlauf des Films sieht man immer wieder Bilder von Frauen in prekären Lebensumständen, ohne Wohnraum oder Prostitution. Die dezent animierten und gezeichneten Gebäude und Transportmittel dieser zukünftigen Welt verstärken dabei das Gefühl, dass für „Natürliches“ und biologische Körper eigentlich kein Platz mehr ist. Zugespitzt wird diese Kritik an der zunehmenden Technisierung unserer Lebensräume, indem ab und an einzelne Bauten einzustürzen beginnen und grauer Staub in den Himmel steigt. Auch die von uns erschaffene Konstruktionen sind vergänglich.

Advantageous Jules Gwen Feminist Film Week

© Good Neighborhood Media

Um ihrer talentierten Tochter eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen, sucht Gwen verzweifelt eine neue Arbeit. Ohne Erfolg. Sie weiß um ihre Expertise, jahrelange Erfahrung mit den Produkten. Das will sie noch einmal als Argument ins Feld führen. Als sie sich schließlich an ihren alten Arbeitgeber und auch privat vertrauten Mitarbeiter wendet, ergibt sich eine neue Chance. In Sequenzen, in denen der Mitarbeiter mit seiner Vorgesetzten verschwörerisch Gwen im Wartezimmer beobachtet, wird der Zuschauerin klar, dass von Anfang an auf Gwen gesetzt wurde. Unklar bleibt allerdings, wieso gerade sie eine geeignete Kandidatin für das waghalsige Experiment ist, das Gwens Arbeitgeber an ihr ausprobieren wollen. Obwohl ihr der Mitarbeiter unter vier Augen mitteilt, welche Risiken damit einhergehen, entscheidet Gwen sich dazu, ihren Körper aufzugeben und ihre Identität in einen neuen, jüngeren Frauenkörper transferieren zu lassen. Für sie ist es die letzte und beste Chance.

Wenn Jugend und Schönheit über Arbeit entscheiden

Eine Gesellschaft, in der Frauen es besonders schwer haben, Arbeit zu finden und die aufgrund ihrer verwelkenden Jugend und Schönheit einfach aussortiert werden, dazu muss man nicht ins Jahr 2041 reisen. Wenn sich Gwen dazu entschließt dem Druck nachzugeben und sich der Schönheitsindustrie und dem Diktat „Frau sein heißt attraktiv sein“ unterordnet, schwindet erst einmal die Hoffnung bei mir als Zuschauerin, die Protagonistin könnte sich doch noch selbst behaupten. Aber halt! Vielleicht wird Gwen ja von ihrem Mut belohnt und kann als ganz neues Wesen, eine neue Art von Mensch, Grenzen überwinden und doch noch den Zwang von sich schütteln. Es wird ihr suggeriert, und Gwen glaubt daran, dass Körper und Geist sich trennen lassen, ja sogar unabhängig voneinander existieren können. Dass Identität etwas ist, dass noch mit sich identisch ist – falls es überhaupt so etwas wie einen Kern oder eine Einheit des Selbst gibt –, wenn jeglicher materielle Bezug weggenommen wird. Gwen und ihre Tochter Jules suchen gemeinsam einen neuen Körper aus, in den Gwens geistigen Muster übertragen werden sollen. Irgendwie ahnen beide, dass sie danach anders sein wird. Die Drastik der Handlung spitzt sich gerade in dem Umstand zu, dass Gwen sich nicht verändert hat, sondern dass, auch durch die noch nicht ganz ausgereifte technische Umsetzung, der gespendete Körper und der eingespeiste Geist zusammen eine ganz neue Person bilden. Frau und Mädchen müssen sich erst einmal kennen lernen, damit daraus Mutter und Tochter werden kann.

Quelle: YouTube

“Does progress mean that you can have a conversation with a fellow human being and be human? Or does it mean that you’re just going to be this ultra-human that just exists forever? Or is that natural to who we are?“, fragt die Schauspielerin Jaqueline Kim in einem Interview (Interview auf craveonline.com) . Und das sind auch die Fragen, die bei mir auftauchen, während ich den Film schaue. Der Film versucht aus einer weiblichen Perspektive eine Gesellschaft darzustellen, die es gerade Frauen fast unmöglich macht, ihre eigene Rolle als Frau zu erkennen, geschweige denn autonom zu gestalten. Deprimierend ist, dass hier keine Frauenpower proklamiert wird. Meine Erwartungen wurden also nicht erfüllt. Aber gerade der dystopische Charakter und die totale Aufgabe der Mutter bis hin zur körperlichen Entäußerung erzeugen eine erschütternde Drastik. Und dann ist er wieder da, dieser Moment, der Filme und besonders Science-Fiction so sperrig und wertvoll macht. Der praktische Zwang, der mit der Möglichkeit etwas völlig Neues machen zu können, einhergeht, führt uns vor Augen, was auf dem Spiel steht. Welche Vorstellungen wir von uns haben und welche Teile wir davon vielleicht bewahren sollten und welche wir völlig neu denken müssen. Advantageous ist ein ruhiger, nachdenklicher Science-Fiction Film mit einem überzeugenden Casting und er ist feministisch, gerade weil die Betrachterin gefordert wird, darüber nachzudenken, wie Frau-Sein heute und in Zukunft aussehen soll oder kann.

Titelbild: © Good Neighborhood Media