„Böhmermann, du dummes Arschloch!“* Reflexionen über Freiheit und Beschränktheit

Das Neo Magazin Royale vom 31. März 2016 war ein paar Minuten kürzer als die anderen Folgen dieser Unterhaltungssendung. Was ist der Grund für diese Unregelmäßigkeit in dem ansonsten so professionell durchgeplanten Produkt? Die Beschwerde des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, der offenbar mit seinen politischen Aufgaben nicht ausgelastet ist und noch Zeit hat, nachts durchs globale TV-Programm zu zappen.


„Der Boss vom Bosporus“

Recep Tayyip Erdoğan schaut zwar viel fern, aber er lacht nicht gern. Schon gar nicht über sich selbst. Der mächtigste Mann in ganz Eurasien kontrolliert den sogenannten Flüchtlingsstrom, der flussabwärts Richtung Mitteleuropa fließt und er ist seit Neusten auch der stellvertretende Programmchef der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Deutschland. Zum ersten Mal machte er von seiner Macht Gebrauch, nachdem am 17. März 2016 das NDR-Satiremagazin extra 3 einen Song mit dem Titel „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ ausstrahlte. Erdoğan ließ daraufhin den deutschen Botschafter in das türkische Außenministerium bestellen und verlangte von diesem, dass die Bundesregierung die weitere Verbreitung des Satire-Songs verhindert. Es handelt sich um dieses Video hier:

Quelle: YouTube

Erdoğan bestätigte dadurch den Inhalt des Liedes, in dem behauptet wird, dass „der Boss vom Bosporus“ Presse- und Meinungsfreiheit missachte. In der deutschen Presse entbrannte eine hitzige Debatte darüber, was Satire darf (#witzefrei) und wie weitreichend die Befugnisse von Erdoğan sind. Diese Debatte und Erdoğans undemokratisches Verhalten waren dann der Anlass für Jan Böhmermanns Schmähkritik im besagten Neo Magazin Royale am 31. März. Auch hier wurde Erdoğan aktiv und verlangte von der Bundeskanzlerin höchstpersönlich, dass der entsprechende Teil dieser Sendung aus ‚dem Internet‘ entfernt werde. Erdoğan und Merkel gehören noch zu der Generation, die gelernt hat, unbequeme Dokumente einfach vom Aktenvernichter zerschreddern zu lassen. In der digitalen Welt ist das aber nicht mehr so einfach.

Die ungekürzte Version der Sendung hat sich glücklicherweise wieder angefunden, denn im Internet geht ja nichts verloren:

Quelle: Vimeo

„Was jetzt kommt, darf man nicht machen.“

… sagte Böhmermann in der Sendung und macht es dennoch: Er trägt ein Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ vor. Darin sagt Böhmermann, dass Präsident Erdoğan Mädchen schlage, Sex mit Ziegen habe, einen kleinen Schwanz habe und vieles mehr. Böhmermann nutzt dieses Gedicht als Beispiel, um zu zeigen, was nicht durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt sei. Sein Sidekick weist ihn auch darauf hin, dass das Gedicht aus der Mediathek entfernt werden könne und, dass es juristische Konsequenzen haben könne. „Was jetzt kommt, darf man nicht machen.“ ist also kein einfacher Aussagesatz, sondern zusammen mit dem Gedicht und der Löschung des Videos ein performativer Akt.

Die Löschung des Videos war jedoch nicht genug – die türkische Regierung hat wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts am 10. April „ein förmliches Verlangen nach Strafverfolgung“ gegen Böhmermann eingereicht. Nun muss die Bundesregierung entscheiden, ob sie diesem Verlangen nachkommt. Hätte Böhmermann nur einen Tag gewartet, dann hätte er das Gedicht als Aprilscherz deklarieren können!

Inflation der Meinungen

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber nicht alles, was jemand von sich gibt, ist überhaupt eine Meinung. Wenn ich sage „Ich glaube, dass es bald regnen wird.“ habe ich meine Meinung zum Wetter geäußert. Wenn der Nachrichtensprecher im Radio den Wetterbericht vorliest, hat er damit aber nicht seine Meinung geäußert. Der Geltungsanspruch der Sätze und die Rollen der Sprecher sind in beiden Fällen ganz verschieden. Die Wetterprognose kann an der Wirklichkeit scheitern und sich somit nachträglich als falsch herausstellen. Meine Meinung kann aber nicht im strengen Sinne falsch werden, denn als ich sie geäußert habe, habe ich ja wirklich geglaubt, dass es bald regnen werde.

