Schlagwort: Art

Im leeren Raum

Josins Albumdebüt In the Blank Space war ein schlecht bewahrtes Geheimnis, klingt fast schon nerdig stilisiert und ist ein krasser Downer. Wie großartig.


Auf diesen Moment hatte Josin sich gut vorbereitet. Dass sie Klavier, Produktion, Synthesizer und Singen ganz gut beherrscht, kam ja inzwischen schon einige Jahre lang bei ihren Konzerten, auf EP- und Single-Veröffentlichungen durch. Nun erschien das überfällige Debütalbum der Perfektionistin, bei dem glücklicherweise eine goldene Regel greift: Wenn Perfektionist٭innen sich Zeit nehmen, lohnt sich das Warten. In the Blank Space heißt die Platte, die diesen Freitag beim Stockholmer Indie-Label Dumont Dumont sowie beim Londoner MVKA veröffentlicht wurde. Allein schon der Umstand, dass sie Josins Vielseitigkeit als Sängerin und Multiinstrumentalistin aufgreift und in einen künstlerisch geschlossenen Kontext setzt, macht es zu einem Album der Stunde.

Klassik und Ambient, Intuition und Diskurs

Josins sphärisch-stilisierte Musik klingt völlig eigen und intuitiv, was ja bekanntlich das Gegenteil von diskursiv ist. Dabei greift sie einen experimentellen Ansatz auf, nämlich Ambient Sounds und klassisches Klavierspiel zu verbinden, der in den letzten Jahren schon von mehreren zeitgenössischen Pianist٭innen, zum Beispiel Federico Albanese und Midori Hirano, aufgegriffen wurde. Diese Melange aus klarem Klavier und tragenden Electro Sounds entwickelt sich in Josins Musik weiter, zum einen offensichtlich, weil er von eindringlichem opernhaften Gesang getragen wird. Zum anderen, weil sich von Song zu Song der Fokus zwischen den drei Elementen verschiebt und keinen so klaren Ausgangspunkt hat wie die Kunst der anderen Musiker٭innen. In den Fokusverschiebungen, die auch Genregrenzen schlicht ignoriert, deutet sich die Komplexität ihrer anspruchsvollen Kompositionen an, die in Wahrheit noch viel weitergetrieben wird.

Quelle: YouTube

Josins depressiver Mikrokosmos

In der insgesamt 40-minütigen Laufzeit von In the Blank Space wird der gesamte Mikrokosmos deutlich, den Josins Musik einnimmt. Mal introvertiert zusammengezogen, mal dramatisch entfaltet, erkundet das Album musikalisch viele Wege, um Unruhe zu erzeugen. Teils treiben, wie bei Healing, subtile Beats die Songs voran, teils bringt Josin mit dem Klavier allein eine innere Unruhe in ihre Musik, wie bei Once Apart (der übrigens ein bisschen an Rufus Wainwrights The Art Teacher erinnert). Bedrückende Texte tun ihr übriges. Auch wenn Josin bei Instagram und Facebook zeigt, dass sie Humor hat und noch nicht ganz an der Welt verzweifelt sein kann, ist ihr Album ein krasser Downer. Und die albumtitelgebende Leere fällt angespannt aus, weil sie stilisiert, weil sie künstlich ist, wie eine eingeredete Freiheit oder eine unter hohem Aufwand hergestellte Ruhe.

Ein insgesamt nicht mehr als melancholisch, sondern schon depressiv anmutender Gesamteindruck, zeigt facettenreich auf, was eigentlich alles geht, wenn man ein bisschen mehr kann als die anderen. Das Album begibt sich in die beste Gesellschaft mit anderen depressiven Künstler٭innen, die nicht viel auf Genres, dafür durch enormen Aufwand auf eine maximale Entfaltung intimer Kompositionen geben. Zum Beispiel Sóley und Hundreds, die Josin ja sogar schon bei Konzerten supportet hat. Andere Beispiele wären vielleicht Sufjan Stevens oder Thom Yorke, die sie allerdings bisher nicht supportet hat.

Einziger Wermutstropfen des Albums: Wer sich schon vor dem Release mit Josins Veröffentlichungen beschäftigt hat, erlebt wenig Neues. Zwar bietet der Albumkontext einen kunstvollen Rahmen, der viele Kreise schließt, doch bisher unveröffentlicht waren eigentlich nur zwei der Songs. Dass Josin die anderen sieben Kompositionen bereits social-media-freundlich entweder in EP-Form, als Singles oder Remixes zur Verfügung gestellt hatte, ist ja eigentlich dankbar, macht In the Blank Space aber im Nachhinein zu einem schlecht bewahrten Geheimnis. Anhören sollte man es sich dennoch.

