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„Uncategorisable Outsiders in Pop“ – Markus Acher im Interview

Bevor vielleicht noch dieses Jahr ein neues Notwist-Album erscheint, steckt Markus Acher tief in der Label-Arbeit: In Kooperation mit Morr Music veröffentlicht sein Label Alien Transistor am 1. Mai das Sampler-Album Minna Miteru, ein Szeneportrait japanischen DIY-Pops. Darauf tummeln sich, so sagt er selbst, einige „unkategorisierbare Außenseiter des Pop“ aus dem Umfeld der Band Tenniscoats, die teilweise so tief im Underground zuhause sind, dass tatsächlich viele Stücke trotz Zeiten von Streaming-Diensten und scheinbar unbegrenzter Verfügbarkeit von Musik erstmals wirklich international verfügbar werden.

Dass dabei ein stilistisch entgrenztes, intensives Hörerlebnis entstanden ist, ist ein zweiter positiver Effekt und Anlass, Markus Acher ein paar Fragen zu stellen. Zum Beispiel darüber, was diese vielseitige Compilation eigentlich zusammenhält, warum sie ausgerechnet in Deutschland erscheinen musste, weshalb die Musik so wichtig ist, wie einflussreich sie für seine eigene Kunst ist – und wie hart der aktuelle Pandemie-Shutdown die Künstler٭innen, Kulturstätten und internationale Beziehungen der Independent-Musik trifft.

von Moritz Bouws und Gregor van Dülmen


Gemeinsam mit Morr Music veröffentlicht dein Label Alien Transistor die japanische Compilation Minna Miteru. Eingangs stellen wir uns die Frage, wie deine inzwischen ja doch sehr intensive Verbindung nach Japan überhaupt entstanden ist.

Einerseits haben es mir das Land, die Kultur und die Menschen natürlich gleich beim ersten Besuch sehr angetan. Aber die bleibende Verbindung kam über die Musik. Da habe ich einfach immer wieder so viel faszinierende und innovative Musik gehört, dass das Interesse nie abriss. Und über die Tenniscoats habe ich jetzt nochmal viele Musiker und Künstler kennengelernt, die ich sonst nie gefunden hätte.

In unserem letzten Gespräch hast du den Japan-Indie-Sampler Songs for Nao (Chapter Music 2004) erwähnt. Er brachte dich unter anderem auf Tenniscoats, mit denen du später die Band Spirit Fest gegründet und nun Minna Miteru kuratiert hast. Inwiefern würdest du sagen, dass der Sampler dein musikalisches Verständnis geändert hat?

Auf dem Sampler habe ich das erste Mal Musik der experimentellen Indie-Folk-Szene rund um die Tenniscoats gehört, und die hat mich sehr berührt. Sie haben keine Angst vor Melodien, aber auch keine Angst vor dem Ausprobieren und Scheitern. Die Beatles, Syd Barrett, Charles Mingus, TV Personalities, Bach, die Residents – da kann man so vieles heraushören, ohne dass es konstruiert klingt. Es gibt keine Berührungsängste, und doch ist es auch kein wildes, stilistisches Durcheinander. Erfahrene Musiker spielen ganz selbstverständlich mit Bekannten, die erst seit zwei Wochen ein Blasinstrument besitzen. Freunde machen zusammen Musik, um sich zu treffen, und die Bands covern sich gegenseitig. Trotzdem wissen sie alle genau, was sie wollen und vor allem auch nicht wollen. D.I.Y. ist sehr wichtig: Sie sind unabhängig und haben ein eigenes Netzwerk aus Freunden geschaffen. Das ist alles extrem inspirierend. Und wie gesagt, die Stücke – so viele unglaubliche Kompositionen und Melodien.

Spirit Fest (v. l. n. r.): Takashi und Saya Ueno, Cico Beck, Mat Fowler und Markus Acher, Foto: © Morr Music.

Beide Sampler umkreisen eine Tokioter DIY-Pop-Szene um das Majikick Label herum. Dennoch gibt es zwischen den Künstler٭innen auf Songs for Nao und Minna Miteru nur wenige Überschneidungen und deutliche Unterschiede in der Songauswahl. Siehst du die neue Auswahl eher als Fortsetzung oder Erweiterung?

Minna Miteru ist eigentlich beides. Songs for Nao hat sich ja zu großen Teilen auf Saya und Uenos Label Majikick und damit verbundene Bands konzentriert. Inzwischen ist viel passiert, und die Szene hat sich auch mehr aufgefächert. Musikalisch hat sich natürlich auch viel getan. Saya wollte bei ihrer Auswahl nicht nur ihre Freunde und eigenen Projekte vorstellen, sondern auch Musik, die sie gerne mag, interessant findet oder sie inspiriert hat. Während Songs for Nao eher der Blick eines Außenstehendem auf diese Szene war, ist Minna Miteru ganz Sayas musikalische Welt. Die Zusammenstellung erzählt genauso viel über sie und ihre Idee wie über die japanische Indie-Szene. Der rote Faden durch die Compilation ist ihre Offenheit und Neugier, die Suche nach Musik, die nicht einzuordnen ist, keine Grenzen kennt und keine Klischees bedient.

Viele der Songs klingen gleichzeitig experimentell und verspielt. Wie würdest du insgesamt das Hörerlebnis von Minna Miteru beschreiben?

Ich finde, Saya hat den Sampler wie ein langes zusammenhängendes Stück zusammengestellt, bei dem man nie weiß, was als nächstes kommt, aber trotzdem alles ganz logisch ineinanderfließt. Ich finde immer noch faszinierend, wie Elektronik, Blasinstrumente, akustische Gitarren und Stimmen zusammenspielen, und am Ende ein großes Ganzes ergeben. Da ist eine Freiheit in der Musik, die ich auch immer suche. Die Musik ist das Wichtigste, gleichzeitig nimmt sich niemand zu ernst. Alles ist Popmusik.

Welche٭r der Künstler٭in hat zuletzt ein Album herausgebracht, das man sich anhören sollte?

Oh…alle natürlich! 🙂 Also, von den Tenniscoats selbst gibt es natürlich viele wunderbare CDs, z. B. ihre Reihe Music Exists mit fünf Alben. Zuletzt haben sie ein Album nur mit ihrer Version von Jazz-Standards aufgenommen, als nächstes kommt ein Album mit elektronischen Beats. Die Band Yumbo ist eine ähnlich tolle Band mit vielen Mitgliedern, die sehr vielseitige experimentelle, unkategorisierbare Popmusik macht. Eddie Marcon ist auch eine wichtige Band, mit allen möglichen Seitenprojekten, die sehr aktiv ist. Da gäbe es noch viel mehr zu nennen.

