Interspiel mit Laia Alvarez Mestre

Laia Alvarez, Schauspielerin. Geboren in Barcelona. Lebt in Berlin. Passionierte Tangotänzerin. Finalistin von IN ZUKUNFT II als Theaterautorin. Entschloss sich nach längerer Arbeit als Journalistin zu einer Schauspielausbildung, „da sie es ihrem Vater schuldig war“. Zurzeit in der spanischen Fernsehserie Com si fos ahir (TV3) zu sehen. Steht demnächst für den ZDF-Spielfilm Der gute Bulle – Wenn Tote reden (Regie: Lars Becker) vor der Kamera.

Was gibt dir Schauspielerei im Vergleich zu anderen Künsten? 

Ich kann durch sie ein anderer Mensch sein: Ich darf jemanden umbringen, ohne ins Gefängnis zu kommen, ich darf arm sein, ohne zu verhungern, oder unverschämt, ohne dass ich gehasst werde. Wir Schauspieler sind ja sehr neugierig. Wir wollen verstehen, erfahren. Wir lieben Emotionen. Wir suchen Konflikte, pasión … Wir müssen uns selber spüren, um zu wissen, dass wir am Leben sind.

Anders gefragt: Warum bist du Schauspielerin geworden?

Weil ich es leider einmal probiert habe. Schauspiel ist eine harte Droge. Wenn du es einmal probierst, kommst du nie wieder raus … Ich wollte schon immer eine Schauspielausbildung machen, aber mit achtzehn habe ich mich nicht getraut und erst mal einen Umweg eingeschlagen. Während meines Journalistikstudiums habe ich ein Erasmus-Semester an der UDK gemacht. In der Zeit habe ich meinen Freund auf der Bühne spielen sehen. Ich war neidisch. Mein Papa hat vierzig Jahre einen Job gemacht, den er gehasst hat. Er sagte dann zu mir, ich solle das tun, was mich glücklich macht. Ich bin es ihm also schuldig.

Und wo hast du dein Handwerk gelernt?

Genauso wie viele erfolgreiche Schauspieler in Deutschland wollte ich mich eigentlich bei einer staatlichen Schauspielschule bewerben. Aber ich bin Frau, Ausländerin und viel zu alt: keine Chance. Also bin ich bei einer Privatschule gelandet. Es war mir klar, dass es viele Vorurteile gegen Privatschulen gibt – Scheiß drauf. Ich wollte einfach eine gute Schule finden, wo ich an meinen Schwächen und Stärken arbeiten konnte, und habe mich bei einer der wenigen Schulen auf der Welt eingeschrieben, wo man eine Ausbildung nach Michael Tschechow machen kann. Ich möchte, dass die Leute meine Arbeit schätzen, egal, von welcher Schule oder aus welchem Land ich komme.

Wer ist Michael Tschechow und was macht seine Methode so besonders?

Er war Antons Tschechows Neffe und einer der brillantesten Schüler von Stanislawski. Stanislawski sagte einmal: „Wenn ihr meine Methode verstehen wollt, solltet ihr Tschechow studieren.“ Tschechow spielte einmal Hamlet. Stanislawski war so begeistert von seiner Interpretation, dass er ihm sein Beileid aussprach. Er dachte, Tschechows Vater wäre tatsächlich gestorben. Er war aber sehr überrascht, als Tschechow erklärte, dass sein Vater noch am Leben sei … Bei Tschechow ist die Imagination eine der wichtigsten Kräfte im Schauspiel, und diese ist, im Gegensatz zu Stanislawski, unbegrenzt. Aber hey, ich bin eigentlich gar kein Fan von Methoden. Ich habe mit anderen Methoden gearbeitet und bin davon überzeugt, dass man sich aus allem seine eigene Technik zusammenbauen sollte.

Könnte man also von Schauspielern behaupten, dass sie allesamt aus der Tschechowstanislawakei stammen?

