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Ein doppelter Befreiungsschlag

Michael Bully Herbig wildert in fremden Genre-Gefilden. Abseits der Komödiensparte hält er in seinem ersten Thriller Ballon erfrischenderweise noch nicht einmal sein Gesicht in die Kamera, sondern überlässt das Feld gänzlich seinem großartigen, weil wahren, Filmstoff und erschafft einen spannenden und zeitgemäßen Film über eine spektakuläre Flucht.

Von Maria Engler


Ballon, dessen Erzählung ebenso klug auf das Wesentliche reduziert ist wie sein Titel, spielt im Jahr 1979 und erzählt die Geschichte der beiden Familien Strelzyk und Wetzel, die mit einem selbstgebauten Heißluftballon in den Westen fliehen wollen. Nachdem der erste Fluchtversuch der Familie Strelzyk, die ausgerechnet direkt gegenüber eines Stasi-Mitarbeiters wohnt, gescheitert ist, muss schnell eine neue Fluchtmöglichkeit her. Es beginnt ein Wettlauf mit den Ermittlern der Stasi, die den Fundstücken der Absturzstelle allmählich zu den Schuldigen folgt.

Der Film ist ein Befreiungsschlag sowohl für die Figuren dieser faszinierenden Geschichte als auch für den Filmemacher Michael Bully Herbig, der sich mit Ballon erstmalig, dafür aber umso eindrucksvoller, vom Ewiglustigen abwendet. Mit seinem vollständigen Rückzug hinter die Kamera zeigt er als Regisseur, Produzent und Co-Drehbuchautor neben Kit Hopkins und Thilo Röscheisen, dass er nicht nur ein Komödiant, sondern ein richtig guter Filmemacher ist.

Spannung bis zum bekannten Ende

Nachdem Disney die Geschichte der Ballonflucht, die wohl wie kaum eine andere nach einer Verfilmung schreit, 1982 unter dem Titel Mit dem Wind nach Westen mit John Hurt in der Hauptrolle in ihrer vollen Detailfülle ausgewalzt hat, wird sie in Ballon auf das absolut Wesentliche beschränkt. Der Film steigt kurz vor dem ersten Fluchtversuch ein und begleitet anschließend hochgradig spannend die Hindernisse und Erfolge auf dem Weg zum zweiten Anlauf. In knapp 120 Minuten Laufzeit wird hier ein absolut gelungener Schwerpunkt auf den Kern der Geschichte gelegt.

Details über Hintergründe, moralische Bedenken und den eigentlichen Antrieb der Familien werden in Zwischentönen erzählt und vieles den Ergänzungen der Zuschauer*innen überlassen, was ihnen einen erfrischend aktiven Part verleiht. Die enorme Zuspitzung der Geschichte steigert die Handlung trotz bekanntem oder zumindest erwartbarem Ende bis ins aufgeregte Augenzuhalten und nervöse Herumzucken im Kinosessel.

Dunkirk mit Blümchenmuster

Die zusammengezurrte Erzählweise und die Ästhetik von Ballon erinnern im besten Sinne an amerikanisches Kino. Der tickende Soundtrack legt sich in seiner Hans-Zimmer-mäßigen Art zwar zuweilen etwas schwer über detailverliebten Bilder, ist aber neben der verschlungenen Geschichte bis zum Schluss ein Motor für die emotionale Bindung an die Ereignisse. Der Kameramann Torsten Breuer leistet mit zahlreichen spannenden bis ungewöhnlichen Einstellungen und Bewegungen der Kamera erstklassige Arbeit und fängt die authentischen DDR-Sets inklusive grausamen, aber niemals von oben herab belächelten Blümchentapeten perfekt ein.

Aus der insgesamt sehr guten Riege der Schauspieler*innen sticht nicht nur David Kross mit unansehnlichem Schnauzer, sondern vor allem Thomas Kretschmann als Stasi-Detektiv der fiesen Sorte gesondert hervor. Im Stile eines viel weniger affektierten Hans Landa entfaltet sich seine Grausamkeit weniger als persönliche Eigenart, sondern eher als Bösartigkeit eines in sich faulenden Systems.

Ballon kommt Michael Bully Herbig kommt am 27.9.2018 im Verleih von Studiocanal in die Kinos und hat eine Spielzeit von 120 Minuten. Ein Trailer ist online verfügbar:

Quelle: YouTube
Beitragsbild: © Studiocanal GmbH


Maria Engler ist eine der wenigen gebürtigen Berlinerinnen in Berlin und studiert Filmwissenschaft im Master. Wenn sie nicht gerade im Kino ist, schreibt sie Texte über Filme und Serien für ihren Blog diefilmguckerin.de oder andere schnieke Medien.