Es ist nur leider schwierig, die CDs hier in Europa zu bekommen, das ist auch ein Grund, diesen Sampler zu machen. Er soll der Start für eine Reihe von Wiederveröffentlichungen und Compilations der Bands und Projekte sein.

Für einige beteiligte Künstler٭innen muss es eine Besonderheit sein, über zwei in Deutschland ansässige Labels vertrieben zu werden. Wie ist die Resonanz der Künstler٭innen auf eine Veröffentlichung in Europa?

Nach dem, was ich so mitbekomme, sind alle sehr glücklich darüber und freuen sich sehr. Einen vergleichbaren Sampler gab es ja auch in Japan lange nicht mehr. Er führt viele Leute zusammen, in Japan und außerhalb, und das ist eine schöne Sache.

Warum erschien Minna Miteru nicht bei einem japanischen Label?

Das war auch kurzzeitig angedacht, aber da die Idee ja war, diese japanische Szene nach außen zu tragen und außerhalb Japans vorzustellen, ist es so besser.

Minna Miteru erscheint am 1. Mai 2020, Kuratorin: Saya Ueno, Artwork: Takashi Ueno, Coverbild: © Morr Music/Alien Transistor.

Die Auswahl auf Minna Miteru basiert auf einem Songbook mit Stücken befreundeter Musiker٭innen der Tenniscoats. Könntest du uns mehr dazu erzählen: Fand das Songbook in Japan bereits den Weg an die Öffentlichkeit oder handelt es um ein privates Stück?

Das Songbook hat sich Ueno ausgedacht. Da er oft mit befreundeten Musikern zusammensaß und sie angefangen haben, mit der Gitarre Lieder zu singen, hatte er die Idee, ein Indie-Songbook mit den Liedern befreundeter Bands zu machen. Er hat die Liedtexte mit Gitarrenakkorden und eigenen Zeichnungen gesammelt und als Risoprint-Heft in kleiner Auflage veröffentlicht und verkauft. Ich fand das super und da ich einige Lieder nicht kannte, habe ich gefragt, ob ich eine CD davon haben kann. So kam die Idee zu dem Sampler zustande.

Korrespondiert das Artwork der Platte mit dem illustrierten Druck?

Das Risoprint-Heft und der Sampler jetzt haben nur noch ein paar wenige Bands gemeinsam, und dass Ueno die Illustrationen gemacht hat. Sonst sind die Lieder und Bands andere, auch das Artwork ist komplett anders.

Wie würdest du die Rolle der Tenniscoats in der japanischen Indie-Landschaft beschreiben? Kann dort von einer stark vernetzten Subkultur gesprochen werden?

Saya und Ueno sind Teil eines großen Freundeskreises, der sehr aktiv ist. Es gibt viele kleine Plattenläden, Cafés, Galerien und Clubs, in denen winzige Konzerte stattfinden, Ausstellungen, Performances und so weiter. Die Grenzen sind dabei nicht so streng gesteckt wie bei uns. Da können ein Folksänger, elektronischer Noise und ein Tanzperformance an einem Abend stattfinden, einfach weil die Musiker٭innen untereinander befreundet sind. Meistens wird dann auch noch sehr gut gekocht, selbstgenähte Kleidung, CD-Rs in Mini-Auflagen oder Siebdruckhefte verkauft. Tolle und inspirierende Orte. Leider werden auch in Japan viele die Auswirkungen der Corona-Krise wirtschaftlich nicht überleben, da die Regierung bislang keine Unterstützung für Künstler٭innen und Veranstaltungsorte bereitstellt.

Etwas später im Mai erscheint ja auch dein neues Album mit Spirit Fest, Mirage Mirage – alles Gute für den Release! Mit dem Album tauchst du natürlich auch selbst tief in die japanische Indie-Szene ein. Wann und wo ist das Album entstanden?

Wir haben die Platte letzten Sommer in München aufgenommen, ein paar Stücke auch schon im November davor, an ein paar freien Tagen während der Spirit-Fest-Tour in Tokio in Sayas Studio.

Mirage Mirage erscheint am 15. Mai 2020, Coverbild: © Morr Music/Alien Transistor/AFTERHOURS.

Auf Mirage Mirage sind diesmal auch einige Gastmusiker zu hören. Ihr arbeitet darauf außerdem verstärkt mit Field Recordings und Samples. Ist diese Offenheit voreinander und allem anderen typisch für eure Arbeitsweise?

Alle bei Spirit Fest sind sehr offen für alle seltsamen Ideen. Deswegen passt das auch immer sehr gut zusammen. Am Ende aber kommen dann doch oft Pop-Songs dabei heraus, das überrascht uns dann selbst. Mat Fowler (von Jam Money und Spillane Fete) macht ständig Field Recordings, auch um die Umgebung und den Aufnahmeprozess mit in die fertigen Stücke einbringen zu können. So kann man auf der Platte jetzt den Klavierstimmer, ein Kind im Treppenhaus und eine Unterhaltung mit einem alten Mann auf dem Hofflohmarkt vor dem Studio hören.

Es ist bereits das dritte Album in vier Jahren. Was denkst du, wie viele Spirit-Fest-Platten ihr noch veröffentlicht, bevor das neue Notwist-Album erscheint?

Spirit Fest hat ja eine ganz andere und viel spontanere Arbeitsweise, deswegen kann das, wenn wir mal zusammen sind, sehr schnell gehen. Leider wird das durch die Corona-Krise jetzt über einen längeren Zeitraum schwierig werden.
Aber eine neue Notwist-Platte ist auch so gut wie fertig. Sie müsste eigentlich, wenn alles klappt, dieses Jahr irgendwann noch rauskommen.

Glaubst du, wenn man genau hinhört, wird man auch bei den aktuell entstehenden Notwist-Songs Elemente von Minna Miteru heraushören können wird?

Ich denke, man hört das nicht eins zu eins. Aber das Verspielte und der Mut dieser Stücke haben mich schon sehr beeindruckt. Und das fließt bestimmt mit ein.

Vielen Dank für das Interview.


Titelbild: © Morr Music/Alien Transistor

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Japanischer Indie, Filmmusik, Spirit Fest, Notwist und die Kunst. Im Gespräch mit Markus Acher

Markus Acher steckt mal wieder in zahlreichen Projekten, weiß nicht einmal mehr, wann er mit Notwist proben soll. Dabei machen sie doch grad ein neues Album. Aber alle Bandmitglieder sind derzeit viel unterwegs. Er selbst sucht den Austausch mit japanischen, britischen und US-amerikanischen Musiker*innen, welcher aktuell in Bands wie Spirit Fest oder Hochzeitskapelle aufgeht.