Hahahahaha, total. Obwohl in Moment Meisner, Chubbuck u. a. sehr in sind, sind sie am Ende doch alle gleich. Ihre Ansätze variieren halt ein bisschen. Deshalb ist es beim Schauspiel egal, ob man eine Ausbildung in Spanien, Deutschland oder auf La Pampa macht, denn Schauspiel ist eine internationale Sprache. Als ich noch kein Wort Deutsch verstand, habe ich mir trotzdem viele Stücke angeschaut. Ich konnte über die Körpersprache und die Stimmungen erkennen, ob das Stück gut war oder nicht. Wenn es gut war, habe ich es verstanden. Wenn es schlecht war, habe ich mich zu Tode gelangweilt. 

Robert De Niro zum Beispiel ist hauptsächlich eine Rolle, nämlich die des Mafioso, perfekt auf den Leib geschnitten, während einer wie Sean Penn durch Vielseitigkeit überzeugt. Wer (oder was) ist für dich ein guter Schauspieler bzw. ein Vorbild?

Nicht einfach zu sagen. Ein guter Schauspieler ist, wer seine Rolle wahrhaftig spielt und sich verwandeln kann. Es gibt viele, die besonders vielseitig sind, aber nicht wahrhaftig genug spielen, oder andere, die nur einen bestimmten Typ glaubhaft spielen, obwohl sie sonst nichts anderes können. Eine andere Frage ist, ob der Markt es ihnen erlaubt, andere Facetten zu zeigen … Beides zu können ist nicht einfach. Kalki Koechlin hat bei Margarita, with a Straw eine behinderte Frau gespielt. Wenn man sich nur überlegt, was für eine körperliche Arbeit und Recherche dahinter stecken, um so eine Rolle derart überzeugend zu spielen, darf man mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten, dass sie eine gute Schauspielerin ist. Schauspiel ist wie Langstreckenlauf: Es geht nicht darum, besser als die anderen zu sein, sondern nie aufzugeben, immer dranzubleiben. Wenn man glaubt, dass man als Schauspieler fertig ist, ist man kein guter Schauspieler. 

Laut Ben Stillers Tropic Thunder hat es ja Sean Penn in dem Drama i am sam mit der Behinderung etwas übertrieben, während Dustin Hoffmann in dem Klassiker Rain Man den Autistenking Peek recht adäquat getroffen zu haben scheint – was denkst du?

Wäre das ein Live-Interview, würde ich wahrscheinlich so was antworten wie: „Also, ich finde, dass Sean Penn bei i am sam … bla bla bla … scheiße ist.“ Ganz ehrlich? Ich hab mir den Film noch gar nicht angeschaut. Soll ich …? Next question, please.

Was machen wir denn jetzt mit Kevin Spacey?

Was soll ich sagen … geiler Schauspieler. Schuldig oder nicht schuldig, sein Name ist für immer verschmutzt. Ob er Glück oder Pech gehabt hat, werde ich nie so richtig erfahren, denn als Spanierin habe ich in die Justiz leider nicht so viel Vertrauen.

Tut mir echt leid zu hören!

In seiner MasterClass weist Spacey einen Schauspielschüler an, seiner Figur eine Verkrüppelung zu schenken. Welche Empfehlung würdest du einem angehenden Schauspielschüler mitgeben?

Zuschauer wollen immer Figuren sehen, die Probleme haben, weil es sonst langweilig ist. Ohne Konflikte gibt es keine Spannung, ohne Spannung ist Theater tot. Mein Tschechow-Trainer sagte immer: „Im Leben sollte man Konflikte meiden, auf der Bühne sollte man sie suchen.“ Das gilt genauso für den Film, klaro.

Worauf würdest du eigentlich eher verzichten – Theater oder Kino?

Für unbegrenzte Zeit: weder auf das eine noch das andere. Es gab in meinem Leben eine extrem anstrengende Zeit, als ich komplett ohne Theater und Film auskommen musste, und ich bin gaga geworden. Wenn ich eine Zeit lang nicht gespielt habe, fange ich an, Quatsch zu machen. Es geht gesundheitlich nicht. 

Besitzt du einen sog. Schauspieler-Daumen, der sich durch eine charakteristische Konkavkrümmung auszeichnet?

Ne … Aber ich kann das Geräusch einer Taube imitieren und in der Luft sitzen. Ist das was? Ansonsten kann ich Tango tanzen.

