Die ARD hat den ersten Teil der lang angekündigte Trilogie über den NSU ausgestrahlt. Die Täter – Heute ist nicht alle Tage will die Perspektive der Täter beleuchten, kratzt dabei aber nur vorsichtig an der Oberfläche.
Beate (Anna-Maria Mühe) klaut. Mal eine Dose Deo und mal zwei Flaschen Apfelkorn, nachdem sie mit ihrer Freundin Sandra (Nina Gummich) an dem Waschmittel aus dem Westen im Supermarkt gerochen hat. Das Deo wird auf dem ganzen Körper verteilt und der Schnaps getrunken – auf den Partys mit den Punks der Stadt. Beate hört Popmusik auf dem Walkman, den sie von irgendwelchen amerikanischen Scientology-Menschen auf der Straße geschenkt bekommen hat, und sie lacht, als ihre Freundin sich mit dem Lehrer anlegt, dem nachgesagt wird, bei der Stasi gewesen zu sein.
Beate Zschäpe – Filmstar?
Beate ist die Beate Zschäpe, deren Rolle im NSU noch nicht geklärt ist und die sich vor Gericht für zehn rassistisch motivierte Morde und zwei Bombenanschläge verantworten muss. Die jüngste Entwicklung des Prozesses weist ein 53-seitige Erklärungsschreiben von Zschäpe auf, in dem sie die Mitgliedschaft in dem NSU bestreitet. Auch habe sie nichts mit den Morden sowie den Sprengstoffanschlägen zu tun. Jedoch gestand sie den Brandanschlag auf eine Fluchtwohnung in Zwickau. Das Urteil ist noch nicht gesprochen, die Fakten sind noch nicht geklärt. Trotzdem arbeitet die ARD das Thema in drei Filmen auf. Im Kommentar Beate Zschäpe – Filmstar? stellt sich die Frage, ob es für eine Verfilmung zu früh ist. Nach dem ersten ausgestrahlten Film der Trilogie Die Täter – Heute ist nicht alle Tage von Regisseur Christian Schwochow (Bornholmer Straße und Der Turm), der die Sicht der Täter٭innen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe beleuchtet und die jugendliche Beate in den Fokus stellt, lässt sich die Frage leichter beantworten.
Punkpartys, Nazimärsche und die große Liebe
Nachdem Beate Uwe M. (Albrecht Schuch) kennengelernt und sich in diesen verliebt hat, sind für sie Punkpartys kein Thema mehr. Stattdessen schließt sie sich der Naziszene an. Der Sprung von „Wir ärgern Faschos“ bis hin zu „Wir malen Deutschland von 1937“ geht so schnell, dass der Zuschauer keine Chance hat, die Entwicklung und Motivation Beates zu erfassen. Plötzlich wandern die Nazis mit Fahnen und Parolen durch die Straße, an der zufällig Beate steht. Ihr wird ein Flyer in die Hand gedrückt, sie sieht Uwe M. zwischen den Marschierenden und schließt sich an. Das ist das Bild, das von Beate Zschäpe in dem Film gezeichnet wird: eine junge Frau, die sich der Männer wegen irgendeiner Bewegung anschließt – egal, welcher. Aber bei den Nazis scheint es ihr zu gefallen und schon bald steht sie vor einer Meute Skinheads auf einer Bühne und schreit „Heil Hitler“ in ein Mikrofon.
Das Immergleiche im Nazitrott
Immer wieder werden Zeitsprünge durch die Einblendung einer Jahreszahl signalisiert. Aber diese haben keinerlei Auswirkungen auf die Handlung. Ja, fast könnte man behaupten, die Handlung treibe kaum voran und die Figuren weisen keine Entwicklung auf: Beate mit dem immergleichen verachtenden Gesichtsausdruck, Uwe M. mit den immergleichen rassistischen Parolen und Reden und Uwe B. (Sebastian Urzendowsky) mit dem immergleichen Drang alle zu verprügeln, die ihm aus irgendwelchen Gründen nicht passen. Beate fängt eine Affäre mit Uwe B. an. Gemeinsam belästigen sie Passanten auf der Straße, treten und schlagen willkürlich auf Menschen ein. Und immer wieder Sequenzen, wie die drei mit ihren anderen Nazifreund٭innen „Pogromly“, ein Monopoly für Neonazis, spielen. Warum? Weil bewiesen ist, dass Beate ein solches Spiel besessen hat – es wurde neben Macheten und einem Gewehr in ihrer Wohnung gefunden.