Die großen Fragen („Heißt es ‚Notwist’ oder ‚The Notwist’?“) wurden von dieser Seite bereits letztes Jahr im Interview geklärt. Am Rande des European Art Cinema Day, für den er in Berlin war, gab es wieder Gelegenheit für ein Gespräch. Höchste Zeit, weiter in die Tiefe zu gehen, über aktuelle Veröffentlichungen und seine künstlerische Arbeitsweise selbst zu sprechen.


Notwist gilt für viele, auch international, als relevanteste deutsche Indie-Band. Hättet ihr das bei der Gründung für möglich gehalten?

Nein, natürlich nicht. Als wir angefangen haben, waren da einfach Weilheim, Frust und Langweile und ein Rauswollen aus der Kleinstadt. Vor der eigentlichen Notwist-Besetzung gab’s schon eine frühere Besetzung, die stark von Underground und Punk beeinflusst: Velvet Underground und Camper Van Beethoven waren die Vorbilder. Das, wozu der Originalpunk geworden war, Deutschpunk zum Beispiel, hat mir nicht gefallen, aber über Frontline Mailorder habe ich die ganzen amerikanischen Hardcore-Bands kennengelernt. Aus diesen Einflüssen hat sich die Notwist-Trio-Besetzung gegründet.

Wir haben versucht, in diese Richtung zu gehen. Von der ersten Besetzung waren zu dem Zeitpunkt nur noch als Schlagzeuger Mackie Messerschmidt und ich dabei. Wir haben noch meinen Bruder als Bassisten gefragt, der kurz davor bei einer anderen Punkband aufgehört hatte. Das war so 1987. 1990 kam die erste Platte. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir an das erste Label kamen. Die haben uns irgendwo gesehen. Die Hardcore-Szene war ja damals noch sehr vernetzt und man kam als Vorband für amerikanischen Bands von einem Jugendzentrum zum anderen.

Setzt es euch, wenn ihr an neuer Musik arbeitet, unter Druck, dass die Songs mittlerweile ein so großes Publikum finden?

Schon ein wenig. Aber wir versuchen sowieso immer, einen Außenblick in unsere Arbeit miteinzubeziehen. Die letzte Instanz sollte sein, was man selbst gern hören würde. Aber mit zunehmendem Alter der Band und der Anzahl der Platten, die wir schon gemacht haben, fängt man natürlich an, zurückzublicken und zu schauen, ob man nicht das Gleiche schonmal gemacht hat, nur cooler und besser. Das ist eigentlich immer das größte Problem. Man will ja immer etwas machen, das man selber in der Form noch nicht gemacht hat, oder im besten Fall etwas, was es an sich sonst noch nicht gibt. Wir sind uns zwar bewusst, dass man nie etwas komplett selbst erfindet, sondern sich selbst irgendwo her zusammensucht, aber probieren immer, etwas zu finden, für das es zur bestimmten Zeit in genau dieser Kombination und dem Arrangement einen Grund gibt, es zu machen.

„Bestimmte Platten klingen für mich auch rein intuitiv eher farbig, andere monochrom. Also fange ich oft damit an, diese Aspekte zu hinterfragen und mit ihnen zu arbeiten.“

Markus Acher über sein Arbeit

Ist dieser Ansatz auch Ausgangspunkt dafür, dass ihr euch alle an so vielen weiteren Projekten beteiligt?

Ja. Es ist eine gute Art, sich Inspiration zu holen oder Verantwortung abzuwälzen. Zum Beispiel sind an dem Projekt Spirit Fest, mit den beiden Mitgliedern Saya und Takashi Ueno von Tenniscoats, Mat Fowler von Jam Money und Cico Beck (Joasihno, Aloa Input, You + Your D. Metal Friend, Notwist), Personen beteiligt, die sehr viel einbringen, genauso viel wie ich. In so einem Umfeld kann man einfach loslassen und weiß, dass etwas Cooles dabei herauskommt. Das Debütalbum erscheint im November bei Morr Music.

Und wie entsteht ein Projekt wie Spirit Fest? Habt ihr im Vorfeld Songs ausgetauscht oder ist alles in den zwei gemeinsamen Aufnahmewochen entstanden?

Bei Spirit Fest haben alle ihre eigenen Stücke mitgebracht, die schon komponiert und getextet waren. Aber dazu, wie wir sie arrangieren und aufnehmen würden, gab es vorher keinerlei Kommunikation. Letztendlich wusste ich auch nicht genau, was sie mitbringen und dass sie überhaupt etwas mitbringen. Aber ich bin schon lange großer Fan, habe die Band 2005 entdeckt, als wir mit Lali Puna zum ersten Mal in Japan waren. Damals habe ich mir einen Sampler namens Songs for Nao gekauft, auf dem sie selbst, aber auch viele Bands aus ihrem Umfeld versammelt sind. Dadurch bin ich auf sie aufmerksam geworden und habe angefangen, nach ihrer Musik zu suchen, ihre CDs zu bekommen, weil es mich extrem angesprochen und berührt hat.

Während der Aufnahmen in München, © Spirit Fest

2009 erschien eine gemeinsame Platte von Tenniscoats und The Pastels aus Schottland, von denen ich auch großer Fan bin. Durch diese und andere Kollaborationen der Band – etwa mit der schwedischen Band Tape, diversen japanischen Künstlern oder dem australischen Soundkünstler Lawrence English– ist die Idee zu diesem Projekt etwas näher gerückt. Ich habe, bevor wir nochmal mit Lali Puna in Japan waren, gesehen, dass sie inzwischen bei Afterhours veröffentlicht haben, einem befreundeten Label in Tokio, das auch Notwist-Alben lizensiert hat. Die haben für uns auf meine Bitte ein Treffen mit Tenniscoats organisiert. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und sie haben gleich gefragt, ob wir nicht eine Kollaboration machen wollen. Als wir im letzten Jahr zum ersten Mal das Alien Disko-Festival organisiert haben, waren sie gleich die erste Band, die ich vorgeschlagen habe. Wir haben direkt ausgemacht, dass sie ein paar Tage eher kommen und wir die Gelegenheit nutzen, um Aufnahmen zu probieren.

Wie stießen Mat Fowler und Cico Beck zum Projekt?

Die habe ich eingeladen. Ich habe mich gefragt, was noch dazu passt. Mit Cico mache ich viel in München. Er ist ja inzwischen auch bei Notwist und ist ein sehr guter Musiker, der sich extrem gut in eine bestimmte Art von Musik einfühlen kann. Mit Mat habe ich mich auch gut angefreundet. Ich hatte mir die erste Platte von Jam Money direkt bei ihnen bestellt, weil noch kein Vertrieb sie hatte. Darauf hat er sofort geantwortet und schrieb, dass er auch Musik von uns kennt. Wir haben dann viel per E-Mail geschrieben. Irgendwann habe ich ihn gefragt, ob sie ein Album bei unserem Label Alien Transistor veröffentlichen möchten – was sie dann auch gemacht haben. Er ist ein guter Typ und hat einen total eigenen, kunstvollen Ansatz, Musik zu machen, sieht in jedem Gegenstand einen Klang, den er einbauen kann, und geht sehr spielerisch an die Musik heran. Er stellt immer wieder alles auf den Kopf und experimentiert sehr viel, zum Beispiel mit Spielzeuginstrumenten oder jetzt auf der Platte mit Steinen oder einem Radio. Er war für den generellen Klang der Platte sehr wichtig.