Was ist nun der Unterschied zwischen Satz 1: „Ich bin der Meinung, dass Sex mit Ziegen verboten werden sollte.“ und Satz 2: „Ich bin der Meinung, dass Erdoğan Sex mit Ziegen hat.“? Satz 2 scheint ein ungewöhnlicher Sprachgebrauch von „Meinung“ zu sein. Das ist etwas, über das man gar keine Meinung haben kann. Es ist eine Behauptung, die sich je nach Beweislage als wahr oder falsch herausstellen kann. Satz 1 kann hingegen nicht wahr oder falsch sein, denn es ist ja nun einmal meine Meinung. Eine Meinung kann unbegründet, altmodisch oder unpassend sein, aber nicht wahr oder falsch. Die Meinungsfreiheit sollte für Sätze von Typ 1 gelten und nicht für Sätze von Typ 2 (das war jetzt eine Meinungsäußerung).

Jan Böhmermanns Äußerung „Erdoğan hat Sex mit Ziegen.“ ist gar kein Fall, in dem die Meinungsfreiheit greifen kann. Es ist aber auch nicht die Behauptung eines Nachrichtensprechers und sicherlich auch nicht die Äußerung eines Wissenschaftlers. Es ist der Satz, den ein Künstler in einem fiktionalen, distanzierten Kontext äußert. Die ganze Inszenierung macht das schon deutlich. Böhmermann trägt die Sätze in Reimform vor und wird von Musik begleitet – und zwar in einer Unterhaltungssendung. Er äußert weder seine persönliche, subjektive Meinung noch ist es eine Behauptung, mit der ein objektiver Geltungsanspruch verbunden ist. Böhmermann agiert hier wie ein Schauspieler, der in einer Rolle seinen Text spricht.

Die distanzierenden Anführungszeichen müssen bei der Rede eines Schauspielers implizit mitgehört werden. Es handelt sich um uneigentliche Rede. Das, was der Schauspieler sagt und das, was er denkt, müssen in gar keiner Beziehung zueinander stehen. Nicht die Meinung der Schauspieler steht im Drehbuch, sondern – wenn überhaupt – die Meinung einer fiktiven Figur. In diesem Fall ist es nur schwieriger zu erkennen, weil der Schauspieler Böhmermann den Fernsehmoderator Böhmermann spielt. Also geht es in der Causa Böhmermann gar nicht um Meinungs-, sondern um Kunstfreiheit. Wird es dadurch einfacher?

„Eine Zensur findet nicht statt.“

… heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Artikel wird in der Debatte um Zensur und Verbote immer wieder angeführt. Er ist ein mächtiger, aber auch ein verschieden interpretierbarer Artikel. Das Problem liegt in seiner Struktur, die aus drei Absätzen besteht: Im ersten Absatz werden Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, im dritten Absatz die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Kann also jeder – auch Böhmermann – sagen, was er will? Ganz so einfach ist es nicht, denn diese Rechte gelten nicht schrankenlos. Im zweiten Absatz werden die Rechte eingeschränkt: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Aber auf welche Rechte bezieht sich „Diese“? Sind nur die Rechte des vorherigen Absatzes gemeint? Oder sind neben diesen Rechten auch jene gemeint, die erst im folgenden Absatz genannt werden? Sind nur die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt oder auch die Freiheit von Kunst und Wissenschaft? Mir als juristischen Laien erschließt sich das nicht aus der Lektüre des Artikels. Das ist ärgerlich, denn ich bin nicht nur ein Staatsbürger mit einer Meinung und als Autor bei postmondän tätig, sondern auch Künstler und Wissenschaftler. Ich bin also gleich vierfach von Artikel 5 betroffen und würde mir daher mehr Klarheit darüber wünschen, in welcher Rolle ich was sagen und tun darf und was nicht.

Der eigentliche Skandal, der sich im Neo Magazin Royale abspielte, wurde durch die Diskussion um Meinungs- und Kunstfreiheit natürlich ganz überschattet: Der eingeladene Studiogast, Ronja Rönne, hat in der Sendung eine Zigarette geraucht! Das ist sicherlich nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Eigentlich hätte sie dazu vor die Tür gehen müssen. #rauchfrei

*Der Titel dieses Artikels ist keine Beleidigung, denn er steht zwischen Anführungszeichen.

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