Das Thema der Künstlichen Intelligenz (KI) ist endlich von der (oft zu Unrecht verschrienen Science Fiction) in die Mainstreamliteratur herübergeschwappt.
Große Genre-Autoren – wie Philip K. Dick, Iain Banks, Dietmar Dath und inzwischen auch Marc-Uwe Kling – bearbeiten das Thema bereits seit Dekaden und stellen sich vor allem drei Fragen: Erstens, was bedeutet die Vollautomatisierung für die menschliche Gesellschaft? Zweitens, wie müsste man rechtlich und moralisch mit einer Künstlichen Intelligenz umgehen, das heißt mit einem elektronischen Wesen, das selbstständig lernen kann und – anders als ein bloßes neuronales Netz – empathiefähig wäre? Und drittens, ginge von einer solchen überlegenen Spezies eine Gefahr aus? Genau die gleichen Fragen stellt sich nun auch, mit ordentlicher Verspätung, die Publikumsliteratur. Ian McEwan hat beispielsweise in seinem neuen Roman Maschinen wie ich eine alternative Gegenwart entwickelt, in der die ersten KIs als Servicekräfte und Begleiter eingesetzt werden. Während er damit zwar ein technisch und erzählerisch sauberes und spannendes Werk vorlegt, trägt er inhaltlich zur (noch rein fiktiven) Debatte kaum etwas bei.
In Maschinen wie ich lebt der Junggeselle und Ich-Erzähler Charlie immer noch vom Erben und von meist erfolglosen Börsenspekulationen. Auch bandelt er mit seiner Nachbarin, der Studentin Miranda, an. Die beiden sind bereits ein Paar, als Charlie einen großen Teil des Erbes aus reinem Interesse in eine KI steckt. Er bekommt das Modell „Adam“ geliefert, einen Androiden, der in eine menschliche Hülle gesteckt wird und allerlei menschliche Aufgaben übernehmen kann – nur schneller, effizienter und intelligenter. Schon bald entwickelt Adam eine eigene Persönlichkeit, vernetzt sich mit „Artgenossen“ und wird der Dritte in der Liebesgeschichte, als auch er sich in Miranda verliebt und sogar einmal Sex mit ihr hat. In dem Gefühlschaos kommt auch eine dunkle Vergangenheit Mirandas ans Licht. Die Situationen werden für das menschliche Paar immer verhängnisvoller, und immer mehr zeigt sich, dass der strenge Adam im Grunde der Moralischste unter den Dreien ist.
Die Geschichte ist gut konstruiert und hat eigentlich das, was es zu einem guten Roman braucht: authentische Protagonisten, Liebe, Sex, eine Ménage à trois, inklusive Eifersucht sowie philosophische und politische Reflexionen in einem. Die Protagonisten beispielsweise sind keinesfalls rein gut oder schlecht, sondern schlicht menschlich. Charlie etwa ist zwar charmant, liebevoll und einigermaßen intelligent, aber andererseits reflektiert er auch über zahlreiche Fehler wie Geldprobleme, seinen Egoismus und seinen falschen, oft herablassenden Umgang mit Adam. Miranda ist eine geheimnisvolle junge Frau, die zärtlich und nett ist, aber auch rachsüchtig, skrupellos und verzweifelt. Und Adam ist ein geborener Kantianer, der um seine intellektuelle Überlegenheit weiß und keine moralischen Ausnahmen duldet, aber andererseits sich gerne zur Romantik in Haiku-Form hinreißen lässt.
Lesenswert, aber unoriginell
Zwei Besonderheiten schweben zudem als Kontext über der Handlung. Zum einen wird immer wieder das Geschehen unterbrochen, um Einblick in die britische Politik zu bekommen. In McEwans Szenario bekämpfen sich Thatcher-Tories und Labours über die zunehmende Automatisierung der Arbeit. Was passiert dann mit den Arbeitern? Es geht um Maschinenstürme und den denkbaren Luxus, ohne Arbeit leben zu können, sollte Lohnarbeit überflüssig werden. Leider reicht McEwans Fantasie hier nur für die sehr bourgeoise Lösung eines bedingungslosen Grundeinkommens, ohne das Wirtschaftssystem, das menschliche Arbeit als ökonomische Ressource sieht, zu hinterfragen. Darüber hinaus lässt der Autor auch Alan Turing noch lebendig sein. Als Erfinder des Turing-Tests war er maßgebend für die Frage, ab wann eine KI als menschlich gelten kann – nämlich dann, wenn ein menschliches Gegenüber keinen Unterschied von KI und Mensch mehr ausmachen kann. Mehrmals trifft Turing auf Charlie, erklärt ihm technische Details oder gibt auch das eine oder andere erschütternde moralische Urteil ab.
So gilt McEwan im Grunde zu Recht als ein Meister der gegenwärtigen britischen Literatur, der einfühlsam und mit einer eleganten Einfachheit zu schreiben vermag. Nichtsdestotrotz ist dieser Roman zwar sehr gelungen, aber dennoch überflüssig. Solche und ähnliche Geschichten – von höherer und niedrigerer Qualität – gibt es schon zuhauf. Warum das Thema noch einmal aufwärmen, wenn man nichts dazu zu sagen hat? Denn McEwan vermag nicht, thematisch dem Ganzen etwas Neues hinzuzufügen. Er erkennt nur die Brisanz einer scheinbar immer näher rückenden Zukunftsvision, ohne eigene Gedanken dazu zu entwickeln und zu verarbeiten. Er setzt einfach den moralisch fragwürdigen Umgang mit einer neuen Spezies in einen neuen Kontext, nämlich die Ära des englischen Neoliberalismus. Doch neue Konfliktlinien oder Reaktionsmuster vermag er daraus nicht abzuleiten. Er hat das, was die Science-Fiction schon lange vorher geliefert hat, nur noch einmal neu verpackt.
Zusammengefasst zeigt sich, dass Maschinen wie ich eine durchaus gute Geschichte ist, die in einem klaren und dennoch mitreißenden Stil erzählt ist. Kurz gesagt: Isoliert betrachtet ist das Buch lesenswert und liefert den einen oder anderen Page-Turner. Da der Handlung selbst aber jede Innovation oder auch nur Neuigkeit fehlt, vermag das Buch bestenfalls in die literarischen Topoi KI, Androiden und Replikanten einzuführen. Letzteres sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Roman jeder literarischen Originalität entbehrt. Wer sich wirklich dafür interessiert, dem sei sozialkritische Science Fiction empfohlen.
„Maschinen wie ich“ von Ian McEwan erschien in deutscher Übersetzung von Bernhard Robben 2019 im Diogenes Verlag und hat 416 Seiten.
Coverbild: © Diogenes Verlag
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