Das Video zu Hitori Matsuri liefert Eindrücke aus dem Studio

Quelle: YouTube

Die Musik, die Tenniscoats auf ihren eigenen Alben macht, lebt durch starke Präsenz, deine Projekte zeichnen sich ja eher durch Subtilität aus. Gerade mit Rayon hast du zuletzt ein sehr subtiles, bedrückendes Album veröffentlicht. Auf dem Album fügt es sich für mich zu einem intimen, aber auch optimistischen Sound zusammen. Hattet ihr im Vorfeld eine Intention, dass ein solches Album dabei herauskommt?

Mein Ansatz war wirklich bloß, dass ich ihre Musik nicht höher schätzen könnte. Wäre Neil Young zu Besuch gekommen, wäre ich wahrscheinlich weniger aufgeregt gewesen. Deswegen wollte ich eine Atmosphäre schaffen, die passt und das Besondere an der Band bestmöglich unterstützt. Und das besteht eben darin, dass sie unglaublich intensive Musik machen, auch wenn sie erstmal vielleicht einfach und nett klingt. Aber sie hat eine unglaubliche Tiefe und Traurigkeit, die einen aber gleichzeitig festhält. Man suhlt sich nicht darin, sondern sie ist vielleicht wirklich, wie du es beschreibst, optimistisch.

Wir sind dann auch nicht in eine normales, anonymes Studio gegangen, sondern zu einem Freund von uns, zu Nico, der mit Cico bei Joasihno spielt. Er hat ein Studio in seiner Wohnung, mit zwei Räumen. Im einen steht nur ein Mischpult, im anderen sein Bett und Mikrofone. Dort haben wir eng aneinander aufgenommen. Das hört man eben auch, es war sehr respektvoll. Alle haben wahnsinnig aufeinander gehört, was für alle eine außergewöhnliche Erfahrung war. Auch wenn es bei jedem Stück zusätzliche Overdubs gibt, ist ein Großteil der Platte und das Grundgerüst aller Songs aber eigentlich immer live gespielt und gesungen.

Ihr geht ja im Dezember gemeinsam auf Tour. Durch die räumlichen Distanzen stelle ich mir die Vorbereitung etwas schwierig vor. Schließt ihr euch vorher nochmal an einem bestimmten Ort ein, um die Konzerte vorzubereiten?

Zweimal haben wir ja schon zusammen live gespielt –in Köln und in München– und ich glaube, jeder weiß noch, was er da gespielt hat, und wir werden alle auch immer wieder Songs komponieren, die wir schnell, vielleicht schon während der Tour, erarbeiten. Einen Tag bevor die Tour in Genf startet, treffen wir uns dort schon und spielen alle Songs in einem Proberaum durch, den wir dafür angemietet haben, um es einmal wieder gespielt zu haben. Aber bei allen, die da mitspielen, gibt es nicht so etwas wie Fehler bzw. wenn jemand einen Fehler macht, ist das nichts Schlimmes oder wird nicht als Fehler betrachtet. Alles ist sehr offen und aus allem, was passiert, kann etwas gemacht werden. Tenniscoats selbst gestalten ihre Konzerte auch immer sehr offen und sie improvisieren gerne, was einen, wenn man es live sieht, in seinen Bann zieht.

Tourdaten:

Quelle: Facebook

Damit treffen in dem Projekt aber auch sehr unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen aufeinander, oder?

Definitiv. Ich lerne bei jedem Projekt sehr viel, was mir auch sehr wichtig ist. Notwist zum Beispiel hat auch Freiräume, aber im Studio ist meistens alles sehr kontrolliert, und mit Tenniscoats ist es eben anders. Sie wissen ganz genau, was sie tun, aber sie haben eben eine grundsätzliche Offenheit, hören gerne zu, reagieren darauf, wenn etwas anders passiert, und nehmen es gerne auf. Bei Konzerten beziehen sie gern ihr Publikum mit ein, lassen es mitsingen. Das klingt zwar ziemlich hippiemäßig, ist es aber gar nicht, sondern anrührend und toll. Man kommt da schnell etwas ins Schwärmen.

Tenniscoats im Konzert:

Quelle: YouTube

Heute (15. Oktober) bist du aber wegen ganz anderer Kollaborationen in Berlin. Das IL KINO in Neukölln gestaltet zum European Art Cinema Day einen Thementag zu deinen bzw. euren Film-Soundtracks. Gezeigt werden neben der Notwist-Doku On / Off The Record, die Filme Was bleibt, Absolute Giganten, Solo Swim, N-Capace und Sturm, allesamt mit Soundtracks von Notwist bzw. von dir allein. Das sind sehr unterschiedliche Filme. Wie entscheidest du oder wie entscheidet ihr als Band, an welcher Filmproduktion ihr euch beteiligen möchtet?

Die Projekte, die wir auswählen, sind die thematisch für uns interessantesten, die uns auch als Idee oder Geschichte ansprechen, und bei denen wir uns etwas dazu vorstellen können. Wichtig ist uns auch, bei dem Regisseur oder der Regisseurin zu merken, dass wir miteinander gut klarkommen und verstehen, was sie erschaffen wollen. Uns ist wichtig, vorher zu erkennen, dass es eben keine schrecklichen, kitschigen Vorabendfilme werden. Mit Jörg Adolph, der unsere Musik auch abseits von Solo Swim schon in mehreren Dokus eingesetzt hat, oder Hans-Christian Schmid, dessen Filme Was bleibt und Sturm wir vertont haben, ist es inzwischen ein vertrautes und einvernehmliches Zusammenarbeiten, bei dem man ungefähr weiß, was der andere macht und kann.

Ist das dann die Arbeitsweise: Man stimmt seine Ideen ab und erarbeitet sie für sich allein?

Das ist ganz verschieden. Beim Dokumentarfilm zum Beispiel gibt es ja nicht so etwas wie ein Drehbuch, sondern man kennt das Thema, bekommt vielleicht schon erste Bilder zu sehen und eine Grundidee, was wichtig ist. Aber sehr viel mehr gibt es nicht. Man bekommt immer wieder neue Bilder zu sehen. Jörg aber verarbeitet die Musik sehr intensiv und lässt sich stark von ihr inspirieren. Dadurch entwickelt sich der Film mit der Musik, die man ihm gibt. Also geben wir ihm immer wieder Musik, er hört es sich an, und bei manchen Sachen sieht er, was im Film wie verarbeiten kann. Dadurch entsteht ein Dialog.