Das Mosaik der Beate Zschäpe
Ja, die Verfilmung ist zu früh. Das zeigen die „Pogromly“-Spielsequenzen. Sie beweisen, dass sich die Filmemacher٭innen an jede Einzelheit klammern, die geklärt ist. Dass der Film größtenteils auf Berichten von Augenzeugen beruht, ist für die Zuschauer٭innen ebenfalls ersichtlich: einzelne Szenen, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Die Zeitsprünge kommen so plötzlich, dass es wirkt, als wüsste man nicht, wie es an der Stelle weitergehen soll. Als hätte man Angst, etwas Falsches zu erzählen. Ein Besuch bei der Beates Oma auf Kaffee und Kuchen, das Treffen mit der alten Freundin Sandra, die nun verheiratet ist und Kinder hat, zeigen, dass Beate ein bürgerliches Leben führen könnte, wirken aber willkürlich eingestreut. Der Film ist eine Collage, ein Mosaik aus kleinen Einzelteilen, keine zusammenhängende Geschichte über Beate Zschäpes Leben vor den Morden, Bombenanschlägen und Banküberfällen. Denn damit endet der Film – mit dem ersten Mord, bei dem nicht zu erkennen ist, ob Zschäpe dabei ist. Mehr kann (noch) nicht erzählt werden.
Kein Verständnis für das Handeln
In einem Spielfilm zu zeigen, was für einen Sog eine Menschengruppe hat, die im Gleichschritt läuft, sich zusammen unbesiegbar fühlt und im Chor Parolen schreit, ist wichtig – gar keine Frage. Gerade jetzt. Die Massenszenen sind gut gemacht, die schauspielerische Leistung durch die Bank weg hervorragend. Wenn Anna Maria Mühe die vierte Wand durchbricht und die Zuschauer٭innen als Beate Zschäpe direkt ansieht, mit ins Geschehen zieht, schüttelt es einen. Auch die Befürchtung der Film könnte Empathie, ja vielleicht Sympathie für Beate Zschäpe fordern, war unberechtigt. Es wird kein Verständnis für ihr Handeln verlangt. Trotzdem bleibt die Frage: Musste das Thema mit einer Verfilmung der Jugend Beate Zschäpes aufgearbeitet werden?
Vielleicht. Die Geschichte der Beate Zschäpe ist „massentauglich“. Jede٭r hat von dem Prozess gehört und sucht womöglich in einem solchen Film nach Antworten auf die Frage, warum solche schrecklichen Morde und Anschläge begangen werden. Aber die Antworten können Spielfilme liefern, die sich dem Thema rein fiktional nähern (s. David Wnendts Kriegerin). Da sie keine Rücksicht auf laufende Prozesse nehmen müssen, können sie einen tieferen Einblick in die Naziszene geben.
Abbilden von Fakten und Fiktion
Dem Film Die Täter – Heute ist nicht alle Tage ist nicht abzusprechen, dass er an vielen Stellen gut gelungen ist (s. Massenszenen). Aber er ist vorsichtig, stellenweise unentschlossen, und bleibt an der Oberfläche. Kann man den Filmemachern das vorhalten? Wohl nicht. Schließlich fehlen Informationen, es soll keine Identifikation mit den Protagonisten stattfinden und man will sich ja vor dem richterlichen Urteil kein filmisches erlauben. Der Film ist und bleibt eine einfache Abbildung. Von was? Von Fakten, die bewiesen sind und ein paar fiktionalen Elementen, wie der Nachtext aufzeigt:
„Dieser Spielfilm beruht auf einem Drehbuch, das auch rein fiktionale Elemente enthält und historische Abläufe eigenständig bewertet. Er erhebt insofern keinen Anspruch, die Geschehnisse authentisch wiederzugeben. […] Zum Zeitpunkt der Filmherstellung sind Beate Zschäpe weitere Tatbestände in diesem Zusammenhang nicht nachgewiesen und werden von ihr bestritten, so dass die Darstellung von Tatbeständen Beate Zschäpes im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen reine Fiktion des Autors ist […].“
Der Text klingt fast wie ein Eingeständnis. Und nach dem Film bleibt bei dem٭der einen oder anderen Zuschauer٭in dann doch die Frage: Ist es wichtig für mich, zu wissen, dass Beate Zschäpe vor unzähligen, grausamen Taten, Deo und Schnaps im Supermarkt geklaut hat?
Titelbild: © SWR/Stephan Rabold