Leos Carax: Holy Motors – Hermetisches Bild- und Konzeptwunder auf zelluloid Beinen

Holy-Motors

Kaum zu glauben, dass der Regisseur des zugegebenermaßen nicht biederen, aber doch relativ straighten Filmklassikers Die Liebenden von Pont-Neuf von 1991 rund 20 Jahre später einen der seltsamsten Filme seit langem drehen würde: Holy Motors.


Obwohl „zelluloid“ kein Wort ist, das man leichtfertig zur Angabe von Beinanzahlen benutzen sollte und zudem nur noch als Kino-Metapher dient im Zeitalter von Megabits und mechatronischem Internet, muss doch vorweggenommen werden, dass die fast einhellige Begeisterung über Leos Carax’ neuen Film Holy Motors nicht von ungefähr kommt, sondern einfach von der Tatsache herrührt, dass dieser von dem wandlungsfähigen, physisch sehr begabten Denis Lavant getragene Bizarro-Batzen ein geniales Cooliosum mit philosophischen Obertönen ist. Man kann durchaus Kritikpunkte finden, etwa dass das Limo-Finale keineswegs die Gewieftheit der vorhergehenden Episoden in sich hat und somit unnötig schwächelt – überhaupt ist die hemmungslose Mindfuck-Attitüde der ersten Hälfte ein wenig Schattenspender für den Rest des Films. Ins Zentrum ist aber vor allem die vielseitige Kühnheit des Projektes zu rücken, das ein wenig wie eine waghalsige Mischung aus Die fabelhafte Welt der Amélie, Mulholland Drive – wobei deutlich unprätentiöser – und Raymond-Roussel’schem Locus-Solus-Enigma anmutet, weil auch hier einfach alles möglich zu sein scheint. Man stelle sich also auf Bewusstseinsverrückungen mittels Wahnwitzparade ein.

Zum Plot: Ein professioneller Schauspieler/Aktionskünstler namens Monsieur Oscar, der anscheinend ganz ohne Kameras (na ja, fast ohne) in immer wieder neue, disparate Rollen schlüpft, macht Paris mit seinen Verwandlungen zum kultigen Episodenkarussell. Von tragikomisch bis phantasmagorisch, von Ansatzweise-SF zu Voll-Melodram, von anarcho zu schnarcho experimentiert hier der exzentrische Kinomagier Carax freakreich, unter anderem damit, dass er die beiden bisher eher wenig experimentellen Damen Eva Mendes und Kylie Minogue gecastet hat. Konsequenz: Holy Motors krallt sich ins Kopffleisch und lässt die alte Denkmurmel nicht los. Man fragt sich, warum nicht alle Filme so erfrischend sind, und hofft leise, dass der „Alles schon mal dagewesen“-Umstand noch viel mehr Filmemacher, und überhaupt Künstler aller Richtungre, dazu anspornt, kleinere und größere Jenseitigkeiten zu realisieren, um einer Verkrustung des quantitativ längst nicht mehr zumutbaren Weltkunstwusts entgegenzuwirken. Andererseits – wie würden Culture Vultures wohl reagieren, wenn jährlich nicht eine Umwerfung von diesem Format auf sie zukäme, sondern 18080? Jedenfalls ist der Wunsch, das Hirn des Rezipienten durch einige gut platzierte Wunder („Platzwunder“) zu (t)rösten, und in diesem Falle die Augen gleich mit, lobenswert.
Weiter so, ihr Leosse und Caraxe dieser Welt, nur her mit dem Gigablast!

Verrissverriss-Epilog: Wenn der Spiegel-Redakteur Jörg Schöning seiner Heckleriade von einer Rezension die Überschrift „Hokuspokus“ gibt, dann ist natürlich schon klar, was folgen wird. Da wird Carax wenig benutzerfreundlicher Kryptizismus vorgeworfen und die „radikalsubjektive Sicht“ des Films allen Ernstes als „anachronistisch“ (?) bezeichnet. Die Filmideen dieser „Sinnhuberei“ seien „antiquiert“, den Regisseur umgebe der „Nimbus eines Taschenspielers“ usw. Wow – so ein schlechtgelaunter Rezensent mit 0,00 Bock auf Schrägheiten darf eigentlich nicht an die Tastatur ran – als durchfleischter Prog-Metaller rezensiere ich ja auch keine Oi!-Punk-Platten. Aus jeder Pore des Schöning’schen Textkörpers strömt der uncoole Duft von aggressiver Voreingenommenheit, dass einem schwin- & -dlig wird. Selbst Lavants vierte Filmfigur, der stilbildende Kanalisationsleprechaun (of the Assis) namens Monsieur Merde, ist da weniger Troll. Ungern möchte man die Philister-Karte ausspielen, aber was bleibt einem angesichts der Unverschämtheit des hier dargebotenen Hater-Grusels übrig?

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