Das heißt bei Dokumentarfilmen ist die Musik viel stärker an der Entwicklung des Narrativs beteiligt als bei Spielfilmen?

Mehr noch: Musik und Bilder kommunizieren auf eine Art, die sogar eher ein Weggehen vom Narrativen ist, die Musik teilweise in den Vordergrund rücken lässt und die Bilder darauf zuschneidet. Bei Hans-Christian Schmids Filmen dagegen gibt es natürlich ein ganz klares Drehbuch, und es vor allem darum, mit der Musik auszudrücken oder zu verstärken, was in der Handlung vorkommt, aber man vielleicht in den Bildern allein noch nicht sieht. Man kann dadurch ein wenig in die Leute hineinsehen, interpretieren und etwas komponieren, was dienlich für die Geschichte, den Film und seine Figuren ist.

Eine aktuelle Kollaboration zwischen Hans-Christian Schmid und Notwist: die ARD-Serie Das Verschwinden

Quelle: YouTube

Was ist für dich als Künstler an diesen Kollaborationen der wichtigere Aspekt: dass sich beides am Ende zu einem sehenswerten Film zusammenfügt oder dass dich Bilder zu neuer Musik inspirieren, die dann auch wieder ohne die Bilder funktionieren? Ihr veröffentlicht ja teilweise auch Soundtracks.

Als wir mit Soundtracks angefangen haben, haben wir noch stärker auf die Musik an sich gehört. Aber je länger man weitermacht, desto mehr sieht man, dass die Musik für sich allein zu leer und langweilig klingt. Aber im Zusammenhang mit den Bildern, gerade wenn es um etwas Erzählerisches geht, kann ein einzelner Ton schon eine unglaubliche Wirkung haben und wahnsinnig viel auslösen. Deswegen würden wir auch nie alles, was wir für einen Film machen, veröffentlichen. Unser Soundtrack-Album Sturm ist so ein Mittelding. Im Nachhinein hätte ich aus heutiger Sicht auch nicht mehr die Platte in dieser Form und dem Umfang veröffentlicht. Aber Messier Objects war das Gegenteil und wir haben wirklich versucht, aus allem, was es von uns an Theater- und Hörspielmusik gibt, etwas zusammenzustellen, was wirklich musikalisch für sich steht und einen ganz neuen Zusammenhang ergibt. Man muss dafür nicht mehr wissen, dass eine bestimmte Stelle nun bei Solo Swim die weite des Meeres illustriert. Bei Messier Objects fügt sich ein wildes Durcheinander auf eine Art zusammen, die es wieder einen Sinn ergibt.

Die meistens Songs des Albums sind auch bewusst nicht beschriftet, um sie zu entkoppeln?

Genau. Es sollte keine Vorgabe geben, wie man es sich anzuhören hat. Es steht einfach für sich und man kann sich seine eigene Idee dazu machen.

Was auch teilweise in Messier Objects aufgeht, ist eure Zusammenarbeit mit Jette Steckel für das Deutsche Theater bei Sartres Das Spiel ist aus. Wenn jedes Projekt und jeder Film, wie du sagst, eine andere Arbeitsweise erfordert, wie funktioniert dann die Vertonung für ein Theaterstück?

Das Stück ist ein Zwischending, weil auch mit Filmsequenzen im Theaterstück gearbeitet wird. Der Anfang des Stücks wird komplett als Kurzfilm präsentiert, der im Endeffekt eine Art Stummfilm ist, bei dem die Handlung klar erzählt wird, aber dazu läuft ein fast 13 Minuten langes Stück von uns. Die Vorgabe war, dass die Musik hierzu einen starken Zug benötigt, aber trotzdem diese Spieldauer benötigt und zu den Bildern funktionieren muss. Wir haben also eine Weile gesucht, bis wir etwas hatten, das dem Film gerecht wird. Denn bei einem einfachen Loop hört man nach acht Wiederholungen weg – was ja auch das Schöne an Minimal ist: Man gelangt durch die Musik woanders hin und die Musik selbst ist eigentlich gar nicht mehr da. Aber bei dem Stück sollte die Musik auch einfach in gewisser Weise permanent stressig sein. Im Theaterstück selbst gab es dann auch Stücke von uns, die gesungen werden oder im Hintergrund laufen.

Mit Jette Steckel zu arbeiten, ist super. Sie ist sehr genau, hat eine genaue Vorstellung und ist gleichzeitig total offen. Sie hinterfragt in ihrer Arbeit auch immer wieder die Situation und Theater an sich, wie bei Das Spiel ist aus, wo ja das Publikum auf der Bühne sitzt und die Schauspieler im Zuschauerraum sind. Das macht großen Spaß und ist sehr ergiebig. Und bei Jette Steckel kann man, was sonst selten der Fall ist, eben auch sagen: „Es wäre vielleicht gut, wenn die Musik hier laut ist“. Und dann ist sie eben auch laut.

Notwist – Das Spiel ist aus 

Quelle: Soundcloud

Das ist beim Film wahrscheinlich anders.

Beim Film funktioniert das nicht. Da sind wir auch gar nicht mehr beteiligt, sondern es gibt eigens Sound-Designer. Bestimmte Frequenzen würden einen Dialog übertonen. Und sobald die Musik auffällt und man nichts mehr versteht, funktioniert es nicht mehr als Soundtrack.

Wie du letztes Jahr im Interview angedeutet hast, ist es für dich auch unabhängig von Film und Theater Teil des künstlerischen Prozesses, unterschiedliche Kunstformen zu transferieren. Wie genau beeinflussen dich visuelle Medien?

Das ist eher etwas Intuitives. Ich kann nicht benennen, was genau es macht. Bei Musik denke ich oft sehr visuell. Oft ist es ja so, dass man in der Stimmung eines guten Films noch eine ganze Weile verbleibt, und alles ist, wie in diesem Film. Oft sehe ich ein Bild, bei dem ich feststelle, dass es auf eine andere, eine visuelle Art sehr gut das ausdrückt, was ich bei einer Platte oder einem Lied suche oder ausdrücken möchte. Bestimmte Platten klingen für mich auch rein intuitiv eher farbig, andere monochrom. Also fange ich oft damit an, diese Aspekte zu hinterfragen und mit ihnen zu arbeiten. Ich befasse mich nie mit Kunsttheorien oder -konzepten, sondern es ist ein unterbewusstes Antriggern oder Ablenken, um auf andere Ideen zu kommen und es sich anders anhören zu können.

Wie würde deine Musik ohne diese Einflüsse klingen – also wenn du nur geschlossen im Studio arbeiten würdest?

