„Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?“

Aus der Verfilmung der Dreigroschenoper, dem besten Theaterstück bzw. „Musical“ der Welt, vom großen Bertolt Brecht ist nie etwas geworden – zu sehr unterscheiden sich die Grundlagen des epischen Theaters, das zum kritischen Denken und Hinterfragen einladen soll, und die der Filmindustrie, die Gefühle zeigen und von der Realität ablenken will. 90 Jahre nach der Uraufführung des Stücks hat sich nun der Brecht-Kenner und Regisseur Joachim A. Lang daran gemacht, den Dreigroschenfilm endlich zu drehen. „Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm heißt jetzt das Werk. Daraus wurde der beste Film der vergangenen Jahre, vielleicht sogar der beste Film überhaupt. Eine Liebeserklärung!


Gemeinsam mit dem Komponisten Kurt Weill (dargestellt von Robert Stadlober) will Brecht (gespielt von Lars Eidinger) das Werk für die Leinwand überarbeiten. Das Stück ist im 19. Jahrhundert angesiedelt. Der Räuber Macheath, genannt Mackie Messer (Tobias Moretti), brennt darin mit Polly Peachum (Hannah Herzsprung), der Tochter des Bettlerkönigs Jeremiah Peachum (Joachim Król), durch. Daraufhin veranlasst Letzterer mit der Drohung eines Bettleraufstandes und der Bestechung von Prostituierten, Mackie festzunehmen und zu hängen. Macheath kann nur durch einen Verfremdungseffekt gerettet werden: einer königlichen Begnadigung. Das Werk nach Brechts Vorstellungen zu verfilmen, scheitert aber schnell an den unterschiedlichen Absichten von Autor und Produktionsfirma: Während Brecht den außergewöhnlichsten Film aller Zeiten machen will, verfolgen die Produzenten von Nero-Film rein wirtschaftliche Interessen, wollen daher die Konventionen der filmischen Verblödung pflegen und haben Angst vor politischer Zensur. Die Parteien ziehen sogar vor Gericht.

Foto: © Stephan Pick

Lang ist etwas Großartiges gelungen, etwas, das man dem Film kaum noch zugetraut hätte – ganz besonders einer deutschen Produktion, gilt der deutsche Film heute doch als seichte und redundante Bespaßung einer vergreisten Gesellschaft. Der Regisseur liefert tatsächlich die filmische Adaption eines epischen Theaterstücks, das es an Graden der Verfremdung – seltsamer Elemente, die den Zuschauer darauf hinweisen, dass es sich um ein Stück handelt, der daraufhin auf Distanz zum Gezeigten geht und erkennen soll, dass die Realität änderbar ist – mit dem epischen Theaters aufnimmt. Der experimentelle und gesellschaftskritische Film hat hiermit einen Höhepunkt gefunden.

Denn Lang hat nicht einfach das Drehbuch des Dreigroschenfilms auf die Leinwand gebracht. Vielmehr zeigt er, wie Brecht und seine Freunde sich das Werk erarbeiten und um mit Nero Film kämpfen und prozessieren. Es handelt sich dabei nicht nur um einen Film im Film, sondern um eine ständige Interaktion und Verwischungen der Fiktionsebenen, bis hin zum kompletten Umfallen der vierten Wand und Appellen an das Publikum. Gerne unterbrechen sich etwa die Filmebenen gegenseitig, vor allem während des Singens, damit die Lieder auch ja nicht zum Einfühlen und Schunkeln einladen, wie es leider bei so mancher Aufführung der Dreigroschenoper in den vergangenen Jahren der Fall war.

Dabei wird sogar der Gerichtssaal schließlich zur Theaterbühne und soll den Verfall der Kunst zu einer Ware im kapitalistischen Prozess der Kulturindustrie zeigen. Brecht wollte damit die Wirklichkeit inszenieren, und Lang liefert mit einiger Verspätung die dramaturgische Darstellung dazu. Durch die zahlreichen Verfremdungseffekte und indem Lang die Hintergründe des Dreigroschenfilms darstellt und zeigt, wie die Protagonisten selbst zeigen und inszenieren, hat er das geschafft, was bisher als unmachbar galt: dass der Film im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit an die künstlerische Qualität und Kritikfähigkeit des modernen Theaters heranreicht. Das erfordert vom Zuschauer natürlich mehr als nur zu glotzen. Es erfordert eine Reflektionsfähigkeit, die Fähigkeit zu sehen, kurz: Es erfordert den Spaß an einem Lernprozess statt banaler Unterhaltung. Es erfordert also genau das, was Brecht wollte. Chapeau! Übrigens ist es dazu nicht einmal nötig, die Dreigroschenoper tatsächlich schon gesehen zu haben, da Handlung und Unterschiede zum Film in Mackie Messer herausgearbeitet werden.