Josins In The Blank Space erschien am 25. Januar 2019 bei Dumont Dumont und MVKA.

Titelbild: © Dumont Dumont

Fenster. Gute Überraschungen

Schon passend, dass Fenster sich zum Ende des Supersommers geschlossen wie nie zurückmelden. Ein Zufall? Vermutlich.


Aber ein guter Zufall. Denn was Fenster inzwischen schon seit ein paar Alben auszeichnet, ist diese ureigene Verbindung aus Stilsicherheit und Genre-Offenheit. Wie wenig anderen Indie-Bands gelingt es, enorm vielseitige Songideen zuzulassen und diese gleichzeitig schon ihrem Sound unterzuordnen. In jedem Part ist jedes Bandmitglied so vollkommen fixiert auf Ausdruck und Rhythmus, dass ihre Musik niemals ins Treiben gerät, was sie inzwischen perfektionieren konnten. Im Zentrum aller Subgenres, in die sie verfallen, steht die Stilisierung selbst. In diesem Sinne sind sie eine sehr kunstvolle Band, die sich mit The Room nun ein weiteres Denkmal gesetzt hat, aber mit dem Album auch ein gewisses Lebensgefühl trifft.

Auf der Platte perfektionieren Fenster letztlich vieles, was sie sich über ihre zwei früheren Studioalben und dem gemeinsam realisierten Sciene-Fiction-Kunstfilm und -Soundtrack Emocean erspielt haben. Auf Bones hatte 2011 noch Folk durchgeklungen, was ja schon der Ausgangspunkt vieler wichtiger Bands war. Genauso wichtig war jedoch für all diese Bands auch, sich später vom Folk zu emanzipieren. Nicht zuletzt, weil eine Band, die sich komplett auf ein Genre festgelegt hat, schon tot ist. Aber die Emanzipation haben Fenster im Grunde noch während des ersten Albums selbst vollzogen und war 2013 auf Album zwei, Pink Caves, schon komplett abgeschlossen. Hier widmete man sich schon vollkommen dem perfekten Sound, graste eher im Experimentellen und suchte und fand den gemeinsamen künstlerischen Ausdruck als Gruppe. Den transportierten sie mit dem Film Emocean 2015 aus der Musik heraus in eine visuelle Kunstwelt, um ihn weiter zu vergrößern. Der Soundtrack dazu pendelt sich für sich betrachtet zwischen Psychedelic und Launchmusik ein. Um es als eigenständiges Album werten zu können, fehlen ihm aber Antrieb und Richtung. Aber das geht ja den meisten entkoppelten Soundtracks so.

© Simon Menges

Umso besser, dass The Room, dem es an Antrieb nun wirklich nicht fehlt, sich weniger an Emocean und stärker an Pink Caves anlehnt und vom Film-Experiment nur freigestzte Sounds in ihr Songwriting einbringen. Sie fließen einfach mit hinein und zu einem Album zusammen, das gleichzeitig bunt, fließend und glatt wie keines der bisherigen klingt. Fast könnte man bei alledem vergessen, dass Fenster musikalisch eigentlich noch immer gar nicht allzu sehr festgelegt sind. Zwischen Dreampop, Shoegaze, Nintendo-Pop, Disco und Psychedelic scheint gerade ihre Entschlossenheit, ihr schlichter Groove das verbindende Element in fassettentreicher Umgebung. Zusammenfassend könnte man es wohl Surprise Pop nennen.

Aber Fenster sind auch eine Band, die in gewisser Weise einen Berliner Zeitgeist verkörpert und musikalisch konserviert. Immerhin fanden die internationalen Bandmitglieder hier zueinander. Und ihr Album spiegelt in seinem Aufbau ein Lebensgefühl wider, das schon viele Künstler*innen in die Stadt trieb und aktuell wieder eine brodelnde Szene formt: die kunstvolle Wahrnehmung einer vielseitigen Umwelt, ein Fokus auf das, was erfüllt, was Spaß macht und was dadurch teilbar wird. Und lebt als eine Adaption dieser Vielfalt. Ein solcher Berliner Zeitgeist lässt sich nicht auf eine Band, einen Sound oder ein Album herunterbrechen. Aber wollte man in ein paar Jahrzehnten einen Film über die 2010er Jahre in Berlin machen, täte man gut daran, Fenster in den Soundtrack aufzunehmen. Vielleicht drehen sie diesen Film ja sogar selbst.

Quelle: YouTube

The Room von Fenster enthält Two Doors sowie neun weitere Songs und erschien beim Label Altin Village & Mine.

Beitragsbild: © Fenster