Es wäre garantiert anders. Beziehungsweise würde es bei mir gar nicht funktionieren. Ich bin mir sehr bewusst, dass ich alles, was ich mache, im Endeffekt nur zusammenklaue. In Kleinteilen kommt auch jede Melodie von irgendwo her. Auf eine Art sollte man versuchen, das zu finden, was an einem Kunstwerk so berührt, dass es einem im Gedächtnis bleibt, und etwas ausdrückt, was man anders nicht ausdrücken kann. Etwas, das eine Kraft hat, Erfahrungen auszudrücken, die mit Worten sehr schwer bis gar nicht auszudrücken sind. Wenn man diesen Kern mit dem trifft, was man selbst macht, und nicht nur eine Form, zum Beispiel eine Musikrichtung, adaptiert, sondern überlegt, was einen an einem bestimmten Stück eigentlich berührt, kann das nur unbewusst funktionieren. Für mich ist es essenziell, viel zu hören. Aber ich bin eh ein Sammlertyp und in erster Linie Fan von ganz vielem, höre und schaue mir viel an, lese Bücher, sehe viele Filme. Ich bin kein Techniker. Denn sich technisch mit etwas auseinandersetzten ist ja auch so ein Ansatz, der zu etwas Großartigem führen kann. Nur eben nicht meiner.

Ein weiteres Nebenprojekt von Notwist: Hochzeitskapelle

Quelle: SoundCloud

Gibt es denn aktuell Werke, zum Beispiel Filme, die dich besonders inspirieren?

Filme momentan weniger, weil ich es zurzeit so selten ins Kino schaffe. Ich konnte mir bisher noch nicht einmal Blade Runner 2049 anschauen, den ich unbedingt sehen möchte. Ich bin großer Fan des Originalfilms. Es sind zurzeit eher Bücher und Platten – und Fotografen. Vitas Luckus aus Riga zum Beispiel, ein Fotograf, der sich tragisch umgebracht hat, von dem ich mir, als wir in Italien auf Tour waren, zwei Bücher mit seiner Werkschau gekauft habe. Das hat mich zuletzt sehr beeindruckt und ich sehe es mir immer wieder an. Platten gibt es viele. Gerade habe ich Oro Swimming Hour gehört, ein neues Duo aus England, das ein großartiges Album gemacht hat: Gitarre, Gesang, eine bestimmte LoFi-Ästhetik, Orgeln, unglaubliche Stücke.

Und das neue Album von Ryuichi Sakamoto habe ich mir öfter angehört, dem vielleicht berühmtesten japanischen Musiker. Er war früher bei Yellow Magic Orchestra, die, was sie wahrscheinlich nicht so gerne hören, als japanische Kraftwerk gelten. Sie haben in den 80ern viel mit Synthesizern gearbeitet, waren international, auch hier, sehr erfolgreich und haben eine Art sehr tanzbares Proto-Electro entwickelt. Und Sakamoto wurde vor allem durch den Soundtrack zu Merry Christmas, Mr. Lawrence mit David Bowie sehr berühmt. Er macht zwar viel pianolastige, aber eben auch stark experimentelle und avantgardistische Musik.

Besteht die Chance auf eine Zusammenarbeit?

Nein! Auf keinen Fall. Er ist viel zu groß! Wie Brian Eno. Ich muss ja sagen, schon die Zusammenarbeit mit Tenniscoats kam mir sehr egoistisch vor, weil ich einfach ein großer Fan bin. Beim Studioaufenthalt gab es schon Momente, in denen ich mir dachte, „Markus, was machst du denn da? Die haben so tolle Platten mit anderen gemacht. Was kannst du schon einbringen, was sie nicht eh auch schon gemacht haben oder machen können?“

Musiktipp von Markus Acher: Oro Swimming Hour

Quelle: YouTube

Woran arbeitest du aktuell?

An neuen Notwist-Sachen. Wir möchten nächstes Jahr wieder ein Album veröffentlichen. Beim Alien Disko Festival spielen wir im Dezember in München. Wir müssen dort fast spielen, weil viele bisher nicht so bekannte Projekte dort auftreten. Also hoffen wir, dass einige Notwist-Leute kommen, denen wir die anderen Projekte vorstellen. Wir spielen aber nicht ein normales Programm, wie letztes Jahr, sondern greifen viele unserer Filmkompositionen auf.

Werdet ihr dort auch schon neue Songs spielen?

Das weiß ich noch nicht. Leider sind alle vielbeschäftigt. Überhaupt Termine zum Proben zu finden, wird schon abenteuerlich. Die Zusammenstellung des Festivals war schon sehr viel Arbeit.

Aber ich nehme momentan auch Songs mit Odd Nosdam auf. Wir haben bereits fünf Lieder. Er kommt aus dem Umfeld des Anticon-Labels, bei denen Themselves sind, mit denen wir die Band 13&God gemacht haben. Deren Rapper Doze One hatte die Band cLOUDDEAD – eigentlich die Königsband des ganzen Kosmos. Odd Nosdam war in dem Trio der Produzent und hat eine ganz eigene Art zu produzieren. Super Typ. Er ist bei Notwist-Konzerten in Amerika mitgefahren und hat vor unseren Show aufgelegt oder gespielt. Wir sind in den Städten herumgezogen, sind zusammen in Plattenläden gegangen und haben uns Alben empfohlen und zugesteckt. Daraus haben sich Freundschaft und musikalischer Austausch entwickelt. Wir sind auf einem Nenner, nur dass er den Hiphop-Background hat, sowie Noise und Ambient, bei mir eher Indie und Jazz. Aber wir treffen uns in den Schnittmengen in der Mitte und schicken uns Songs hin und her. Irgendwann soll eine Platte dabei herauskommen. Ich weiß nicht wann und hoffe bald.

Es gibt noch ein weiteres Projekt, auch mit einem japanischen Musiker: Hochzeitskapelle. In der Band spielen wir rein akustisch, mit Tuba, Posaune, Banjo, Bratsche und Schlagzeug. Wir spielen in der Formation sehr gerne, weil es so unkompliziert ist und man sich einfach ohne Vorbereitung hinsetzen und rein akustisch losspielen kann: auf dem Markt, an der Isar, auf Geburtstagsfesten, in der Wirtschaft. Unter anderem spielen wir auch die Komposition eines japanischen Musikers, Kama Aina, der ganz tolle Musik macht. Wir mögen das Stück, genau wie viele andere Leute, sehr gern und haben ihm unser Album geschickt. In Japan habe ich ihn dieses Jahr getroffen, als ich Tenniscoats besucht habe. Nächsten Monat kommt er nach Deutschland und wir werden gemeinsam eine Platte mit Stücken aufnehmen, die er extra für Hochzeitskapelle komponiert hat und treten mit ihm auf einem Festival auf.

