Clemens J. Setz kehrt im Erzählband „Der Trost runder Dinge“ mit schrägen Metaphern und Figuren zu seinen literarischen Wurzeln zurück.
Die Erkenntnis, dass wir letzten Endes wenig voneinander wissen und ungesehen vor uns hinvegetieren, ist ja nicht neu. Allein, die Coping-Strategien der Protagonist٭innen aus Clemens Setz’ jüngstem Buch kann man – euphemistisch gesprochen – zumindest als unorthodox ansehen. Der alleinerziehende Familienvater Zweigl zum Beispiel versucht ausgerechnet über seine psychische Erkrankung ein Verhältnis zu seinen Kindern aufzubauen. Er leidet seit seiner Jugend unter Panikattacken und entfremdet sich zusehends von seinen beiden Söhnen, denen er die Angstschübe nicht begreiflich machen kann. Als sein ältester Sohn ähnliche Symptome wie er selbst entwickelt, diese sich aber zum Ende der Geschichte hin allerdings als nicht psychosomatisch, sondern als Folge einer Gastritis herausstellen, ist Zweigl nahezu enttäuscht, dass die aufblühende Beziehung wieder in sich zusammenfällt und er allein und auf sich zurückgeworfen bleibt.
Fast alle Figuren aus der Welt der runden Dinge leiden an der Einsamkeit und der Unmöglichkeit, sich dem Mitmenschen verständlich zu machen. Ihnen widerfahren zum Teil schreckliche Dinge in einer Welt, die genauso schräg und verzerrt zu sein scheint, wie die Metaphern und Vergleiche, mit denen der Erzähler sie beschreibt. Das erzeugt erst einmal Mitgefühl, beispielsweise mit dem Ich-Erzähler aus „OTTER OTTER OTTER“, der recht zurückgezogen vor sich hinlebt und sich hingebungsvoll um seine alte und sich dem Lebensende nähernde Katze kümmert.
Man freut sich über sein Date mit der blinden Kundin Anja aus dem Café, in dem er arbeitet, und über die behutsam gezeichnete und fragile Beziehung, die sich anbahnt. Doch wie in den meisten anderen Erzählungen bricht auch in dieser Geschichte mehr und mehr das Unbehagen in den Alltag ein und das Monströse hält Einzug: Als der Erzähler Anja zum ersten Mal in ihrer Wohnung besucht, findet er alle Räume mit obszönen Schmierereien verunstaltet vor. Ähnlich wie der Erzähler in Stefan Zweigs berühmter „unsichtbarer Sammlung“, dem sein blinder Kunde voller Stolz nur leere Blätter statt seiner längst durch die Kinder verhökerten wertvollen Kunstsammlung vorlegt, scheut auch hier der Ich-Erzähler vor der Wahrheit zu zurück und verstrickt sich darüber hinaus auch noch immer weiter in seine eigene zwanghafte Gedankenwelt.
In nahezu allen Geschichten schafft es Setz grandios, Intimität und Entfremdung, Trauriges und Schönes, Tragisches und Tröstliches miteinander zu verweben. Oft sind es hierbei die synästhetisch und nonverbal wahrgenommenen Dinge, die den Figuren der Geschichten Trost spenden, „überhaupt runde Sachen“, bekennt Zweigl, machen das Leid erträglicher und lindern die Angst. Und so sind es vor allem Dinge, die den Erzählungen ihren Kitt geben und sie miteinander verbinden. Achselhöhlen tauchen oft auf und auffallend oft Katzen. Überhaupt sind es kleine Geschöpfe, denen Setz in seinen zum Teil miniaturhaft kurzen Geschichten geradezu zärtlich Zuneigung angedeihen lässt.
Diese Nähe, die Setz zu den Gestalten erzeugt, steht im krassen Kontrast zu den bizarren Ausgangspunkten der meisten Erzählungen. Annamaria Perchthaler zum Beispiel, Mutter eines Teenagers im Wachkoma, will unbedingt Sex mit einem Callboy im Kinderzimmer haben. „Er bekommt ohnehin nichts mit“, antwortet sie auf die entgeisterte Frage des Callboys, warum sie das denn wolle, und es ist spürbar, welche Antwort sie sich wünscht. „Was? Klar bekommt der was mit!“
Setz zeigt seine Figuren in kuriosen, teilweise erbärmlichen Situationen, doch niemals werden sie zynisch oder würdelos dem Spott preisgegeben. Ihre Innenwelten offenbaren zumeist eine verzerrte Wahrnehmung des Alltäglichen. Dies vermittelt Setz mit der ihm eigenen Sprachwelt, in der seine Figuren Katzen als „kompakt wie Brot“ sehen oder Äpfel essen, die nach Fahrradgeschäft schmecken. Die Unfähigkeit, dieser subjektiv empfundenen Welt auch nach außen hin Ausdruck zu verleihen, lässt die Kommunikation zwangsläufig scheitern und führt die Protagonist٭innen in tiefe moralische Abgründe. Bei allem Wahnwitz macht sich Setz nie über seine Geschöpfe lustig, sondern zeichnet sie so einfühlsam, dass man dann am Ende doch mit ihnen ob ihrer scheiternden Kommunikation nicht nur Mitleid empfindet, sondern auch selbst gewahr wird, wie die Realität des jeweils anderen von der eigenen Wahrnehmung der Welt abweichen kann. So verstörend diese Erkenntnis ist, scheint dies jedoch ein allzu menschliches Problem zu sein. Und das wiederum ist doch wahrlich tröstend.