Kannst du mir ein Beispiel für schlechte Schauspielerei geben? 

Schlechte Schauspielerei siehst du jeden Tag bei den Daily Soaps. Aber weißt du, wie wenig Zeit diese Schauspieler haben, um sich vorzubereiten? Häufig kriegen sie den Text zwei Tage vorher und dürfen nur zwei bis drei Takes spielen, weil die Produktionskosten sonst zu hoch werden. Es gibt keine schlechten Schauspieler, nur wenig Zeit oder unzureichendes Engagement.

Welcher Schauspieler ist deiner Meinung nach überbewertet?

Meine Mama sagt immer, dass ich die beste bin.

Wer ist eigentlich prätentiöser – Schauspieler oder Lyriker?

Der Schaulyrikspieler.

Warum wirken deutsche Filme und Serien so komisch, etwa im Vergleich zu amerikanischen? Deutsche Schauspielerei ist teilweise auch irgendwie seltsam unüberzeugend.

Die Kohle. Eine Low-Budget-Produktion in Amerika liegt zwischen 10 und 15 Millionen Euro. Stell dir mal vor, wie viel eine „normale“ Produktion kostet und wie hoch das Gehalt der Schauspieler ist (Schauspieler verdienen im Schnitt immer noch viel mehr als Schauspielerinnen!). Spielst du in einer amerikanischen Serie, kannst du dir einen Personal Coach leisten, brauchst nichts anderes zu tun, als dich auf deine Rolle vorzubereiten, und musst eventuell nie wieder arbeiten gehen. Die meisten Schauspieler in Europa können nicht davon leben und müssen nebenher anderen Jobs nachgehen. In Spanien zum Beispiel liegt die Arbeitslosigkeit von Schauspielern bei 95 Prozent. Eine Tragödie. 

Ist Shakespeare nicht überbewertet?

Nein. Ich würde mir jetzt nicht unbedingt ein klassisches Shakespeare-Stück anschauen, es sei denn, es interessiert mich etwas Spezielles. Ich habe mich während der Ausbildung schon für die ganzen Klassiker interessiert, und Shakespeare gehört natürlich dazu. Seine Sprache ist schön, aber nicht einfach zu entziffern bzw. zu spielen. Die Gesellschaft, für die er schrieb, hätte ihn allerdings sofort verstanden.  

Ist denn Shakespeare vielleicht unterbewertet? Oder jemand/etwas anderes?

Shakespeare ist „unterverwandelt“. Ich würde gerne mal Romeo und Romeo sehen, 

oder eine schwarze Hamlet-Familie, oder eine selbständige Ophelia, oder oder oder. 

In ihrer Sketch-Comedy Mr. Show machen sich Bob (Odenkirk) & David (Cross) u. a. über Schauspieler lustig, die als dressurbedürftige Dummerles dargestellt werden. Was sagst du dazu?

Schauspieler kommen häufig dumm oder verrückt rüber, das gebe ich zu. Der Klassiker ist, wenn man auf der Straße seinen Text lernt oder in der U-Bahn sich noch ganz schnell aufwärmt und dabei komische Geräusche macht.

Hast du eigentlich viel mit Berliner Hosenbeinumkremplern & Chapeausern zu tun?

Hatte ich früher mal. Man glaubt es nicht, aber 70 Prozent der Arbeit als Film- und Fernsehschauspieler findet am Computer statt. Als ich die obligatorische langweilige Office-Arbeit als Schauspielerin anfing, saß ich ganz oft in diesen Latte-macchiato-Cafés. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mein Lohn für so was nicht reicht … Man muss viele Stunden pro Tag am Computer sitzen, nur damit die Leute irgendwann dein Gesicht mit deinem Namen verbinden. Daher kann man es sich nicht leisten, täglich Kaffee und Kuchen zu verzehren, nur um an ein Internet-Passwort zu kommen. Ich arbeite meistens von zu Hause aus oder bei Freundinnen. So unterstützen wir uns gegenseitig, trinken selbstgekochten Kaffee und müssen nicht alle zwei Stunden nach dem aktuellen Passwort fragen. 

Titelbild: Laia Alvarez Mestre (c) Katharina Ira Allenberg

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