Dankeschön für das Interview.


Spirit Fests Debütalbum erscheint am 1o. November bei Morr Music und klingt in etwa so farbenfroh wie sein Cover aussieht:

Cover und Titelbild: © Spirit Fest

Zwischen Experiment, Soundtrack und Avantgarde. Ein Gespräch mit Midori „MimiCof“ Hirano

Wer ist Midori Hirano? Bereits seit ihren ersten Veröffentlichungen spannt die Musik der Japanerin einen Bogen zwischen Klassik und Ambient, und wirft insbesondere auch eine aufmerksame künstlerische Perspektive auf deutsche Erscheinungen der Musikgeschichte. Ihre Musik stellt nachdrücklich fest, dass diese sich nicht nur, wie allgemein angenommen, über Stilbrüche verstehen lassen, sondern auch als rückgekoppelte, geschlossene Kunst funktionieren.

Unter ihrem Pseudonym MimiCof entlädt sie die Spannung immer stärker in etwas Eigenes, führt uns tiefer ins Abstrakte und baut die Sphären, die sie vor langer Zeit betreten hat, zu synästhetischen Gebilden, mal Maschinen-, mal Welträumen aus. Das führte sie schon auf die Berlinale. Ihr neues Album „Moon Synch“ nun ist nicht zuletzt auch von ihrer Auseinandersetzung mit einem analogen Buchla-Synthesizer geprägt. Assoziationen zu Science-Fiction-Kino-Soundtracks oder Industrial Music bleiben schon deswegen nicht aus.

Doch es liegt in der Natur des Avantgarde, im Vorgefundenen bloß Vereinnahmungspotenziale zur Überwindung zu verstehen. Und so erlegt der schwere Industrial-Sound ihrem Projekt eine neue künstlerische Mitte auf, die „Moon Synch“ zu einem seltenen Fund macht – dem Ausgangspunkt eines aufschlussreichen Gesprächs.


Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen MimiCof-Album – wie lang hast du daran gearbeitet?

Dankeschön. Mit ein paar Pausen habe ich insgesamt vielleicht vier bis fünf Monate daran gearbeitet. Ich hatte zwei Residencies in Stockholm, einmal für zwei Wochen und einmal für eine Woche. Es gibt dort das DMS Studio, das einen großen Buchla-Synthesizer hat. Ich habe vorher nie mit einem analogen Synthesizer gearbeitet und war total interessiert, weil ich bisher nur digital am Computer gearbeitet habe.

Du bist extra für diesen Synthesizer nach Stockholm gekommen?

Genau, ich habe mich dafür auf diese Residency beworben und bin dann zum Glück angenommen worden.

Quelle: SoundCloud

Und während dieser Zeit in Stockholm sind sämtliche Songs des Albums entstanden?

Ich habe zunächst komplett ohne Ziel begonnen, mich mit dem Synthesizer auseinanderzusetzen, habe improvisiert und experimentiert, weil ich nicht wusste, wie er funktioniert. Das wurde mir im Studio aber gezeigt und ich habe es gelernt. Nach dem ersten Aufenthalt habe die Dateien mit nach Hause gebracht und sie ausgewertet, noch mehr Layer hinzufügt und sie digital bearbeitet.

Wie war es denn für dich, ein neues Instrument kennenzulernen?

Das war super. Ich habe ja klassische Musik studiert und früher viele Jahre lang Klavier gespielt. Aber das ist ein schon länger her, ich habe eine lange Pause vom Klavierspielen gemacht und meine Musik komplett am Computer komponiert. Mir wurde aber immer stärker bewusst, dass ich den Kontakt zu einem Instrument vermisse. Ich wollte jedoch nicht einfach zum Klavier zurück, sondern etwas anderes probieren.

Und gibt es Buchla-Synthesizer so selten, dass du dafür extra nach Stockholm musst?

Ja, tatsächlich. Die sind schon teuer und es gibt nicht so viele. Und es ist ein sehr altes Modell, aus den 60ern oder 70ern.

Der Buchla-Synthesizer im Stockholmer Elektronmusikstudion:

Quelle: Instagram

Im Gegensatz zu deinen vorherigen Alben gibt der Synthesizer deinem Sound ja auch eine durchaus neue Richtung, er klingt zeitloser und schwerer. Wie würdest du den Sound im Unterschied zu deinem 2012er MimiCof-Album „KotoLyra“ beschreiben?

Die beiden Alben sind komplett unterschiedlich. Bei „KotoLyra“ habe ich eher nur mit dem Computer komponiert und nur für wenige Stellen einen Synthesizer benutzt. Aber auf „Moon Synch“ geht es viel stärker in eine experimentellere Richtung. Es findet viel mehr zwischen analog und digital statt.

Würdest du auch sagen, dass es vom Sound her geschlossener klingt?

Ja, schon. Und es klingt viel physikalischer. Für mich hat es eine viel physikalischere Bedeutung.

Darauf sind ja auch die Songtitel wie „Spins“, „Rising“ und „Burning Lights“ angelegt, oder? Ist dies das Konzept des Albums geworden?

Am Anfang hatte ich kein Konzept, aber irgendwann habe ich das Ziel gefunden, dass der Sound etwas kosmischer wird. Im letzten Jahr habe ich ein anderes Album unter meinem wirklichen Namen Midori Hirano veröffentlicht, das „Minor Planet“ heißt. Und schon bei dem Albumnamen habe ich die Idee bekommen, ein zweites Album zu machen, das inhaltlich mit „Minor Planet“ verbunden ist. Aber das war eigentlich etwas zufällig.

Ambient-Musik ist ja oft sehr abstrakte, offene Musik, weshalb man beim Hören schnell die Tendenz hat, sich assoziativ durch Songtitel leiten zu lassen. Und Titel und Sound fügen sich auf „Moon Synch“ ja nun wirklich gut. Aber angenommen, jemand würde aber etwas ganz anderes, also nichts Kosmisches darin hören: Würde dich das stören oder findest du es schön, mit deiner Kunst Projektionsfläche zu bieten?

Ich freue mich, wenn jemand den Songs eine andere Bedeutung gibt. Jeder Mensch hat eigene Ideen zu jedem Stück.

Und ist es für dich wichtig, dich von Album zu Album in neue Richtungen zu entwickeln?

Es muss nicht immer anders sein. Es kommt nur darauf an, was ich gerade machen möchte. Das entscheide ich jedes Mal aufs Neue. Mein erstes Album habe ich schon vor zehn Jahren veröffentlicht. Und ich mache bei neuen Projekten gerne Sachen anders. Ich brauche manchmal die Veränderung.

als Midori Hirano:

Quelle: YouTube

War das der Grund für dich, anzufangen, auch das Pseudonym MimiCof zu benutzen?