Foto: © Stephan Pick

Der Film wäre natürlich nicht so gut, ohne die zum größten Teil grandiose Darstellung der Protagonisten möglich gewesen. Eidinger beispielsweise spielt den Brecht nahezu perfekt. Optisch scheint er ein Spiegelbild des Brechts der 1920er und 1930er zu sein. In gewisser Weise wirkt er also authentisch. Auch sein Text ist nicht ausgedacht: Lang hat aus dem Werk Brechts und überlieferten Zitaten den Text des filmischen Protagonisten Brecht zusammengeschnitten. Alle Aussagen Eidingers sind also Brecht-Originale. Die haut der Schauspieler in einem ruhigen, mal ernsten, mal vor Ironie beißenden Ton heraus und sorgt so für eine Pointe nach der anderen: etwa wenn er die Filmgesellschaft, Journalisten oder das Gericht vor den Kopf stößt, teils auch mit Obszönitäten, die die Wirklichkeit seiner Leser widerspiegeln sollen. Eidinger gelingt es dabei, ein originalgetreues Bild zu zeichnen. Denn Brecht wird bei ihm einerseits zu einem marxistischen Macho, andererseits zu einem sehr empfindsamen Denker, der versucht, sich in einer Ära der Kulturreaktion zu behaupten.

Andererseits wird die Rolle selbst verfremdet, wenn Eidinger versucht, wie Brecht zu singen, mit schwäbischen Akzent und einem rollenden R, was einfach nur gelungen seltsam klingt. Hervorzuheben ist auch Herzsprung als Polly. Sie durchläuft im Film, anders als Polly in der Dreigroschenoper, eine starke Wandlung: vom verliebten und naiven Mädchen voller Sinnlichkeit und zarter Gesangsstimme zur knallharten Bankerin, die anstatt Räuberbraut zu werden, eine Bank kauft und mit dem Kapital Mackie freikauft. Gerade Herzsprung hat damit eine anspruchsvolle Rolle, denn sie muss sich nicht nur als Polly im Dreigroschenfilm wandeln, sondern spielt auch noch in der Rahmenhandlung die Schauspielerin Carola Neher. Ähnliches gilt für Moretti, der aus dem Räuber Mackie Messer schließlich den bourgeoisen Banker Macheath macht.

Foto: © Stephan Pick

Die neue Wende des Films ist, wie alles andere auch, eine beachtliche Leistung Brechts, wenn er den Film umschreibt und die Räuber sich in Banker verwandeln lässt. Der kapitalismuskritische Satz von Mackie am Ende der Dreigroschenoper, was denn ein Bankraub schon gegen die Gründung einer Bank und ein Mord im Vergleich zu einer Aktie sei, wurde für den Film wörtlich genommen. Die Grenzen zwischen Bourgeois und Räuber verwischen. Zum Finale hat Lang diesen Wandel erfolgreich in einer Analogie dargestellt, indem die Räuber über eine Brücke gehen und als Banker im neoliberalen 21. Jahrhundert ankommen. Hier schließen Staat und Räuberbank Frieden und sperren das soziale Elend ins Dunkel.

Der Film wäre natürlich ein Flopp, wenn die Musik nicht gut gespielt wäre. Das SWR-Symphonieorchester ist jedoch in Höchstform, schon beginnend mit einem eindringlichen Zweiten Dreigroschenfinale, aus dem der bekannte Satz „Erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“ stammt. Dies singt Moretti übrigens überwältigend. Doch auch die meisten anderen Schauspieler (außer Król, der als Peachum nicht akzentuiert genug singt) stehen ihm im Gesang in nichts nach: zum Beispiel Britta Hammelstein als die Prostituierte Seeräuber Jenny. Die Basis für die große musikalische Leistung liefern die Komponisten Walter C. Mair und Kurt Schwertsik. Denn das musikalische Finale, wenn sich die Räuber in Banker verwandeln, liegt von Weill nicht vor. Es gibt nur den Text von Brecht. Also haben die Filmkomponisten im Stile Weills die Noten dafür geschrieben. Doch man merkt kaum den Unterschied zwischen ihrer Komposition und den Schlagern Weills, die durch ihre Leichte, abgewechselt von schroffen Akkorden und tonalen Brüchen, ein bizarres Verhältnis zu den derben Liedtexten eingehen.

Foto: © Stephan Pick

Es wäre also fast eine große Ironie, wenn dieser experimentelle, bunte und vielschichtige Film tatsächlich einen Oscar (also den Preis der Kulturindustrie schlechthin) als bestes fremdsprachiges Werk gewinnen würde. Auf der deutschen Auswahlliste steht er zumindest schon einmal. Lang und sein Team haben in mehrfacher Art das geliefert, was Brecht-Fans nicht zu hoffen wagten: erstens, den deutschen Film in einer großen Produktion künstlerisch zu retten, zweitens, den Film Brechts in epischer Form zu drehen, und drittens, dabei Brecht selbst zu inszenieren. Die Arbeit dieser Nachgeborenen ist gelungen, das Meisterwerk ist vollendet! Denn – und das habe ich bisher noch nie über ein dramatisches Werk von jemandem gesagt, und werde es wohl so schnell nicht wieder tun –: Dieser Film reicht an das Werk Brechts heran.

Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm kam am 13.9.2018 unter der Regie von Joachim A. Lang in die Kinos, wurde von Zeitsprung Pictures, dem SWR und Velvet Films realisiert und hat eine Spieldauer von 131 Minuten. Eine zweiminütige Kurzfassung ist online verfügbar:

Quelle: YouTube
Beitragsbild: © Stephan Pick

3 Kommentare

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