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Die unerträgliche Schwere des Seins

Erwachsene Menschen haben Probleme. Und je älter sie werden, desto verzwickter werden die Probleme. Das zeigt Sandra Nettelbecks neuer Film „Was uns nicht umbringt“.


Der Hauptcharakter Dr. Maximilian Lange (August Zirner) ist Psychotherapeut und verliebt sich in seine Patientin Sophie (Johanna ter Steege). Max ist geschieden, bezeichnet seine Ex-Frau Loretta (Barbara Auer) aber als seine beste Freundin. Sophie führt dagegen eine Beziehung mit David (Peter Lohmeyer), der weiterhin bei seiner Frau und seinem Sohn lebt, die von der Beziehung wissen.

Dazu kommen fünf weitere Haupt- und Nebenplots und nochmal so viele Probleme. Das Figureninventar umfasst unter anderem eine Schriftstellerin, einen Pinguinwärter und einen Bestatter. Als Zuschauer٭in fehlt allerdings der emotionale Bezug zu so vielen Charakteren und ihren individuellen Handlungszwängen. Vielleicht fällt das Zuschauer٭innen im höheren Alter leichter, die selber der eigenen Biografie nicht mehr entkommen können.

Wahrscheinlicher ärgern sie sich aber über Szenen, wie diese: Fritz (Oliver Bourmis) trauert um seinen Lebensgefährten Robert, der mit Blutkrebs im Koma liegt. Dessen religiöse Familie will verhindern, dass Fritz seinen Freund noch einmal sehen kann. Als Fritz schließlich den Leichnam sieht, erleidet er einen Wutanfall mit anschließendem Zusammenbruch. Die Reaktionen von Fritz sind so eindimensional, dass es schwer fällt, wirklich Mitleid mit der Figur zu empfinden.

Die Geschichten des Films mögen alle realistisch sein, doch für die Zuschauer٭innen bleiben sie innerlich hohl. Das liegt vor allem daran, dass der Film sich mit dem Ensemble-Format übernimmt. Die meisten Geschichten bleiben facettenarm wie die von Fritz, auch wenn der Film sich bemüht, durch weitere Schwergewichte (sterbender Vater, dysfunktionale Teenager, Spielsucht etc.) mehr Emotionen herzustellen. Schade ist, dass in dieser Menge an behauptetem Tiefgang die besseren Geschichten untergehen. Zum Beispiel die des Pinguinwärters Hannes (Bjarne Mädel) zu seiner autistisch veranlagten Kollegin Sunny (Jenny Schily). Als ihr gekündigt werden soll, verzichtet er stattdessen auf seinen Job, ohne ihr etwas davon zu sagen. Hier wird ein Problem nicht auf psychologischer Ebene abgehandelt, sondern durch eine handfeste und nachvollziehbare Handlung.

Quelle: YouTube

„Was uns nicht umbringt“ ist ein ambitioniertes Projekt: Der Film versucht ein umfassendes Generationenportrait der 40- bis 60-Jährigen in Deutschland zu zeichnen. Es gibt sicher Zuschauer٭innen, die sich darin wiederfinden und den Film genießen können. Dafür müssen sie allerdings auch immun sein gegen wirre Schnitte und dick aufgetragene Klaviermusik.

Vielleicht sind sie dabei ähnlich überfordert wie Protagonist Max. Der Psychologe steht im Auge des Sturms, da ein Großteil der Figuren bei ihm zur Therapie ein- und ausgeht. Ob er ihnen wirklich hilft, ist schwer zu sagen. Totengräber Mark (Christian Berkel) bemerkt, dass Max sich anscheinend lieber um sich selbst kümmern würde. Das tut er dann auch und kommt tatsächlich mit seiner Patientin Sophie zusammen. Das könnte nun doch noch die große Liebe sein – oder der Auftakt zu neuen Problemen.

„Was uns nicht umbringt“ ist ab dem 15. November im Kino.

Beitragsbild: © Alamode Film