Genau. Am Anfang habe ich immer nur als Midori Hirano Musik veröffentlicht. Dann kam ich nach Berlin, wo ich kein Klavier mehr hatte. Ich habe hier zunächst nur mit dem Computer und Geräten gearbeitet. In dieser limitierten Umgebung kam ich auf die Idee, etwas anderes zu machen, war stärker an elektronischer Musik interessiert und habe mir überlegt, mit einem neuen Projekt anzufangen. Deswegen habe ich als MimiCof angefangen. Heute sind für mich beide Projekte wichtig.

Und warum hast du dich damals für Berlin entschieden? Hatte das eine künstlerische Motivation?

Ich war, auch weil ich Klassik studiert habe, schon lange an deutscher Musik interessiert. Und noch mehr hat mich die Musikszene in Berlin interessiert.

… die elektronische?

Ja, schon. Außerdem war ich damals 29 Jahre alt und wollte etwas anderes in meinem Leben probieren.

Das hat ja künstlerisch auch sehr gut geklappt. Und obwohl du klassisches Klavier studiert hast, war die Musik, die du veröffentlicht hast, noch nie rein klassisch instrumentiert.

Ja, es war immer eine Mischung aus akustischer und elektronischer Musik. Auch mit Field-Recordings [aufgenommenen Alltagsgeräuschen] habe ich experimentiert, was ich auch immer noch gerne mache. Auf „Moon Synch“ nicht, aber auf „Minor Planet“ habe ich noch Field Recordings verwendet.

Aber auch Moon Synch ist ja ein wenig psychedelisch – mit maschinellen Klängen. Vom Höreindruck her könnten es auch echte Field Recordings sein, die du benutzt.

Ich habe auch tatsächlich darüber nachgedacht, Aufnahmen zu benutzen, aber der Klang des Buchlas hat mir so gut gefallen, dass ich nur damit gearbeitet habe.

Und du machst auch Film-Soundtracks.

Ja, manchmal schon. Nicht oft.

Einer der Filme lief sogar bei der Berlinale.

Ja genau, Vita Lakamaya, ein Animationsfilm.

Vita Lakamaya von Akihito Izuhara (Berlinale-Trailer):

Quelle: Vimeo

Wie entscheidest du, an welchen Projekten du mitwirken möchtest?

Ich beteilige mich nur, wenn jemand auf mich zukommt und fragt, ob er meine Musik verwenden kann. Der Regisseur von Akihito Izuhara kannte zum Beispiel meine Musik schon, weil wir uns schon kennengelernt haben. Er kam dann darauf, die Musik für den Film zu verwenden. So funktioniert es eigentlich immer: dass der Regisseur auf mich zukommt.

Würdest du sagen, dass deine Beteiligung an Filmsoundtracks deine Arbeit als Musikerin generell beeinflusst? Also dass auch deine Alben evtl. von visueller Kunst beeinflusst sind?

Ja, manchmal schon. Manchmal bin ich von bestimmten Bildern inspiriert, mit denen ich gearbeitet habe. Es gibt manchmal schon einen Zusammenhang. Ich sehe bestimmte Bilder, während ich komponiere. Ich mache das zwar abstrakt, schaue mir keine konkreten Bilder an, aber trotzdem fließen manche visuellen Ideen ein.

Apropos szenische Kunst – ein Song sticht aus dem abstrakten Konzept von „Moon Synch“ hervor: „Leaving the Country“ beginnt mit einem bedrückend klingenden, mechanischen Sound, welcher sich aber immer mehr auflöst. Ist dies das Gefühlsleben, das man hat, wenn man seine Heimat verlässt? Hast du daran gedacht bei dem Titel?

Vielleicht, ja, ein bisschen schon. Es muss nicht so traurig sein. Es geht ein bisschen um das Gefühl, vergänglich zu sein. Jeder Mensch stirbt irgendwann. Oder etwas geht kaputt. Das Gefühl, dass etwas endet. Alle gehen irgendwann weg. Dieses Gefühl hatte ich, als ich es komponiert hab, das wollte ich abbilden.

Und diese Art von Bedrückung klingt auf deinem Album ja auch an anderen Stellen immer wieder durch. Wie ist es, über mehrere Monate an einem so einnehmenden, impulsiven Projekt zu arbeiten? Belastet es dich auch?

Ja, es ist manchmal sehr anstrengend und man braucht viel Energie, um ein bestimmtes Stück zu machen. Vielleicht ist es eine Belastung. Aber man kommt damit zurecht. Ich habe nicht immer daran gedacht.

Quelle: YouTube

Und was auch sehr beeindruckend ist, ist dass du immer geschlossen und allein arbeitest. Du spielst alle Instrumente selbst, oder?

Beim allerersten Album haben Gastmusiker die Streichinstrumente aufgenommen. Aber ansonsten mache ich alles alleine, Klavier und Computer.

Erfordert es viel Disziplin, sich Tag für Tag damit zu beschäftigen?

Es ist wirklich schwer, denn es gibt zu viel Ablenkung. Aber ich versuche trotzdem immer etwas zu machen – zu spielen, etwas zu entwickeln. Aber das geht nicht jeden Tag.

Du stehst, während wir uns unterhalten, gerade direkt vor einer Japan-Tour, in der du dein neues Album präsentierst. Wie ist es, als Künstlerin in die Heimat zurückzukehren?

Ich kehre ungefähr einmal pro Jahr nach Japan zurück. Es ist eine Mischung aus Besuch und Tour. Meine Familie und viele Freunde sind noch dort.

Und ist es anders, vor denen zu spielen als hier in Europa?

Für mich ist es hier einfacher. Hier kann ich offener sein und freier auftreten – und arbeiten. In Japan gibt es auch viele Künstler*innen, die Musik in diese Richtung spielen. Aber ich bin auch hier, weil es dort viel schwieriger, viel stressiger ist, zu leben.

Du denkst also nicht darüber nach, zurückzukehren?

Momentan nicht. Vielleicht in zehn Jahren. Ich weiß es noch nicht.

Und zum Abschluss: Spielst du auch in Deutschland noch Release-Shows für das Album?

Das steht noch nicht fest. Ich plane meine Konzerte eigentlich immer noch unabhängig von Albumveröffentlichungen. Es kommt für mich eher darauf an, Anfragen zu bekommen, die ich spannend finde. Aber am 2. Juni spiele ich in Chemnitz und am 1. Juli in Bielefeld, zusammen mit Driftmaschine.


Eine Release-Show in Berlin ist inzwischen für den 23. Juni angekündigt. MimiCofs Album „Moon Synch“ erschien indes am 5. Mai bei Alien Transistor.

Titelbild: © Sylvia Steinhäuser